Flusswasserkunst

Ansichtskarte der Flusswasserkunst
Verlag Louis Glaser (Leipzig), um 1900

Die Flusswasserkunst in Hannover war eine 1895[1] im Stil der Neorenaissance errichtete[2] und 1963/64 abgerissene, schlossähnliche Wasserkunst am Hauptarm der Leine. Das Gebäude erhob sich in Höhe der Friederikenbrücke quer zum Leineschloss.[1] Seit der Gründung des Vereins Hannoversche Stadtbaukultur e. V. 2008 gibt es Pläne zur Wiedererrichtung des bedeutenden technischen Bauwerks,[2] zumal der städtebauliche Rahmenplan von Hannover City 2020 + rund um den ehemaligen Bauplatz zahlreiche Veränderungen vorsieht.[3]

Geschichte

Architektenwettbewerbe

Vielfarb-Lithografie einer Ansichtskarte mit der Flusswasserkunst und der Klickmühle sowie der Künstlersignatur von George Müller, um 1898
Flusswasserkunst und Monumentalbrunnen von Karl Gundelach am Himmelreich der frisch verlängerten Karmarschstraße
Ansichtskarte Nummer 45 von Ludwig Hemmer
Brunnenanlage an den Treppenanlagen vom Friederikenplatz, um 1905;
Ansichtskarte Nummer 8745 von Louis Glaser
Stereoskopie LL 22 der Motiv-Serie „Deutschland“ von Léon & Lévy

1895 erwarb die Stadt Hannover die Fläche des Friederikenplatzes vor dem Leineschloss, insbesondere um einen Neubau für die Brauchwasserversorgung der Stadt zu errichten. Hierzu wurde noch im selben Jahr die bereits 1226 erwähnte Klickmühle abgebrochen, ebenso die 1847 bis 1850 von August Heinrich Andreae neu gestaltete Wasserkunst. Das neu zu errichtende Gebäude sollte zugleich eine repräsentative Neugestaltung des südlichen Stadteingangs rund um den Platz am Himmelreich[4] bewirken[1]. So wurde 1895 sowohl ein Architektenwettbewerb zur Gestaltung des Neuen Rathauses ausgeschrieben[5] als auch ein Wettbewerb um die Fassade der zu errichtenden Flusswasserkunst, den der Architekt Hubert Stier für sich entscheiden konnte.[1] Später verglich der Redakteur Friedrich Lüddecke das Wasserwerk mit einem Schlossbau.[2]

Nach den technischen Planungen durch Anselm Bock wurde in den Jahren von 1896 bis 1898 eine reich ornamentierte Baugruppe in rotem und weißem Sandstein errichtet: Die Maschinenhalle wurde zwischen zwei höheren Kopfbauten eingerichtet, daran angebaut[1] ein rund 32 Meter hoher Wasserturm[2] mit einem Relief-Fries von Carl Dopmeyer, der den Triumphzug des Wassergottes Neptun zeigte sowie Amphitrite, die schöne Beherrscherin der Meere.[1]

Zeitgleich entstand im Umfeld der Flusswasserkunst die Verlängerung der Karmarschstraße bis zu ihrer Einmündung in den Friedrichswall, der Neubau der Friederikenbrücke sowie eine aufwendige Brunnenanlage nach Plänen von Karl Gundelach.[1]

Der Bau erregte internationales Interesse: So trug etwa eine im Lichtdruck vervielfältigte Stereoskopie des Gebäudes von der Wasserseite die laufende Nummer „22 LL“ der Ansichtskarten-Motiv-Serie „Deutschland“ des französischen Ansichtskarten-Herausgebers Léon & Lévy.[6]

Wiederaufbaujahre und Zerstörung

Während der Luftangriffe auf Hannover im Zweiten Weltkrieg wurde die Flusswasserkunst kaum beschädigt.[1] Lediglich die Turmhaube wurde durch eine Fliegerbombe zerstört.[2]

Noch im August 1963 fanden der Redakteur der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung, Hans Reichelt, sowie der Fotograf Wilhelm Hauschild „blitzeblank geputzte Hanomag-Pumpmaschinen“. Sie sahen „blauweiße Delfter Kacheln an den Wänden, eine in leuchtenden Farben bemalte Holzdecke und ein mehrere Meter hohes Wandgemälde zur Geschichte der Brunnenbaukunst“.[2]

Dennoch wurde in den Wiederaufbaujahren zunächst ein unauffälliger Ersatzbau südlich des Friedrichswalls[1] an der Culemannstraße errichtet. Von dort aus wurde ein beinahe 100 Kilometer langes Rohrnetz mit Flusswasser aus der Leine gespeist, „mit dem die Stadt Grünanlagen sprengte und Abwasserkanäle spülte – so wurde kostbares Trinkwasser gespart“.[2] Die Flusswasserkunst aber wurde 1963/64 trotz heftiger Proteste seitens der Bevölkerung abgebrochen. So sollte die städtebauliche Einbindung des im ausgebombten Leineschloss eingerichteten Niedersächsischen Landtages gelingen.[1]

Der behutsame „Rückbau“ der Flusswasserkunst sollte nicht so brachial erfolgen wie seinerzeit der Abbruch des Gerichtsgefängnisses. Als er aufgrund des harten Steinmaterials anstatt der veranschlagten zehn Wochen sechs Monate dauerte, griff der Bauunternehmer schließlich doch noch zur Abrissbirne – wodurch der gesamte Turm unverhofft auf die Karmarschstraße krachte.[2]

Flusswasserkunst
Flusswasserkunst und Leineschloss, davor die Probe zum Zapfenstreich anlässlich des Besuchs Kaiser Wilhelms 1898; Ansichtskarte Nummer 558 von Karl F. Wunder

Die Stadt Hannover hatte damals zugesagt, historisch bedeutsame Bauteile des Gebäudes für die Nachwelt zu erhalten, beispielsweise ehemals eingemauerte Kanonenkugeln und ein Bronze-Relief vom Eingang. Nachdem diese Absichtserklärung beinahe in Vergessenheit geraten war, wurde erst Anfang der 1980er Jahre am Haus eines Steinmetzen in Stadtoldendorf ein rund 30 Zentner schwerer Neptunkopf der ehemaligen Flusswasserkunst wiederentdeckt. Nach einer Entschuldigung des zuvor beauftragten Restaurators hängt das Kopfrelief zusammen mit anderen als Erinnerung an die Flusswasserkunst heute an einer Seitenmauer der Leine nahe dem Flusswehr.[2]

Mit dem Abriss des gegenüberliegenden Friederikenschlösschens zugunsten eines dort nie verwirklichten Neubaus der Niedersächsischen Staatskanzlei sollte nach den Vorstellungen der damaligen Stadtplaner um Rudolf Hillebrecht eine Flaniermeile als neuer Mittelpunkt des „Regierungsviertels“ entstehen.[2]

Bei der dann vorgenommenen Neugestaltung des Vorplatzes der Landtages, des späteren Platzes der Göttinger Sieben durch Dieter Oesterlen, entstand ein repräsentativer Erinnerungsbau: Das Stauwehr wurde sichtbar freigelegt, darüber eine zusätzliche Fußgängerbrücke errichtet, an der die Flussgötter-Skulpturen der ehemaligen Wasserkunst angebracht wurden.[1]

Nachdem die Schale des ehemaligen „Monumentalbrunnens“ am Klagesmarkt eine Wiederverwendung gefunden hatte, wurde im Jahre 1998 neben dem Stauwehr das Denkmal der Göttinger Sieben aufgestellt.[1]

Verein „Hannoversche Stadtbaukultur“

Neubau-Modelle (braun) rund um die ehemalige Flusswasserkunst im Zuge von Hannover City 2020 +
Illumination im Frühling, gesehen vom Leineufer am Leineschloss

Im April 2008 zog der seinerzeit neue Baudezernent Hannovers, Uwe Bodemann öffentlich eine langfristige Bebauung an der Stelle der ehemaligen Flusswasserkunst in Erwägung: „Ein Gebäude auf einer Brücke – das wird teuer“, Investoren und eine sinnvolle Nutzung müssten gefunden werden. Daraufhin gründete sich noch im selben Jahr der Verein Hannoversche Stadtbaukultur e. V. Neben der Suche nach Sponsoren will der Verein an dem jahrhundertealten Standort der Wassergewinnung Turbinen zur Stromerzeugung installiert wissen und hat dafür Vorgespräche mit den Stadtwerken Hannover geführt sowie eine Wirtschaftlichkeitsberechnung begonnen. Insbesondere will der Verein jedoch den Wiederaufbau in historisierenden Formen, um der Stadt ein altes Wahrzeichen zurückzugeben.[2]

Als weitere Nutzungsmöglichkeit sieht der gemeinnützige Förderverein[7] die Einrichtung eines Technikmuseums in dem wiederzuerrichtenden Bauwerk. Es könne beispielsweise die Geschichte der Trinkwassergewinnung zeigen oder auch als exklusives Hotel genutzt werden, wie es etwas weiter flussabwärts Am Hohen Ufer geplant war. Auch die Staatskanzlei sei noch nicht in das Regierungsviertel integriert.[2]

Siehe auch

Literatur

Weblinks

Commons: Flusswasserkunst (Hannover) – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. a b c d e f g h i j k l Helmut Knocke: Flusswasserkunst. In: Stadtlexikon Hannover, S. 184f.
  2. a b c d e f g h i j k l Conrad von Meding: Verein will Flusswasserkunst wieder aufbauen, in der online-Ausgabe der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung vom 2. Dezember 2008 (siehe Weblinks)
  3. Büro für Städtebau: Städtebaulicher Rahmenplan. In: Das Konzept, in der Reihe: Hannover City 2020+, S. 62f.
  4. Eva Benz-Rababah: Himmelreich. In: Stadtlexikon Hannover, S. 296
  5. Helmut Knocke: Neues Rathaus. In: Stadtlexikon Hannover, S. 466f.
  6. Vergleiche die Dokumentation bei Commons (siehe unter dem Abschnitt Weblinks)
  7. Felix Hoffmeyer: Hannoversche Stadtbaukultur e. V. (siehe Weblinks)

Koordinaten: 52° 22′ 10,4″ N, 9° 44′ 1,3″ O

Auf dieser Seite verwendete Medien

Flusswasserkunst Hannover historisch Postkarte Leine 1900.jpg
Flusswasserkunst in Hannover, erbaut 1897 (Architekt: Hubert Stier). An der Stelle der 1226 errichteten Klickmühle an der Leine nahe dem Leineschloss am Friederikenplatz. Stiers Neubau im Neorenaissance-Stil mit schlossartigem Turm und Renaissance-Giebel. Bei der Arrondierung der Altstadt 1963 im Zuge der Neuanlage des Cityringes mit Leibnizufer und Friedrichswall abgerissen. An der heutigen Wasserkunst am Friederikenplatz sind übriggeblieben: fünf Flussgötter-Köpfe von Carl Dopmeyer (1890) und drei Wappensteine (1612, 1670, 1864) der Klickmühle neben dem Eingang zum Fußgängertunnel unter dem Friederikenplatz. Photochromprint als Postkarte, um 1900.
Stadtmodell Bebauungsmodell Friederikenplatz Hannover Lavesallee Leibnizufer Köbelinger Markt Hannover City 2020 +.jpg
Autor/Urheber: Recherche, Scans, Arbeitsleistung gestiftet von: Bernd Schwabe in Hannover, Lizenz: CC BY 3.0
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2014-03-29 Am Himmelreich hieß der Platz zwischen Flusswasserkunst und Wangenheimpalais, Blick vom Leine-Ufer am Leineschloss über die unbenannte Fußgängerbrücke Richtung Neues Rathaus Hannover.jpg
Autor/Urheber: Foto: Bernd Schwabe in Hannover, Lizenz: CC BY-SA 3.0
An Stelle der ehemaligen Flusswasserkunst in Hannover führt heute (Stand: 03/2014) eine namenlose Fußgängerbrücke über die Leine. Die Brücke wird insbesondere am Wochenende von mit der Bahn reisenden Fußballfans von Hannover 96 genutzt, die mittels der angrenzenden Unterführung den vielbefahrenen Friederikenplatz passieren. Das Foto gewährt vor der Belaubung der Bäume im Frühling eine illuminierte "Nachtaufnahme" von der Uferbefestigung unterhalb des Leineschlosses mit Blick auf das Wangenheimpalais und das Neue Rathaus. Vor dem Abriss der - funktionsfähigen - Flusswasserkunst Anfang der 1960er Jahre trug der Platz vor dem Palais den Namen "Himmelreich": An Stelle der Sandbank im Vordergrund soll im Zuge der innerstädtischen Umbaupläne Hannover City 2020 + der von Wasserrauschen erfüllte Ort für eine größere Öffentlichkeit erlebbar werden ...
1898 circa Ansichtskarte Lithograf George Müller, Schneider & Dietrich, Blick auf den Turm der Flusswasserkunst und die 1620 erbaute Klickmühle, Bildseite.jpg
Um 1898 im Verlag Schneider & Dietrich in Hannover produzierte Ansichtskarte mit einer Vielfarb-Lithografie und der Künstlersignatur von George Müller. Neben dem Textfeld, handschriftlich mit einem Dank an die Tante Emmeline Lodde-Dodel und Onkel Adolf ausgefüllt, findet sich links die seltene Abbildung des Turmes der Flusswasserkunst aus der Blickrichtung der Markthalle, rechts daneben die Darstellung der altenim Jahr 1620 erbauten Klickmühle, Vorläuferin des später auf Veranlassung des hannoverschen Stadtbaurates Rudolf Hillebrecht abgerissenen Flusswasserkunst ...
Karl F. Wunder Hannover 26 Ansichten nach künstlerischen Aufnahmen 18.jpg
„Hannover – 26 Ansichten nach künstlerischen Aufnahmen“ von Karl F. Wunder. – Flusswasserkunst.
Ludwig Hemmer PC 0045 Hannover. Flusswasserkunst. Bildseite.jpg
Autor/Urheber: Ludwig Hemmer, Lizenz: CC BY-SA 3.0
Kolorierte Ansichtskarte Nummer 45 von Ludwig Hemmer. Blick auf den ehemals "Himmelsreich" genannten Platz mit der Flusswasserkunst und dem "Monumentalbrunnen" davor. Der Polizist mit der Pickelhaube fand für einen kurzen Moment den Blick auf den vorbeifahrenden Pferdeomnibus wohl interessanter; von den beiden Kindern im Vordergrund hat das kleine Mädchen wohl etwas anderes entdeckt als der Junge in den Knickerbockern.
Louis Glaser PC 08754 Hannover Partie an der Flusswasserkunst Bildseite Brunnen mit Kindern und Leuten am Treppenaufgang.jpg
Autor/Urheber: anonymous photographer, Lizenz: CC BY-SA 3.0
Der von den Leuten und Kindern vielbestaunte Brunnen an den Treppenaufgängen zwischen dem ehemaligen Platz Himmelreich (im Hintergrund) und dem Friederikenplatz ist heute nicht mehr vorhanden; an seiner Stelle findet sich heute ein schlichter Treppenaufgang.
Karl F. Wunder PC 0558 Kaisertage in Hannover. Friederikenplatz. Generalprobe zum Zapfenstreich. II.jpg
Generalprobe zum Zapfenstreich vor dem Leineschloss anläßlich des Besuches von Kaiser Wilhelm II. nebst Gattin in Hannover.