Faszie

Die Rektusscheide und die Fascia thoracolumbalis stellen eine kräftige fasziale Unterstützung zwischen dem unteren Rippenbereich und dem oberen Teil des Beckens her.
Faszien stellen Führungsbahnen im Körper bereit: Die Beuger-Sehnen der Hand ziehen unter dem Retinaculum flexorum hindurch, dem Dach des Karpaltunnels.

Faszie, auch Fascie (Entlehnung aus lateinisch fascia ‚Band‘, ‚Bandage‘[1]) bezeichnet die Weichteil-Komponenten des Bindegewebes, die den ganzen Körper als ein umhüllendes und verbindendes Spannungsnetzwerk durchdringen.

Terminologie

Klassischerweise werden die bindegewebigen Hüllen eines Muskels bzw. einer Muskelgruppen (alternativ: „Muskelbinden“) als „Faszie“ definiert. Heutzutage werden darüber hinaus alle kollagenen faserigen Bindegewebe, insbesondere Gelenk- und Organkapseln, Sehnenplatten (Aponeurosen), Muskelsepten, Bänder, Sehnen, Retinacula (sogenannte „Haltebänder“, beispielsweise das den Karpaltunnel bildende Retinaculum flexorum) als „Faszie“ angesprochen.[2]

Einige Autoren verwenden gelegentlich eine engere Fasziendefinition, wonach nur flächige Strukturen als Faszien bezeichnet werden. Je nach Autor gehören dann Aponeurosen, Retinacula, die Fascia superficialis (Unterhaut-Fettgewebe) oder das intramuskuläre Bindegewebe mit dazu – oder auch nicht. Seit dem ersten internationalen Fascia Research Congress im Jahr 2007[3] haben sich die führenden Experten in diesem Feld auf den oben formulierten umfassenderen Faszienbegriff geeinigt. Diese neue Definition von Faszien ist im Wesentlichen deckungsgleich mit dem, was der Laie unter „Bindegewebe“ versteht (im Unterschied zum Mediziner, für den beispielsweise Knorpel- und Knochengewebe ebenfalls zum Binde- und Stützgewebe gezählt werden).

Muskelfaszie

Die Hüllen, welche einen Muskel oder eine Muskelgruppe umgeben, werden als Muskelfaszien angesprochen. Sie bestehen aus kollagenem Bindegewebe, welches gelegentlich locker gebaut sein kann, aber in den meisten Fällen straff ist. Manche Muskeln nehmen ihren Ursprung oder finden ihren Ansatz an den Faszien. Beispielsweise inseriert der M. biceps brachii auch in der Fascia antebrachii. Die Muskelfaszie bildet eine Führungsröhre für den Muskel, sodass Lage und Form bei den verschiedenen Kontraktionszuständen bewahrt werden. Denkt man sich die Muskeln aus den Faszien herausgenommen, so entstehen Faszien- bzw. Muskellogen. Wenn die Wandung der Loge durch Knochen ergänzt wird, spricht man auch von einer osteofibrösen Loge. Faszien setzen der Ausbreitung von Entzündungen und Eiterungen Widerstand entgegen, sodass solche Prozesse meist für längere Zeit auf ein Bindegewebsfach bzw. eine Muskelloge beschränkt bleiben. Kommt es, z. B. bei übermäßiger Belastung zu einem Riss in der Muskelfaszie, so kann die von ihr umhüllte weiche Muskelmasse an dieser Stelle vorquellen, und es entsteht eine schmerzhafte Muskelhernie. Ein Druckanstieg in den von den Faszien umfassten Logen kann zur Ausbildung eines Kompartmentsyndroms führen.[4]

Dieses Wissen ist beispielsweise bei der osteosynthetischen Versorgung von Unterschenkelfrakturen wichtig, da dort die Kompartimente sehr eng gefasst sind und schwere neuro-vaskuläre Komplikationen drohen können. Andere Muskeln, wie der Sternocleidomastoideus am Hals, der Pronator teres am Arm oder der Sartorius am Bein, haben sehr flexible Muskelhüllen, durch sie gut durchgleiten können. Die genaue Kenntnis der Muskelfaszien bzw. -logen ist insbesondere für Chirurgen bei der intraoperativen Orientierung im Situs entscheidend.

Muskellogen am Hals.

Dreischichtiges Faszienmodell

In den Veröffentlichungen von Schleip et al. (2014) sowie von Stecco 2016 ist ein dreischichtiges Faszienmodell postuliert worden:

Oberflächliche Faszien

Oberflächliche Faszien befinden sich im Unterhautgewebe in den meisten Teilen des Körpers und vermischen sich mit der retikulären Schicht der Lederhaut (Dermis).[5] Sie befinden sich über dem oberen Bereich des Musculus sternocleidomastoideus, am Nacken und über dem Brustbein (Sternum).[6] Sie bestehen hauptsächlich aus lockerem Bindegewebe sowie Fettgewebe. Neben ihrer subkutanen Präsenz umschließt diese Art von Faszien Organe, Drüsen und neurovaskuläre Leitbahnen und füllt an vielen anderen Stellen freien Raum. Sie speichert Fett und Wasser; sie fungiert als Durchgang für Lymphe, Nerven und Blutgefäße sowie als Puffer und Dämpfer.[7] Da ein beträchtlicher Teil der Bindegewebszellen dieser Schicht miteinander Kontakt hat, vermutet man auch, dass diese Schicht als ein körperweites nicht-neurales Kommunikationsnetzwerk dienen könnte.[8]

Tiefe Faszien

Tiefe Faszien sind die dichten faserreichen Bindegewebsschichten und -stränge, welche die Muskeln, Knochen, Nervenbahnen und Blutgefäße des Körpers durchdringen und umschließen. Je nach lokalen Belastungsverhältnissen verdichtet und organisiert sich dieses Gewebenetzwerk als Sehnenplatten (Aponeurosen), große flächenhafte Faszien (wie die Fascia lata oder die Plantarfaszie), als Ligamente (Bänder), Retinacula (Fesseln), Gelenkkapseln oder als Muskelsepten.

Als hochinnerviertes Periosteum umhüllt dieses Gewebe die Knochen, als Perichondrium die Knorpelgewebe und als Perineurium die Nervenbahnen. Ferner sind alle Muskelfasern von einer Endomysium-Schicht umhüllt, während das Perimysium einzelne Muskelfaserbündel zusammenfasst und schließlich das Epimysium den ganzen Muskel umhüllt. Der hohe Anteil an Kollagenfasern verleiht diesen Geweben eine hohe viskoelastische Zugbelastbarkeit.[9]

Viszerale Faszien

Viszerale Faszien dienen als Aufhängung und Einbettung der inneren Organe und wickeln diese in Schichten aus Bindegewebsmembranen. Jedes dieser Organe ist mit einer Doppelschicht aus serösen Membranen umgeben. Die äußerste Wand eines Organs wird als „parietale Schicht“ bezeichnet, wohingegen die Haut des Organs „viszerale Schicht“ genannt wird. Die Organe besitzen spezifische Namen für ihre viszeralen Faszien. Im Gehirn nennt man sie Meningen, im Herz Pericardium, in der Lunge Pleura und im Bauch Peritoneum.[10]

Fasziale Dynamik

Faszien sind sehr anpassungsfähige Gewebsteile.

  • Aufgrund ihrer hohen Viskoelastizität können sich oberflächliche Faszien deutlich dehnen, um beispielsweise Körperfett in Verbindung mit normaler oder pränataler Gewichtszunahme aufzunehmen.
  • Viszerale Faszien sind im Allgemeinen weniger dehnbar als die oberflächlichen Faszien. Aufgrund ihrer verbindenden Funktion für die Organe muss ihre Spannung konstant bleiben. Wenn sie zu locker wären, würde dies zu einem Vorfall des Organs führen; wären sie zu hypertonisch, würde es die Organmobilität einschränken.[11]
  • Tiefe Faszien sind ebenfalls weniger dehnbar als oberflächliche Faszien. Sie sind weniger durchblutet,[12] jedoch hoch innerviert mit sensorischen Rezeptoren, die Schmerz signalisieren (Nozizeptoren), Bewegungsänderungen (Propriozeptoren), Änderungen von Druck und Schwingungen (Mechanorezeptoren), Änderungen des chemischen Milieus (Chemorezeptoren) sowie Temperaturschwankungen (Thermorezeptoren).[13][14] Viele tiefe Faszien sind in der Lage, auf eine entsprechende mechanische oder chemische Stimulation mit Kontraktion oder Entspannung sowie durch eine allmähliche strukturelle Umorganisation ihrer inneren Bauelemente zu reagieren.[15] Tiefe Faszien besitzen spezielle Glattmuskel-ähnliche Bindegewebszellen (Myofibroblasten), welche ihnen die Fähigkeit verleihen, sich ähnlich wie viele Eingeweide oder Blutgefäße über eine lange Zeit aktiv kontrahieren zu können. Die Steifigkeit einer Faszie hängt offenbar mit der Dichte an Myofibroblasten zusammen. So findet man sowohl bei der Palmaren Fibromatose (Dupuytren-Kontraktur) als auch bei pathologischer Schultersteife („Frozen Shoulder“) eine besonders hohe Myofibroblasten-Dichte.[16]
  • Zahlreiche manualtherapeutische Verfahren zielen darauf ab, eine nachhaltige Veränderung in den Faszien auszulösen. Hierzu gehören unter anderem die Bindegewebsmassage, Osteopathie, Rolfing, Fasciatherapie und Schröpfen. Das Schröpfen zielt primär auf eine Veränderung der oberflächlichen Faszien ab, während z. B. das Rolfing und die Osteopathie eine Einwirkung auf die tiefen Faszien beabsichtigen.[17]

Training

Mithilfe verschiedener Methoden können die Faszien gezielt trainiert werden, z. B. durch die Verwendung einer Faszienrolle.

Siehe auch

Literatur

  • Robert Schleip, Thomas W. Findley, Leon Chaitow, Peter A. Huijing (Hrsg.): Lehrbuch Faszien – Grundlagen, Forschung, Behandlung. Urban & Fischer Verlag/Elsevier, München 2014, ISBN 978-3-437-55306-6.
  • Carla Stecco: Atlas des menschlichen Fasziensystems. Urban & Fischer Verlag/Elsevier, 2016, ISBN 978-3-437-55905-1.

Weblinks

Commons: Faszie – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien
Wiktionary: Faszie – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen

Einzelnachweise

  1. fascia | Deutsch » Latein |. In: Pons. Abgerufen am 24. Februar 2017.
  2. About Fascia. In: fasciacongress.org. Ida P. Rolf Research Foundation, archiviert vom Original (nicht mehr online verfügbar) am 11. April 2019; abgerufen am 22. Mai 2019 (englisch).  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/fasciacongress.org
  3. First International Fascia Research Congress. (Memento desOriginals vom 9. September 2016 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.fasciacongress.org (englisch)
  4. Herwig Hahn von Dorsche, Reinhard Dittel: Anatomie des Bewegungssystems. 2. überarbeitete Auflage. Neuromedizin Verlag, Bad Hersfeld 2006, ISBN 978-3-930926-18-3, S. 42.
  5. John E. Skandalakis, P. N. Skandalakis, L. J. Skandalakis, J. Skandalakis: Surgical Anatomy and Technique. 2. Auflage. Springer, Atlanta 2002, ISBN 0-387-98752-5, S. 1–2.
  6. Serge Paoletti: The Fasciae. Anatomy, Dysfunction & Treatment. Eastland Press, Seattle 2006, ISBN 0-939616-53-X, S. 23–24.
  7. Gil. Hedley: The Integral Anatomy Series. Band 1: Skin and Superficial fascia. DVD. Integral Anatomy Productions, 2005.
  8. M. Langevin: Connective tissue: A bodywide signaling network? PMID 16483726.
  9. Gil. Hedley: The Integral Anatomy Series. Band 2: Deep Fascia and Muscle. DVD. Integral Anatomy Productions, 2005.
  10. Gil. Hedley: The Integral Anatomy Series. Band 3: Cranial and Visceral Fasciae. DVD. Integral Anatomy Productions, 2005.
  11. Serge Paoletti: The Fasciae. Anatomy, Dysfunction & Treatment. Eastland Press, Seattle 2006, ISBN 0-939616-53-X, S. 146–147.
  12. Ida P. Rolf: Rolfing. Healing Arts Press, Rochester 1989, ISBN 0-89281-335-0, S. 38.
  13. Leon Chaitow: Soft Tissue Manipulation. Healing Arts Press, Rochester 1988, ISBN 0-89281-276-1, S. 26–28.
  14. R. Schleip: Fascial plasticity – a new neurobiological explanation. Teil 1. In: Journal of Bodywork and Movement Therapies. Band 7, Nr. 1, Elsevier, 2003, S. 15–19.
  15. Thomas W. Myers: Anatomy Trains. Churchill Livingstone, London 2002, ISBN 0-443-06351-6, S. 15.
  16. Lars Remvig et al.: Do patients with Ehlers-Danlos Syndrome and/or Hypermobility Syndrome… In: T. W. Findley, R. Schleip (Hrsg.): Fascia Research. Elsevier Urban & Fischer, München 2007, S. 87
  17. John von Basmajian, Rich Nyberg: Rational Manual Therapies – Manipulation, Spinal Motion and Soft Tissue Mobilization. Lippincott Williams and Wilkins 1993.

Auf dieser Seite verwendete Medien

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The medulla spinalis and its membranes.
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Pelvic Region Strukturierte Daten auf Commons bearbeiten
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Muscles of the head, face, and neck.
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Internal oblique muscle, left Strukturierte Daten auf Commons bearbeiten
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Front view of thorax, showing the relations of the pleuræ and lungs to the chest wall. Pleura in blue; lungs in purple.
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Zwerchfell von unten aus "Anatomy of the Human Body" von Henry Gray.
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The middle and posterior mediastina. Left side.
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Sagittal section through posterior abdominal wall, showing the relations of the capsule of the kidney. (After Gerota).
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A cross-section diagram of the human neck at the level of C6 showing the fascia compartments, muscles, organs, bone, and major arteries, veins, and nerves.
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Ligaments of the sole of the foot, with the tendons of the Peronæus longus, Tibialis posterior and Tibialis anterior muscles. (Quain.)