Gerhard Strecke

Gerhard Werner Strecke (* 13. Dezember 1890 in Oberglogau, Landkreis Neustadt O.S., Provinz Schlesien; † 8. Dezember 1968) war ein deutscher Musikpädagoge und Komponist, der vielfältig komponiert und heute vor allem für das Instrument Akkordeon noch Bedeutung hat.

Leben

Gerhard Streckes Eltern Joseph und Auguste stammten aus dem niederschlesischen Glatz, einem Städtchen mit Musiktradition.[1] Der bedeutendste Glatzer Komponist war der zu Streckes Geburt noch lebende Eduard Tauwitz, der vier Opern, eine feierliche Messe und über 250 Kirchenlieder geschaffen hatte.[2] Strecke wurde aber nach dem Wegzug der Eltern im oberschlesischen Oberglogau geboren, das wiederum musikgeschichtlich von sich behaupten kann, der einzige schlesische Ort zu sein, in dem Ludwig van Beethoven geweilt hat.[1] Da der Vater neben seinem Lehrerberuf auch Chorrektor war, trat der viertgeborene Gerhard früh in den Kirchenchor ein.[1] Außerdem erhielt er Unterricht in Violine, Klavier und Orgel.[1] Im Alter von zehn Jahren wechselte er zu den von Max Filke geleiteten Breslauer Domsingknaben.[1]

Zunächst ging er auch in Breslau zur Schule, und zwar auf das St. Matthias-Gymnasium, für die Primanerjahre wurde er auf das Gymnasium von Patschkau geschickt, unweit des Sommersitzes der seinerzeit noch eingesetzten Breslauer Fürstbischöfe, dem Schloss Johannesberg, gelegen.[1] Dort befreundete er sich mit dem sechs Jahre älteren späteren Komponisten Hermann Buchal.[1] Er studierte zuerst Philologie in Jena und Berlin, dann Musikwissenschaft am Königlichen Akademischen Institut für Kirchenmusik in Charlottenburg, wo er seinen Abschluss machte. An der Königlichen Akademie der Künste wurde er Meisterschüler von Georg Schumann.[3]

Sein Kriegseinsatz endete in französischer Gefangenschaft. 1920 wurde er Theorielehrer an höheren Schulen im oberschlesischen Neisse.[1] Nebenher glänzte er am Soloklavier und war auch ein gefragter Begleiter.[3] 1924 holte ihn Buchal als Leiter des Musiklehrerseminars an das Schlesische Konservatorium in Breslau, ehe er Ostern 1936 die Leitung des Konservatoriums in Beuthen übernahm und 1940 als Abteilungsleiter an die Musikhochschule Kattowitz berufen wurde.[1] Im Zweiten Weltkrieg war er einige Zeit Reserveoffizier[4] der Wehrmacht, hatte seinen Dienst aber noch vor dem Umschwung abgeleistet, jedoch standen seine beiden Söhne in den letzten Kriegsjahren im Gefecht. Am Staatlichen Hochschulinstitut für Musikerziehung in Trossingen fand er nach Kriegsende und der damit einhergehenden Vertreibung eine neue Anstellung.[1] In der Hochburg der Harmonikaindustrie begann er, sich dem Akkordeon zuzuwenden, verhältnismäßig spät, aber mit leidenschaftlicher Hingabe.[3] Als ordentlicher Professor 1953 in den Ruhestand versetzt, komponierte er an seinem heute zu Ratingen gehörenden neuen Wohnort Eggerscheidt[4] und setzte sich für Aufführungen schlesischer Musik ein, bis er 1968 verstarb.[1]

Werk

Sowohl in seiner alten als auch neuen Heimat engagierte sich Strecke in Künstlerzirkeln, wobei ihm aber die Bewahrung der Musik Schlesiens besonders am Herzen lag. Er zählte zu den gründlichsten Kennern und unermüdlichsten Förderern schlesischer Musik-Kultur, ohne sich freilich darauf zu beschränken. Er verfasste 1953 die Sammlung Lieder der Schlesier, schrieb Zeitschriftenaufsätze und Zeitungsartikel mit dem Schwerpunkt auf dem Musikerbe der verlorenen Heimat und stand dem Musikhistoriker Hans Joachim Moser beratend bei dessen Schlesien-Kapitel für das 1957 erschienene Grundlagenwerk Musik der deutschen Stämme zur Seite.[1]

Sein musikalisches Œuvre umfasst 101 Titel, von denen knapp die Hälfte durch die Kriegs- und Nachkriegsgeschehnisse verloren gegangen sind. In der vokalen Sparte lassen sich etwa 160 Kunstlieder für Singstimme und Klavier, zahlreiche Volksliedbearbeitungen für unterschiedliche Chorbesetzungen, freie Vertonungen anspruchsvoller Texte für vier- bis achtstimmigen Chor, sowie – beispielhaft – die Kantate Oberschlesien nach Gedichten von Hans Niekrawietz anführen. Auf dem geistlichen Sektor komponierte er einstimmige Kirchenlieder und Betsingmessen, drei mehrstimmige lateinische Messen und ein Requiem, Offertorien und Motetten für drei- bis achtstimmigen Chor. Im instrumentalen Bereich sind unter anderem drei Sinfonien für großes Orchester, zehn Orchestersuiten, Konzerte und Konzertstücke für Violine und Viola angesiedelt. Als Kammermusik verfasste er ein Streichtrio, fünf Streichquartette nebst Variationen über ein dänisches Volkslied für Bläserquintett und Klavier. Für Tasteninstrumente liegen aus seiner Feder Sonaten, Variationen, Charakterstücke und als letzter umfänglicher Zyklus 24 Praeludien und Fugen in allen Dur- und Molltonarten für Orgel vor.[1] Seine Gigue aus dem Jahre 1946 ist dem Akkordeonisten und Dirigenten Rudolf Würthner gewidmet.[3]

Zentraler Leitgedanke Streckes war die Schlichtheit, um ein erklärungsfreies Verstehen zu ermöglichen. An anderen Komponisten beobachtete er, wie deren früher Veränderungsenthusiasmus mit zunehmender Erfahrenheit und Reife in ruhige Bahnen der Tradition gelenkt wurde. Und so bewahrte er selbst die Formen und Stilelemente der europäischen Musikgeschichte, wobei er weitestgehend der Spätromantik verhaftet blieb.[1] Zeugnis davon geben vor allem die folkloristischen Arbeiten, von der reinen Liedersammlung über Volkslied- und Volkstanzbearbeitungen bis hin zu den Orchestersuiten Nr. 4 op. 43, Nr. 7 op. 86 und Nr. 8 op. 89.[4]

In Schlesien erfuhren seine Werke häufiger Aufführungen, nachdem ihm zu seinem 50. Geburtstag Ehrungen der Universität Breslau zuteilgeworden und drei Jahre später der Oberschlesische Musikpreis verliehen worden war. Außerhalb Schlesiens konnte er 1930 bei der Tagung zur Erneuerung der katholischen Kirchenmusik für seine Offertorien Anerkennung erhalten. Das achtstimmige Prooemion wurde am 18. Juli 1937 bei der Eröffnung des „Hauses der Deutschen Kunst“ in München gesungen. Das 5. Streichquartett (Serenade) führte das Schlesische Streichquartett an vielen Orten auf. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden die Orchestersuiten und die Orgelkompositionen von mehreren westdeutschen Sendeanstalten aufgezeichnet und gesendet.[1]

Auszeichnungen

Notenwerke (Auswahl)

  • Gerhard Strecke: Zehn geistliche Gesänge. Böhm & Sohn, Augsburg, DNB 100640032X (vermutlich 1950).
  • Gerhard Strecke: Konzertstück für Violine und kleines Orchester. Ries & Erler, Berlin 1954, DNB 1006403337.
  • Gerhard Strecke: Sonatine für Akkordeon. 1946. Hohner, Trossingen 1957, DNB 358046041.
  • Gerhard Strecke: Sechs Eichendorf-Tricinia op. 93. Bände 1–6. Böhm & Sohn, Augsburg 1957, DNB 1006404392.
  • Gerhard Strecke: Vier alte Marienlieder (= Die Chorsammlung. Band A 51). Pustet, Regensburg, DNB 1006415734 (vermutlich 1957).
  • Gerhard Strecke: Präludium und Fuge in cis-Moll op. 97. Böhm & Sohn, Augsburg 1960, DNB 1006405496.
  • Gerhard Strecke: Ausgewählte Orgelwerke (= Ausgewählte Orgelwerke. Band 1). Laumann, [Dülmen] 1974, DNB 997791527.
  • Gerhard Strecke: 24 Praeludien und Fugen für Orgel op. 101. Teil 1 (1983) und 2 (1985). Laumann, Dülmen, DNB 350325480.
  • Gerhard Strecke: Vier Vortragsstücke für Akkordeon. Hohner, Trossingen, DNB 350944539 (1946 entstanden, Copyright-Vermerk von 1957, vermutlich 1994).
  • Gerhard Strecke: Oberschlesische Tanzsuite für Orchester op. 43. Ries & Erler, Berlin, DNB 357174976 (Studienpartitur, vermutlich 1998).

Primär- und Sekundärliteratur

  • Benno Nehlert, Gerhard Strecke: Die Glocken von Sankt Jakob. Ein Festspiel in 3 Aufzügen (= Bücherei der „Heimatblätter des Neissegaues“. Band 1). Verlag der „Neisser Zeitung“, Neisse 1925, DNB 36193629X.
  • Gerhard Strecke (Hrsg.): Lieder der Schlesier. Aus gedruckten und ungedruckten Quellen gesammelt. Tonger, Rodenkirchen, Köln 1953, DNB 454928246.
  • Gerhard Strecke. Zum 75. Geburtstag am 13. Dezember 1965. [Mit einem] Werkverzeichnis (= Schriftenreihe Kulturwerk Schlesien). Verlag Kulturwerk Schlesien, Würzburg 1965, DNB 454928238.
  • Gerhard Strecke: Eine Selbstdarstellung. In: im Auftrag des Arbeitskreises für Schlesisches Lied und Schlesische Musik von Gerhard Pankalla, Gotthard Speer (Hrsg.): Zeitgenössische schlesische Komponisten. Eine Dokumentation. Band 1. Laumann, Dülmen, DNB 800156633 (mit Literaturverzeichnis, vermutlich 1973).

Weblinks

Einzelnachweise

  1. a b c d e f g h i j k l m n o p Rudolf Walter: Bedeutende Schlesier. Strecke Gerhard. (Nicht mehr online verfügbar.) In: sosnitza.com. Archiviert vom Original am 14. Juli 2014; abgerufen am 12. Juni 2014 (aus „Ostdeutsche Biographie“).  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.sosnitza.com
  2. Arno Herzig: Glatz/Kłodzko. In: Online-Lexikon zur Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa. Carl von Ossietzky Universität Oldenburg und Bundesinstitut für Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa (BKGE), 13. Dezember 2012, abgerufen am 12. Juni 2014 (Abschnitt 3. Geschichte und Kultur. Musik).
  3. a b c d Gerhard Strecke. Profil. (Nicht mehr online verfügbar.) In: schott-musik.de. Archiviert vom Original am 14. Juli 2014; abgerufen am 12. Juni 2014.  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.schott-musik.de
  4. a b c d e f Arnold Schmitz: Strecke. In: Friedrich Blume (Hrsg.): Die Musik in Geschichte und Gegenwart. Allgemeine Enzyklopädie der Musik. Unter Mitarbeit zahlreicher Musikforscher des In- und Auslandes. Band 12 Schoberlechner – Symphonische Dichtung. Bärenreiter, Basel, London, New York 1965, S. 1514 f.
  5. a b Gedenktage 2008 1. Quartal. In: Landsmannschaft Schlesien – Nieder- und Oberschlesien (Hrsg.): Schlesische Nachrichten. Zeitung für Schlesien. Nr. 24/2007-01/2008. Königswinter 15. Dezember 2007, Zeitgeschehen, S. 7 (yumpu.com [abgerufen am 12. Juni 2014]).