Gnaeus Naevius

Gnaeus Naevius (* um 265 v. Chr. in Kampanien; † um 201 v. Chr. in Utica, Nordafrika) war ein römischer Dramatiker und Epiker.

Leben

Naevius erwähnte in seinem Geschichtswerk seine Teilnahme am Ersten Punischen Krieg. 235 v. Chr. erlebte er seine erste dramatische Aufführung. Wegen seiner Angriffe auf die römische Nobilität, insbesondere auf die Meteller, die seiner Meinung nach unverdient die höchsten Staatsämter bekleideten, soll er von Quintus Caecilius Metellus (Konsul 206 v. Chr.) ins Gefängnis geworfen, von den Volkstribunen aber bald wieder entlassen worden sein. Naevius’ Polemik gegen die Meteller und ihre Rache (Einkerkerung, Verbannung) hält Harold B. Mattingly aber für eine Legende.[1]

Naevius starb in Utica (Nordafrika). Vielleicht lebte er hier in der Verbannung, von den Metellern aus Rom vertrieben (so Hieronymus). Sein Todesdatum ist schon in der Antike umstritten, wahrscheinlich ist es das von Hieronymus genannte Jahr 201 v. Chr.

Werke

Naevius schrieb die Komödien Agitatoria (die Rennkomödie), Carbonaria (die Kohlenkomödie), Corollaria (die Kranzkomödie), Tunicularia (die Hemdenkomödie) und weitere etwa 25 Titel nach griechischem Muster. Die Tarentilla (Die kleine Tarentinerin, Das Mädchen aus Tarent) ist als einzige Komödie in größerem Umfang rekonstruierbar. Insgesamt sind 100 Verse erhalten.

Nur 50 Verse sind von den Tragödien Aesiona, Danae, Equus Troianus, Hector proficiscens, Iphigenia, Andromacha und Lykurgos (bekämpft die Gegner des Dionysoskults) erhalten.

Mit den Praetextae Romulus und Clastidium wurden 195 v. Chr. zum ersten Mal Tragödien im griechischen Stil mit national-römischen Stoffen öffentlich aufgeführt: die römische Gründungssage und der Sieg über den Gallierhäuptling Virdumar im Jahre 222 v. Chr. Römische Helden traten in der toga praetexta auf.

Das Epos Bellum Punicum schrieb Naevius im Versmaß des Saturniers. Es war ursprünglich ungeteilt; nach der Einteilung des Grammatikers Octavius Lampadio (2. Jahrhundert v. Chr.) umfasste es sieben Bücher mit ca. 4000 bis 5000 Versen, von denen ca. 60 Fragmente erhalten sind. Naevius hat es als älterer Mann verfasst.[2] Es beschreibt den Ersten Punischen Krieg (264 bis 241 v. Chr.). Nach der Darstellung der ersten Kriegsjahre wird der römische Mythos von dem Auszug der Aeneaden aus Troia bis zur Gründung Roms eingefügt (Bücher 1 und 2). Thema des dritten Buches ist die Gründung Roms, die letzten Bücher behandeln die weiteren Kriegsereignisse.

Quellen/Vorbilder

Die Stoffe der Komödien stammen aus der griechischen Neuen Komödie, die um 320 v. Chr. von Menandros begründet wurde. Die Komik weist römisches Kolorit auf, spielt auf Zeitgenössisches an. Die Tragödien gehen stofflich auf Aischylos (525/4–456/5 v. Chr.) und Euripides (ca. 480–406 v. Chr.) zurück; das Maß seiner Freiheit bei der Bearbeitung dieser Vorlagen ist wegen der dürftigen Überlieferung nicht mehr zu erkennen. Schon mit der ersten öffentlichen Aufführung trat er in ernsthafte Konkurrenz zu Livius Andronicus.

Mit seinem Epos steht Naevius in hellenistischer Tradition (Apollonios von Rhodos). Timaios von Tauromenion (ca. 356–260 v. Chr.) ist Quelle für die Gründungslegenden, für den Verlauf des Krieges Philinos von Akragas (3. Jahrhundert v. Chr.), auf den sich auch Quintus Fabius Pictor und Polybios stützen. Auch auf Livius Andronicus kann Naevius zurückgreifen. Schließlich sind römische Berichte und die eigene Erinnerung in die Darstellung eingeflossen.

Überlieferung

Durch die Grammatiker Marcus Terentius Varro (1. Jahrhundert v. Chr.), Quintus Remmius Palaemon (1. Jahrhundert n. Chr.) und die Archaisten Marcus Cornelius Fronto und Aulus Gellius (2. Jahrhundert n. Chr.) sind viele Einzelheiten der Komödien noch bekannt. Das Mittelalter kennt Naevius nur noch als Komödiendichter. Zahlreiche Fragmente des Bellum Poenicum finden sich im Vergilkommentar des Grammatikers Valerius Probus (Ende des 1. Jahrhunderts n. Chr.), bei Aelius Donatus und Marcellus Nonius (4. Jahrhundert), bei Servius (um 400), bei Macrobius (5. Jahrhundert) sowie bei Theodorus Priscianus (um 500). Die Humanisten sammelten die Fragmente des Naevius. In den Mittelpunkt der Forschung trat Naevius dann bei den Romantikern.

Fortwirken

Plautus hat sich in seinen Komödien vor allem die kräftige, anschauliche Sprache des Naevius zum Vorbild genommen. Vergil findet nach der Sprachfülle des Ennius zurück zu der schlichten Sprache des Naevius, in seiner Aeneis geht er zurück auf Naevius’ Tragödie Equus Troianus, vor allem aber kehrt er die Konzeption des Bellum Punicum um, indem er seine Aeneis in mythischer Zeit spielen und das Historische weissagen lässt, während im Werk des Naevius der Mythos als Hintergrund für das römische Sendungsbewusstsein dient. Horaz nennt in seinem knappen Überblick über die zu seiner Zeit noch lebenden Größen der frührömischen Dichtung Naevius nur als Epiker; das Bellum Punicum ist also das am längsten nachwirkende Werk des Naevius gewesen.

Bedeutung

Naevius begründet aus eigener zeitgeschichtlicher Erfahrung das eigenständige römische Geschichtsepos in der von Livius Andronicus geschaffenen Formensprache sowie die nationalrömische Tragödie (Praetexta). Durch die Behandlung von Stoffen aus der römischen Geschichte verleiht er erstmals dem Nationalgefühl der Römer Ausdruck. Möglicherweise will Naevius schon die Urfeindschaft zwischen Rom und Karthago mythisch begründen, wenn er die verschmähte Liebe des Trojaners Aeneas, des Sohnes der Venus, zur phönizischen Königin Dido beschreibt (Fragment 20).

„Die rasche Vergessenheit, der die livianischen Komödien (d.h. die des Livius Andronicus), ganz im Gegensatz zu denen des Naevius, verfallen sind, spricht dafür, dass erst Naevius die Kräfte der römischen Komödie voll entfaltet hat.“

Den Schauspielergesang (canticum), den schon Livius Andronicus einsetzte, verwendet Naevius in seinen tragischen Dialogpartien, aber auch in den Komödien, womit er von der Form der Originale deutlich abweicht.

Schon die Zeitgenossen müssen in ihm eine bedeutende Persönlichkeit gesehen haben. Die bei Gellius überlieferte Grabinschrift besagt, man habe nach dem Tode des Naevius in Rom aufgehört, lateinisch zu sprechen.[3] Cicero[4] vergleicht die Kunst des Naevius mit der des Bildhauers Myron (5. Jahrhundert v. Chr.).

Textausgaben

  • R. u. H. Stephanus: Fragmenta poetarum veterum Latinorum, quorum opera non exstant. Genevae 1564, S. 214 ff.
  • E. V. Marmorale: Naevius poeta. Introd. bibliogr., testo die frammenti e com-mento. 3. Auflage, Florenz, 1953
  • E. H. Warmington (Hg.): Remains of Old Latin. 5. Auflage, London, 1961, S. 46 ff.
  • W. Strzelecki (Hg.): Cn. Naevii Belli Punici Carminis quae supersunt. Leipzig 1964
  • Antoine Viredaz: Fragmenta Saturnia Heroica. Édition critique, traduction et commentaire des fragments de l’Odyssée latine de Livius Andronicus et de la Guerre punique de Cn. Naevius (= Schweizerische Beiträge zur Altertumswissenschaft. Band 47). Schwabe, Basel 2020, ISBN 978-3-7965-4034-9 (online).

Literatur

  • Michael von Albrecht: Geschichte der römischen Literatur von Andronicus bis Boethius und ihr Fortwirken. Band 1. 3., verbesserte und erweiterte Auflage. De Gruyter, Berlin 2012, ISBN 978-3-11-026525-5, S. 102–111
  • Karl Büchner: Römische Literaturgeschichte. 2. Auflage, Stuttgart 1959
  • Eduard Fraenkel: Naevius. In: Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft (RE). Supplementband VI, Stuttgart 1935, Sp. 622–640.
  • Manfred Fuhrmann (Hrsg.): Römische Literatur. Frankfurt 1974
  • Harold B. Mattingly: Naevius and the Metelli. In: Historia. Band 9, 1960, S. 414–439.
  • Will Richter: Das Epos des Naevius. In: Nachrichten der Akademie der Wissenschaften, Göttingen 3, 1960, S. 41ff.
  • François Spaltenstein: Commentaire des fragments dramatiques de Naevius. Éditions Latomus, Bruxelles 2014, ISBN 2-87031-291-1
  • Werner Suerbaum: Cn. Naevius. In: Werner Suerbaum (Hrsg.): Die archaische Literatur. Von den Anfängen bis Sullas Tod (= Handbuch der lateinischen Literatur der Antike, Band 1). C. H. Beck, München 2002, ISBN 3-406-48134-5, S. 104–119

Weblinks

Anmerkungen

  1. Harold B. Mattingly: Naevius and the Metelli. In: Historia. Band 9, 1960, S. 414–439.
  2. Marcus Tullius Cicero, Cato 50.
  3. Aulus Gellius, Noctes Atticae 1,24,2: inmortales mortales si foret fas flere, / flerent divae Camenae Naevium poetam. / itaque postquam est Orcho traditus thesauro, / obliti sunt Romae loquier lingua Latina.
  4. Cicero, Brutus 75.