Glomerulum

Glomerulus im Rasterelektronenmikroskop (REM). Bildbreite 115 µm.

Das Glomerulum (Plural Glomerula) oder auch der Glomerulus[1] (Plural Glomeruli) ist ein stark gewunden verlaufendes und verzweigtes Kapillarsystem im Nierenkörperchen. Es wird von der doppelwandigen Bowman-Kapsel umschlossen.

Jedes Glomerulum (deutsch: Nierenknäuelchen; auch: Nierenknäuel,[2] alte Bezeichnung: Nierenkorn[3]) bildet zusammen mit seiner Bowmanschen Kapsel ein Nierenkörperchen, und jedes Malpighische Nierenkörperchen bildet zusammen mit dem zugehörigen Tubulus (deutsch: Nierenkanälchen) ein Nephron (von altgriechisch νεφρόςnephros, deutsch ‚Niere‘) als kleinste funktionelle Untereinheit der Niere von Menschen und Säugetieren.

Jede menschliche Niere verfügt über etwa eine Million Nephrone, und damit über ebenso viele Nierenkörperchen, Nierenknäuelchen und Nierenkanälchen.[4]

Aufbau

Das zuführende Blutgefäß (Vas afferens) für den Glomerulus ist die Arteriola glomerularis afferens, welche am Gefäßpol in das Nierenkörperchen eintritt. Sie entstammt der Nierenarterie (Arteria renalis) über eine Folge von Verzweigungen in die Arteriae interlobulares, in die Arteriae arcuatae und dann in die Arteriae corticales radiatae, die schließlich das letzte kleine Vas afferens abgeben. Diese zuführende Arteriole stülpt sich in die Bowman-Kapsel hinein und verzweigt sich weiter. Bei genauerer mikroskopischer Betrachtung besteht das Glomerulus aus einem Netz von ungefähr 30 verzweigten anastomosierenden, aber parallel geschalteten, Kapillarschlingen (Rete capillare glomerulare, Rete mirabile). Der Druckabfall bei der Passage des Blutes ist durch den parallelen Verlauf der Kapillaren nur gering.

Nach der Passage des Kapillarbetts des Glomerulums fließt das Blut durch ein weiteres arterielles Gefäß, die Arteriola glomerularis efferens (oder kurz das Vas efferens), weiter in ein zweites Kapillarnetz, das das Nierenkanälchen umgibt. An das terminale Vas afferens ist der sogenannte juxtaglomeruläre Apparat angelagert. Er ist die Kontaktstelle zum Nierenkanälchen desselben Nephrons, welches zunächst zum Zentrum der Niere wegführt und dann schlaufenförmig in die Nähe seines Ausgangspunktes zurückkehrt. Hier laufen verschiedene Regulationsvorgänge ab.

Das glomeruläre Endothel ist vom fenestrierten (gefensterten) Typ. Diese Fenster sind nicht (wie bei anderen gefensterten Endothelien) von einem Diaphragma verschlossen. Zudem besitzt das Endothel der Glomeruli eine stark negativ geladene Glykokalix aus Sialoglykoproteinen. Die glomeruläre Basalmembran ist mit 300 Nanometern besonders dick, da sie verschmolzene gemeinsame Basalmembran sowohl des Kapillarendothels als auch der Podozyten der Bowman-Kapsel ist. Dadurch lassen sich eine Lamina rara externa, eine Lamina densa und eine Lamina rara interna unterscheiden. Der Lamina densa wird eine mechanische Barrierefunktion zugeschrieben. Die Basalmembran enthält zahlreiche negativ geladene Proteoglykane. Diese drei Strukturen (Endothel, Basalmembran und Podozyten) bilden die Blut-Harn-Schranke.

Funktion

Pro Minute passieren beim erwachsenen Menschen etwa 1 l Blut beziehungsweise 600 ml Blutplasma die Glomeruli der Nieren (renaler Plasmafluss, abgekürzt RPF), wovon etwa 20 %, also etwa 120 ml pro Minute, von den Podozyten filtriert werden (glomeruläre Filtrationsrate, abgekürzt GFR).[5] Dieses Filtrat ist der Primärharn; pro Tag werden so etwa 180 l Primärharn gebildet.[6] Etwa 99 Prozent des Primärharns werden in den Tubuli sofort wieder in den Blutkreislauf rückresorbiert. Dies führt beim Erwachsenen zu einem Sekundärharnfluss von etwa 1,2 ml pro Minute oder umgerechnet etwa anderthalb Litern (Endharn, Urin) pro Tag.

Entscheidend für die glomeruläre Filtration ist die Druckdifferenz, also der Unterschied der verschiedenen Drücke in den Kapillaren und in den Bowman-Kapseln, die sich jeweils aus dem hydrostatischen und dem kolloidosmotischen Druck zusammensetzen. Während der Passage durch den Glomerulus nimmt der hydrostatische Druck praktisch nicht ab, denn durch den großen Gesamtquerschnitt der parallel geschalteten Kapillaren ist der periphere Widerstand gering. Da ein Ultrafiltrat abgepresst wird und die Plasmaproteine zurückbleiben, steigen während der Kapillarpassage kontinuierlich die Proteinkonzentration und somit der kolloidosmotische Druck, so dass der effektive Filtrationsdruck absinkt und am Ende Null beträgt, wenn das Filtrationsgleichgewicht erreicht wird.

Zusätzliche Informationen bei den Lemmata Glomeruläre Filtrationsrate und Glomeruläres Feedback.

Krankheiten

Degenerative Krankheiten des Glomerulums nannte man früher Glomerulardegeneration, Glomerulonephrose, Glomerulose, Glomerulopathie oder Glomerulosklerose. Davon grenzte man die entzündlichen Krankheitsbilder Glomerulitis und Glomerulonephritis ab. Das Kimmelstiel-Wilson-Syndrom (diabetische Nephropathie) nannte man Glomerulohyalinose der Diabetiker. Im Reallexikon der Medizin und ihrer Grenzgebiete finden sich alphabetisch 32 verschiedene Formen der Glomerulonephritis.[7]

Das nephrotische Syndrom und die tubulointerstitielle Nephritis bildeten Übergangsbereiche.

Von den Glomerulopathien sind die eigentlichen Tubuluskrankheiten abzugrenzen.

Grundsätzlich verkleinern Glomerulus-Krankheiten die glomeruläre Filtrationsrate und damit die Bildungsrate des Primärharns, während Tubulus-Krankheiten die Bildungsrate des Sekundärharns und damit den Harnfluss vergrößern.

Geschichte

Als Erster hat der holländische Anatom Frederik Ruysch die kleinen Bällchen neben den Tubuli als Glomerula bezeichnet, weil sie wie Garnbälle aussahen.[8] Nach Bellini wurden die Nierenkanälchen benannt („Tubuli uriniferi sive Bellini“).

Siehe auch

Literatur

  • Uwe Gille: Harn- und Geschlechtssystem, Apparatus urogenitalis. In: Franz-Viktor Salomon, Hans Geyer, Uwe Gille (Hrsg.): Anatomie für die Tiermedizin. 2. erweiterte Auflage. Ferdinand-Enke-Verlag, Stuttgart 2008, ISBN 978-3-8304-1075-1.
  • Werner Linß, Jochen Fanghänel: Histologie: Zytologie, allgemeine Histologie, mikroskopische Anatomie. Verlag Walter de Gruyter, Berlin / New York 1998, ISBN 3-11-014032-2, S. 207–209.

Einzelnachweise und Anmerkungen

  1. Der Ausdruck Glomerulum gilt als besser als der Ausdruck Glomerulus. Quelle: Walter Guttmann, in: Herbert Volkmann (Hrsg.): Guttmanns Medizinische Terminologie, 30. Auflage, Verlag Urban & Schwarzenberg, Berlin / Wien 1941, Spalte 355.
  2. Günter Thiele, Heinz Walter (Hrsg.): Reallexikon der Medizin und ihrer Grenzgebiete. Verlag Urban & Schwarzenberg, Loseblattsammlung 1966–1977, 5. Ordner (Membra–R-Zellen-Adenom), München / Berlin / Wien 1973, ISBN 3-541-84005-6, S. N 94
  3. Carl Ludwig: Lehrbuch der Physiologie des Menschen. 2. Band: Aufbau und Verfall der Säfte und Gewebe. Thierische Wärme. C. F. Wintersche Verlagshandlung, 2. Auflage, Heidelberg 1861, ISBN 978-0-282-31423-1 (Reprint), S. 374.
  4. Alle diese drei deutschen Begriffe finden sich nicht in den modernen nephrologischen Lehrbüchern, kaum in den einschlägigen medizinischen Wörterbüchern und auch nicht im 228-seitigen Sachverzeichnis am Ende des dreiteiligen Nierenbandes im Handbuch der inneren Medizin (5. Auflage, 8. Band, 3. Teil, Springer-Verlag, Berlin / Heidelberg / New York 1968, ISBN 3-540-04152-4). Quellen für Nierenkanälchen: Alfred Benninghoff, Kurt Goerttler: Lehrbuch der Anatomie des Menschen. 11. Auflage, Verlag Urban & Schwarzenberg, München / Wien / Baltimore 1977, Band 2, ISBN 3-541-00251-4, S. 250–253; Peter Reuter: Springer Klinisches Wörterbuch 2007/2008, Heidelberg 2007, ISBN 978-3-540-34601-2, S. 1294. Quellen für Nierenknäuelchen: Joseph Julius Czermak: Über die Nierenknäuelchen, Isis 1836, S. 783; "Medicinische Jahrbücher des kaiserlich königlichen österreichischen Staates", 32. Band, Wien 1840, S. 557; Theodor Fahr: Harnorgane – Männliche Geschlechtsorgane, 1. Teil, Verlag von Julius Springer, Berlin 1925, ISBN 978-3-7091-3039-1, S. 17; Dieter Vaitl (Hrsg.): Essentielle Hypertonie, Springer-Verlag, Berlin / Heidelberg 1982, ISBN 978-3-540-10975-4, S. 41; "Ergebnisse der inneren Medizin und Kinderheilkunde", 35. Band, Verlag von Julius Springer, Berlin 1929, S. 471; Kenneth A. Anderson (Hrsg.): Springer Lexikon Pflege, 2. Auflage, 2. Band, Springer-Verlag, Berlin / Heidelberg 2002, ISBN 978-3-662-01100-3, S. 384, doi:10.1007/978-3-662-01099-0; Rheinische Post online: NRW-Wissenschaftspreis für Kölner Nierenexperten, 3. Mai 2018; Heiner Fangerau, Stefan Schulz, Thorsten Noack, Irmgard Müller: Medizinische Terminologie, 6. Auflage, Lehmanns Media, Berlin 2017, ISBN 978-3-86541-934-7, S. 69. Quellen für Nierenkörperchen: Günter Thiele (Hrsg.): Handlexikon der Medizin, Verlag Urban & Schwarzenberg, München / Wien / Baltimore ohne Jahr [1980], Teil III (L–R), S. 1734; Willibald Pschyrembel: Klinisches Wörterbuch, 268. Auflage, Verlag Walter de Gruyter, Berlin / Boston 2020, ISBN 978-3-11-068325-7, S. 1230, mit Verweisung auf das Malpighi-Körperchen; Duden: Das Wörterbuch medizinischer Fachausdrücke, 4. Auflage, Bibliographisches Institut, Mannheim / Wien / Zürich 1985, ISBN 3-411-02426-7, S. 482, mit Verweisung auf die Corpuscula renis; analog im Wörterbuch medizinischer Fachbegriffe, Dudenverlag, Berlin 2021, ISBN 978-3-411-04837-3, S. 563. – Im maßgeblichen sechsbändigen Reallexikon der Medizin und ihrer Grenzgebiete werden die Nierenkörperchen und die Nierenkanälchen, nicht aber die Nierenknäuelchen definiert; letztere werden kurz als Nierenknäuel bezeichnet. Quelle: Günter Thiele, Heinz Walter (Hrsg.): Reallexikon der Medizin und ihrer Grenzgebiete. Verlag Urban & Schwarzenberg, Loseblattsammlung 1966–1977, 5. Ordner (Membra–R-Zellen-Adenom), München/Berlin/Wien 1973, ISBN 3-541-84005-6, S. N 94. Die Nierenkanälchen werden mitunter auch als Harnkanälchen beschrieben, weil in ihnen der Primärharn zum Sekundärharn (oder Endharn, Urin, Harn) konzentriert wird; analog werden die Nierenknäuelchen als Filterkörperchen erklärt. Alfred Benninghoff und Kurt Goerttler definierten 1977 in der 11. Auflage ihres Lehrbuches der Anatomie des Menschen „Das Nierenkörperchen (Glomerulus, Glomerulum)“ falsch als Nierenknäuelchen (Quelle: Verlag Urban & Schwarzenberg, München / Wien / Baltimore 1977, ISBN 3-541-00251-4, S. 251).
  5. Robert Franz Schmidt, Florian Lang: Physiologie des Menschen: Mit Pathophysiologie. 30. Auflage. Springer-Verlag, Heidelberg 2007, ISBN 978-3-540-32908-4, S. 688.
  6. Ursula Baum: Anatomie und Physiologie. 7. Auflage. Band 1, Elsevier, Verlag Urban & Fischer, München 2004, ISBN 3-930192-62-4, S. 164.
  7. Günter Thiele, Heinz Walter (Hrsg.): Reallexikon der Medizin und ihrer Grenzgebiete. Verlag Urban & Schwarzenberg, Loseblattsammlung 1966–1977, 3. Ordner (F–Hyperlysinämie), München / Berlin / Wien 1969, ISBN 3-541-84000-5, S. G 151 bis G 153.
  8. Hans Schadewaldt: Die Geschichte des Urins in der Medizin. In: Carmen Thomas: Ein ganz besonderer Saft – Urin. Bertelsmann, Köln 1993, S. 102.

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