H. J. Mulliner & Co.

H. J. Mulliner & Co.
RechtsformLimited Company
Gründung1900
Auflösung1961
AuflösungsgrundFusion mit Park Ward
SitzLondon, Großbritannien
BrancheKarosseriebauunternehmen

H. J. Mulliner & Co. war ein britischer Hersteller von Automobilkarosserien, der in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts exklusive Individualkarosserien und Kleinstserien für Oberklassefahrzeuge fertigte. H. J. Mulliner wurde 1959 von Rolls-Royce, einem seiner bis dahin wichtigsten Geschäftspartner, übernommen und zwei Jahre später mit dem ebenfalls zu Rolls-Royce gehörenden Karosseriehersteller Park Ward verschmolzen; das neue Unternehmen trug den Namen Mulliner Park Ward. „Mulliner“ existiert als Label bei Bentley bis heute, auch wenn der Bau von Sonderkarosserien von 1967 bis etwa 2020 eingestellt war.

Familienbeziehungen

Zeitweise nutzten vier verschiedene Karosseriebauunternehmen in Großbritannien den Namen Mulliner. Seitens der Inhaber bzw. Gründer gab es zwar familiäre Verflechtungen;[1] Geschäftsverbindungen entstanden daraus allerdings nicht. Alle Mulliner-Betriebe waren formal und organisatorisch selbstständig.

  • Gemeinsamer Ursprung war das in Northampton ansässige Unternehmen Arthur Mulliner (anfänglich: Mulliners of Northampton), das auf das Jahr 1760 zurückging.
  • Ein Nachkomme des Gründers etablierte zu Beginn des 19. Jahrhunderts in Leamington Spa einen eigenständigen, auf die wohlhabende Kundschaft dieses Kurorts ausgerichteten Betrieb, der 1896 nach Birmingham verlegt und in Mulliners bzw. Mulliners of Birmingham umfirmiert wurde.
  • In Liverpool war seit 1854 außerdem der Kutschenhersteller A. G. Mulliner ansässig.
  • 1882 eröffneten Arthur Mulliner aus Northampton und A. G. Mulliner aus Liverpool im wohlhabenden Londoner Stadtteil Mayfair einen gemeinsamen Showroom, den sie gemeinsam unter der Bezeichnung Mulliner (London) Ltd. führten. Dieses Londoner Unternehmen übernahm Henry Jervis Mulliner, im Jahr 1900 wurde daraus H. J. Mulliner & Co.

Unternehmensgeschichte

Anfänge in Mayfair

De Dion-Bouton Type E 3,5 CV Double Phaeton mit Aufbau von H. J. Mulliner (1900)

Anders als die übrigen Unternehmen der Familie Mulliner, begann H. J. Mulliner & Co. nicht als Kutschenhersteller, sondern produzierte von Beginn an Automobilkarosserien. Es zielte dabei unmittelbar auf die Kundschaft der britischen Oberschicht und karossierte ganz regelmäßig die teuersten Chassis von Daimler und – ab 1904 – Rolls-Royce. Charles Rolls etwa ließ seinen privaten Silver Ghost mit einer Karosserie von H. J. Mulliner versehen.[2] Die Aufbauten von H. J. Mulliner waren bald so gefragt, dass die erst 1900 errichteten Werksanlagen in Mayfair bereits fünf Jahre später nicht mehr ausreichten, um die Nachfrage zu befriedigen. 1906 bezog H. J. Mulliner & Co. neue Werksanlagen im Londoner Stadtteil Chiswick.[2]

Übernahme durch Croall & Son

Bentley 8-Litre Limousine mit Aufbau von H. J. Mulliner (1930)

1908 verkaufte Henry Jervis Mulliner das Unternehmen an den etablierten Karosseriehersteller John Croall & Son, der es neben seinem eigenen Betrieb bestehen ließ und unter dem bisherigen Namen fortführte. In den folgenden 15 Jahren wurde es von Frank Piesse, dem Schwager Henry Jervis Mulliners, geleitet. Nach dem Ersten Weltkrieg erreichte H. J. Mulliner eine Reputation, die der der 100 bzw. 200 Jahre alten Konkurrenten Hooper und Barker entsprach; Beobachter hielten H. J. Mulliner hinsichtlich Stil, Technik und handwerklicher Qualität für mindestens gleichwertig. Ein besonders hohes Niveau erreichten die Karosserien nach dem Weymann-Patent.[3]

In den 1920er-Jahren entwickelte sich eine enge Beziehung zu Bentley – H. J. Mulliner produzierte in diesem Jahrzehnt mehr als 240 Karosserien für Bentley-Chassis –, die sich ab 1931 auch auf Rolls-Royce ausweitete. In den 1930er-Jahren karossierte H. J. Mulliner nahezu ausschließlich Fahrgestelle von Rolls-Royce und Bentley; nur einzelne Aufbauten entstanden auf Kundenwunsch für Daimler, Humber und Lagonda. Während des Zweiten Weltkriegs kam die Produktion ziviler Karosserien zum Erliegen.

Nachkriegszeit: Bentley und Rolls-Royce

Eines der bekanntesten Fahrzeuge mit einer Karosserie von H.J. Mulliner: Bentley R-Type Continental (1955)

Nach dem Kriegsende war H. J. Mulliner einer der wenigen Karosseriehersteller, die die Fertigung wieder aufnahmen und ihrem bisherigen Segment treu blieben. H. J. Mulliner konzentrierte sich weiterhin auf Rolls-Royce und Bentley. Da beide Unternehmen für ihre Modelle Silver Dawn bzw. R-Type allerdings inzwischen werksseitige Standardkarosserien anboten, sank die Produktion von Individualaufbauen in den 1950er-Jahren kontinuierlich. Einen großen Auftrag erhielt das Unternehmen noch einmal im Zusammenhang mit Bentleys sportlichem Projekt R-Type Continental, für den H. J. Mulliner die als Mulliner Sports Saloon bezeichnete Standardkarosserie fertigte. Bis 1955 entstanden 190 Exemplare dieses Fließheckcoupés, das heute zu den begehrtesten britischen Klassikern der Nachkriegszeit gehört.[4] Für die Nachfolgemodelle S1 Continental und S2 Continental baute H. J. Mulliner jeweils über 200 Karosserien.

Übernahme durch Rolls-Royce

In den späten 1950er-Jahren war H. J. Mulliner einer der letzten unabhängigen Karosseriehersteller Großbritanniens; die meisten Konkurrenten waren im Laufe des Jahrzehnts von einem großen Automobilhersteller übernommen worden. Im Juli 1959 kaufte Rolls-Royce für einen Preis von 250.000 £ H. J. Mulliner auf, weil das Unternehmen weitere Kapazitäten für den Bau der Standardkarosserien der erfolgreichen Modelle Silver Cloud bzw. S-Type benötigte. Nachdem Rolls-Royce bereits 1939 Mulliners Konkurrenten Park Ward übernommen hatte, gehörten nun zwei Karosseriebauunternehmen zum Konzern. 1961 verschmolz Rolls-Royce beide Unternehmen und firmierte sie als Mulliner Park Ward.

Mulliner bei Bentley

Bei der Trennung der Marken Rolls-Royce und Bentley im Zuge der Übernahmen durch BMW bzw. Volkswagen 1998 kam es auch zu einer Verteilung der Markennamen Park Ward und Mulliner. Während der Name Park Ward an BMW ging und in der Folgezeit für eine verlängerte Version des Silver Seraph verwendet wurde, übernahm Volkswagen für Bentley die Marke H. J. Mulliner. Bentley unterhält heute eine als Mulliner bezeichnete Spezialabteilung, in der die Standardfahrzeuge auf Kundenwunsch individualisiert werden können.[5] Auch die zwölf Exemplare des Bentley Bacalar wurden etwa 2020 bei Mulliner auf dem Bentley Werksgelände in Crewe gefertigt.[6] Weiter gibt es den Bereich Classic, der alte Modelle als sogenannte Continuation Series nachbaut.[7] Mulliner ist inzwischen als Submarke zu sehen.[8]

Galerie

Literatur

  • Lawrence Dalton: Those Elegant Rolls Royce; überarbeitete Auflage (1978), Dalton-Watson Ltd., Publishers, London, England
  • Lawrence Dalton: Rolls Royce - The Elegance Continues; Dalton-Watson Ltd., Publishers, London, England, ISBN 0-901564-05-2
  • Jonathan Wood: The British Motor Industry Shire Publications Ltd (2010); ISBN 0-7478-0768-X, ISBN 978-0-7478-0768-1
  • R. M. Clarke (Herausgeber): Armstrong-Siddeley Gold Portfolio 1945-1960; Brooklands Book Distribution Ltd., Cobham, Surrey (UK), ISBN 1-85520-069-4
  • Jonathan Wood: Coachbuilding - The hand-crafted car body Shire Publications Ltd (2008); ISBN 978-0-7478-0688-2
  • Nick Walker: A–Z of British Coachbuilders 1919–1960. Shebbear 2007 (Herridge & Sons Ltd.) ISBN 978-0-9549981-6-5.
  • David Culshaw und Peter Horrobin: The Complete Catalogue of British Cars 1895–1975, Veloce Publishing PLC, Dorchester (1997), ISBN 1-874105-93-6

Weblinks

Commons: H. J. Mulliner & Co. – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Nick Walker: A–Z of British Coachbuilders 1919–1960. Herridge & Sons, Shebbear 2007, ISBN 978-0-9549981-6-5, S. 150.
  2. a b Geschichte von H. J. Mulliner & Co. auf der Internetseite www.rrab.com (abgerufen am 25. Mai 2017).
  3. Nick Walker: A–Z of British Coachbuilders 1919–1960. Herridge & Sons, Shebbear 2007, ISBN 978-0-9549981-6-5, S. 149.
  4. Mike Goodbun, Mark Fagelson: Choice of the Connoisseurs. Modellgeschichte der R-Type- und S-Type-Continentals. In: Thoroughbred & Classic Cars, Heft 12/2010, S. 44 ff.
  5. Übersicht auf der Internetseite www.bentleymotors.com (abgerufen am 26. Mai 2017).
  6. Patrick Schäfer: Bentley Mulliner fertigt streng limitiertes Cabrio Bacalar. In: springerprofessional.de. 11. März 2020, abgerufen am 16. September 2023.
  7. Jan Götze: Bentley Continental GT Mulliner: Luxus ist nicht gleich Luxus. In: autobild.de. 22. Juni 2021, abgerufen am 16. September 2023.
  8. Herbie Schmidt: Bentley Mulliner Bacalar: Coachbuilding der Neuzeit. In: nzz.ch. 3. März 2020, abgerufen am 16. September 2023.

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De Dion-Bouton 1900 Double Phaeton Auto on London to Brighton Veteran Car Run 2009.jpg
Autor/Urheber: Brian Snelson from Hockley, Essex, England, Lizenz: CC BY 2.0
Brian Snelson's photo of the London to Brighton Veteran Car Run 2009; entry #43, 1900 De Dion-Bouton 3,5 CV Double Phaeton, water-cooled 1 cylinder engine (France).

from the auctioneer's catalogue:
"Y 65 is a 3½ hp car carrying coachwork by Mulliner in the exceptionally rare Imperial Double Phaeton style, described and illustrated in the De Dion Bouton Preliminary Catalogue for 1901. The car carries a plate on the coachwork bearing the inscription “British Motor Co. Ltd. Licenced – Dion Dunlop Co. Ltd. No.971” and Mulliner records confirm that no. 971 was despatched from their works on 6th September 1900.

It is an exceptionally rare Type E, a transitional model manufactured in 1900 with the 80 x 80mm, 402cc, vertical, single-cylinder engine as fitted to the earlier Type D, however with steering, lever gear-change and rear hub brakes as fitted to the 4½ hp Type G1 introduced in late 1900."
Bentley Batur (02).jpg
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Bentley Batur au Chantilly Arts & Elegance Richard Mille 2022
Bentley 8 Litre limousine by Mulliner 1930 side.jpg
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2013 Classic Days Schloss Dyck - Jüchen
Bentley 8-litre 4-light sports saloon Weymann fabric by H J Mulliner 1930
This is the first production 8-litre

  • Chassis YF5001 13' (156") wheelbase
  • Engine YF5001
  • Reg GK 672

delivered October 1930 to star of stage and screen Jack Buchanan

Source of data—Vintage Bentleys
Car parked at Sissinghurst (5650370362).jpg
Autor/Urheber: Berit from Redhill/Surrey, UK, Lizenz: CC BY 2.0
Rolls-Royce 20/25hp with Sedanca de Ville coachwork by H. J. Mulliner (1934) parked at Sisslinghurst
1960 Bentley S2 Continental Flying Spur by H.J. Mulliner (8754433675).jpg
Autor/Urheber: Spanish Coches, Lizenz: CC BY 2.0
1960 Bentley S2 Continental Flying Spur by H.J. Mulliner
Bentley SI Continental Fastback Coupe Mulliner.jpg
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Bentley S1 Continental Fastback Coupé Mulliner Bodyworks.
2020 Bentley Mulliner Bacalar low angle.jpg
Autor/Urheber: MrWalkr, Lizenz: CC BY-SA 4.0
A Bentley Mulliner Bacalar taken at the London Concours 2021.
Rolls Royce Phantom IV (Bj. 1954) 20110709 IMG 2018.jpg
Autor/Urheber: JoachimKohlerBremen, Lizenz: CC BY-SA 4.0
Rolls Royce Phantom IV (Bj. 1954), Erstbesitzerin: Princess Margaret.
1937 Bentley 4¼-Litre Derby Saloon 10275952753.jpg
Autor/Urheber: Steve Glover, Lizenz: CC BY 2.0

Bentley 4¼-Litre Saloon 1937
(DVLA) first registered 1 July 1937, 4345cc

Cholmondeley Classic Car Show 01/09/2013
1926 Bentley 6½-litre drophead coupé 3829407844.jpg
Autor/Urheber: Craig Howell, Lizenz: CC BY 2.0

Bentley 6½-litre drophead coupé by H J Mulliner 1926 Only surviving short-chassis car to retain its original coachwork

  • Chassis TB2542 (short chassis)
  • Engine FW2605
  • Reg YR 633
delivered September 1926
1951 Bentley MK VI HJM 2-door saloon 8160965887.jpg
Autor/Urheber: Anton van Luijk, Lizenz: CC BY 2.0
1951 Bentley MK VI (#B34MD) H.J. Mulliner 2-door lightweight saloon. One of 4 built to design 7260 on the MK VI chassis, 3 more were built on the R-type chassis.
Bentley 8-Litre Weymann saloon by Mulliner 5577867444.jpg
Autor/Urheber: Anton van Luijk, Lizenz: CC BY 2.0

Bentley 8-Litre Weymann saloon by Mulliner, WO's own car.
Delivered October 1930, original body: Weymann saloon by H J Mulliner

  • Chassis YF5002 12' wheelbase
  • Engine YF5002
  • Reg GK 706

Source of data—Vintage Bentleys
"This car was the second 8-litre made and for a long time it was W O Bentley's personal car."

image 1996