Gegenwart
Gegenwart bezeichnet die Zeit oder den Zeitpunkt zwischen Vergangenheit und Zukunft. Synonyme sind Augenblick, das Heute, das Jetzt, die gegenwärtige/heutige/jetzige Zeit, Jetztzeit, unsere Zeit. In der Sprachwissenschaft bezeichnet Gegenwart die Zeitform, die gegenwärtiges Geschehen ausdrückt; ein Synonym dazu ist Präsens. Ferner steht Gegenwart auch synonym für Anwesenheit, Beisein, Beteiligung, Präsenz, Teilnahme, Zugegensein.[1]
Wortherkunft
Der Begriff Gegenwart ist in der deutschen Sprache bereits im Mittelhochdeutschen belegt, damals allerdings nur in der Bedeutung von „Anwesenheit“. Erst im 18. Jahrhundert erfolgte eine Bedeutungsausweitung auf eine Zeitbezeichnung.[2]
Grammatik
Die deutsche Grammatik kennt nur eine Zeitform der Gegenwart (Präsens). Beispiele: wir denken, es läuft, Lola rennt.
In anderen Sprachen können formal perfektive und imperfektive Präsensformen unterschieden werden. Bestimmte grammatische Präsensformen in anderen Sprachen haben jedoch nicht unbedingt Gegenwarts-Bedeutung (im Russischen bezeichnet das grammatische Präsens der perfektiven Verben zum Beispiel eine zukünftige Situation).
Kunst und Kultur
Kunst
Gegenwartskunst, Avantgarde, contemporary art oder zeitgenössische Kunst bezeichnet als aktuell angesehene Kunst, wobei in der Regel kein genauer Zeitrahmen definiert wird.[3][4]
Literatur
Auch Gegenwartsliteratur ist als geläufiger Begriff nicht allgemein gültig definiert. Naturgemäß unterliegt er einem zeitlichen Wandel. Das Kritische Lexikon zur deutschsprachigen Gegenwartsliteratur (KLG)[5] als eines der bedeutendsten Literaturlexika in deutscher Sprache erscheint (als Loseblattsammlung) seit 1978. Seinerzeit verstand man unter Gegenwartsliteratur Werke ab 1945, später Literatur ab 1989/1990, inzwischen wird der Begriff Gegenwartsliteratur auch alternativ zu Literatur des 21. Jahrhunderts gebraucht.[6]
Die Gegenwartsform (Zeitform des Präsens) dient in der Literatur dazu, eine lebendige, unmittelbare oder spannende Erzählweise zu erzeugen. Eine besondere Form ist das historische Präsens, das den Leser in die Zeit historischer Ereignisse versetzen soll.
Film
Der Film Lola rennt spielt mit der Fiktion einer multiplen Gegenwart, indem er dreimal dieselbe Zeitspanne von 20 Minuten zeigt, jedes Mal mit kleinen Detail-Unterschieden, die die Handlung jeweils zu einem völlig anderen Ausgang führen (Schmetterlingseffekt in einer Form ähnlich einer Zeitschleife).
Physik
Klassische Physik
Der Zeitpfeil bestimmt die Richtung der Zeit von der Vergangenheit in die Zukunft. Die Gegenwart besteht dabei aus der Menge aller Ereignisse, die kausal von den Ereignissen der Vergangenheit beeinflusst wurden und daher mit diesen verbunden sind.
Relativitätstheorie
Mit der Veränderung der Vorstellung der Zeit seit Einführung der speziellen Relativitätstheorie von Albert Einstein haben auch die Begriffe Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft eine Umdeutung erfahren. Zwei Ereignisse, die für einen Beobachter gleichzeitig stattfinden, finden für einen relativ dazu bewegten Beobachter unter Umständen nicht mehr gleichzeitig statt (Relativität der Gleichzeitigkeit).
Philosophische Sichtweise
Im Rahmen der Philosophie sind zwei Aspekte der Gegenwart von Bedeutung:
Zum einen ist es der Widerspruch von bewusst wahrgenommenem Jetzt und der Unmöglichkeit, das Jetzt sinnlich zu erfassen. Das ist die Frage nach dem Wesen der Zeit an sich.
Zum anderen die Bedeutung des Hier und Heute angesichts der Sterblichkeit des Menschen. Zwei prinzipiell konträre Weltanschauungen sind hier möglich:
- Den Moment als das einzig Wirkliche anzusehen. Ausgedrückt wird die „Nichtigkeit menschlicher Werke“ – die Vanitas – durch Sprüche wie carpe diem oder memento mori.
- Den Augenblick geringzuschätzen und das eigene Leben einem Ziel unterzuordnen, in der Hoffnung, der Mensch lebe darin weiter.
In der Kunsttheorie spiegelt sich dieser Gegensatz etwa in der klassischen Einteilung in – momentorientierte – Darstellende Kunst und – werkbezogene – Bildende Kunst wider.
Psychologie
Nur in der Gegenwart ist es dem Menschen möglich, die Welt und sein Inneres, das Selbst wahrzunehmen und damit in Kontakt zu treten. Um die Gegenwart im Rahmen von Psychotherapie und Selbsterfahrung für Patienten anfassbarer zu beschreiben, wird sie das „Hier-und-jetzt“ genannt.
Religion
In vielen Religionen, wie z. B. im Zen-Buddhismus, besteht ein Ideal darin, sich selbst der Gegenwart zu öffnen.
In den östlichen Religionen wie Buddhismus oder Hinduismus wird als Ort des ewigen Lebens anders als in den abrahamitischen Religionen nicht ein in der Zukunft nach dem Tode folgender Himmel, sondern der gegenwärtige Augenblick angesehen.
Der katholische Kardinal Fulton John Sheen beschrieb den Himmel als das „ewige Jetzt“.
Der jüdische Religionsphilosoph Martin Buber schrieb: „Gott aber, die ewige Gegenwart, läßt sich nicht haben. Wehe dem Besessenen, der Gott zu besitzen meint!“[7]
Soziologie
Der Gegenwart stehen die Vorstellungen gegenüber, die man sich von der Vergangenheit (z. B. Erinnerung, Geschichte, Herkunft, Ursache) und der Zukunft (z. B. Hoffnung, Angst, Vision, Entwicklung) macht.
Literatur
- Katrin Stepath: Gegenwartskonzepte. Eine philosophisch-literaturwissenschaftliche Analyse temporaler Strukturen. Königshausen & Neumann, Würzburg 2006, ISBN 978-3-8260-3292-9.
- Till Maase, Segmentierung der menschlichen Wahrnehmung und die Dauer der Gegenwart – Eine psychobiologische Untersuchung der Zeitverarbeitung im Sekundenbereich, Dissertationsschrift, Universität Hamburg, 2006, https://ediss.sub.uni-hamburg.de/bitstream/ediss/1497/2/MaaseDiss.pdf
- Achim Landwehr: Geburt der Gegenwart: eine Geschichte der Zeit im 17. Jahrhundert. S. Fischer, Frankfurt am Main 2014, ISBN 3-10-044818-9.
- Giuseppina Cimmino / Dana Steglich / Eva Stubenrauch (Hrsg.): Figur(ation)en der Gegenwart. Wehrhahn, Hannover 2023, ISBN 978-3-86525-979-0.
- Malte Oppermann: Das Wesentliche bezüglich des Jetzt. Karolinger Verlag, Wien 2024, ISBN 978-3-85418-221-4.
Weblinks
Einzelnachweise
- ↑ Gegenwart ▶ Rechtschreibung, Bedeutung, Definition, Herkunft | Duden. Abgerufen am 15. Oktober 2025.
- ↑ Duden. Band 7: Das Herkunftswörterbuch: Etymologie der deutschen Sprache. 2., völlig neu bearbeitete und erweiterte Auflage von Günther Drosdowski. Dudenverlag, Mannheim / Wien / Zürich 1989, ISBN 3-411-20907-0.
- ↑ Was bitte heißt "contemporary"? In: Die Zeit. 20. Mai 2010, ISSN 0044-2070 (zeit.de [abgerufen am 15. Oktober 2025]).
- ↑ Dr Alexander Rácz: Was ist eigentlich Zeitgenössische Kunst? In: Kunstnuernberg.de. 4. September 2014, abgerufen am 15. Oktober 2025.
- ↑ KLG Lexikon. Abgerufen am 15. Oktober 2025.
- ↑ Literaturwissenschaft und Gegenwartsliteratur. Abgerufen am 15. Oktober 2025.
- ↑ Martin Buber: Ich und Du. Reclam (Nr. 9342), Stuttgart 1995, S. 102 (basierend auf: Martin Buber: Ich und Du. 11. Aufl. Heidelberg 1983).