Fermi-Paradoxon

Das Fermi-Paradoxon ist eine Bezeichnung für einen Gedankengang des Physikers Enrico Fermi aus dem Jahr 1950. Fermi ging davon aus, dass es extraterrestrische Intelligenz gibt, die technisch hochentwickelte Zivilisationen über Millionen von Jahren aufrechterhalten kann. In dieser Zeitspanne sollte es mittels interstellarer Raumfahrt möglich sein, die gesamte Galaxie zu kolonisieren – und der Wahrscheinlichkeit nach sollte dies bereits geschehen sein. Dass dennoch die Suche nach den Spuren von außerirdischem Leben bisher erfolglos blieb, erschien ihm paradox und als Hinweis darauf, entweder die Annahmen oder die Beobachtungen zu hinterfragen.

Vorgeschichte

Enrico Fermi diskutierte 1950 auf dem Weg zum Mittagessen im Los Alamos National Laboratory mit Edward Teller, Emil Konopinski und Herbert York angebliche UFO-Sichtungen und einen Cartoon aus der Zeitschrift The New Yorker über Außerirdische und fragte schließlich: „Where is everybody?“ Warum seien weder Raumschiffe anderer Weltraumbewohner noch andere Spuren extraterrestrischer Technik zu beobachten?[1][2]

Eine detaillierte wissenschaftliche Betrachtung des Problems begann in den frühen 1970er Jahren mit Studien von Michael H. Hart,[3] weswegen auch der Ausdruck Fermi-Hart-Paradoxon verwendet wird.[4][5]

Grundlegende Überlegung

Kern des Fermi-Paradoxons ist folgende Überlegung:

Aufgrund des Alters des Universums und seiner hohen Anzahl an Sternen sollte Leben auch außerhalb der Erde verbreitet sein, vorausgesetzt, die Entstehung von Leben auf der Erde wäre kein ungewöhnlicher Vorgang.[6]

Ausgehend von der Annahme, dass die Erde keine absolute Ausnahme unter den Planeten und unser Sonnensystem nicht ungewöhnlich ist in dem Sinne, dass es intelligente Lebewesen enthält – im Gegensatz zur Rare-Earth-Hypothese – steht die bisher nicht bezifferbare Möglichkeit im Raum, dass weitere technische Zivilisationen in unserer Galaxie existieren. Die Galaxis ist ungefähr 100.000 Lichtjahre breit. Ein Unterlichtantrieb, wie der des Projekts Icarus, mit einer Geschwindigkeit von 1 bis 10 % der Lichtgeschwindigkeit, würde (geradeaus und ohne Zwischenstopps) etwa 1 bis 10 Millionen Jahre für diese Strecke benötigen. Die Galaxis ist etwa 10 Milliarden Jahre alt. Eine Durchquerung wäre in der Dauer ihrer Existenz tausendfach möglich gewesen.

Wenn in der Milchstraße auch nur eine einzige Zivilisation existiert, die zu interstellarer Kolonisation fähig ist, dann könnte die gesamte Galaxis innerhalb weniger Millionen Jahre vollständig kolonisiert sein. Die Milchstraße ist nun weitaus älter als die notwendigen 20 bis 40 Millionen Jahre; folglich sollten außerirdische Zivilisationen überall in unserer galaktischen Nachbarschaft existieren. Bisher konnte jedoch kein Hinweis auf extraterrestrische Zivilisationen gefunden werden.

Das Paradoxon kann folgendermaßen zusammengefasst werden:

„Der weit verbreitete Glaube, es gebe in unserem Universum viele technisch fortschrittliche Zivilisationen, in Kombination mit unseren Beobachtungen, die das Gegenteil nahelegen, ist paradox und deutet darauf hin, dass entweder unser Verständnis oder unsere Beobachtungen fehlerhaft oder unvollständig sind.“

Kurzgefasst: Wenn es sie gibt, warum sind sie nicht hier?

Mit dem Fermi-Paradoxon eng verbunden ist die Drake-Gleichung, mit deren Hilfe die Wahrscheinlichkeit für die gleichzeitige Existenz anderer Zivilisationen in der Milchstraße abgeschätzt werden soll. Da bisher jedoch die meisten Parameter der Drake-Gleichung unbekannt sind, kann diese derzeit kaum etwas zur Lösung des Paradoxons beitragen.[7]

Erklärungsversuche

Zur Erklärung des Paradoxons gibt es mehrere Ansätze; dabei kann zwischen prinzipiellen Argumenten (die auf Grund der Naturgesetze für sämtliche Zivilisationen gleichermaßen gelten) und schwachen Argumenten unterschieden werden.

Das Problem der schwachen Argumente besteht darin, dass Fermi davon ausgeht, dass nur eine einzige Zivilisation notwendig ist, um das beschriebene Paradoxon zu verursachen. Diese Zivilisation muss allerdings ihre grundlegenden Eigenschaften über geologische Zeiträume beibehalten.[8] Schwache Argumente stellen jedoch keine prinzipiellen Hindernisse dar. Wir müssten also davon ausgehen, dass sich sämtliche Zivilisationen ähnlich entwickeln und daher an denselben Hindernissen scheitern.

Folgende Passage wurde aus der Arbeit The Fermi Paradox: An Approach Based on Percolation Theory von Geoffrey A. Landis dazu sinngemäß übersetzt:

„Vorgeschlagene Lösungen des Fermi-Paradoxons verneinen entweder vollständig die Möglichkeit extraterrestrischer Zivilisationen, eine Annahme, die bisher nicht belegt werden kann, oder akzeptieren die Möglichkeit außerirdischer technischer Zivilisationen und schlagen Erklärungen vor, warum diese trotzdem nicht die Milchstraße kolonisiert haben.
Die Erklärungen beinhalten dabei die Vorschläge, dass solche Zivilisationen zusammenbrechen oder sich selbst zerstören, ihnen die Ressourcen ausgehen, sie sich gegen Kolonisierung entscheiden oder zwar kolonisieren, aber uns bewusst ignorieren.
Das Problem mit diesen Erklärungsversuchen ist, dass sie alle eine Gleichartigkeit der Motive von Zivilisationen über extrem lange Zeiträume voraussetzen. Wenn sich auch nur eine einzige Zivilisation für die Kolonisierung der Milchstraße entscheidet, müssen diese Erklärungsversuche scheitern.“[9]

Prinzipielle Argumente

Die Hypothese der ungewöhnlichen Erde / Wir sind tatsächlich allein

Ein Gedankengang ist der, dass vielzelliges Leben im Universum außergewöhnlich selten sei, weil erdähnliche Planeten potentiell selten seien. Es seien viele unwahrscheinliche Zufälle zusammengekommen, die Leben auf der Erde möglich gemacht hätten. Solche Zufälle sind die Position des Sonnensystems in der Milchstraße (Strahlung), die Position der Erde im Sonnensystem (Temperatur), die Existenz eines relativ großen Mondes (Stabilisierung der Erdachse) usw.

Letztlich werden bei diesem Erklärungsversuch die Parameter der Drake-Gleichung so gewählt, dass in unserer Galaxie nur eine einzige Zivilisation existiert – die unsere. Es gibt Schätzungen, die die Wahrscheinlichkeit, die einzige Zivilisation in der Milchstraße zu sein, mit 53 bis 95 % angeben.[10] Insofern verliert das Fermi-Paradoxon seinen paradoxen Charakter, weil bereits eine der Grundannahmen abgelehnt wird.

Obwohl diese Hypothese vielfach als zwingend überzeugend angesehen wird, widersprechen andere der Seltenheit erdähnlicher Planeten (was durch die zunehmende Zahl entdeckter Exoplaneten nahe liegt) oder behaupten, komplexes Leben benötige nicht zwingend erdähnliche Bedingungen, um sich zu entwickeln (siehe Kohlenstoffchauvinismus).

Eine Sonderform dieses Argumentes geht davon aus, dass die Entwicklung höherer Intelligenz im Laufe der Evolution extrem unwahrscheinlich ist. So ist auch bei keiner der komplexen Lebensformen, die in der Vergangenheit auf der Erde existierten, die Entstehung beziehungsweise das Vorhandensein höherer Intelligenz bekannt.

Unmöglichkeit interstellarer Kolonisation

Die Voraussetzung des Fermi-Paradoxons, nämlich eine Zivilisation, die zu interstellarer Kolonisation fähig ist, kann möglicherweise prinzipiell nicht erfüllt werden. Unter diesen Umständen könnte es in der Milchstraße mehrere technische Zivilisationen geben, die jedoch räumlich zu weit voneinander entfernt sind, um sich gegenseitig zu beeinflussen (Veranschaulichung der Entfernungen). Der mittlere Abstand zwischen den Galaxien beträgt rund drei Millionen Lichtjahre.[11] Entscheidend ist jedoch der mittlere Abstand zwischen bewohnbaren Exoplaneten in der Milchstraße und die maximal mögliche Reisegeschwindigkeit. Ein Überschreiten der Lichtgeschwindigkeit ist laut Albert Einstein nicht möglich. Zur Veranschaulichung sei als Beispiel die Entfernung unserer Sonne zum nächsten Stern, Proxima Centauri, genannt, der selbst bei annähernd Lichtgeschwindigkeit erst nach circa 4,2 Jahren erreicht werden könnte. Als weiteres Beispiel die 20 nächstgelegenen potenziell bewohnbaren Exoplaneten, welche zwischen 4,25 bis 39 Lichtjahre von uns entfernt sind.[12]

Verteilungsmuster / zivilisatorische Diffusion

Nach einem Ansatz von Geoffrey A. Landis[13] kann die Kolonisation der Galaxis mittels der Perkolationstheorie als ein der Diffusion ähnlicher Vorgang untersucht werden. Landis geht dabei von zwei Prämissen aus:

  1. Jede Zivilisation ist maximal in der Lage, direkte Nachbarsysteme in einem beschränkten Umkreis zu kolonisieren.
  2. Jede Kolonie kann sich mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit zu einer ebenfalls kolonisierenden oder aber mit der Wahrscheinlichkeit zu einer stagnierenden (bzw. nicht kolonisierenden) Zivilisation entwickeln.

Unter diesen Umständen würde die Galaxis nicht gleichmäßig bevölkert, vielmehr würden sich „Blasen“ herausbilden, die von stagnierenden Kolonien umgrenzt sind. Innerhalb dieser Blasen würde dann keine weitere Kolonisierung erfolgen. Umgekehrt könnte es dann auch Blasen mit einer hohen „Zivilisationsdichte“ geben. Das Verhältnis zwischen diesen Blasen wird dabei maßgeblich von der Wahrscheinlichkeit für erfolgreiche Kolonisierung sowie der Entwicklung zum kolonisierenden bzw. stagnierenden Zivilisationstyp beeinflusst.

  • Liegt unterhalb eines Grenzwertes , wird die Kolonisierung nach einer endlichen Anzahl Kolonien stoppen.
  • Liegt oberhalb des Grenzwertes , wird nahezu die gesamte Galaxis gefüllt, mit Ausnahme einiger kleiner Blasen.
  • Liegt nahe am Grenzwert , wird die Galaxis von einer fraktalen Struktur durchzogen, in der sowohl große bevölkerte als auch nicht bevölkerte Gebiete existieren. Wir würden dann in einem nicht bevölkerten Gebiet leben.

Selbstauslöschung

Nuklearexplosion der 1000-fachen Hiroshimastärke (Operation Castle)

Nach dem Argument der Selbstauslöschung liege es in der Natur technischer Zivilisationen, sich zu zerstören. Nach Stephen Hawking sei die Entstehung von Leben wahrscheinlich und die Entwicklung von Intelligenz möglich, würde ab einem gewissen Punkt aber instabil werden, sodass es zu einer (unabsichtlichen) Selbstauslöschung käme. Mögliche Auslöser könnten (aktuell) z. B. sein: Atomkrieg, genmanipulierte Viren und unkontrollierbarer Treibhauseffekt.[14]

Der Technikphilosoph Nick Bostrom sieht daneben die Gefahren durch Nanobots oder eine sich explosionsartig entwickelnde Superintelligenz, die jeweils nicht mehr vom Menschen kontrollierbar seien, sowie infolge prinzipiell noch unbekannter Unwägbarkeiten.[15]

“[T]he most likely explanation of negative results, after a comprehensive and resourceful search, is that societies destroy themselves before they are advanced enough to establish a high-power radio transmitting service.”

„Die wahrscheinlichste Erklärung für negative Ergebnisse nach einer umfassenden und gut ausgestatteten Suche ist, dass Gesellschaften sich selbst zerstören, bevor sie weit genug fortgeschritten sind, um einen Hochleistungs-Funkverkehr einzurichten.“

Carl Sagan[16]

Astrophysikalische Erklärung

Gammastrahlenausbrüche (GRBs) gelten als die energiereichsten Phänomene im Universum. Sie können die über die gesamte Lebensdauer eines Sternes freiwerdende Energiemenge in Sekunden in Form fokussierter Jets abstrahlen. Auch über Lichtjahre entfernt können diese auf den in ihren Strahlenkegeln befindlichen Planeten Massensterben und die Vernichtung höherer Lebensformen auslösen. Dieser Effekt könnte bei entsprechender Häufigkeit für eine weitgehende Sterilisierung der kosmischen Lebensbedingungen verantwortlich sein. Die Wahrscheinlichkeit für einen die Lebensbedingungen der Erde zerstörenden GRB lag für die vergangenen 500 Millionen Jahre bei 50 %. Nach einer auf den Swift-Daten basierenden Abschätzung (Tsvi Piran et al.) soll in Galaxien, die sich in den ersten fünf Milliarden Jahren des Universums bildeten (z > 0,5), aufgrund intensiver GRB-Aktivität eine Entwicklung zu komplexeren Lebensformen generell unmöglich gewesen sein. Von den heute existierenden Galaxien soll nur in einer von zehn Leben – wie wir es kennen – ausreichend lange Zeit gehabt haben, sich ungestört entwickeln zu können – insbesondere jedoch in größeren Galaxien als unserer Milchstraße.[17][18]

Mathematisches A-priori-Argument

Nach einer Überlegung des Astrophysikers J. Richard Gott spricht die Wahrscheinlichkeit gegen die These, dass Galaxien in der Regel weitgehend kolonisiert werden, da dann fast alle Lebewesen Mitglied solcher Superzivilisationen wären. Gäbe es solche Zivilisationen, dann wäre es aus statistischen Gründen eher unwahrscheinlich, ausgerechnet als Mitglied einer vergleichsweise kleinen, jungen und noch nicht kolonisierten Zivilisation wie der unsrigen geboren worden zu sein.[19] Diese rein mathematische Überlegung ist äquivalent dem sogenannten Doomsday-Argument und erlaubt keine Aussage über die Existenz außerirdischen Lebens, sondern besagt lediglich, dass, wenn es solches Leben geben sollte, es höchstwahrscheinlich nicht kolonisiert. Damit löst sich Fermis Paradoxon auf, da J. Gott dessen Grundannahme negiert.

Der Große Filter

Das Konzept des „Großen Filters“ versucht einzelne der oben genannten Argumente zu kombinieren. Es besagt, dass es eine Art Filter, Nadelöhr oder Barriere gibt bis zum Erlangen einer Zivilisationsstufe, die mit interstellarer Raumfahrt verbunden ist. Diese Barriere wäre eine Herausforderung oder Bedrohung, die es extrem schwierig macht, diese Stufe zu erreichen. Es könnte z. B. sein, dass die Entwicklung höherer Intelligenz im Laufe der Evolution außergewöhnlich selten ist (s. Wir sind tatsächlich allein). In diesem Fall wäre die Menschheit die einzige Lebensform, die es bisher geschafft hat, den Großen Filter zu überwinden. Eine andere Möglichkeit ist, dass mit dem Voranschreiten und der Ausbreitung einer Zivilisation automatisch Entwicklungen verbunden sind, die normalerweise zur Auslöschung dieser Zivilisation führen (s. Selbstauslöschung). In diesem Fall wären andere Zivilisationen bisher am Großen Filter gescheitert und die Menschheit hätte ihn noch vor sich.[20]

Eine plausible wie auch anschauliche Form des Großen Filters ist das Kessler-Syndrom, ein vom NASA-Wissenschaftler Donald Kessler errechnetes Szenario, nach dem die zunehmende Dichte von Objekten im erdnahen Orbit zu einer selbstverstärkenden Kollisionswahrscheinlichkeit führt, die den erdnahen Weltraum zur undurchdringlichen Barriere machen könnte.

Berserker-, Deadly-Probes- und Dunkler-Wald-Theorie

Die Deadly-Probes- oder Berserker-Theorie (benannt nach Fred Saberhagens Berserker-Saga) geht davon aus, dass außerirdische Zivilisationen künstliche Sonden (engl. Probes, ggf. selbstreplizierend) ins All verschicken, welche andere Zivilisation auslöschen.[21][22] Eine absichtliche Auslöschung erfolgt dabei, um potentielle Feinde oder Konkurrenten um Ressourcen bereits frühzeitig zu eliminieren, damit diese der Besiedlung des Alls nicht mehr im Wege stehen. Eine Variante dieser Theorie ist, dass die Sonden außer Kontrolle geraten und dann auch ihre Schöpfer vernichten. Eine weitere Variante geht davon aus, dass die Auslöschung mehr oder weniger (un-)absichtlich und ein Nebenprodukt eines Terraformingprozesses ist, bei der das ursprüngliche Ökosystem des terraformten Planeten zerstört wird.

Thematisch in eine ähnliche Richtung zielt die Dunkler-Wald-Theorie, benannt nach Liu Cixins Buch Der dunkle Wald. Demnach existieren außerirdische Zivilisationen zwar und könnten gegebenenfalls auch miteinander kommunizieren. Jedoch verhalten sie sich möglichst unauffällig und tarnen sich, um nicht die Aufmerksamkeit anderer, feindlich gesinnter Spezies zu erregen. Ähnlich wie der Vorgang der Tarnung in der Biologie soll damit das Prädationsrisiko bzw. Auslöschungsrisiko vermindert werden. Das Weltall ist demnach wie ein dunkler Wald voller Raubtiere, und die beste Überlebensstrategie ist die Tarnung.[23]

Mangelndes Interesse

Selbst wenn die technische Möglichkeit zu interstellarer Kommunikation oder Kolonisation besteht, stellt sich die Frage, ob eine Zivilisation überhaupt ein ökonomisches oder philosophisches Interesse an der Nutzung dieser Technik hat. Unsere Zivilisation hat bisher keine großen Anstrengungen unternommen, bewusst Signale auszusenden (vgl. Botschaften an Außerirdische, Liste interstellarer Radiobotschaften), und die menschliche Raumfahrt beschränkt sich weitgehend auf das Aussenden von Sonden. Selbst prinzipiell mögliche interplanetare Raumflüge werden hinsichtlich ihres ökonomischen und wissenschaftlichen Sinns hinterfragt.

Ressourcenknappheit und Rentabilität

Könnte eine Zivilisation (noch) die Ressourcen aufbringen, fremde Sternsysteme zu erreichen, sobald eine Situation eintritt, die solch eine Unternehmung lohnend oder gar notwendig erscheinen lässt?

Kommunikation

Welchen zeitlichen Versatz in der Kommunikation müssen Populationen in verschiedenen Sternsystemen akzeptieren können, um überhaupt den für eine Zivilisation nötigen Zusammenhalt zu haben?

Schwache Argumente

Mangelnde Sichtbarkeit

Das Aussenden von Radiosignalen zur Kommunikation ist relativ ineffizient. Falls alle Zivilisationen innerhalb kurzer Zeit zu effizienteren Kommunikationsmethoden übergehen, sinkt der Anteil an Radiostrahlung, über den sich eine Zivilisation bemerkbar machen würde.

Auch wurde vorgeschlagen, ein Ergebnis der Informationstheorie könne das Fehlen erkennbarer Signale erklären. Die Informationstheorie besagt, dass eine maximal komprimierte Nachricht für jene ununterscheidbar vom Hintergrundrauschen ist, die den Kompressionsalgorithmus nicht kennen. SETI hingegen sucht ausschließlich nach dem simpelsten aller Signale, einer unmodulierten Sinuskurve. Die Grundannahme von SETI ist die Bereitschaft anderer Lebensformen, sich durch ein einfach zu entdeckendes Signal deutlich mitzuteilen. Aus diesen Gründen würden die heutigen Suchmethoden eine hochgradig komprimierte Übertragung schlicht übersehen.

Die Sommerschlaf-Hypothese greift Überlegungen von Freeman Dyson auf und bezieht sich auf eine weit fortgeschrittene Zivilisation, für die Informationsverarbeitung wesentlich ist.[24] Dafür wird Energie benötigt, die aber endlich ist. Da sich das Universum inflationär ausdehnt, wird es kälter, und das De-Sitter-Modell kann gelten. Unter Berücksichtigung des Landauer-Prinzips ist offenkundig, dass die Informationsverarbeitung nach der Abkühlung um einen astronomisch hohen Faktor effizienter ist. Eine fortgeschrittene Zivilisation wird sich daher zu einer Zeit mit noch warmer Umgebung in Schlaf versetzen, um zu einem viel späteren Zeitpunkt von der dann kalten Umgebung zu profitieren.

Sie existieren – wir haben sie nur verpasst

Diese Hypothese basiert darauf, dass alle besuchenden Zivilisationen langfristig stagnieren oder aussterben, statt zu expandieren. Das kann nicht ausgeschlossen werden, denn die gesamte Dauer der menschlichen Existenz ist auf kosmologischer Skala derartig klein, dass selbst ein Weiterleben unserer Spezies über Hunderttausende von Jahren wenig ändert. Dadurch könnten Zivilisationen zeitlich und räumlich schlicht zu weit auseinanderliegen, um einander zu begegnen. Dieser Hypothese widerspricht die Möglichkeit der Von-Neumann-Sonden, die eine weit längere Lebensdauer als ihre Ursprungszivilisation haben könnten. Eine Zivilisation, die Von-Neumann-Sonden aussendet, könnte diese auch in ihrer Reproduktion beschränken, sodass sich jedem Sternsystem maximal eine Sonde zuordnen würde. Diese Sonde würde sich nur reproduzieren, wenn ihre eigene Lebensdauer abläuft. Sie könnten als Bojen auch stationär sein und z. B. nur ein schwaches Signal aussenden.

Sie werden existieren – wir sind die Ersten

Nach dieser Hypothese steht das Universum gerade erst am Beginn des kosmisch habitablen Alters. Das heißt, anderswo muss das Leben etwa zum selben Zeitpunkt oder später entstanden sein als auf der Erde, nicht aber früher. Demnach wären außerirdische Zivilisationen bestenfalls auf unserem Entwicklungsstand, was sich natürlich auch auf die interstellaren Reise- und Kommunikationsmöglichkeiten niederschlägt.

Sie existieren – wir werden ignoriert

Bei dieser Annahme wird vorausgesetzt, dass unter allen Zivilisationen in unserer Nachbarschaft ein Konsens darüber herrscht, eine Kontaktaufnahme zu vermeiden. Diese Spekulation wird teilweise auch als „Zoo-Hypothese“ bezeichnet.[25] In jüngerer Zeit wurde sie auch als „Aurora-Effekt“ umschrieben, benannt nach Kim Stanley Robinsons Roman Aurora.[26]

Die Verpflichtung zur Nichteinmischung und die Folgen deren Missachtung ist Thema des 1964 erschienenen Romans Es ist nicht leicht, ein Gott zu sein von Arkadi und Boris Strugazki.

Der Science-Fiction-Autor Gene Roddenberry formulierte dies in Star Trek als „Oberste Direktive“, ein striktes Nichteinmischungsgebot, zumindest solange eine Zivilisation nicht eine definierte Schwelle überschritten hat, z. B. die technologische Fähigkeit zu interstellaren Reisen.

Überlegungen, uns selbst zu tarnen,[27] sprechen für die Möglichkeit anderer, technisch höher entwickelter Gesellschaften, dies viel besser zu können.

Sie existieren – wir ignorieren sie

Dabei wird angenommen, dass außerirdische Zivilisationen bereits Kontaktversuche unternommen haben, diese von der Wissenschaft jedoch ignoriert wurden oder nicht wahrgenommen werden konnten oder von einer oder mehreren Regierungen geheim gehalten werden. Dies ist in etlichen Science-Fiction-Romanen und -Filmen verarbeitet worden, so unter anderem in Per Anhalter durch die Galaxis, und wird ebenso bei Deutungen von UFO-Sichtungen, Verschwörungstheorien und von Anhängern verschiedener Pseudowissenschaften vertreten (siehe z. B. Prä-Astronautik oder Exopolitik). Vielfach wird davon ausgegangen, dass unsere heutige Technologie nicht in der Lage ist, extraterrestrische Kommunikationsversuche aufzunehmen, zu verarbeiten oder zu entschlüsseln, bzw. dass ein Signal nicht als Kommunikationsversuch erkannt wird.

„Hart-Tipler-Argument“

Fermi selbst ging nicht von der Möglichkeit interstellarer Reisen aus, weshalb der Begriff Fermi-Paradoxon in Frage gestellt wurde. Robert H. Gray schlug zu Ehren von Michael H. Hart und Frank J. Tipler stattdessen als Bezeichnung „Hart-Tipler-Argument“ vor. Von Hart stammt die zugespitzte, fälschlich Fermi zugeschriebene Aussage „They are not here; therefore they do not exist“. Tipler erweiterte das Problem um selbstreplizierende Maschinen.[28]

Siehe auch

Literatur

  • Stephen Webb: If the Universe Is Teeming with Aliens … WHERE IS EVERYBODY?: Seventy-Five Solutions to the Fermi Paradox and the Problem of Extraterrestrial Life. 2. Aufl. Springer, Cham 2015, ISBN 978-3-319-13235-8.
  • Marshall T. Savage: The millennial project – colonizing the galaxy in eight easy steps. Little Brown, Boston 1994, ISBN 0-316-77165-1.
  • Ian Crawford: Where Are They? Maybe we are alone in the galaxy after all. In: Ufo Evidence. 20. Juli 2000, abgerufen am 9. November 2017.
  • Eric M. Jones: Where is everybody? An Account of Fermi’s Question. In: Los Alamos Technical Report. März 1985, fas.org (PDF; 1,1 MB) Federation of American Scientists; abgerufen am 2. März 2011.
  • Anders Sandberg, Eric Drexler, Toby Ord: Dissolving the Fermi Paradox. In: Popular Physics. Juni 2018, (PDF; 255,9 kB); abgerufen am 29. Juni 2018.
  • Duncan H. Forgan: Solving Fermi's Paradox. Cambridge University Press, Cambridge 2019, ISBN 978-1-107-16365-2.
  • Milan M. Cirkovic: The Great Silence: Science and Philosophy of Fermi's Paradox, Oxford University Press 2018, ISBN 978-0-19-964630-2.

Weblinks

Videos

Einzelnachweise

  1. Michael Michaud: Contact with Alien Civilizations – Our Hopes and Fears about Encountering Extraterrestrials. Springer, Berlin 2006, ISBN 0-387-28598-9, S. 164, google books
  2. E. M. Jones: Where is everybody. An account of Fermi’s question. Technical Report, US Department of Energy, 1985, abstract, osti.gov (PDF) abgerufen am 12. Oktober 2013
  3. Michael H. Hart: An Explanation for the Absence of Extraterrestrials on Earth. In: The Quarterly Journal of the Royal Astronomical Society. 16, 1975, S. 128.
  4. Paul Wesson: Cosmology, extraterrestrial intelligence, and a resolution of the Fermi-Hart paradox. In: Royal Astronomical Society, Quarterly Journal. Bd. 31, Juni 1992, ISSN 0035-8738, S. 161–170, bibcode:1990QJRAS..31..161W
  5. The Fermi Question: No Paradox At All. centauri-dreams.org, abgerufen am 20. August 2015
  6. Carl Sagan: Cosmos. Ballantine Books, New York 1985, ISBN 0-345-33135-4.
  7. Robert Gast: Würfelspiele mit E.T. Spektrum.de. 27. Juni 2013, abgerufen am 2. Juli 2013.
  8. Claudius Gros: Expanding advanced civilizations in the universe. In: J.Br.Interplanet.Soc. 58, 2005, S. 108, arxiv:astro-ph/0501119.
  9. Geoffrey A. Landis: The Fermi Paradox: An Approach Based on Percolation Theory. (Dritter Absatz der Introduction)
  10. So gross ist die Wahrscheinlichkeit, dass es Aliens gibt. In: watson.ch. 28. August 2018, abgerufen am 11. September 2020.
  11. Eckhard Rebhan: Theoretische Physik. Relativitätstheorie und Kosmologie. Spektrum Akademischer Verlag, Heidelberg 2012, ISBN 9783827423153, S. 379.
    Theo Mayer-Kuckuk: Kernphysik. Eine Einführung. Vieweg+Teubner, Wiesbaden 2013, ISBN 9783322848765, S. 290.
  12. List of potentially habitable exoplanets. In: en.wikipedia.org. Abgerufen am 31. März 2022 (englisch).
  13. Geoffrey A. Landis: The Fermi Paradox: An Approach Based on Percolation Theory.
  14. Stephen Hawking: Life in the Universe. (Nicht mehr online verfügbar.) In: Public Lectures. Archiviert vom Original am 11. April 2006; abgerufen am 13. Februar 2017 (englisch): „A third possibility is that there is a reasonable probability for life to form, and to evolve to intelligent beings, in the external transmission phase. But at that point, the system becomes unstable, and the intelligent life destroys itself.“
  15. Nick Bostrom: Existential Risks – Analyzing Human Extinction Scenarios and Related Hazards. In: Journal of Evolution and Technology, Vol. 9, No. 1. 9. März 2002, abgerufen am 13. Februar 2017 (englisch).
  16. Carl Sagan: Cosmic Search Vol. 1 No. 2 – The Quest for Extraterrestrial Intelligence. In: Cosmic Search Magazine. Smithsonian Institution, Mai 1978, abgerufen am 13. Februar 2017 (englisch).
  17. Philipp Hummel: Außerirdisches Leben – Der Grund für unsere Einsamkeit. Spektrum.de, 10. Dezember 2014, abgerufen am 8. Mai 2015.
  18. Gamma-ray bursts are a real threat to life. In: CERN Courier. Vol. 55, Nr. 01 (Jan/Feb), 2015, S. 15 (fileburst.com [PDF; 7,8 MB]).
  19. J. R. Gott: Implications of the Copernican principle for our future prospects. In: Nature. Bd. 363, 1993, S. 315–319.
  20. Fraser Cain, Universe Today: Watch: Humanity's Biggest Discovery Could Herald The Beginning of The End. In: Science Alert. Abgerufen am 6. Februar 2018 (britisches Englisch).
  21. "The 'Great Silence': The Controversy Concerning Extraterrestrial Intelligent Life", Quarterly Journal of the Royal Astronomical Society, Glen David Brin, Volume 24: pp. 283–297, 3rd quarter of 1983 (received Sept. 1982).
  22. If the Universe Is Teeming with Aliens … WHERE IS EVERYBODY?: Seventy-Five Solutions to the Fermi Paradox and the Problem of Extraterrestrial Life, Second Edition, Stephen Webb, foreword by Martin Rees, Heidelberg, New York, Dordrecht, London: Springer International Publishing, 2002, 2015.
  23. Gero von Randow: Hier oben sind wir – Tarnung im Weltall?. In: Zeit Online. 7. März 2018.
  24. Anders Sandberg, Stuart Armstrong, Milan Cirkovic: That is not dead which can eternal lie: the aestivation hypothesis for resolving Fermi's paradox, 2017
  25. John A. Ball: The zoo hypothesis. In: Icarus. Volume 19, Issue 3, July 1973, S. 347–349, doi:10.1016/0019-1035(73)90111-5.
  26. Alien civilizations may have explored the galaxy and visited Earth already, a new study says. We just haven’t seen them recently. (Nicht mehr online verfügbar.) In: businessinsider.de. Ehemals im Original; abgerufen am 12. September 2019 (englisch).@1@2Vorlage:Toter Link/www.businessinsider.de (Seite nicht mehr abrufbar, Suche in Webarchiven)
  27. Kosmisches Versteckspiel: Laser-Tarnkappe soll gefährliche Aliens täuschen. Niemand weiß, ob außerirdische Zivilisationen uns wirklich wohlgesinnt sind. Deswegen sollten wir uns eventuell besser nicht finden lassen. spektrum.de, mit Bezug auf: A Cloaking Device for Transiting Planets. oxfordjournals.org, 30. März 2016; abgerufen am 4. April 2016
  28. „Bei einem Lunch soll der berühmte Physiker Enrico Fermi die Existenz von E.T. widerlegt haben. Doch das stimmt weder hinten noch vorne …“, Weder Fermi noch paradox. Wo sind sie denn, die Aliens? spektrum.de, 8. März 2016. The Fermi Question: No Paradox At All. centauri-dreams.org, 10. März 2015; abgerufen am 4. April 2016

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Atombombentest Romeo (Sprengkraft 11 Mt), siehe Operation Castle