Gertrud Schubart-Fikentscher

Das Grab von Gertrud Schubart-Fikentscher und ihres Ehemannes Wilhelm Schubart im Familiengrab Peppmüller/Fikentscher auf dem Nordfriedhof (Halle)

Gertrud Klara Rosalie Schubart-Fikentscher (* 23. Dezember 1896 in Zwickau; † 24. März 1985 in Halle/Saale) war die erste Professorin für Rechtswissenschaft in Deutschland und lehrte an der Universität Halle-Wittenberg.

Leben

Gertrud Fikentscher stammte einer protestantischen Familie; ihr Vater war Fabrikant. Von 1903 bis 1913 besuchte sie die Höhere Bürgerschule in Zwickau. Von 1913 bis 1916 erhielt sie Privatunterricht. Ab 1916 erhielt sie in Berlin eine einjährige Ausbildung am Charlottenburger Seminar des Vereins Jugendhilfe. Bis 1925 war sie Schulpflegerin in der Kinder- und Jugendfürsorge. Von 1919 bis 1921 besuchte sie parallel dazu eine sozialpädagogische Frauenschule. Im Juli 1921 legte sie die staatliche Prüfung zur Wohlfahrtspflegerin mit der Note „sehr gut“ ab. Ab dem 1. September 1921 war sie Leiterin der Jugendgerichtshilfe Berlin-Mitte. Ihr Interesse für die Rechtswissenschaft war geweckt, weshalb sie als Gasthörerin an der Universität Berlin Vorlesungen besuchte. Sie legte 1924 das Kulturexamen zur Hochschulzulassung ohne Reifezeugnis ab und nahm das Studium der Rechtswissenschaft auf und schloss dieses nach acht Semestern erfolgreich ab. Am 17. Dezember 1928 heiratete sie den bekannten Papyrologen Wilhelm Schubart.

1933 wurde sie an der Universität Berlin mit einer Arbeit über das Brünner Schöffenbuch bei Ernst Heymann (Das Eherecht im Brünner Schöffenbuch) promoviert. Dieser war Leiter der Abteilung „Leges“ der Monumenta Germaniae Historica (MGH) und bot ihr 1935 eine freie Mitarbeiterschaft an. Sie nahm dieses Angebot an. 1940 wurde ihr von der Preußischen Akademie der Wissenschaften der Preis für ausgeschriebene Frage nach der „Verbreitung der deutschen Stadtrechte in Osteuropa“ zuerkannt. Das 1942 publizierte Werk gehört bis heute zu den Standardwerken der Stadtrechtsforschung.

Von 1941 bis 1943 lehrte Schubart-Fikentscher Rechtskunde an der Volkspflegeschule Brandenburg. Nach Kriegsende übernahm sie noch 1945 eine Lehrstuhlvertretung für Bürgerliches Recht und Deutsche Rechtsgeschichte an der Juristenfakultät in Leipzig. Ihr Mann wurde 1946 auf einen Lehrstuhl nach Leipzig berufen. Schubart-Fikentscher trat im selben Jahr in die SED ein und wurde im Mai in Leipzig habilitiert und übernahm einen Lehrauftrag für Deutsche Rechtsgeschichte. 1948 wurde sie auf die ordentliche Professur für Bürgerliches Recht und Deutsche Rechtsgeschichte an die Universität Halle berufen und war damit die erste Professorin für Rechtswissenschaft in Deutschland überhaupt. Wie ungewöhnlich dies in Deutschland noch war, zeigte sich daran, dass es bis 1965 dauerte, bevor mit Anne-Eva Brauneck eine zweite Juraprofessorin ernannt wurde. Die Universität Gießen berief Brauneck als erste Strafrechtsprofessorin in Deutschland.

1948 wählten die Monumenta Germaniae Historica Schubart-Fikentscher zum korrespondierenden Mitglied, im Dezember 1959 wurde sie als ordentliches Mitglied in die Sächsische Akademie der Wissenschaften gewählt. Aus der SED trat sie 1951 wieder aus und erklärte das mit den Worten: Aber als erwachsene Frau von Mitte 50 habe ich mir eine eigene Überzeugung gebildet, die wohl nicht immer dem entspricht, was die Partei erwarten kann. Ihre Lehrtätigkeit blieb davon jedoch unbeeinflusst, sie lehrte noch bis zu ihrer Emeritierung 1956. 1960 verstarb ihr Mann. Mit dem Vaterländischen Verdienstorden in Bronze zeichnete die DDR Schubart-Fikentscher 1962 aus. Neben ihren frühen Arbeiten zur Stadtrechtsforschung stand vor allem das Leben und Werk von Christian Thomasius, dem geistigen Begründer der Universität Halle im Mittelpunkt ihres Interesses. Schubart-Fikentscher promovierte und habilitierte Rolf Lieberwirth, der 1969 den rechtsgeschichtlichen Lehrstuhl in Halle übernahm. An den Folgen eines Unfalls mit anschließender Bettlägerigkeit verstarb sie 1985.

Schriften

  • Das Eherecht im Brünner Schöffenbuch, Stuttgart 1935, zugl. Diss. Univ. Berlin 1933;
  • Römisches Recht im Brünner Schöffenbuch. Ein Beitrag zur Rezeptionsgeschichte. In: ZRG GA 65 (1947), 86–176;
  • Goethes 56 Straßburger Thesen (vom 6. August 1771). Ein Beitrag zur Geschichte der deutschen Rechtswissenschaft, Weimar 1949;
  • Ein neues Thomasius-Bild? In: 450 Jahre Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, Bd. 2, Halle 1952, 27–30;
  • Hallesche Spruchpraxis. Consiliensammlung Hallescher Gelehrter aus dem Anfang des 18. Jahrhunderts (Thomasiana 3), Weimar 1960;
  • Untersuchungen zur Autorschaft von Dissertationen im Zeitalter der Aufklärung (Sonderbände der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig, phil.-hist. Klasse 114,5), Berlin 1970;
  • Studienreform. Fragen von Leibniz bis Goethe (Sonderbände der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig, phil.-hist. Klasse 116,4), Berlin 1973;
  • Goethes Amtliche Schriften. Eine rechtsgeschichtliche Untersuchung (Sonderbände der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig, phil.-hist. Klasse 119, 2), Berlin 1977;
  • Christian Thomasius. Seine Bedeutung als Hochschullehrer am Beginn der deutschen Aufklärung (Sonderbände der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig, phil.-hist. Klasse 119, 4), Berlin 1977;

Literatur

  • Lothar Mertens: Lexikon der DDR-Historiker. Biographien und Bibliographien zu den Geschichtswissenschaftlern aus der Deutschen Demokratischen Republik. Saur, München 2006, ISBN 3-598-11673-X, S. 552–553.
  • Rolf Lieberwirth: In Memoriam. In: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Germanistische Abtheilung. Bd. 103, 1986, S. 494–502.
  • Rüdiger Fikentscher: Die Professorin privat – Erinnerungen. In: Rolf Lieberwirth (Hrsg.): Rechtsgeschichte in Halle. Gedächtnisschrift für Gertrud Schubart-Fikentscher (1896–1985). Heymann, Köln u. a. 1998, ISBN 3-452-24000-2, S. 11–15 (Hallesche Schriften zum Recht 5).
  • Rolf Lieberwirth: Gertrud Schubart-Fikentscher (1896–1985). In: Rolf Lieberwirth (Hrsg.): Rechtsgeschichte in Halle. Gedächtnisschrift für Gertrud Schubart-Fikentscher (1896–1985). Heymann, Köln u. a. 1998, ISBN 3-452-24000-2, S. 1–10 (Hallesche Schriften zum Recht 5).
  • Hiram KümperGertrud Schubart-Fikentscher. In: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon (BBKL). Band 27, Bautz, Nordhausen 2007, ISBN 978-3-88309-393-2, Sp. 1274–1277.
  • Rüdiger Fikentscher: Gertrud Schubart-Fikentscher (1896/Zwickau – 1985/Halle). Dekanin und erste Frau im deutschsprachigen Raum auf einem juristischen Lehrstuhl In: Stadtverwaltung Zwickau, Gleichstellungs-, Ausländer-, Integrations- und Frauenbeauftragte (Hrsg.): Muldeperlen. Tagungsband zu Frauenpersönlichkeiten der Zwickauer Geschichte, Zwickau 2018, S. 52–59 (PDF, 4,9 MB).
  • Rolf Lieberwirth: Gertrud Schubart-Fikentscher. In: Jahrbuch der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig. 1985/86 (1988), ISSN 0080-5262, S. 232–236.
  • Rüdiger Fikentscher: Liebe Arbeit Einsamkeit. Wilhelm Schubart, Papyrologe. Gertrud Schubart-Fikentscher, Rechtshistorikerin. Ein Gelehrtenpaar in zwei Diktaturen. Mitteldeutscher Verlag, Halle (Saale) 2014, ISBN 978-3-95462-072-2
  • Heiner Lück: Schriftenverzeichnis von Gertrud Schubart-Fikentscher. In: Rolf Lieberwirth (Hrsg.): Rechtsgeschichte in Halle. Gedächtnisschrift für Gertrud Schubart-Fikentscher (1896–1985). Heymann, Köln u. a. 1998, ISBN 3-452-24000-2, S. 11–93 (Hallesche Schriften zum Recht 5).
  • Heiner Lück: Schubart-Fikentscher, Gertrud Klara Rosalie, Prof. Dr. jur., geb. Fikentscher. In: Eva Labouvie (Hrsg.): Frauen in Sachsen-Anhalt, Bd. 2: Ein biographisch-bibliographisches Lexikon vom 19. Jahrhundert bis 1945. Böhlau, Köln u. a. 2019, ISBN 978-3-412-51145-6, S. 409–415.

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Commons: Gertrud Schubart-Fikentscher – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

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Grab Gertrud Schubart-Fikentscher und Wilhelm Schubart.jpg
Autor/Urheber: Harvey Kneeslapper, Lizenz: CC BY-SA 4.0
Das Grab der deutschen Juristin und Rechtshistorikerin Gertrud Schubart Fikentscher und ihres Ehemannes, des Papyrologen Wilhelm Schubart, im Familiengrab auf dem Nordfriedhof Halle (Saale).