Zukunftsforschung

Die Zukunftsforschung oder Futurologie (lateinisch futurumZukunft“ und -logie) ist die „systematische und kritische wissenschaftliche Untersuchung von Fragen möglicher zukünftiger Entwicklungen“[1] „auf technischem, wirtschaftlichem und sozialem Gebiet“.[2] Sie verwendet unter anderem Methoden, Verfahren und Techniken, wie sie von der Prognostik entwickelt wurden (und werden) und verbindet qualitative und quantitative Methoden.

Geschichte

Der Begriff Futurologie wurde 1943 von Ossip K. Flechtheim eingeführt. Er sieht in der Futurologie eine Synthese aus Ideologie und Utopie,[3] räumt aber ein, dass in dem Begriff (noch) nicht der Anspruch auf Wissenschaftlichkeit steckt.[3] Die Zukunftsforschung ist im Wesentlichen in den USA entstanden, hauptsächlich nach dem Zweiten Weltkrieg. In Europa war Frankreich das Pionierland mit Autoren wie Bertrand de Jouvenel und Jean Fourastié sowie mit der staatlichen „Planification“ und der Association Futuribles. In Deutschland sind neben Flechtheim auch Wilhelm Fucks (1965) und Karl Steinbuch (1971) zu nennen. Wie im Englischen sich mittlerweile der Begriff der „Futures Studies“ durchgesetzt hat, wird auch im Deutschen vorwiegend der Begriff der Zukunftsforschung für die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit möglichen, wahrscheinlichen und absehbaren Zukunftsentwicklungen statt des Begriffs der Futurologie genutzt (vgl. zur Diskussion u. a. Popp/ Schüll 2008). Einen Überblick mit Einschätzung der Zukunft der Zukunftsforschung gibt Rolf Kreibich 2009.[4]

Von April 2010 bis Dezember 2013 hielt Daniel Barben die in Deutschland erste Professur für Zukunftsforschung am Institut für Politische Wissenschaft der RWTH Aachen, die jedoch nicht nachbesetzt wurde.[5] Seit Dezember 2018 ist Heiko Andreas von der Gracht Inhaber des Lehrstuhls für Zukunftsforschung an der Steinbeis Hochschule.[6]

Definition

Kreibich definiert Zukunftsforschung 2006 als „die wissenschaftliche Befassung mit möglichen, wünschbaren und wahrscheinlichen Zukunftsentwicklungen und Gestaltungsoptionen sowie deren Voraussetzungen in Vergangenheit und Gegenwart.“[7] Diese Definition wird in der wissenschaftlichen Zukunftsforschung weitgehend akzeptiert, wobei ihre Wissenschaftlichkeit „in Abgrenzung zu zahlreichen pseudowissenschaftlichen Tätigkeiten wie ‚Trendforschung‘, ‚Prophetie‘ oder ‚Science Fiction‘ grundsätzlich allen Qualitätskriterien [unterliegt], die in der Wissenschaft an gute Erkenntnisstrategien und leistungsfähige Modelle gestellt werden: Relevanz, logische Konsistenz, Einfachheit, Überprüfbarkeit, terminologische Klarheit, Angabe der Reichweite, Explikation der Prämissen und der Randbedingungen, Transparenz, praktische Handhabbarkeit u. a.“

Zukunftsmodelle

Zukunftsmodell nach Pillkahn

Die Beschäftigung mit der Zukunft erfordert eine strenge Unterscheidung zwischen tatsächlichem Wissen und Glaube, Extrapolation und Vermutung, Abschätzung und Spekulation.[8] Die Darstellung verdeutlicht das. Schon Platon und Kant bemühten sich um Differenzierung (Liniengleichnis).

Die andere Achse stellt das Spektrum der Veränderung dar und verdeutlicht, dass sich die Zukunft nicht linear aus dem Heute entwickelt. Das Spektrum beginnt mit dem konstanten Bereich über die Veränderungen mit steigender Veränderungsdynamik bis hin zum Chaos.

In diesem Zukunftsraum ergeben sich bestimmte Bereiche (z. B. die Trends), die mit den Methoden der exakten Wissenschaften im Sinne der Zukunftsforschung untersucht werden können. Das Modell zeigt, dass mit Trends nur ein kleiner Teil im Zukunftsraum abgedeckt wird, auch wenn Trends oftmals die wohl populärsten Zukunftsinstrumente sind. Ein ganz wesentliches Element sind nicht vorhersehbare Innovationen, die als Möglichkeiten gleichwohl in die Überlegungen einbezogen werden können: Es wird irgendetwas geben, was wir heute noch nicht wissen, so wie zu Bismarcks Zeiten auch niemand etwas vom Internet „gewusst“ hat.

Im Gegensatz zur Marktforschung, die mittels der Methode des „Zählens“ die Vergangenheit abbildet, und der Trendforschung, die mittels der Methode des „Beobachtens“ die Gegenwart beschreibt, versucht die Zukunftsforschung mittels Extrapolation die Zukunft zu bestimmen. Kernmodell dabei ist es, im ersten Schritt die „möglichen“ Zukünfte zu definieren und im zweiten Schritt daraus die „wahrscheinlichen“ Zukünfte abzuleiten.

Methoden


Literatur

  • Ernst R. Sandvoss: Space Philosophy: Philosophie im Zeitalter der Raumfahrt. Marixverlag, Wiesbaden 2008, ISBN 978-3-86539-151-3.
  • Benjamin Bühler, Stefan Willer (Hrsg.): Futurologien: Ordnungen des Zukunftswissens. Paderborn: W. Fink, 2016. ISBN 978-3-7705-5901-5.
  • Karl Steinbuch: Mensch, Technik, Zukunft. Basiswissen für Problem von morgen. Deutsche Verlags-Anstalt, Stuttgart 1971, ISBN 3-421-02267-4.
  • Achim Eberspächer: Das Projekt Futurologie. Über Zukunft und Fortschritt in der Bundesrepublik 1952–1982, Schöningh, Paderborn 2019 (Geschichte der technischen Kultur, Band 2), ISBN 978-3-506-78549-7.
  • Rolf Kreibich: Zukunftsforschung. IZT, Berlin 2006 (online, PDF).
  • Rainer Waterkamp: Futurologie und Zukunftsplanung. Forschungsergebnisse und Ansätze öffentlicher Planung, Stuttgart (Kohlhammer) 1970.
  • Hans-Peter Dürr, Rolf Kreibich (Hrsg.): Zukunftsforschung im Spannungsfeld von Visionen und Alltagshandeln. IZT, Berlin 2004, ISBN 3-929173-64-6.
  • Bertrand de Jouvenel: Die Kunst der Vorausschau. 1967.
  • Herman Kahn, Anthony J. Wiener: Ihr werdet es erleben. Molden, Wien 1967.
  • Elke Seefried: Zukünfte. Aufstieg und Krise der Zukunftsforschung 1945–1980, Berlin u. a.(de Gruyter Oldenbourg) 2015 (Zugleich Habilitationsschrift Ludwig-Maximilians-Universität München 2013). ISBN 978-3-11-034816-3. ISBN 978-3-11-034912-2
  • Gereon Uerz: ÜberMorgen. Zukunftsvorstellungen als Elemente der gesellschaftlichen Konstruktion der Wirklichkeit. Wilhelm Fink Verlag, Paderborn 2006, ISBN 3-7705-4305-X.
  • Peter Zellmann, Horst W. Opaschowski: Die Zukunftsgesellschaft, Österreichische V.-G., Wien 2005, ISBN 978-3-7067-0031-3.
  • Reinhold Popp, Elmar Schüll: Zukunftsforschung und -gestaltung, Beiträge aus Wissenschaft und Praxis. Springer, Berlin/ Heidelberg 2008, ISBN 978-3-540-78563-7.
  • Ossip K. Flechtheim: Futurologie. Der Kampf um die Zukunft. Verlag Wissenschaft und Politik, Köln 1971.
  • Peter Zellmann: Die Zukunft der Arbeit. Viele werden etwas anderes tun, Molden, Wien 2010, ISBN 978-3-85485-258-2.
  • Alexander Fink/Andreas Siebe: Handbuch Zukunftsmanagement, 2. aktualisierte und erweiterte Auflage, Campus Verlag, Frankfurt 2011, ISBN 978-3-593-39550-0.
  • Peter Zellmann: Die Zukunftsfallen: Wo sie sich verbergen. Wie wir sie umgehen, Österreichische V.-G., Wien 2007, ISBN 978-3-7067-0085-6.
  • Wilhelm Fucks: Formeln zur Macht. Deutsche Verlags-Anstalt, Stuttgart 1965; 4. durchgesehene Auflage 1970. Rowohlt, Reinbek b. Hamburg. ISBN 3-499-16601-1.

Fachzeitschriften

  • Bibliographie prospective
  • Blickpunkt Zukunft
  • European Journal of Futures Research
  • Forecasting
  • Future Survey
  • Futures Research Quarterly
  • Futures: the journal of forecasting, planning and policy
  • Futuresco
  • Futuribles
  • Futurics
  • International Review of Strategic Management
  • Long Range Planning
  • proZukunft
  • Strategic Management Journal
  • swissfuture (Magazin für Zukunftsmonitoring)
  • Technological Forecasting & Social Change
  • The Futurist
  • The International Journal of Forecasting
  • The Journal of Business Strategy
  • WFSF Bulletin
  • World Futures
  • Zeitschrift für Zukunftsforschung
  • Futures & Foresight Science
  • Zukünfte
  • Zukunftsforschung

Verbände & Netzwerke für Zukunftsforschung

  • Association of Professional Futurists
  • The Millennium Project
  • World Future Council
  • World Future Society
  • World Futures Studies Federation

Weblinks

Wiktionary: Futurologie – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen

Quellen

  1. Futurologie. (Memento vom 14. Mai 2011 im Internet Archive) Definition in Wissen.de.
  2. Duden. Deutsches Universalwörterbuch. Dudenverlag, Mannheim, Leipzig, Wien [4. Auflage] 2001. ISBN 3-411-05504-9
  3. a b Flechtheim: Futurologie, S. 233.
  4. R. Kreibich: Die Zukunft der Zukunftsforschung Ossip K. Flechtheim – 100 Jahre (PDF; 71 kB). ArbeitsBericht Nr. 32/2009, IZT, Berlin 2009.
  5. Lehrstuhl für Zukunftsforschung (Pressemeldung). Institut für Politische Wissenschaft – RWTH Aachen, 2014, abgerufen am 10. Juni 2019.
  6. Zukunftsforschung, Wirtschaftsforschung und Leadership (Pressemeldung). School of International Business and Entrepreneurship (SIBE) GmbH, 19. Dezember 2018, abgerufen am 10. Juni 2019.
  7. R. Kreibich: Zukunftsforschung. ArbeitsBericht Nr. 23/2006, IZT, Berlin 2006, S. 3.
  8. Eike Kühl: Wetten, wir leben noch? Zeit Online, 8. Januar 2021, abgerufen am 12. Januar 2021

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