Großer Preis von Deutschland 1938

Der Nürburgring in seiner befahrenen Version der Nordschleife.

Der XI. Große Preis von Deutschland fand am 24. Juli 1938 auf der Nordschleife des Nürburgrings statt. Als Grande Épreuve zählte das Rennen zur Grand-Prix-Europameisterschaft 1938 und wurde nach den Bestimmungen geänderten Internationalen Grand-Prix-Formel (i. W. Rennwagen bis 3 Liter Hubraum mit Kompressor und bis 4,5 Liter Hubraum ohne Kompressor; Mindestgewicht 850 kg; Renndistanz mindestens 500 km) über 22 Runden à 22,810 km ausgetragen, was einer Gesamtdistanz von 501,82 km entsprach.

Sieger wurde Richard Seaman auf einem Mercedes-Benz W 154, der als „Juniorfahrer“ des Teams damit seinen ersten Sieg in einem Internationalen Großen Preis erringen konnte und in den Kreis der internationalen Rennfahrer-Elite aufstieg.

Das Rennen

Hermann Lang im Mercedes-Benz W 154 beim Oldtimer-Grand-Prix 1986 auf dem Nürburgring
Auto Union Typ D 1979 auf der Zielgeraden des Nürburgrings, gefahren von Colin Crabbe

Zum Heim-Grand-Prix traten die beiden deutschen Rennställe traditionell mit maximalem Aufwand an. Das galt insbesondere für das Team von Mercedes-Benz, das die Saison bislang vollständig dominiert hatte, und mit nicht weniger als vier Einsatzfahrzeugen und drei Trainingsautos an den Nürburgring angereist war. Damit stand Mercedes-„Junior“ Richard Seaman zum ersten Mal ein Auto zur Verfügung, mit dem er neben der Stammbesetzung aus Europameister Rudolf Caracciola, Manfred von Brauchitsch und Hermann Lang am Rennen teilnehmen konnte. Dabei kam von Brauchitsch beinahe wieder an den im Vorjahr von Auto-Union-Fahrer Bernd Rosemeyer aufgestellten Trainingsrekord heran, obwohl aufgrund des neuen Reglements der Hubraum seines Mercedes-Benz W 154 praktisch halbiert worden war.

Der Rennstall der Auto Union befand sich dagegen nach dem Verlust Rosemeyers, der bei einem Rekordversuch zu Beginn des Jahres tödlich verunglückt war, weiter in einem Konsolidierungsprozess. Das Team hatte sich völlig auf den einstigen Starpiloten ausgerichtet und schien nach dessen Tod zunächst völlig orientierungslos. Zum Großen Preis von Deutschland hatte man jedoch zumindest zwei Wagen des neuen Grand-Prix-Modells Auto Union Typ D[1] fertig und mit Tazio Nuvolari, der bei Alfa Romeo im Streit ausgeschieden war, auch wieder einen Top-Piloten unter Vertrag nehmen können. Obwohl er noch Mühe hatte, sich mit dem Fahrverhalten des für ihn ungewohnten Heckmotorrennwagens anzufreunden, konnte er prompt die beste Trainingszeit des Teams erzielen, wenn auch erst hinter den vier Mercedes-Piloten. Daneben hatte man außerdem den erfahrenen Hans Stuck wieder verpflichtet, der für die Auto Union in früheren Jahren bereits drei Siege in internationalen Großen Preisen errungen hatte, dessen Vertrag aber Ende 1937 aus Altersgründen eigentlich nicht mehr verlängert worden war. Daneben mussten sich die beiden weniger erfahrenen Rudolf Hasse und H. P. Müller weiterhin mit ihren Auto Union Typ C/D-Übergangsmodellen, mit dem neuen 3-Liter-V12 im letztjährigen Chassis, begnügen.

Auch Alfa Romeo befand sich in einer problematischen Lage. Nach Nuvolaris Abgang wurde Giuseppe Farina zum neuen Mannschaftsführer, der aber noch nicht zur absoluten Fahrer-Elite gehörte. Ein zweiter Alfa Romeo Tipo 312 mit V12-Motor wurde außerdem für Clemente Biondetti eingesetzt, aber das Modell war den deutschen „Silberpfeilen“ maschinell unterlegen. Während Maserati für das Rennen nicht gemeldet hatte, trat mit der Ecurie Bleue noch ein weiterer Werksrennstall an. Die Fahreigenschaften des völlig neuen Grand-Prix-Modells Delahaye Type 155 erwiesen sich im Training allerdings als unbefriedigend, weshalb das Team für Gianfranco Comotti und René Dreyfus auf zwei wesentlich schwächere zweisitzige Rennsportwagen Delahaye Type 145 zurückgreifen musste.

Beim Start ging Mercedes-Pilot Lang in Front, gefolgt von Nuvolari, Seaman und Caracciola. Nuvolari schien mit seinem Auto Union unter Rennbedingungen wenig vertraut. Er kam schon in der Auftaktrunde von der Strecke ab und musste das beschädigte Auto kurz darauf aufgeben. Auch die übrigen Auto-Union-Fahrer wirkten nicht allzu stark, so dass Mercedes mit vier Wagen vorn lag. Wenig später musste Lang mit unrund laufendem Motor einen außerplanmäßigen Boxenstopp einlegen und von Brauchitsch, der sich mittlerweile an Seaman wie auch am gesundheitlich beeinträchtigten Caracciola vorbeigeschoben hatte, übernahm die Führung.

Zwischen den beiden Mercedes-Piloten an der Spitze entwickelte sich in der Folge – entgegen der von Mercedes-Rennleiter Alfred Neubauer ausgegebenen Stallorder – ein intensives Duell, in dem von Brauchitsch gegenüber seinem jungen Stallkollegen Seaman die Oberhand zu behalten schien. Als der Führende jedoch zu seinem zweiten Tank- und Reifenstopp an die Boxen kam, ergoss sich Treibstoff über das Heck des Autos, das Sekunden später in Flammen aufging. Von Brauchitsch wurde aus dem Cockpit gezogen, um seine brennende Kleidung zu löschen, während die Boxenmannschaft gleichzeitig mit Löschschaum gegen das Feuer vorging. In der Zwischenzeit war kurz nach von Brauchitsch auch Seaman zu seinem Stopp hereingekommen und trotz des herrschenden Chaos problemlos abgefertigt worden. Die Szene, die für die Wochenschau ganz aufgezeichnet wurde, gehört heute zu den bekanntesten Filmdokumenten dieser Rennepoche. Zwar stieg von Brauchitsch kurze Zeit später noch einmal in seinen völlig mit Löschschaum überzogenen Rennwagen, kam aber beim Versuch, Seaman abzufangen, bei hoher Geschwindigkeit von der Strecke ab und überstand den nachfolgenden Unfall nur mit großem Glück völlig unverletzt. So konnte Seaman ungefährdet dem ersten Sieg seiner Karriere entgegenfahren. Lang, der Caracciolas Auto übernommen hatte, wurde mit vier Minuten Rückstand Zweiter.

Meldeliste

TeamNr.FahrerInfoChassisMotorReifen
Deutsches Reich NS Auto Union AG02Italien 1861 Tazio NuvolariAuto Union Typ DAuto Union 3.0L V12 Kompressor
04Deutsches Reich NS Hans Stuck
06Deutsches Reich NS Rudolf HasseAuto Union Typ C/D
08Deutsches Reich NS Hermann Paul Müllera
Schweiz Christian KautzRES
Deutsches Reich NS Ulrich BigalkeRES
Deutsches Reich NS Daimler-Benz AG10Deutsches Reich NS Rudolf CaracciolabMercedes-Benz W 154Mercedes-Benz M 154 3.0L V12 Kompressor
12Deutsches Reich NS Manfred von Brauchitsch
14Deutsches Reich NS Hermann Langc
16Vereinigtes Konigreich Richard Seaman
18Deutsches Reich NS Walter BäumerRESd
Monaco Louis ChironRES
Deutsches Reich NS Heinz BrendelRES
Deutsches Reich NS Hans-Hugo HartmannRES
Dritte Französische Republik Écurie Bleue20Dritte Französische Republik René DreyfusDelahaye 145eDelahaye 145 4.5L V12
22Italien 1861 Gianfranco Comotti
Italien 1861 Alfa Corse24Italien 1861 Giuseppe FarinaAlfa Romeo Tipo 312Alfa Romeo 3.0L V12 Kompressor
26Italien 1861 Clemente Biondetti
Italien 1861 Carlo PintacudaRES
Italien 1861 Scuderia Torino28Italien 1861 Piero TaruffiAlfa Romeo Tipo 308Alfa Romeo 3.0L I8 Kompressor
30Italien 1861 Pietro GhersiAlfa Romeo 8C 2900AAlfa Romeo 2.9L I8 Kompressor
Italien 1861 Piero DusioRES
Schweiz Écurie Du Puy & de Graffenried32Schweiz Toulo de GraffenriedMaserati 6C-34Maserati 3.0L I6 Kompressor
Vereinigte Staaten 48 John Du PuyRES
Ungarn 1918 E. Festetics34Ungarn 1918 Ernő FesteticsDNAAlfa Romeo Tipo BAlfa Romeo 2.9L I8 Kompressor
Vereinigtes Konigreich A. Hyde36Vereinigtes Konigreich Arthur Brookes HydeMaserati 8CMMaserati 3.0L I8 Kompressor
Schweiz Écurie Helvetia38Deutsches Reich NS Herbert BergMaserati 6CMMaserati 1.5L I6 Kompressor
Deutsches Reich NS P. Pietsch40Deutsches Reich NS Paul PietschMaserati 6CMMaserati 1.5L I6 Kompressor
Italien 1861 R. Balestrero42Italien 1861 Renato BalestreroAlfa Romeo Tipo 308Alfa Romeo 3.0L I8 Kompressor
Italien 1861 Vittorio BelmondoRES
Italien 1861 Scuderia Ambrosiana44Italien 1861 Franco CorteseMaserati 6CMMaserati 1.5L I6 Kompressor
a Während des Rennens Auto an Nuvolari übergeben.
b Während des Rennens von Lang am Steuer abgelöst.
c Während des Rennens Auto an Bäumer übergeben.
d Auto nur im Training eingesetzt.
e Im Training kam auch erstmals der neue Monoposto Modell 155 zum Einsatz.

Startaufstellung

321
Vereinigtes Konigreich Seaman
10:01,2 min
Deutsches Reich NS Lang
9:54,1 min
Deutsches Reich NS von Brauchitsch
9:48,4 min
54
Italien 1861 Nuvolari
10:03,3 min
Deutsches Reich NS Caracciola
10:03,1 min
876
Deutsches Reich NS Stuck
10:23,0 min
Deutsches Reich NS Müller
10:19,3 min
Deutsches Reich NS Hasse
10:19,1 min
109
Italien 1861 Biondetti
10:50,0 min
Italien 1861 Farina
10:31,1 min
131211
Deutsches Reich NS PietschDritte Französische Republik DreyfusItalien 1861 Taruffi
1514
Italien 1861 GhersiVereinigtes Konigreich Hyde
181716
Deutsches Reich NS BergItalien 1861 CorteseItalien 1861 Balestrero
2019
Schweiz de GraffenriedItalien 1861 Comotti

Rennergebnis

Pos.Nr.FahrerKonstrukteurRundenZeitAusfallgrundEM-Punkte
116Vereinigtes Konigreich Richard SeamanDeutsches Reich NS Mercedes-Benz223:51:46,1 h1
210Deutsches Reich NS Rudolf Caracciola /
Deutsches Reich NS Hermann Lang
Deutsches Reich NS Mercedes-Benz22+ 04:20,1 min2 / –
304Deutsches Reich NS Hans StuckDeutsches Reich NS Auto Union22+ 08:56,2 min3
408Deutsches Reich NS Hermann Paul Müller /
Italien 1861 Tazio Nuvolari
Deutsches Reich NS Auto Union22+ 09:33,0 min4 / –
520Dritte Französische Republik René DreyfusDritte Französische Republik Delahaye21+ 1 Runde4
640Deutsches Reich NS Paul PietschItalien 1861 Maserati20?+ 2 Runden?4
742Italien 1861 Renato BalestreroItalien 1861 Alfa Romeo4
830Italien 1861 Pietro GhersiItalien 1861 Alfa Romeo4
944Italien 1861 Franco CorteseItalien 1861 Maserati4
DNF06Deutsches Reich NS Rudolf HasseDeutsches Reich NS Auto Union15Motor5
DNF14Deutsches Reich NS Hermann Lang /
Deutsches Reich NS Walter Bäumer
Deutsches Reich NS Mercedes-Benz15?Motor5 / –
DNF12Deutsches Reich NS Manfred von BrauchitschDeutsches Reich NS Mercedes-Benz15Unfall5
DNF36Vereinigtes Konigreich Arthur Brookes HydeItalien 1861 Maserati14Unfall5
DNF32Schweiz Toulo de GraffenriedItalien 1861 Maserati14Kraftübertragung7
DNF24Italien 1861 Giuseppe FarinaItalien 1861 Alfa Romeo14Mechanik7
DNF28Italien 1861 Piero TaruffiItalien 1861 Alfa Romeo2Unfall7
DNF02Italien 1861 Tazio NuvolariDeutsches Reich NS Auto Union2Unfall7
DNF26Italien 1861 Clemente BiondettiItalien 1861 Alfa Romeo1Unfall7
DNF22Italien 1861 Gianfranco ComottiDritte Französische Republik Delahaye1Getriebe7
DNF38Deutsches Reich NS Herbert BergItalien 1861 Maserati1Kraftstoffpumpe7

Schnellste Rennrunde: Vereinigtes Konigreich Richard Seaman (Mercedes-Benz), 10:09,1 min = 134,8 km/h

Weblinks

Commons: Automobilsport 1938 – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. die Typenbezeichnung der Auto-Union-Rennwagen wurde von Fachautoren erst nachträglich zur Unterscheidung der einzelnen Modelle eingeführt

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National- und Handelsflagge des Deutschen Reiches von 1935 bis 1945, zugleich Gösch der Kriegsschiffe.
Das Hakenkreuz ist im Vergleich zur Parteiflagge der NSDAP um 1/20 zum Mast hin versetzt.
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