Gentlemen’s Agreement

Ein Gentlemen’s Agreement ist eine mündliche Abmachung unter Ehrenleuten (von engl. Gentleman und agreement = Übereinkunft).

Bedeutung

Ein Gentlemen's Agreement ist eine moralisch, aber nicht rechtlich verbindliche Vereinbarung,[1] deren Erfüllung auf Treu und Glauben[2] und zumeist auch auf gegenseitigem Vertrauen beruht.[3] Es begründet keine klagbaren Ansprüche[4] und wird begrifflich deshalb von einem bindenden Vertrag unterschieden. Das von den Parteien Gewollte ist gegebenenfalls durch Auslegung zu ermitteln.[5] Durch die Einhaltung eines Gentlemen's Agreement signalisieren die Geschäftspartner oder Wettbewerber ihren guten Willen und ihre Bereitschaft, bestimmte Praktiken oder Verhaltensregeln einzuhalten, die über die geltenden gesetzlichen Bestimmungen hinausgehen.[6]

Die Erklärungen werden ohne Rechtsbindungswillen abgegeben,[7] weil der erstrebte Erfolg im Vertrauen auf das Wort des Partners oder mithilfe einer Bindung an den Anstand erreicht werden soll.[8][9] Dennoch sind sie als Ausdruck der Privatautonomie nach deutschem Recht zulässig, dürfen aber nicht gegen geltendes Recht verstoßen. Ein Beispiel ist das Kartellverbot. Vereinbaren Unternehmen, die in ihrer Gesamtheit eine marktbeherrschende Stellung haben, untereinander Preise und schließen damit die freien Marktkräfte bei der Preisbildung zum Nachteil des Verbrauchers aus, ist dieses abgestimmte Verhalten nach deutschem und europäischem Kartellrecht verboten (§ 1 GWB und Art. 101 Abs. 1 AEUV).[10] Es kann von den Kartellbehörden untersagt werden (§ 32 GWB). Für die Annahme einer unzulässigen „Vereinbarung“ reicht es nach Ansicht des Gerichts der Europäischen Union aus, dass die betreffenden Unternehmen ihren gemeinsamen Willen, sich auf dem Markt in bestimmter Weise zu verhalten, zum Ausdruck gebracht haben. Dies ist auch der Fall, wenn zwischen mehreren Unternehmen zwar kein zivilrechtlicher Vertrag, aber ein Gentlemen's Agreement besteht, das einen derartigen gemeinsamen Willen getreu zum Ausdruck bringt und eine Beschränkung des Wettbewerbs zum Gegenstand hat.[11][12]

Das Gentlemen's Agreement ist ein Beispiel für das sogenannte Soft Law,[13] das es sowohl im Privatrecht als auch im Öffentlichen Recht, insbesondere im Völkerrecht, gibt. Da die Vereinbarung keine rechtlichen Verpflichtungen begründet, werden im Verletzungsfall nur außerrechtliche Sanktionen, insbesondere soziale ausgelöst.[14][15] Mögliche außerrechtliche Sanktionen sind der Rückzug aus bestehenden Geschäftsbeziehungen oder deren vollständiger Abbruch. Im internationalen Diamantenhandel wird der Handel mit Edelsteinen im Wert von mehreren Millionen US-Dollar oft per Handschlag verabredet. Sobald ein Vertragspartner seinen Pflichten nicht nachkommt, wird er innerhalb dieser elitären Gruppe geächtet und ausgeschlossen. Da der Markt überschaubar und die Teilnehmer auch sozial eng verbunden sind, bedeutet dies für den Betreffenden das geschäftliche und auch gesellschaftliche Aus in der Diamantenbranche.[16]

Anerkannte Fallgruppen

Insbesondere Kaufleute halten es für ausreichend, eine allgemeine Übereinstimmung zu erzielen, deren Ausgestaltung im Einzelnen dem beiderseitigen kaufmännischen Anstand überlassen wird, ohne dass die Parteien klagbare Ansprüche erwerben sollen.[8] Nach Auffassung des Hanseatischen Oberlandesgerichts seien solche unverbindlichen Vereinbarungen zwischen Kaufleuten nicht selten. Ein als Gentlemen's agreement bezeichnetes Abkommen sei dadurch gekennzeichnet, dass es sich dabei um eine auf den guten Willen und die kaufmännische Anständigkeit abgestellte Zusage einer oder beider Seiten handle, die nach dem Willen der Beteiligten keine klagbaren Ansprüche begründen solle. Von dem Schuldner werde ein Verhalten als Gentleman erwartet, das rechtlich nicht erzwingbar sein solle.[17]

Im Völkerrecht werden Absprachen zwischen Organwaltern verschiedener Staaten, denen keine rechtliche Bindungswirkung gegenüber den Staaten zukommt, als Gentlemen’s agreement oder Memorandum of understanding bezeichnet. Als politische Absprache werden auch sie von einem bindenden völkerrechtlichen Vertrag unterschieden.[18] Sie haben allenfalls eine auf guten Sitten beruhende Bindungswirkung. In ihren Wirkungen gehen sie über politische Absichtserklärungen, die stets reversibel sind und Verhaltenskodizes (Codes of conduct) als unverbindliche Empfehlungen eines bestimmten Verhaltens hinaus.[19] Ein klassisches Gentlemen’s agreement ist die KSZE-Schlussakte von Helsinki.[20]

Beispiele für Gentlemen’s Agreements

Bundesrepublik Deutschland

  • Die Gründung des Deutschen Exilarchivs im Jahr 1948 als eine „ehrenvolle Verpflichtung“ beruhte auf einem Gentlemen's Agreement zwischen dem Schutzverband deutscher Schriftsteller und dem damaligen Direktor der Deutschen Bibliothek Hanns Wilhelm Eppelsheimer.[21]
  • Moral Suasion und Gentlemen's Agreements gehören zu den geldpolitischen Instrumenten der Deutschen Bundesbank.[22][23] Normvermeidende Absprachen zwischen Staat und Wirtschaft, in denen die Wirtschaft sich freiwillig zu einem bestimmten Verhalten verpflichtet und der Staat dafür auf eine gesetzliche (möglicherweise strengere) Regelung des fraglichen Sachverhalts verzichtet, sind aber auch darüber hinaus bekannt und gebräuchlich, etwa beim Klimaschutz oder der Energiewirtschaft.[24] Vor einer Änderung des Kreditwesengesetzes ermöglichte ein Gentlemen's Agreement dem Bundesaufsichtsamt für das Kreditwesen einen Einblick in wichtige Risikolagen insbesondere der international tätigen deutschen Kreditinstitute.[25] Der Kreis der einbezogenen Tochterkreditinstitute entsprach jedoch nicht voll dem bankaufsichtlichen Bedarf. Das Gentlemen's Agreement bot insbesondere keine Grundlage für bankaufsichtliche Eingriffe, falls das Bundesaufsichtsamt anhand der Meldungen bedenkliche Risikokonzentrationen bei einer Kreditinstitutsgruppe feststellt.[26] Diese Lücke wurde mit Einführung einer gesetzlichen Meldepflicht über die Kreditgewährung in § 14 KWG zum 1. Januar 1985 geschlossen.[27]
  • Mitte der 1980er-Jahre einigten sich die deutschen Automobilhersteller angesichts hoher Treibstoffpreise und mangels geeigneter Hochgeschwindigkeitsreifen, die Höchstgeschwindigkeit ihrer Fahrzeuge technisch auf maximal 250 h/km zu begrenzen.[28]
  • Bestimmte Unternehmen vereinbaren, Mitarbeiter mit spezifischen Fachkenntnissen, etwa Führungskräfte in der IT-Branche, untereinander nicht abzuwerben.[29]

Vereinigte Staaten von Amerika

  • Normvermeidende Absprachen zwischen Staat und Wirtschaft sind in den Vereinigten Staaten von Amerika auch als „no-law-agreements“ bekannt.[30]
  • Im amerikanischen Post-Bürgerkriegs-Baseball wurde die Rassentrennung für afroamerikanische Spieler nicht niedergeschrieben, sondern nach der Verpflichtung zweier afroamerikanischer Spieler, der Brüder Moses Fleetwood Walker und Weldy Walker, in mündlichen Übereinkommen der Major Leagues beschlossen.[31]
  • 1907 einigten sich amerikanische Präsident Theodore Roosevelt und die japanische Regierung darauf, die Anzahl japanischer Einwanderer in die Vereinigten Staaten zu begrenzen und im Gegenzug japanischen Kindern in San Francisco wieder den Schulbesuch zu gestatten.[32][33] Diesem Gentlemen's Agreement folgte 1924 eine gesetzliche Regelung (Immigration Act of 1924).
  • In der geschlossenen Gesellschaft (Closed Society) des US-Bundesstaates Mississippi existierte bis in die 1960er Jahre das ungeschriebene Gesetz (Unwritten Law), das auch als Gentlemen’s Agreement bezeichnet wurde. Dieses Gesetz verbot während der zweiten Reconstruction staatlich geförderten Bildungseinrichtungen sportliche Wettbewerbe zwischen weißen und schwarzen Athleten.[34] Als Resultat durften Sieger der Southeastern Conference nicht am NCAA-Basketball-Meisterschaftsturnier teilnehmen, ohne zu befürchten, die staatliche Förderung zu verlieren.[35] Erst 1963 widersetzten sich die Maroons der Mississippi State University einer einstweiligen Verfügung, die nach Beginn des Turniers aufgehoben wurde, und schlichen sich aus der Stadt, um in East Lansing, Michigan gegen die Ramblers der Loyola University Chicago mit vier schwarzen Spielern in der Startformation anzutreten. Dieses Spiel (eine Niederlage) wird als Beginn des Unterganges des Gentlemen's Agreements angesehen.[36]

International

Literatur

  • Udo Bahntje: Gentlemen's agreement und abgestimmtes Verhalten. Eine dogmatische Untersuchung nichtrechtsgeschäftlicher Einigungstatbestände im Bürgerlichen Recht, Kartellrecht und Völkerrecht. Athenäum. Königstein, 1982. ISBN 978-3-7610-6376-7 Zugl.: Diss. jur. Berlin, 1982.
  • Heinz Richard Heigl: Das „gentlemen's Agreement“ im Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen. Köln, Rechtswissenschaftliche Fakultät, Diss. v. 27. Juni 1961.
  • Sigbert Honold: Das Gentlemen's Agreement und seine Bedeutung im Kartellrecht. Tübingen, Rechts- u. wirtschaftswissenschaftliche Fakultät, Diss. v. 3. Dezember 1962.
  • Michael Huber: Zur Versicherung von Elementarrisiken – Das englische Gentlemen's Agreement und seine Entwicklungsmöglichkeiten. In: Vierteljahrshefte zur Wirtschaftsforschung. Band 77, Nr. 4, Oktober 2008, ISSN 0340-1707, S. 44–52, doi:10.3790/vjh.77.4.44 (duncker-humblot.de [abgerufen am 16. Oktober 2018] – frei abrufbar bei Econstore.).
  • Tomasz Janusz Liczbański: Die nicht rechtlich bindende Vereinbarung in den internationalen Beziehungen. Diss. Freie Universität Berlin, 2004.
  • Eduard Stämpfli: Die Massnahmen des Bundes und der Privatwirtschaft zur Drosselung der Bautätigkeit insbesondere das Gentlemen's Agreement über die Baufinanzierung. Keller. Winterthur. Zugleich Diss., Bern 1954.
  • Ullrich Stratmann: Kartellrechtliche Probleme beim Gentlemen's Agreement. Heidelberg, Univ., Diss., 1971.

Einzelnachweise

  1. e-Fachwörterbuch Kompakt Recht Englisch-Deutsch 5.0, 2010, Langenscheidt Fachverlag, Berlin und München und Alpmann und Schmidt Juristische Lehrgänge Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG, Münster.
  2. Clara Erika Dietl, Anneliese A. Moss, Egon Lorenz: Wörterbuch für Recht, Wirtschaft und Politik. 2. Auflage. 1979;
    Collins e-Großwörterbuch Englisch-Deutsch 5.0. Langenscheidt, Berlin / München und HarperCollins Publishers Ltd.
  3. „informal understanding based on trust“, vgl. e-Fachwörterbuch Kompakt Recht Deutsch-Englisch 5.0, 2010, Langenscheidt Fachverlag, Berlin und München, und Alpmann und Schmidt Juristische Lehrgänge Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG, Münster.
  4. Palandt/Grüneberg, BGB, 78. Aufl., Einl v § 241, Rn. 7.
  5. Vgl. OLG Frankfurt, Urteil vom 9. Januar 2020 – 5 U 56/19 Abgrenzung bindender Vertrag von „Gentlemen’s Agreement“.
  6. Gentlemen's Agreement Definition. Eulerpool Wirtschaftslexikon, abgerufen am 5. Oktober 2025.
  7. Dieter Medicus, Jens Petersen: Grundwissen zum Bürgerlichen Recht: Ein Basisbuch zu den Anspruchsgrundlagen. Verlag Franz Vahlen, 13., neu bearbeitete Auflage 2024, § 7, S. 42.
  8. a b BGH, Urteil vom 22. Januar 1964 – Ib ZR 199/62 –, MDR 1964, 570, abgerufen am 16. Oktober 2018.
  9. Gabler Wirtschaftslexikon, Stichwort Gentlemen’s agreement, abgerufen am 16. Oktober 2018.
  10. Creifelds, Rechtswörterbuch, 21. Auflage 2014, Stichwort Abgestimmte Verhaltensweisen.
  11. Urteil vom 6. April 1995 - Rechtssache T-141/89 LS 7.
  12. Michael Beurskens: Kartellrecht 02 – Das Kartellverbot (1). S. 32 ff., 37. Universität Passau, abgerufen am 7. Oktober 2025.
  13. Alexandre Flückiger: Pourquoi respectons-nous la soft law ? In: Revue européenne des sciences sociales. XLVII-144, 1. Mai 2009, ISSN 0048-8046, S. 73–103, doi:10.4000/ress.68 (openedition.org [abgerufen am 16. Oktober 2018] passim).
  14. Creifelds, Rechtswörterbuch, 21. Auflage 2014, Stichwort Gentlemen’s Agreement
  15. Gentlemen’s Agreement. BWL-Lexikon.de, abgerufen am 4. Oktober 2025.
  16. Diamantenfieber. In: Der Tagesspiegel. 3. März 2013, abgerufen am 10. Juli 2016.
  17. OLG Hamburg, Urteil vom 17. März 1953 – 2 U 147/52 – MDR 1953, 482.
  18. Philippe Gautier: Non-Binding Agreements. Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht, Mai 2022 (englisch).
  19. Ipsen, Völkerrecht, 6. Auflage 2014, § 10 Rdnr. 9 (S. 394).
  20. Von Arnauld, Völkerrecht, 2. Auflage 2014, § 3 Rdnr. 189 (S. 77).
  21. Sylvia Asmus: Ein Gentlemen’s-Agreement. Deutsche Nationalbibliothek, 21. März 2023.
  22. Otmar Issing: Einführung in die Geldpolitik. 6. Aufl. München 1996, S. 134 ff., 136.
  23. Geldpolitische Instrumente. In: Christian Bauer, Horst Gischer, Bernhard Herz, Lukas Menkhoff: Geld, Politik und Banken. Eine Einführung. Springer, 2025, S. 259–274.
  24. Tobias Köpp: Normvermeidende Absprachen zwischen Staat und Wirtschaft. Duncker & Humblot 2001. Zugl.: Hamburg, Univ., Diss., 2001, ISBN 3-428-10633-4.
  25. Gentlemen's Agreement. Wirtschaftslexikon24.com, abgerufen am 5. Oktober 2025.
  26. Novellierung des Gesetzes über das Kreditwesen und andere das Kreditwesen betreffende Fragen. Antwort der Bundesregierung auf einen Kleine Anfrage, BT-Drs. 10/282, S. 2, Fragen 2.1 und 2.2
  27. Drittes Gesetz zur Änderung des Gesetzes über das Kreditwesen vom 20. Dezember 1984, BGBl. I S. 1693
  28. Thomas Imhof: Nobelmarken im Temporausch. Die Welt, 21. Juli 2002.
  29. Claudia Tödtmann: Abwerbeverbote: „Es besteht kein Bewusstsein, dass man hier einen Fehler begeht.“ Wirtschaftswoche, 18. Dezember 2019.
  30. Herbert Bernstein, Joachim Zekoll: Gentlemen's Agreements in Legal Theory ans in Modern Practice: United States. The American Journal of Comparative Law 1998, S. 87–109 (englisch).
  31. Leslie Heaphy: Cuban Giants. Black Baseball’s Early Sports Stars. in: Separate Games. African American Sport behind the Walls of Segregation. herausgegeben von David K. Wiggins und Ryan A. Swanson. Fayetteville, 2016: The University of Arkansas Press. ISBN 978-1-68226-017-3 (Seiten 3–18, in Englisch).
  32. Gentlemen’s Agreement: United States-Japanese agreement. Encyclopædia Britannica, abgerufen am 4. Oktober 2025 (englisch).
  33. Kiyo Sue Inui: The Gentlemen's Agreement. How It Has Functioned. The Annals of the American Academy of Political and Social Science, Vol. 122, The Far East (Nov., 1925), S. 188–198 (englisch).
  34. Howard P. Chudacoff: Changing The Playbook. How Power, Profit, and Politics Transformed College Sports. Urbana, Chicago, and Springfield, 2015: University of Illinois Press. ISBN 978-0-252-08132-3 (Seite 26f, in Englisch).
  35. Jason A. Peterson: Full Court Press. Mississippi State University, the Press, and the Battle to Integrate College Basketball. Jackson, 2016: University Press of Mississippi. ISBN 978-1-4968-0820-2 (Seite 21f, in Englisch).
  36. Howard P. Chudacoff: Changing The Playbook. How Power, Profit, and Politics Transformed College Sports. Urbana, Chicago, and Springfield, 2015: University of Illinois Press. ISBN 978-0-252-08132-3 (Seite 26ff, in Englisch).
  37. Bodo Ellmers: Zu wessen Nutzen? Der aktuelle Prozess der Weltbank-Reform. Oktober 2023, S. 11.