Gallertoide

Gallertoide ist die Bezeichnung für hypothetische Lebensformen, die beim evolutiven Übergang von Einzellern zu vielzelligen Tieren entstanden sein sollen, und somit Ausgangspunkt für die Evolution des gesamten Tierreiches sein müssten. Erstmals postuliert wurden diese hypothetischen "Urtiere" von Vertretern der sogenannten Frankfurter Evolutionstheorie, für die kennzeichnend ist, dass sie evoluierende Organismen als funktionale Konstruktionen beschreiben, und eine bloße Aneinanderreihung von Formen und Gestalten als wissenschaftlich unzureichend ablehnen. Gallertoide sind also das Ergebnis einer strikt konstruktionsmorphologischen Modellierung, anstelle eines primären Vergleiches von Merkmalen und Körperformen.[1]

Die Gallertoid-Hypothese

Evolution und Körperbau der Gallertoide. Dargestellt ist die Entstehung verschiedener Gewebetypen, die Einfaltung von Kanälen und die Herausbildung einer frühen Formenvielfalt.

Vor der Entwicklung der Gallertoidtheorie gingen die meisten Theorien für die Entstehung der ersten vielzelligen Tiere von hohlkugeligen Vertretern aus, in die sich im Laufe der Evolution Verdauungsräume einfalteten. Diese Theorien wurden in Analogie zum Gastrulationsprozess in der Embryonalentwicklung vorgelegt, ohne zu beachten, dass dieser streng genommen nicht mit einem über viele Generationen ablaufenden Evolutionsprozess verglichen werden kann. Insbesondere die langsame Einfaltung von Kanälen bedarf einer inneren Stabilisierung durch Bindegewebe. Der wissenschaftliche Gehalt und die Innovation der Gallertoidtheorie ist besonders vor diesem Hintergrund zu verstehen.

Als für die Tiere typische Konstruktion ist demnach der Aufbau des Gallertoide-Körpers aus Bindegewebe (Kollagen) mit in dieses Fasernetz eingelagerten Zellen zu erkennen. Zusätzlich werden alle faserigen Strukturen von einem Epithel, einer dichten Zellschicht, umschlossen, um das Fasernetz gegen das umgebende Medium (Wasser) abzugrenzen. Die Gallertoide dürften kleine, wenige Millimeter große Tiere gewesen sein, die verschiedene Körperformen hatten und von einem mehr oder minder dichten Kanalsystem durchzogen waren. Diese Kanäle waren mit einem cilienbesetzten Epithel ausgekleidet und dienten der Nahrungsaufnahme. Partikel wurden durch die Kanäle hindurch transportiert und dort von den Zellen aufgenommen und die verwertbaren Bestandteile dann im Körper verteilt.[2]

Gallertoide als erste vielzellige Tiere vereinen alle für Tiere typischen Konstruktionsbestandteile in sich. Ausgehend von dieser Bauweise lassen sich schließlich die Hauptevolutionslinien des Tierreiches rekonstruieren. Bis heute gibt es Organismen, die dem histologischen Aufbau der Gallertoide nahestehen, die Ctenophoren.

Die Entstehung der Gallertoide wird gemäß der Frankfurter Evolutionstheorie als Vorgang der internen Kompartimentierung rekonstruiert und beschrieben. In vielkernigen Einzellern, deren Körper von einem breit angelegten Kanal- und Röhrensystem des Endoplasmatischen Retikulums durchzogen ist, wurden Fasern (Polysaccharide und Polypeptide) zunächst als Energiespeicher eingelagert. Durch Einlagerung von Faserproteinen verändern sich die mechanischen Eigenschaften des Körpers, er wird verfestigt, die Konsistenz erhält gallertige, gelartige Eigenschaften. Diese Masse stützte und stabilisierte den Körper der frühen vielkernigen Einzeller und der Organismus konnte größer werden. Das umgebende Zytoplasma wird hierbei gedehnt und von den Wänden des endoplasmatischen Retikulums umschlossen. Da diese Wände den gleichen Aufbau haben, wie die äußere Zellmembran – genauer: das endoplasmatische Retikulum enthält Bausteine der Zellmembran – entstand eine vielzellige Körperkonstruktion mit syncytialem Aufbau.[3]

Literatur

  • M. Grasshoff, M. Gudo: Die Evolution der Coelenteraten I. Gallertoid-Korallen und Oktokorallen. In: Natur und Museum, Band 128, Nr. 5, 1998, S. 129–138.
  • K. Bonik, M. Grasshoff, W. F. Gutmann: Die Evolution der Tierkonstruktionen: I. Problemlage und Prämissen, II. Vielzeller und die Evolution der Gallertoide. In: Natur und Museum, Band 106, Nr. 5, 1976, S. 129–143.
  • W. Oschmann, M. Grasshoff, M. Gudo: The early evolution of the planet earth and the origin of life. In: Senckenbergiana Lethaea, Band 82, Nr. 1, 2002, S. 285–294.

Einzelnachweise

  1. M. Grasshoff, M. Gudo: The origin of metazoa and the main evolutionary lineages of the animal kingdom – The gallertoid hypothesis in the light of modern research. In: Senckenbergiana Lethaea, Band 82, Nr. 1, 2002, S. 295–314.
  2. M. Grasshoff, M. Gudo: Die Evolution der Coelenteraten I. Gallertoid-Korallen und Oktokorallen. In: Natur und Museum, Band 128, Nr. 5, 1988, S. 129–138.
  3. M. Grasshoff, M. Gudo: Die Evolution der Tiere. Poster im Format DIN A1, 4. Auflage, Stuttgart (Schweizerbart’sche Verlagsbuchhandlung) 2007.

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Autor/Urheber: Manfred Grasshoff, Michael Gudo, Tareq Syed; Zeichnung: Antje Siebel-Stelzner, Lizenz: CC BY-SA 3.0 de
Entstehung und Evolution der Gallertoide aus einem vielkernigen Einzeller mit ausgedehntem endoplasmatischen Reticulum in das hinein Skelroproteine eingelagert wurden. Dieser Vorgang stabilisierte den Körper von innen heraus und erlaubte weiteres Größenwachstum und Differenzierungen. Es entsteht schließlich die vielzellige Körperkonstruktion der Tiere, bei der Zellen in einer bindegewebigen (kollagenösen) Grundmatrix eingebettet sind.
Namensnennung: Manfred Grasshoff, Michael Gudo, Tareq Syed