Halbmondlager

(c) Bundesarchiv, Bild 146-1995-051-33 / CC-BY-SA 3.0
Kriegsgefangene im Halbmondlager (April 1915)
Postkarte von der Holzmoschee des Halbmondlagers

Das sogenannte Halbmondlager wurde zu Beginn des Ersten Weltkrieges in Wünsdorf bei Zossen im heutigen Landkreis Teltow-Fläming (Brandenburg) als Lager für kriegsgefangene Araber, Inder und Afrikaner aus der britischen und französischen Armee errichtet. Hier waren etwa 30.000 Kriegsgefangene interniert.

Geschichte

(c) Bundesarchiv, Bild 146-1995-051-31 / Frankl, A. / CC-BY-SA 3.0
In der Moschee beim Gottesdienst

Während des Ersten Weltkrieges war das Osmanische Reich ein Verbündeter des deutschen Kaiserreiches. Am 15. November 1914 rief der Sultan-Kalif des Osmanischen Reiches die Muslime, die als Soldaten aus den Kolonien auf Seiten Englands und Frankreichs kämpften, zum Dschihad, zum Heiligen Krieg, gegen ihre Kolonialherren auf und forderte sie auf, zu desertieren und auf die islamische Seite zu wechseln. Deutschland beteiligte sich mit der Nachrichtenstelle für den Orient an diesem Versuch, indem es das Halbmondlager und ein vergleichbares Lager (das Weinbergelager) im nahegelegenen Ort Zossen einrichtete. Hier sollten die Gefangenen zum Überlaufen und zum Kampf gegen ihre Kolonialherren bewegt werden. Wichtigstes Instrument zur Überzeugung der islamischen Gefangenen war die Förderung der Ausübung islamischer Praktiken in diesen Lagern. So wurde etwa der Ramadan geachtet, indem zu dieser Zeit die Verpflegungsrationen erst nach Sonnenuntergang ausgegeben wurden. Am 13. Juli 1915 wurde zudem im Halbmondlager auf Wunsch des Muftis von Istanbul[1] die erste tatsächlich zur Religionsausübung gedachte Moschee auf deutschem Boden ihrer Bestimmung übergeben.[2][3][4][5] Die Holzmoschee musste 1924 infolge Baufälligkeit geschlossen werden und wurde 1925/26 abgerissen.[6] Im Halbmondlager waren zudem auch Hindus und Sikhs untergebracht. Des Weiteren kooperierte die Nachrichtenstelle mit dem Berliner Indian Independence Committee, unter anderem in der Herausgabe der propagandistischen Lagerzeitung "Hindostan".[7] Der Erfolg dieser Strategie ist umstritten, da nicht zu klären ist, zu wie vielen Überläufern sie tatsächlich geführt hat.

Für die 206 in der Kriegsgefangenschaft verstorbenen indischen Kriegsgefangenen wurde 2005 in der Ortswüstung des ehemaligen Zehrensdorf nahe Wünsdorf der Zehrensdorf Indian Cemetery nach eingehenden Renovierungsmaßnahmen neu eingeweiht.

Friedhof Halbmondlager

Studien deutscher Künstler und Wissenschaftler im Lager

Verschiedene deutsche Ethnologen, Musikwissenschaftler wie Robert Lachmann[8] oder Sprachwissenschaftler wie Wilhelm Doegen nutzten die „praktische Gelegenheit“ und erforschten die Kulturen und Sprachen der im Halbmondlager gefangen gehaltenen Menschen. Soweit bekannt, geschah dies auf freiwilliger Basis.[9]

Im Sommer 1916 saßen dem Berliner Maler Hans Looschen mehrere Gefangene aus Nordafrika Modell.[10] In derselben Zeit entstand die Mappe Kriegsgefangene mit Lithografien afrikanischer Gefangener des Malers Hermann Struck.[11]

Das Lautarchiv der Humboldt-Universität zu Berlin enthält 193 Tonaufnahmen mit 282 Titeln, die auf im Halbmondlager internierte Kriegsgefangene aus Südasien zurückgehen.[12] Von Oktober 2014 bis 2015 präsentierte das Museum Europäischer Kulturen in Berlin-Dahlem eine Ausstellung mit Fotografien und Tonaufnahmen aus dem Lager unter dem Titel 'Phonographierte Klänge - photographierte Momente'.[13]

Film und Fotografie

Im 1916 erschienenen Fotobuch Unsere Feinde. 96 Charakterköpfe aus deutschen Kriegsgefangenenlagern[14] publizierte das Mitglied der Lagerkommandantur Otto Stiehl seine Fotografien von afrikanischen, asiatischen und auch europäischen Gefangenen im Lager.

1918 diente das Lager als Kulisse für den antifranzösischen Film Der Gefangene von Dahomey der Deutschen Kolonial-Film GmbH (Regie: Hubert Moest). Kriegsgefangene übernahmen die Rolle französischer Kolonialsoldaten; der deutsche Protagonist wurde im Film mit einer vom Berliner Völkerkundemuseum zur Verfügung gestellten Nilpferdpeitsche misshandelt.[15]

1919 wird in der Messter Wochenschau (KW 38) in 50-sekündiger Beitrag über das Halbmondlager gesendet. Nach dem Titel Berlin-Wünsdorf: Jahresfest der in Deutschland lebenden Mohammedanner folgt eine Filmaufnahmen betender Muslime in etlichen Reihen mit den dahinterliegenden Wohnbaracken, ehe nach einem Schnitt aus der Vogelperspektive entgegen der Qibla von den betenden Männern nach oben geschwenkt wird und so der Beitrag mit einer vollständigen Aufnahme der dahinterliegenden Moschee mit einer gehissten Flagge des osmanischen Reichs am Minarett endet. Der Beitrag ist über die Filmarchiv des Bundesarchivs frei abrufbar.[16]

2007 kam der Film The Halfmoon Files von Philip Scheffner in die Kinos, der Bild- und Tonaufnahmen aus dem Halbmondlager, die im Rahmen dieser Studien zur Zeit des Ersten Weltkrieges gemacht wurden, zur Grundlage hat.

Literatur

Weblinks

Commons: Halbmondlager Wünsdorf – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Des Kaisers Dschihadisten - DER SPIEGEL 5/2010. Abgerufen am 7. Dezember 2020.
  2. Margot Kahleyss: Muslimische Kriegsgefangene in Deutschland im Ersten Weltkrieg – Ansichten und Absichten. (PDF; 1,5 MB) In: Gerhard Höpp, Brigitte Reinwald (Hrsg.): Fremdeinsätze. Afrikaner und Asiaten in europäischen Kriegen, 1914–1945. Studien 13, Zentrum Moderner Orient / Verlag Das Arabische Buch, 2000
  3. Gerhard Hopp: Die Wünsdorfer Moschee: Eine Episode islamischen Lebens in Deutschland, 1915–1930. In: Die Welt des Islams, New Ser., Jg. 36, Nr. 2, Jul., 1996, S. 204–218.
  4. Christoph Richter: Nicht Mekka, sondern Zehrensdorf. Muslimische Totenruhe in Brandenburg. Deutschlandradio Kultur – Länderreport, 24. Nov. 2006
  5. Thomas Lemmen: Islamische Religionsausübung in Deutschland. In: Thomas Lemmen, Melanie Miehl (Hrsg.): Islamisches Alltagsleben in Deutschland. Bonn 2001, ISBN 3-86077-886-2, S. 17 der Druckausgabe
  6. Chalid-Albert Seiler-Chan: Der Islam in Berlin und anderwärts im Deutschen Reiche. (PDF; 1,9 MB) In: Moslemische Revue, Oktober 1934
  7. Heike Liebau: „Unternehmungen und Aufwiegelungen“: Das Berliner Indische Unabhängigkeitskomitee in den Akten des Politischen Archivs des Auswärtigen Amts (1914–1920). In: MIDA Archival Reflexicon. 2019, S. 4–5 (projekt-mida.de).
  8. Deutsche Biographie: Lachmann, Robert - Deutsche Biographie. Abgerufen am 7. Dezember 2020.
  9. Roy, Franziska, Liebau, Heike, Ahuja, Ravi: Soldat Ram Singh und der Kaiser indische Kriegsgefangene in deutschen Propagandalagern 1914 - 1918. Draupadi Verlag, Heidelberg 2014, ISBN 978-3-937603-84-1, S. 165–208.
  10. Kriegsgefangener Onis Gem Mahmud. In: LeMO – Lebendiges Museum Online. Abgerufen am 17. März 2018.
  11. Jüdisches Museum Berlin – Sammlungen Online. Abgerufen am 7. Dezember 2020.
  12. Recherche: Das Halbmondlager. Digging Deep, Crossing Far, abgerufen am 11. März 2018.
  13. Museum Europäischer Kulturen, Berlin: 'Phonographierte Klänge - photographierte Momente'. In: euromuse.net. Abgerufen am 7. Dezember 2020.
  14. Otto Stiehl: Unsere Feinde. 96 Charakterköpfe aus deutschen Kriegsgefangenenlagern. In: Digitalisierte Sammlungen der Staatsbibliothek zu Berlin. Abgerufen am 7. Dezember 2020.
  15. Auf der Suche nach Mall Singh. In: Märkische Allgemeine Zeitung. The Halfmoon Files, 17. Februar 2007, abgerufen am 17. März 2018.
  16. Berlin-Wünsdorf: Jahresfest der in Deutschland lebenden Mohammedanner. In: Messter Woche, 38/1919. Oskar Messter, 1919, abgerufen am 24. Juli 2021.

Koordinaten: 52° 10′ 1″ N, 13° 29′ 9″ O

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Bundesarchiv Bild 146-1995-051-31, Wünsdorf, Halbmondlager, sowjetische Flüchtlinge.jpg
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Es folgt die historische Originalbeschreibung, die das Bundesarchiv aus dokumentarischen Gründen übernommen hat. Diese kann allerdings fehlerhaft, tendenziös, überholt oder politisch extrem sein.
Im Lager der Mohamedanischen Rotgardisten!

Bei den in den Kämpfen zwischen Sowjet Russland und Polen nach Ostpreußen übergetretenen bolschewistischen Divisionen befand sich auch eine grosse Anzahl Mohamedaner aus den Tartatenstämmen der Krim und des Kaukasus. Um diesen die Befriedigung ihres religiösen Bedürfnisses zu geben, hat die deutsche Regierung diese Internierten abgesondert und sie in dem sogenannten Halbmondlager in Wünsdorf bei Zossen (Nähe Berlin) untergebracht. In diesem Lager waren bereits während des Krieges mohamedanische Gefangene. Die Moschee des Lagers ist eine frühere Stiftung des ehemaligen deutschen Kaisers. Die jetzige deutsche Regierung hat es unternommen, diese mohamedanischen Rotgardisten, die zum Teil Analphabeten sind, durch passende Lehrer aus ihrer Mitte selbst zu unterrichten, um Ihnen über die Einförmigkeit der Internierung hinwegzuhelfen und hat ihnen eine Bibliothek von türkischen und russischen Werken sowie einen Lesesaal zur Verfügung gestellt. Die Lagerküche bereitet den Internierten das Essen nach mohamedanischen Ritus und wird täglich durch den sogenannten Mulla (Moh. Oberpriester) geprüft. Der Anblick der Internierten die bunt zusammengewürfelt gekleidet sind, ist für den Besucher höchst originell.
In der Moschee beim Gottesdienst,
[Anfang der 20. Jahre]
In the camp of the Mohamedan Red Guards!
In the bolshevik divisions, which had been transferred to East Prussia in the battles between Soviet Russia and Poland, there was also a large number of Mohammedans from the Tartan tribes of the Crimea and the Caucasus. In order to give them the satisfaction of their religious need, the German government segregated these internees and placed them in the so-called Halbmondlager in Wünsdorf near Zossen (near Berlin). Already during the war Mohammedan prisoners were in this camp. The mosque of the camp is a former foundation of the former German Emperor. The present German Government has undertaken to teach these Mohammedan Red Guards, some of whom are illiterate, through appropriate teachers from among themselves to help you with the uniformity of internment and has a library of Turkish and Russian works and a reading room for them Provided. The camp kitchen prepares the food for the internees according to the Mohammedan rite and is checked daily by the so-called Mulla (Moh. Senior priest). The sight of the internees, who are dressed in a motley rag, is highly original to the visitor.
In the mosque at the service,

[Early 20th years]
Wünsdorf, Brandenburg - Moschee; Mohammedaner (Zeno Ansichtskarten).jpg
Holzmoschee im Halbmondlager bei Wünsdorf, Kriegsgefangenenlager des Ersten Weltkriegs
Friedhof Halbmondlager 2.jpg
Autor/Urheber: Asif Masimov, Lizenz: CC BY-SA 4.0
Friedhof Halbmondlager
Bundesarchiv Bild 146-1995-051-33, Wünsdorf bei Berlin, Gefangenenlager für Araber.jpg
(c) Bundesarchiv, Bild 146-1995-051-33 / CC-BY-SA 3.0
Es folgt die historische Originalbeschreibung, die das Bundesarchiv aus dokumentarischen Gründen übernommen hat. Diese kann allerdings fehlerhaft, tendenziös, überholt oder politisch extrem sein.
Berlin, den 28. April 1915

Ein Arabergefangenenlager in der Nähe von Berlin,
In der Nähe von Berlin, in Zossen - Wünsdorf hat man jetzt ei neues Araber-Gefangenenlager eingerichtet, in dem nur Araber und Spahis untergebracht sind. Sie haben sich in ihrem Gefangenenlager recht häuslich eingerichtet und haben, ebenso wie die Gefangenen anderer Läger, viel Bewegungsfeiheiten. Auch an Spielen, wie Kartenspielen etc. mangelt es nicht. Zu beklagen sind die Gefangenen sicher nicht, ihre Kost ist reichlich und wie aus nachfolgender Aufstellung ersichtlich auch reichhaltig.
So ist in dem Gefangenenlager zu Alten Brabow z.B. der Gesamtverbrauch von Nahrungsmitteln ca. 25.000 kg Hammelfleisch*, 15.000 kg Schweinefleichs, 10.000 Rindfleisch, 915.000 kg Kartoffeln, 10.000 kg grüne Bohnen, 40.000 kg Mor- und Kohlrüben, 25.000 kg Weisskohl, 25.000 kg Sauerkohl und je 5.000 kg Reis , Graupen und Salz.
Dies ist nun blos der Verbrauch von einem Gefangenenlager, wie müssen wir unseren Feinden da imponieren, dass wir soetwas leisten können, trotzdem wir jetzt keine Zufuhr erhalten. Klagen können unsere Feinde jedenfalls nicht, dass sie darben, eher, dass sie so barbarsich viel essen müssen. Wir bringen einige Typen aus dem Araberviertel in dem Gefangenenlager Zossen-Wünsdorf.
Überblick über das Araberviertel in Zossen-Wünsdorf Berlin, April 28, 1915
An Arab prisoner camp near Berlin,
In the vicinity of Berlin, in Zossen - Wünsdorf, a new Arab prisoner camp has now been set up, housing only Arabs and Spahis (light cavalry regiments of the French army). They have settled in their prison camp quite domestic and have, as well as the prisoners of other camps, a lot of Bewegungsfeiheiten. Even at games, such as card games, etc. is not lacking. The prisoners are certainly not to complain, their food is plentiful and as shown in the following list also rich.
For example, in the detention center of Old Brabow, total consumption of food approx. 25,000 kg of mutton, 15,000 kg of pork*, 10,000 beef, 915,000 kg of potatoes, 10,000 kg of green beans, 40,000 kg of morels and turnips, 25,000 kg of white cabbage, 25,000 kg of cabbage and 5,000 kg of rice, barley and salt each.
This is just the consumption of a prison camp, how should we impress our enemies that we can do such a thing, even though we do not receive a supply now. At any rate, our enemies can not complain that they are starving, rather that they have to eat so much barbarously. We bring some types from the Araber quarter in the prison camp Zossen-Wünsdorf.
Overview of the Arab quarter in Zossen-Wünsdorf

  • Comment: Pork was probably for non-Muslim Russian POWs as they were christians and had a church. Food was inspected by Mulla (Sheikh of the Muslim camp) in another photo.