Gesundheitskompetenz

Gesundheitskompetenz ist die Fähigkeit, Gesundheitsinformationen zu finden, zu verstehen, zu beurteilen und anzuwenden, um im Alltag angemessene Entscheidungen zur Gesundheit treffen zu können. Gesundheitskompetenz gehört zur Bildung und umfasst Wissen, Motivation und Handlungskompetenz. Sie wird in den Bereichen der Krankheitsbewältigung, der Prävention und der Gesundheitsförderung für sich selbst, für seine Nächsten und für Menschen, für die man Verantwortung trägt, benötigt. Eine gute Gesundheitskompetenz ermöglicht, die Lebensqualität während des ganzen Lebens zu erhalten oder zu verbessern.[1] Im englischen Sprachraum ist das Konzept unter dem Begriff der Health literacy bekannt.[2]

Forschungsstand

Eine im Jahr 2016 veröffentlichte repräsentative Studie[3] zeigt: Mehr als die Hälfte, nämlich über 54 Prozent, der Bevölkerung in Deutschland sieht sich im Umgang mit gesundheitsrelevanten Informationen vor erhebliche Probleme gestellt. Nur sieben Prozent haben nach eigenen Angaben keine Schwierigkeiten im Umgang mit Informationen und verfügen über eine sehr gute Gesundheitskompetenz. Bei 38 Prozent lässt sich die Gesundheitskompetenz als ausreichend einstufen. Der Mehrheit der Bevölkerung in Deutschland fällt es also nach eigenen Angaben schwer, gesundheitsrelevante Informationen zu finden, zu verstehen, richtig einzuordnen, zu bewerten und zu nutzen, um beispielsweise bei gesundheitlichen Beeinträchtigungen die passende Hilfe ausfindig zu machen. Das erschwert es ihnen, im Alltag Entscheidungen zu treffen, die für ihre Gesundheit förderlich sind. Kurz: Es mangelt ihnen an ausreichender „Gesundheitskompetenz“.

Eine aktuellere repräsentative Studie aus dem Jahr 2021[4] zeigt, dass im Jahr 2020 58,8 % der deutschen Bevölkerung eine geringe Gesundheitskompetenz aufweisen. Im Rahmen der Corona-Pandemie in Deutschland hat sich der Anteil der Bevölkerung mit geringer Gesundheitskompetenz auf 55,9 % verringert.

Folgen geringer Gesundheitskompetenz

Studien zeigen, dass bis zur Hälfte der Patienten nicht in der Lage sind, grundlegende Gesundheitsinformationen zu verstehen und den Behandlungsanweisungen zu folgen. Geringe Gesundheitskompetenz reduziert den Behandlungserfolg und erhöht das Risiko medizinischer Fehler. Laut einem Bericht des Institute of Medicine IOM von 2004 wirkt sich geringe Gesundheitskompetenz negativ auf die Behandlungsergebnisse und die Sicherheit der Versorgung aus.[5] Diese Patienten haben ein höheres Risiko, ins Krankenhaus zu kommen und dort länger bleiben zu müssen.[6] Sie befolgen die Behandlungsanweisungen weniger, machen öfter Fehler bei der Einnahme von Medikamenten[7] und sind stärker krank, wenn sie zum ersten Mal einen Arzt aufzusuchen.[8]

Möglichkeiten zur Verbesserung der Gesundheitskompetenz

Gesundheitskompetenz muss in verschiedensten Bereichen gefördert werden: im Gesundheitswesen, im Bildungsbereich, in der Arbeitswelt, in Familie und Freizeit sowie in den Medien und durch Kommunikation.[9][10] Als Methode eignet sich u. a. die kognitive Aktivierung, die z. B. über emotionale und provokante Fragen eine tiefere, aktive Beschäftigung mit Gesundheitsthemen bewirkt als eine reine Informationspräsentation.[11]

Gesundheitskompetenz und sozioökonomischer Status

Ein niedriger sozioökonomischer Status steht im Zusammenhang mit einer eingeschränkten Gesundheitskompetenz.[12] Dabei ist Gesundheitskompetenz ein Faktor für sozial bedingte Ungleichheit von Gesundheitschancen.

Siehe auch: sozioökonomischer Status und Gesundheitliche Ungleichheit

Nationaler Aktionsplan Gesundheitskompetenz

Um die Gesundheitskompetenz in Deutschland nachhaltig zu stärken, ist ein systematisches Vorgehen erforderlich. Bisher fehlte jedoch eine umfassende, deutschlandweite Strategie zur Förderung von Gesundheitskompetenz. Nach dem Vorbild anderer Länder wurde deshalb am 19. Februar 2018 auch für Deutschland ein Nationaler Aktionsplan Gesundheitskompetenz[13][14] vorgelegt. Er geht auf eine zivilgesellschaftliche Initiative der Universität Bielefeld und der Hertie School of Governance zurück und wurde aus Mitteln der Robert Bosch Stiftung finanziert. Der Aktionsplan umfasst 15 konkrete Empfehlungen in vier Handlungsbereichen. Er wurde von einer Gruppe anerkannter Experten entwickelt und mit Repräsentanten aus Politik, Praxis und Gesellschaft konsentiert.

Geschichte des Konzepts

Die erste Erwähnung des Begriffs "Health literacy", findet sich in einer Publikation von 1974.[15] Im Jahr 1978 untersuchten Leonard und Cecile Doak die Lesefähigkeiten der Patienten im Krankenhaus. Die Doaks veröffentlichten 1985 zusammen mit Jane Root das damals wegweisende Buch „Teaching Patients with Low Literacy Skills“ (Patienten mit geringer Lesekompetenz unterweisen).

Diese anfängliche biomedizinische Sichtweise der Gesundheitskompetenz gilt heute als zu kurz gegriffen und überholt; sie war aber in den USA bis in die 1980er und 1990er Jahre dominant: Die Individuen wurden oft dargestellt als an geringer Gesundheitskompetenz leidend, davon ausgehend, dass die Empfänger passiv sind und in der Annahme, dass Gesundheitsinformationen gesellschaftlich neutral und universell einsetzbar sind.

Heute wird Gesundheit im Zusammenhang mit der Umwelt und Kultur gesehen. Wo ein angemessenes Niveau an Gesundheitskompetenz vorhanden ist, das heißt, wo die Bevölkerung über ausreichende Kenntnisse und Fähigkeiten verfügen, und wo die Mitglieder einer Gemeinschaft Vertrauen ihre eigene Gesundheit haben, sind die Menschen besser in der Lage, gesund zu bleiben, sich von Krankheit zu erholen und mit Krankheit oder Behinderung zu leben.[16]

1986 wurde an der ersten internationalen Konferenz zur Gesundheitsförderung in Ottawa die programmatische Ottawa-Charta zur Gesundheitsförderung verabschiedet, die mit den Worten beginnt: „Gesundheitsförderung zielt auf einen Prozess, allen Menschen ein höheres Maß an Selbstbestimmung über ihre Gesundheit zu ermöglichen und sie damit zur Stärkung ihrer Gesundheit zu befähigen.“ Damit ist das umfassende Konzept der Gesundheitskompetenz bereits angedacht.

2000: Gesundheitskompetenz wird als Ziel und Herausforderung für Public Health im 21. Jahrhundert beschrieben. Gesundheitsförderung soll zu Gesundheitskompetenz beitragen, zur sozialen Mobilisierung benachteiligter Gruppen, und diese zu Gesundheit. Dabei werden drei Stufen von Gesundheitskompetenz unterschieden: 1. Grundlegende/funktionelle Gesundheitskompetenz: genügendes sprachliches Verständnis und Lesekompetenz, um im Alltag zurechtzukommen. 2. Kommunikative/interaktive Kompetenz: Bessere kognitive und soziale Fähigkeiten helfen, aktiv an Alltagsaktivitäten teilzunehmen, Informationen zu verstehen und umzusetzen. 3. Kritische Kompetenz: Gesteigerte kognitive und soziale Fähigkeiten ermöglichen die kritische Bewertung von Informationen und ihre Verwendung, sein Leben besser zu kontrollieren.[17]

Das Projekt zur Messung der Gesundheitskompetenz in acht europäischen Länder von 2009 bis 2012 hat gezeigt, dass fast die Hälfte der Erwachsenen in diesen Ländern über unzureichende oder problematische Fähigkeiten im Bereich der Gesundheitskompetenz verfügte. Die Resultate aus Deutschland und Österreich zeigten schlechtere Resultate in Vergleich zum europäischen Durchschnitt.[18] In der Schweiz wurde der Survey im Jahr 2015 nachgeholt. Das Thema wurde 2014 in Österreich[19] und in der Schweiz[20] auf die politische Agenda gesetzt.

Literatur

  • Schweizerische Akademie der Medizinischen Wissenschaften: Gesundheitskompetenz in der Schweiz – Stand und Perspektiven. swiss academies reports Vol. 10, Nr. 4, 2015. ISSN 2297-1564 (Print); ISSN 2297-1572 (online)
  • Allianz Gesundheitskompetenz. Gesundheitskompetenz fördern – Ansätze und Impulse. Ein Action Guide. Action Guide
  • WHO Regionalbüro Europa, AOK Bundesverband: Gesundheitskompetenz – die Fakten. Deutschsprachige Fassung von „Health Literacy. The Solid Facts“. WHO Regionalbüro Europa, 2013

Weblinks

Siehe auch

Einzelnachweise

  1. K. Sørensen, J. M. Pelikan u. a. für das European Health Literacy Consortium: Health literacy in Europe: comparative results of the European health literacy survey (HLS-EU). In: Eur J Public Health. 5. Apr 2015. PMID 25843827
  2. WHO Health literacy. The solid facts. @1@2Vorlage:Toter Link/www.euro.who.int (Seite nicht mehr abrufbar, festgestellt im April 2018. Suche in Webarchiven.) PDF 3 MB
  3. D. Schaeffer, D. Vogt, E. M. Berens, K. Hurrelmann: Gesundheitskompetenz der Bevölkerung in Deutschland – Ergebnisbericht. Universität Bielefeld, Bielefeld 2016.
  4. Doris Schaeffer, Eva-Maria Berens, Svea Gille, Lennert Griese, Julia Klinger: Gesundheitskompetenz der Bevölkerung in Deutschland vor und während der Corona Pandemie: Ergebnisse des HLS-GER 2. 2021, doi:10.4119/unibi/2950305 (uni-bielefeld.de [abgerufen am 28. September 2021]).
  5. The Institute of Medicine: Health Literacy: A Prescription to End Confusion. National Academies Press, 2004, ISBN 0-309-09117-9.
  6. Comparative report on health literacy in eight EU member states. The European Health literacy project 2009–2012 Webseite des Projekts@1@2Vorlage:Toter Link/www.health-literacy.eu (Seite nicht mehr abrufbar, festgestellt im April 2018. Suche in Webarchiven.)
  7. Terry C. Davis, Michael S. Wolf, Pat F. Bass, Jason A. Thompson, Hugh H. Tilson, Marolee Neuberger, Ruth M. Parker: Literacy and Misunderstanding Prescription Drug Labels. In: Annals of Internal Medicine. Band 145, Nr. 12, 2006, S. 887–894. doi:10.7326/0003-4819-145-12-200612190-00144. PMID 17135578
  8. M. V. Williams u. a.: The test of functional health literacy in adults: a new instrument for measuring patients' literacy skills. In: J Gen Intern Med. Band 10, Nr. 10, 1995, S. 537–541. doi:10.1007/BF02599568. PMID 8576769.
  9. Allianz Gesundheitskompetenz. Gesundheitskompetenz fördern – Ansätze und Impulse. Ein Action Guide. Action Guide
  10. M. D’Eath, M. M. Barry, J. Sixsmith: A rapid evidence review of interventions for improving health literacy. European Centre for Disease Prevention and Control, Stockholm 2012.
  11. Guido Nöcker (Projektleitung): Health Literacy/Gesundheitsförderung – Wissenschaftliche Definitionen, empirische Befunde und gesellschaftlicher Nutzen. Dokumentation des Werkstattgesprächs mit Hochschulen am 5. November 2015 in Köln. In: Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (Hrsg.): Gesundheitsförderung Konkret. Band 20. Köln 2016, S. 50.
  12. Kristine Sørensen, Jürgen M. Pelikan, Florian Röthlin, Kristin Ganahl, Zofia Slonska: Health literacy in Europe: comparative results of the European health literacy survey (HLS-EU). In: The European Journal of Public Health. Band 25, Nr. 6, Dezember 2015, ISSN 1101-1262, S. 1053–1058, doi:10.1093/eurpub/ckv043, PMID 25843827 (oup.com [abgerufen am 28. September 2021]).
  13. Der Nationale Aktionsplan Gesundheitskompetenz. Abgerufen am 12. Oktober 2018.
  14. D. Schaeffer, K. Hurrelmann, U. Bauer, K. Kolpatzik (Hrsg.): Nationaler Aktionsplan Gesundheitskompetenz. Die Gesundheitskompetenz in Deutschland stärken. KomPart, Berlin 2018.
  15. S. K. Simonds: Health Education As Social Policy. In: Health education monographs. Band 2, Nr. 1, 1974, S. 1–10. doi:10.1177/10901981740020S102
  16. Anne McMurray: Community Health and Wellness: A Sociological Approach. 3. Auflage. Elsevier, Brisbane 2007, ISBN 978-0-7295-3788-9.
  17. Don Nutbeam: Health literacy as a public health goal. In: Health Promotion International. Band 15, Nr. 3, September 2000, S. 259–267, abgerufen am 5. Oktober 2019.
  18. K. Sørensen, J. M. Pelikan, F. Röthlin u. a.: Health literacy in Europe: comparative results of the European health literacy survey (HLS-EU). In: European journal of public health. Band 25, Nummer 6, Dezember 2015, S. 1053–1058, doi:10.1093/eurpub/ckv043. PMID 25843827, PMC 4668324 (freier Volltext).
  19. Österreichisches Sozialministerium. Österreichische Plattform Gesundheitskompetenz (ÖPGK). Abgerufen am 15. Oktober 2018.
  20. Schweizerisches Bundesamt für Gesundheit. Gesundheit2020. Abgerufen am 15. Oktober 2018.