Gob Squad

Gob Squad ist ein deutsch-englisches postdramatisches Performance-Kollektiv mit Sitz in Berlin.

Geschichte

Zur Gründungsgeschichte[1] gehört die Teilnahme einiger Studenten der Nottingham-Trent-Universität am Glastonbury Festival im Juni 1992. Dieser Teilnehmerkreis, der sich im Kurs Creative Arts kennengelernt hatte, gab sich für seinen spontan geplanten Auftritt den Namen Gob Squad, der in der deutschen Übersetzung Haufen Gruppe lautet.[2] Die damaligen Dozenten der Nottingham-Trent-Universität stammten auch aus der interdisziplinären Fluxus-Bewegung, die eine Aufhebung der Trennung zwischen Kunst und Alltag anstrebte.

Ein zusätzlicher Einfluss entstand in dieser Vorphase durch das Institut für Angewandte Theaterwissenschaft der Justus-Liebig-Universität Gießen. Diesen Einfluss vermittelten die damaligen Studentinnen Johanna Freiburg und Berit Stumpf während ihres Austauschsemesters in Nottingham. Aus ihrer Zusammenarbeit mit den englischen Studenten, die am Glastonbury Festival teilgenommen hatten, kam es im Jahr 1994 zur Gründung des deutsch-englischen Performancekollektivs Gob Squad. Die Gründungsmitglieder waren Johanna Freiburg, Alex Large, Sean Patten, Liane Sommers, Berit Stumpf und Sarah Thom.

Bei der Gründung wurden folgende Grundsätze vereinbart: Ein Regisseur sollte keine autonome Rolle übernehmen können und klassische Theaterbühnen entfallen als Spielorte. Angestrebt werden die Durchführung von Performances in Echtzeit an realen Orten im öffentlichen Raum. Als Inspirationsquellen dienen insbesondere Film, bildende Kunst, Popkultur und Popmusik. Die Gruppe will außerhalb von institutionellen Strukturen eigene Arbeitsformen entwickeln. In der Anfangszeit fanden mehrstündige Performances beispielsweise auf öffentlichen Parkplätzen, in Wohnhäusern und Einkaufszentren. Schon seit Mitte 1995 wurde die Gruppe durch Veranstalter unterstützt. So traten in Deutschland als Koproduzenten das Frankfurter Theater am Turm, das Berliner Podewil und die Hamburger Kulturfabrik Kampnagel in Erscheinung. Hierzu zählt auch die Teilnahme an der documenta X im Jahr 1997.[3]

Im Jahr 1999 kam Simon Will als neues Gruppenmitglied hinzu. 2001 verließen die beiden Gründungsmitglieder Alex Large und Liane Sommers die Gruppe. Als neue Mitglieder wurden dann Bastian Trost (2003) und Sharon Smith (2007) aufgenommen.[4]

Seit dem Jahr 2000 spielen Passanten oder Zuschauer in den Werken von Gob Squad eine große Rolle. Außer Theater-Performances benutzt die Gruppe auch das Format von Hörspielen, Internet-Performances, Filmen und Videos.

Mitglieder

Ständige Mitglieder sind Johanna Freiburg, Sean Patten, Sharon Smith, Berit Stumpf, Sarah Thom, Bastian Trost und Simon Will.[5] Folgende Künstler haben mit Gob Squad zusammengearbeitet: Stefan Pucher, Elyce Semenec, Miles Chalcraft, Laura Tonke, Till Müller-Klug, Nina Tecklenburg, Tina Pfurr, Daniel Haaksman und Masha Qrella.

Auszeichnungen

Zitat

„Performance hat, gerade wenn man vom Theater kommt, die größere Kraft des Augenblicks.“

Bastian Trost: Aenne Quiñones (Hrsg.): Gob Squad. What are you looking at? Alexander, Berlin 2020, S. 36.

Siehe auch

Werke

Ein ausführliches Werkverzeichnis hat Aenne Quiñones in ihrem Buch über Gob Squad veröffentlicht.[9]

  • 1994: House → Aktion in einem leerstehenden Wohnhaus in Gießen beim Festival Diskurs 94, Institut für Angewandte Theaterwissenschaft
  • 1995: Work → durationale Performance, bei der Gob Squad in einem Büro eine Woche von Zuschauern beobachtet wird
  • 1997: 15 Minutes To Comply → Performance von fünfzehn Minuten auf einem Bahnsteig einer U-Bahn-Station in Kassel –, entstanden im Rahmen der documenta X in Kassel in Zusammenarbeit mit Stefan Pucher
  • 1997: Close Enough to Kiss → erste Performance in einem Theater in einer Art verspiegelter Glasbox
  • 1998: Calling Laika – a secret meeting under the stars → Performance, bei der aus 30 im Kreis geparkten Autos heraus eine Art Séance abgehalten wird, in der die Performer versuchen, Nachrichten ins All zu senden
  • 1998: What Are You Looking At? → durationale Performance, bei der die Performer in einer verspiegelten Box eingeschlossen eine Party feiern
  • 1999: Safe → Gob Squads erste Bühnenshow, in der die Gruppe versucht, eine Rockband zu sein
  • 2000: Say It Like You Mean It → Performance, in der Gob Squad mit den Zuschauern zusammen den ersten Abend nach dem Weltuntergang verbringt
  • 2001: The Great Outdoors → eine Arbeit für das Podewil in Berlin, wo die Performer nacheinander die Bühne verlassen und über Handys und Video Nachrichten ins Theater senden
  • 2003: Room Service (Help Me Make It Through The Night) → spielt in einem Hotel, in dem Gob Squad – alleine in ihren Zimmern – sich eine Nacht lang von Kameras beobachten lässt
  • 2003: Super Night ShotVideo-Film, der direkt nach seiner Entstehung auf der Straße im Theater gezeigt wird
  • 2004: In diesem Kiez ist der Teufel eine Goldmine → Gob Squads erster Versuch, ein Theaterstück zu inszenieren, René Polleschs dritten Teil der Prater Saga –, statt selber den Text zu sprechen, castet Gob Squad live Passanten auf der Straße für die Hauptrollen
  • 2005: King Kong Club → eine Show, bei der die Zuschauer in Affenkostümen bei Dreharbeiten mitwirken und sich nachher den entstandenen Film angucken können
  • 2006: Me the Monster → eine Art Reintegrations-Programm für Monster
  • 2007: Gob Squad's Kitchen (You've never had it so good) → ein Live-Film-Event auf den Spuren Andy Warhols und der 1960er Jahre
  • 2008: Saving The World → ein 180 Grad Panorama Film
  • 2009: Live Long and Prosper → Two-Screen-Film, in dem Sterbeszenen aus Filmen im öffentlichen Raum neu inszeniert werden
  • 2010: Revolution Now! → Performance, in der mit der Hilfe des Publikums revolutionäre Momente als echter Aufstand für die Kamera dargestellt werden
  • 2011: Before Your Very Eyes → Performance, in der Kinder zwischen acht und vierzehn Jahren von einem "safe-room" aus ihr Leben im Schnellvorlauf durchspielen.
  • 2012: We Are Gob Squad and So Are You (Adventures In Remote Lecturing) → eine Lecture-Performance über Authentizität, Wahrheit, Fiktion und die kollektive Identität
  • 2012: The Conversationalist → Tennismatch ohne Ball und ohne Schläger als Teil der Inszenierung des Romans Unendlicher Spaß von David Foster Wallace
  • 2013: Dancing About → mehrteiliges und aus verschiedenen Tänzen bestehendes Stück aus Versatzstücken von Nachtclub, ritueller Zeremonie, Ausdruckstanz und Therapiesitzung
  • 2013: Western Society → die westliche Zivilisation im 21. Jahrhundert wird gezeigt, indem das „am wenigsten angeschaute Video im Netz“ mit Zuschauern nachgespielt und zum Mittelpunkt der Fragen wird, die Gob Squad an sich selbst stellen
  • 2015: My Square Lady → robot-reality-opera, in der einem Roboter mit den Mitteln der Oper Gefühle beigebracht werden
  • 2016: War and Peace → Performance, in der Gob Squad im Format eines Salons des 19. Jahrhunderts Tolstoi Roman wörtlich nimmt und mit Hilfe der Zuschauer und einer Fashion Show die Frage stellt, ob es möglich ist, ein moralisches Leben in einer ethisch unvollkommenen Welt zu führen
  • 2018: Creation (Pictures for Dorian)[10] → Performance, in der Gob Squad mit lokalen Darstellern jüngerer sowie älterer Generation Fragen nach Schönheit, Moral und dem Altern stellen, inspiriert von Oscar Wildes Charakter Dorian Gray.
  • 2019: I Love You, Goodbye → Performance-Event im Format einer Kochshow in verschiedenen Editionen aufgeführt
  • 2020: Show me a good time → Eine performative Uhr, die zu jeder vollen Stunde die Verbindung zwischen Theater und der Welt auf die Probe stellt.[11]

Literatur

  • Sascha Förster: Gob Squads Wege in der Stadt. Über die performative Erfahrung des städtischen Raums in den Arbeiten von Gob Squad. Theaterwissenschaftliche Magisterarbeit, FU Berlin 2007/2008
  • Annemarie M. Matzke: Touristen, Passanten, Mitbewohner. Strategien des zeitgenössischen Site-Specific-Theatre. In: David Roesner, Geesche Wartemann, Volker Wortmann (Hrsg.): Szenische Orte – Mediale Räume. Olms, Hildesheim/Zürich/New York 2005.
  • Joachim Gerstmeier: Gob Squad. In: Dissimile. Prospektionen: Junge europäische Kunst. Hrsg. von Ludger Hünnekens und Matthias Winzen. Baden-Baden 2002, p. / S. 60–65.
  • The Making Of A Memory – 10 Jahre Gob Squad erinnert in Wort und Bild. Synwolt, Berlin 2005, ISBN 3-937065-06-7.
  • Erika Fischer: The Transformative Power of Performance: A New Aesthetics. 2008
  • Johanna Freiburg: Sprechende Räume sind banal. In: Zeichen 9. Räumungen. Von der Unverschämtheit, Theater für ein Medium der Zukunft zu halten. Hrsg. von Ralph Hammerthaler und Elisabeth Schweeger. Alexander, Berlin 1999, S. 44–53.
  • Hans-Thies Lehmann: Postdramatisches Theater. Frankfurt am Main 1999, p. / S. 25 & 216f.
  • Aenne Quiñones (Hrsg.): Gob Squad. What are you looking at? Alexander, Berlin 2020, ISBN 978-3-89581-524-9.
  • Gob Squad: Desire. In: 100 Jahre Hebbel-Theater. Angewandtes Theater-Lexikon nach Gustav Freytag. Hrsg. vom Hebbel am Ufer, Berlin 2008.
  • Annemarie M. Matzke: Testen, Spielen, Tricksen, Scheitern. Formen szenischer Selbstinszenierung im zeitgenössischen Theater. Olms, Hildesheim/Zürich/New York 2005, ISBN 3-487-12800-4.
  • Gob Squad, Aenne Quinones (Hrsg.): The Making of a Memory – 10 years remembered in words and pictures. Berlin 2005
  • Miriam Dreysse: Wohnzimmer, U-Bahnhöfe, Parkplätze und Selbstbespiegelungen. Zu den frühen Arbeiten von Gob Squad. In: Forum Modernes Theater. Hrsg. von Günter Ahrends u. a., Heft 1/2006, Band 21, Tübingen 2006.
  • Kerstin Evert: Verortung’ als Konzept: Rimini-Protokoll und Gob Squad. In: Gabriele Klein; Wolfgang Sting (Hrsg.): Performance. Positionen zur zeitgenössischen szenischen Kunst. Bielefeld 2005.
  • Phil Collins: Das Kollektiv und das Publikum. Interview. In: Aenne Quiñones (Hrsg.): Gob Squad. What are you looking at? Alexander, Berlin 2020, ISBN 978-3-89581-524-9, S. 54–101.
  • Gob Squad im Gespräch mit Aenne Quiñones: What do you want, certainty? In: René Pollesch: Prater Saga. Alexander, Berlin 2005, S. 129–185.
  • Aenne Quiñones: "Be Part of Something Bigger." Gob Squad erobern die Gemeinschaft zurück. In: Aenne Quiñones (Hrsg.): Gob Squad. What are you looking at? Alexander, Berlin 2020, ISBN 978-3-89581-524-9, S. 22–53.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Zur Gründungsgeschichte siehe Aenne Quiñones: "Be Part of Something Bigger." Gob Squad erobern die Gemeinschaft zurück. In: Aenne Quiñones (Hrsg.): Gob Squad. What are you looking at? Alexander, Berlin 2020, S. 22–53.
  2. Siehe die beiden Lemmata in Langenscheidts Handwörterbuch Englisch, Berlin u. a. 1988.
  3. Aenne Quiñones (Hrsg.): Gob Squad. What are you looking at? Alexander, Berlin 2020, S. 27–31 u. 37.
  4. Aenne Quiñones (Hrsg.): Gob Squad. What are you looking at? Alexander, Berlin 2020, S. 40.
  5. Who's Who?
  6. OffWestEnd.com – The_offies – The definitive guide to London’s Off West End theatre scene, featuring listings and details for over 80 theatres, news, discussion and exclusive special offers. Archiviert vom Original (nicht mehr online verfügbar) am 15. Juli 2014; abgerufen am 6. September 2019.
  7. Tabori Preis 2020 an „Gob Squad“ (Memento desOriginals vom 20. Mai 2020 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.deutschlandfunkkultur.de, deutschlandfunkkultur.de, erschienen und abgerufen am 20. Mai 2020.
  8. Susanne Burkhardt: Friedrich-Luft-Preis für „Show Me a Good Time“, deutschlandfunkkultur.de, erschienen und abgerufen am 28. Mai 2021.
  9. Aenne Quiñones (Hrsg.): Gob Squad. What are you looking at? Alexander, Berlin 2020, S. 102–121.
  10. Gob Squad. Abgerufen am 25. Dezember 2018.
  11. Gob Squad – Gob Squad Arts Collective. Abgerufen am 9. Februar 2021 (britisches Englisch).