Günter Ziegler

Günter Ziegler, 2023

Günter Matthias Ziegler[1] (* 19. Mai 1963 in München) ist ein deutscher Mathematiker und Präsident der Freien Universität Berlin.[2]

Ausbildung

Ziegler begann nach dem Abitur 1981 am Ernst-Mach-Gymnasium in Haar[3] mit dem Studium der Mathematik und Physik an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Nach drei Jahren am Massachusetts Institute of Technology (MIT) in Cambridge (1984 bis 1987) wurde er 1987 am MIT bei Anders Björner mit der Arbeit Algebraic Combinatorics of Hyperplane Arrangements promoviert.[4]

Tätigkeiten

Er war von 1987 bis 1991 Postdoc bei Martin Grötschel an der Universität Augsburg und schloss 1991 bis 1992 ein Forschungsjahr auf dem Gebiet der Kombinatorik am Mittag-Leffler-Institut im schwedischen Djursholm an.[5] Im Jahre 1992 wurde er an der Technischen Universität Berlin habilitiert. Von 1992 bis 1994 arbeitete er (gemeinsam mit Martin Grötschel) als Leiter der Abteilung „Kombinatorische Optimierung“ am Konrad-Zuse-Zentrum für Informationstechnik Berlin und als Privatdozent an der TU Berlin. Von 1995 bis 2011 war er Professor für Mathematik an der TU Berlin, seit 2011 ist er als Professor für Mathematik an der FU Berlin tätig.

Von 1993 bis 2000 war Ziegler als Dozent des DFG-Graduiertenkollegs „Algorithmische Diskrete Mathematik“ und zwischen 2000 und 2005 als Dozent des europäischen Graduiertenkollegs „Combinatorics, Geometry, and Computation“ tätig. In dieser Zeit, im Jahre 2001, erhielt er den höchstdotierten deutschen Wissenschaftspreis, den Gottfried-Wilhelm-Leibniz-Preis. 2006–2011 war Ziegler Sprecher des Graduiertenkollegs „Methods for Discrete Structures“, 2011–2017 stellvertretender Sprecher. 2006–2007 sowie 2016–2018 war er Sprecher der Graduiertenschule Berlin Mathematical School, 2008–2011 war er stellvertretender Sprecher.[5] Er ist außerdem Mitglied des DFG-Forschungszentrums Matheon und der Deutschen Akademie der Technikwissenschaften (Acatech).

Am 2. Mai 2018 wurde er im erweiterten akademischen Senat der Freien Universität Berlin mit 39 von 61 abgegebenen Stimmen als Nachfolger von Peter-André Alt zum Präsidenten der Hochschule gewählt.[6] Am 16. Februar 2022 ist er für weitere vier Jahre wiedergewählt worden.[7] In der Sitzung des erweiterten Akademischen Senats (eAS) erhielt er im ersten Wahlgang 46 von 61 abgegebenen Stimmen.[8]

Er ist Mitglied des Kuratoriums der Margot Friedländer Stiftung. Vom 1. Juli 2016 bis zum 1. Juli 2018 war Ziegler Chair der Berlin Mathematical School. Von 1997 bis 2000 war Ziegler Mitglied des Vorstands der Deutschen Mathematiker-Vereinigung (DMV) und Herausgeber der Mitteilungen der DMV. Er war von 2006 bis 2008 ihr Präsident und 2008 in koordinierender Funktion mit der Ausgestaltung des Wissenschaftsjahrs der Mathematik betraut. Nach der Absetzung von Geraldine Rauch wurde Ziegler im Juli 2024 zum neuen Sprecher der Berlin University Alliance ernannt.[9]

Werk

Ziegler arbeitet an Problemen der diskreten Mathematik, insbesondere der diskreten Geometrie und der Topologie von diskreten Strukturen, sowie zu Fragen der linearen und diskreten Optimierung.

Gemeinsam mit Martin Aigner schrieb er Das BUCH der Beweise, ursprünglich auf Englisch unter dem Titel Proofs from THE BOOK. Angeregt von Paul Erdős, der scherzhaft von einem solchen idealen Buch im Besitz Gottes sprach, sind darin verschiedene sich durch Eleganz auszeichnende Beweise vor allem zur Kombinatorik gesammelt. Für dieses Buch erhielt er gemeinsam mit Martin Aigner den Leroy P. Steele Prize 2018 for Mathematical Exposition der American Mathematical Society.[10]

In den Mitteilungen der DMV veröffentlichte er die Kolumne Mathematik im Alltag.

2012 beendete er aus Protest gegen die Preispolitik des Verlags Elsevier seine Mitherausgeberschaft der Zeitschriften European Journal of Combinatorics und Journal of Combinatorial Theory, Series A.[11] 2016 wurde er Mitglied der Verhandlungsgruppe des Projekts DEAL, das die bundesweite Lizenzierung von Angeboten großer Wissenschaftsverlage zum Ziel hat; seit 2020 ist er Leiter der Verhandlungsgruppe.[5]

Kritik

Am 19. Februar 2025 sollte die umstrittene UN-Sonderberichterstatterin Francesca Albanese auf Einladung von fünf Professoren der Freien Universität auf einer Veranstaltung in FU-Räumlichkeiten sprechen.[12]

Ron Prosor, israelischer Botschafter der Regierung Netanjahu[13] in Deutschland, schrieb in diesem Zusammenhang an Ziegler, dass er an der FU zunehmend „Gewalt gegen jüdische Studierende“ und in besetzten Hörsälen verbreitete „Terror-Propaganda“ wahrnehme.[14] Auch die Werteinitiative jüdisch-deutsche Positionen verfasste einen offenen Brief an Ziegler.[14][15] Der Regierende Bürgermeister Kai Wegner forderte, die Veranstaltung abzusagen.[16] Wissenschaftssenatorin Ina Czyborra warf Albanese Antisemitismus vor und stellte die Sicherheit von jüdischen Studierenden bei der geplanten Veranstaltung infrage.[17]

Nach diesem öffentlichen Druck gab Günter Ziegler am 12. Februar 2025 im Namen des Präsidiums bekannt, dass die Veranstaltung angesichts der „nicht kalkulierbaren Sicherheitslage“ nicht als öffentliche Präsenzveranstaltung stattfinden könne.[5] Er plädierte für Wissenschaftsfreiheit; diese sei „ein grundgesetzlich geschütztes Gut, welches man nicht hoch genug bewerten kann. Politische und öffentliche Einflussnahme und zunehmende Polarisierung schaden der Wissenschaft.“[18][19] Ziegler bot an, die Veranstaltung durch eine virtuelle Version zu ersetzen, was die Organisatoren ablehnten.[5]

Die Veranstaltung wurde in den bUm – Raum für solidarisches Miteinander verlegt.[20] Zeitgleich wurde der ursprünglich vorgesehen Hörsaal 1a von Studierenden außerplanmäßig belegt, um einen Livestream zu verfolgen, unter Duldung der Leitung der Universität.[20]

Die Rechtswissenschaftlerin Isabel Feichtner kritisierte im Verfassungsblog, Ziegler habe die akademische Freiheit nur mit Worten, nicht aber mit Taten verteidigt.[21]

Francesca Albanese sprach am 10. September 2025 in der Freien Universität Berlin auf einem Workshop der ESIL Interest Group.[22]

Plagiatsaffäre Giffey

2019 wurden Vorwürfe gegen Franziska Giffey bekannt, sie habe bei ihrer Dissertation plagiiert. Eine erste Prüfung der bemängelten Passagen wurde vom Präsidium der Universität mit einer Rüge beendet. Nach Kritik am Vorgehen, insbesondere am Verfahren zur Auswahl der Prüfer, verkündete Günter Ziegler ein zweites Prüfverfahren,[23] das 2021 mit der Aberkennung ihrer Doktorgrades endete. Das Verfahren und die folgenden Anpassungen des Systems zur Erkennung und Prüfung von Plagiaten an der FU ernteten Lob aus der Wissenschaftsgemeinde.[24]

Ehrungen und Auszeichnungen

Mitgliedschaften

Bücher

  • Lectures on Polytopes (= Graduate Texts in Mathematics. 152). Springer, New York NY u. a. 1995, ISBN 0-387-94365-X.
  • Mit Martin Aigner: Proofs from THE BOOK. Springer, Berlin u. a. 1998, ISBN 3-540-63698-6 (6th edition. ebenda 2018, ISBN 978-3-662-57264-1).
    • Mit Martin Aigner: Das BUCH der Beweise. Springer, Berlin u. a. 2002, ISBN 3-540-40185-7 (deutsche Ausgabe von Proofs from the Book. 5. Auflage. ebenda 2018, ISBN 978-3-662-57766-0).
  • Als Herausgeber mit Ehrhard Behrends, Peter Gritzmann: π & Co. Kaleidoskop der Mathematik. Springer, Berlin u. a. 2008, ISBN 978-3-540-77888-2.
  • Darf ich Zahlen? Geschichten aus der Mathematik. Piper, München u. a. 2010, ISBN 978-3-492-05346-4.
  • Mathematik – Das ist doch keine Kunst! Albrecht Knaus, München 2013, ISBN 978-3-8135-0584-9.
  • Mit Andreas Loos und Rainer Sinn: Panorama der Mathematik. Springer, Berlin 2022, ISBN 978-3-662-54872-1.

Schriften (Auswahl)

Commons: Günter Ziegler – Sammlung von Bildern

Einzelnachweise

  1. Zieglers Formel. In: Tagesspiegel. 15. Februar 2018, abgerufen am 20. Februar 2018.
  2. Katharina Gotzler: German U15 gratuliert neu gewähltem FU-Präsidenten. 2018.
  3. a b Lebenslauf von Günter Ziegler
  4. Günter Ziegler. In: Mathematics Genealogy Project. North Dakota State University, abgerufen am 17. Juli 2023 (englisch).
  5. a b c d e f Günter Ziegler: Kurzer tabellarischer Lebenslauf. In: mi.fu-berlin.de. FU Berlin, 19. Februar 2023, abgerufen am 13. September 2025.
  6. Mathematiker Ziegler wird neuer FU-Präsident. Berliner Morgenpost, 2. Mai 2018, archiviert vom Original am 26. Juni 2018;.
  7. Präsident der Freien Universität Berlin bestellt. In: Pressemitteilung der Senatskanzlei. 5. April 2022, abgerufen am 6. April 2022.
  8. https://www.fu-berlin.de/campusleben/campus/2022/220217-p-wahl/index.html
  9. Präsident der Freien Universität Berlin Prof. Dr. Günter M. Ziegler wird neuer Sprecher der Berlin University Alliance. 1. Juli 2024, abgerufen am 30. September 2025.
  10. 2018 Steele Prize for Mathematical Exposition
  11. Boykottiert Elsevier! Ich boykottiere Elsevier! 19. Februar 2012.
  12. Zentralrat der Juden in Deutschland K.d.ö.R: Nach abgesagter Veranstaltung an der LMU München: Francesca Albanese soll an der FU Berlin sprechen. 10. Februar 2025, abgerufen am 14. September 2025.
  13. Peter Lintl: Israels antiliberale Koalition. In: Stiftung Wissenschaft und Politik (Hrsg.): SWP-Aktuell. Nr. 3, 19. Januar 2023, doi:10.18449/2023A03.
  14. a b „Eine Schande, spricht Albanese dort“: Israels Botschafter schreibt an Berlins FU-Präsidenten wegen Vortrags von UN-Politikerin. In: Der Tagesspiegel Online. ISSN 1865-2263 (tagesspiegel.de [abgerufen am 14. Februar 2025]).
  15. Initiative will Rede von UN-Sonderberichterstatterin Albanese an FU Berlin stoppen. In: Welt.de. Abgerufen am 14. Februar 2025.
  16. Daniel Bax: Nach Kritik: Vortrag zu „Gaza-Genozid“ an der FU Berlin abgesagt. In: Die Tageszeitung: taz. 12. Februar 2025, ISSN 0931-9085 (taz.de [abgerufen am 14. September 2025]).
  17. Statement Senatorin Czyborra zur geplanten FU-Veranstaltung mit Francesca Albanese. 12. Februar 2025, abgerufen am 14. September 2025.
  18. FU will Vortrag von Francesca Albanese nicht in Präsenz. Abgerufen am 17. Februar 2025.
  19. Statement Regarding the Planned Public Lecture and Discussion with Francesca Albanese and Eyal Weizman on February 19, 2025. 12. Februar 2025, abgerufen am 17. Februar 2025 (englisch).
  20. a b Stefan Peter: Nach Absage von Albanese-Vortrag – Polizeieinsatz an FU. 19. Februar 2025, abgerufen am 14. September 2025.
  21. Isabel Feichtner: Where Is Our Outcry? In: Verfassungsblog. 19. Februar 2025, doi:10.59704/1732156ed1f9876d.
  22. ESIL Interest Group on International Law and Technology: PROGRAMME. In: esil-sedi.eu. Abgerufen am 14. September 2025.
  23. FU Berlin überprüft Dissertation von Ministerin Giffey erneut. Abgerufen am 30. September 2025.
  24. Uni will Lehren aus dem Fall Giffey ziehen: FU-Präsidium arbeitet an neuem Konzept gegen Plagiate. In: Der Tagesspiegel Online. ISSN 1865-2263 (tagesspiegel.de [abgerufen am 30. September 2025]).
  25. Vierfarbige Probleme. Nachbargebiete und Kartenfärbung in drei und mehr Dimensionen. In: Projektdatenbank Jugend forscht. Abgerufen am 25. Oktober 2024.
  26. Verleihung des Hector Wissenschaftspreises
  27. Former Prize Committees. Internationale Mathematische Union, 8. September 2014, archiviert vom Original am 6. Juli 2016; abgerufen am 6. Juli 2016.
  28. Freiburger Förderer der Menschenrechte bekommt die Ehrendoktorwürde. In: Université de Fribourg - Universität Freiburg. 7. November 2024, abgerufen am 24. November 2024.
  29. Mitgliedseintrag von Prof. Dr. Günter M. Ziegler (mit Bild) bei der Deutschen Akademie der Naturforscher Leopoldina, abgerufen am 27. Juni 2016.
  30. Leopoldina: Neugewählte Mitglieder 2009. (PDF; 2,4 MB).
  31. Prof. Dr. Dr. h. c. Günter M. Ziegler. 20. August 2018, abgerufen am 13. September 2025.
  32. Gründungszeremonie der Hector Fellow Academy

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Wappenschild der Freien Universität Berlin, am 13. Mai 1968 vor dem Rektorat verbrannt
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Das Foto wurde anläßlich der Verleihung der Ehrendoktorwürde an Prof. Dr. B. List an der FU Berlin am 24. Oktober 2023 aufgenommen