Eingliederungshilfe

Die Eingliederungshilfe ist eine Sozialleistung, die seit 1. Januar 2020 in Deutschland im SGB IX geregelt ist. Sie soll Menschen mit einer Behinderung oder von Behinderung bedrohten Menschen helfen, die Folgen ihrer Behinderung zu mildern und sich in die Gesellschaft einzugliedern (§ 90 SGB IX).

Leistungsberechtigte

Berechtigt, Leistungen der Eingliederungshilfe zu beziehen, sind Menschen mit Behinderung und Menschen, die von Behinderung bedroht sind (§ 99 SGB IX). Das gilt grundsätzlich auch für Ausländer, die sich tatsächlich im Inland aufhalten, soweit sie nicht Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz beziehen – für sie ist § 6 AsylbLG maßgeblich – oder mit dem Ziel eingereist sind, Eingliederungshilfeleistungen zu beziehen (§ 100 SGB IX). Deutsche, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Ausland haben, sind abgesehen von wenigen eng gefassten Ausnahmen nicht leistungsberechtigt (§ 101 SGB IX).

Bedürftigkeit

Die in § 138 Absatz 1 SGB IX genannten Leistungen sind unabhängig vom Einkommen und vom Vermögen (§ 140 Absatz 3 SGB IX).

Nach Überschreiten gewisser Freibeträge (1,5 jährliche Bezugsgrößen, entspricht 2024 63.630 Euro, § 139 Satz 2 SGB IX) ist das Vermögen (§ 90 Absatz 1 SGB XII) vorrangig einzusetzen (§ 140 Absatz 1 SGB IX), Leistungen werden als Darlehen erbracht, wenn eine sofortige Verwertung des Vermögens nicht möglich ist oder eine Härte wäre (§ 140 Absatz 2 SGB IX).

Nach Überschreiten gewisser Freibeträge bei den Einkünften (60, 75 oder 85 % der Bezugsgröße laut § 136 Absatz 2 SGB IX), sind 2 Prozent des darüber hinaus gehenden Einkünfte einzusetzen. Der Freibetrag liegt 2024 bei einer Bruttorente von 2121 Euro monatlich bzw. zu versteuerndem Einkommen aus einer nicht sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung von 2651 Euro monatlich bzw. zu versteuerndem Einkommen aus sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung von 3004 Euro monatlich.

Ist der Leistungsberechtigte minderjährig und lebt im Haushalt der Eltern, erhöht sich der Freibetrag 2024 um 2651 Euro (75 Prozent der Bezugsgröße) monatlich. In allen anderen Fällen: Für jedes unterhaltsberechtigte Kind im Haushalt erhöht sich der Freibetrag um 5 Prozent der Bezugsgröße (173 Euro). Überschreitet der Partner nicht selbst die genannten Grenzen, erhöht sich der Freibetrag um weitere 15 Prozent der Bezugsgröße (2024 530 Euro) und für jedes Kind um weitere 5 Prozent der Bezugsgröße (173 Euro).

Für alle minderjährigen Kinder zusammen ist höchstens ein Beitrag aufzubringen (§ 138 Absatz 2 SGB IX).

Je volle 500 Euro Bruttoeinkünfte (§ 137 Absatz 2 Satz 2 SGB IX) über diesen Freibeträgen sind 10 Euro selbst zu bezahlen.

Kritik

Seit der Gesetzesänderung zum 1. Januar 2020 ist an die Stelle einer Einsetzungspflicht von Einkommen und Vermögen nun die Verpflichtung getreten, ab einer bestimmten Einkommens- bzw. Vermögensgrenze Beiträge zu den Leistungen der Eingliederungshilfe zu leisten. Behindertenverbände kritisieren diesen Ansatz, weil das „fundamentale Gerechtigkeitsproblem“ auch durch die Neustrukturierung der Einkommens- und Vermögensanrechnung nicht beseitigt werde: „Warum soll der behinderte Mensch für eine schicksalhafte Reduzierung seiner Lebenschancen die finanzielle Verantwortung tragen, obwohl ihn keine Schuld an seinem erhöhten Bedarf trifft?“[1]

Leistungen der Eingliederungshilfe

Die Leistungen zur Sozialen Teilhabe sind seit 1. Januar 2020 für die Eingliederungshilfe in Teil 2 des SGB IX zusammengeführt und neu strukturiert. Es ist ein offener Leistungskatalog vorgesehen. Das SGB IX beschreibt einige der typischsten Eingliederungshilfeleistungen näher, ist aber nicht abschließend. Die explizit beschriebenen Leistungen ähneln dem bis 2019 geltenden Katalog aus dem SGB XII und dem alten SGB IX.

In der Grobstruktur teilt das SGB IX die Eingliederungshilfeleistungen in Leistungen der sozialen Teilhabe, der Teilhabe am Arbeitsleben und der Teilhabe an Bildung auf. Sämtliche Leistungen können auch in Form eines Persönlichen Budgets erbracht werden. Die Entscheidung über diese Form der Leistungsgewährung liegt im Ermessen der Behörde.

Soziale Teilhabe

Unter dem Begriff der Leistung zur sozialen Teilhabe, der mit der Neufassung des SGB IX am 1. Januar 2020 neu eingeführt wurde, konkretisiert und erweitert der Gesetzgeber den Leistungskomplex, der im SGB XII bislang als „Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft“ beschrieben wurde. Der § 76 SGB IX enthält eine exemplarische Aufstellung der in Betracht kommenden Leistungen der sozialen Teilhabe, die in den daran anschließenden Vorschriften weitere Konkretisierungen erfahren. Dazu gehören

  • Assistenzleistungen (§ 78 SGB IX)
  • heilpädagogische Leistungen (§ 79 SGB IX)
  • Leistungen zur Betreuung in einer Pflegefamilie (§ 80 SGB IX)
  • Leistungen zum Erwerb und Erhalt praktischer Kenntnisse und Fähigkeiten (§ 81 SGB IX)
  • Leistungen zur Förderung der Verständigung (§ 82 SGB IX)
  • Leistungen zur Mobilität (§ 83 SGB IX)
  • Hilfsmittel (§ 84 SGB IX)

Eine praktisch große Bedeutung haben die Assistenzleistungen (§ 78 SGB IX). Beispiele hierfür sind Hilfen bei der Haushaltsführung, zur Gestaltung sozialer Beziehungen, der persönlichen Lebensplanung, der Teilhabe am gemeinschaftlichen und kulturellen Leben und der Freizeitgestaltung.

Teilhabe am Arbeitsleben

Leistungskatalog

Leistungen der Teilhabe am Arbeitsleben werden – wie schon nach der bisherigen Rechtslage – erbracht, um die Erwerbsfähigkeit von Menschen mit Behinderungen oder von Behinderung bedrohter Menschen entsprechend ihrer Leistungsfähigkeit zu erhalten, zu verbessern, herzustellen oder wiederherzustellen und ihre Teilhabe am Arbeitsleben möglichst auf Dauer zu sichern (§ 49 Abs. 1 SGB IX). Inhaltlich geht es um Hilfen zur Erhaltung oder Erlangung eines Arbeitsplatzes einschließlich Leistungen zur Aktivierung und beruflichen Eingliederung, eine Berufsvorbereitung einschließlich einer wegen der Behinderung erforderlichen Grundausbildung, die individuelle betriebliche Qualifizierung im Rahmen unterstützter Beschäftigung, die berufliche Anpassung und Weiterbildung, auch soweit die Leistungen einen zur Teilnahme erforderlichen schulischen Abschluss einschließen, die berufliche Ausbildung, auch soweit die Leistungen in einem zeitlich nicht überwiegenden Abschnitt schulisch durchgeführt werden, die Förderung der Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit durch die Rehabilitationsträger und sonstige Hilfen.

Budget für Arbeit

Gesetzlich neu geregelt ist der Anspruch auf ein Budget für Arbeit (§ 61 SGB IX). Einzelne Bundesländer, unter ihnen Hamburg und Rheinland-Pfalz, hatten in der Vergangenheit bereits nach der bis 2019 geltenden Rechtslage ähnliche Konzepte zur Förderung der Teilhabe am Arbeitsleben erprobt; die Leistungen waren aber landesspezifisch sehr unterschiedlich ausgestaltet. Das Budget für Arbeit soll eine Alternative zur Beschäftigung in einer Werkstatt für behinderte Menschen schaffen. Das Gesetz sieht unter anderem einen Lohnkostenzuschuss als Minderleistungsausgleich vor. Damit soll der Übergang von der Werkstatt für Menschen mit Behinderung auf den ersten Arbeitsmarkt erleichtert werden.

Teilhabe an Bildung

In § 75 SGB IX wurde mit den Leistungen zur Teilhabe an Bildung eine neue Leistungsgruppe geschaffen. Ansatzpunkt hierfür sind das bildungsbezogene Diskriminierungsverbot aus Artikel 3 Absatz 3 Satz 2 GG sowie das Recht auf Bildung aus Artikel 24 der UN-BRK. Ziel der Eingliederungshilfe ist es insoweit, den Leistungsberechtigten eine ihren Fähigkeiten und Leistungen entsprechende Schulbildung sowie schulische und hochschulische Aus- und Weiterbildung für einen Beruf zur Förderung ihrer Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu ermöglichen (§ 90 Abs. 4 SGB IX).

Der Leistungskatalog umfasst Hilfen zur Schulbildung, insbesondere im Rahmen der Schulpflicht einschließlich der Vorbereitung hierzu, zur schulischen Berufsausbildung, zur Hochschulbildung und zur schulischen und hochschulischen beruflichen Weiterbildung. Über die bis 2019 geltende Rechtslage hinaus können nach dem ab 1. Januar 2020 geltenden Recht auch Hilfen für ein Masterstudium beansprucht werden, wenn das Masterstudium auf ein zuvor abgeschlossenes Bachelorstudium aufbaut (§ 112 Abs. 2 SGB IX). Auch Hilfen zur Teilnahme an Fernunterricht und Hilfen zur Ableistung eines Praktikums kommen in Betracht (§ 112 Abs. 3 SGB IX). Zum Leistungsumfang gehört auch die Versorgung mit Hilfsmitteln einschließlich Ersatzbeschaffung (§ 112 Abs. 1 Satz 6 bis 8 SGB IX).

Eingliederungshilfe und Kinder- und Jugendhilfe

Daneben können im Rahmen der Eingliederungshilfe auch weitere Leistungen erbracht werden. Da für seelisch behinderte Kinder und Jugendliche das Jugendamt zuständig ist, kommen die hier genannten Leistungen hauptsächlich für körperlich oder geistig behinderte Kinder und Jugendliche in Frage.

Hilfen zu einer angemessenen Schulbildung werden an behinderte Kinder erbracht, die aufgrund ihrer Behinderung zusätzliche Leistungen benötigen, um eine Schule im Rahmen der Schulpflicht besuchen zu können. Hierzu zählt etwa die Bereitstellung eines Schulbegleiters. Grundsätzlich wird nur der Besuch einer Hauptschule oder einer Förder- bzw. Sonderschule gefördert, der Besuch einer anderen Schule kann nur dann gefördert werden, wenn zu erwarten ist, dass das Bildungsziel erreicht wird.

Grundsätzlich hat sich das Sozialamt an die Entscheidungen der Schulaufsichtsbehörde zu halten; es kann ein Kind nicht auf eine Sonderschule verweisen, wenn die Schulaufsichtsbehörde dem Kind eine Regelschule zuweist, auch dann nicht, wenn die integrative oder Inklusive Beschulung höhere Kosten verursacht als der Besuch einer Sonderschule.

Kommt aufgrund von Art und Schwere der Behinderung eine betriebliche Ausbildung nicht in Betracht, kann der Besuch einer schulischen Ausbildungsstätte für einen angemessenen Beruf gefördert werden. Die Förderung wird nur dann geleistet, wenn zu erwarten ist, dass das Ziel der Ausbildung erreicht ist, der Ausbildungsweg erforderlich ist und der Beruf voraussichtlich eine ausreichende Lebensgrundlage bieten wird oder, falls dies aufgrund der Behinderung nicht möglich ist, in angemessenem Umfang zur Lebensgrundlage beitragen wird.

Verfahrensrecht

In verfahrensrechtlicher Hinsicht setzt die Gewährung von Eingliederungshilfeleistungen die vorherige Durchführung eines Gesamtplanverfahrens voraus; in bestimmten Konstellationen ist alternativ oder zusätzlich ein Teilhabeplanverfahren erforderlich.

Gesamtplan

Im Verwaltungsverfahren führt der Träger der Eingliederungshilfe mit allen betroffenen Personen und Stellen ein Gesamtplanverfahren durch, in dem der individuelle Bedarf des Hilfesuchenden ermittelt wird (§ 117 SGB IX). Die Bedarfsermittlung muss durch ein Instrument der Bedarfsermittlung erfolgen, das sich an der Internationalen Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit (ICF) orientiert.[2] Am Ende des Gesamtplanverfahrens steht der Gesamtplan. In ihm wird der Inhalt der später zu bewilligenden Eingliederungshilfeleistungen unter Berücksichtigung der Wünsche des Leistungsberechtigten festgelegt. Die Erstellung des Gesamtplans ist zwingend. Sie muss auch dann erfolgen, wenn nur der Träger der Eingliederungshilfe bzw. nur eine Leistungsgruppe betroffen ist. Im Rahmen des Verfahrens kann eine Gesamtplankonferenz vorausgehen, zwingend ist das aber nicht. Der Träger der Eingliederungshilfe kann die Durchführung einer Gesamtplankonferenz ablehnen, wenn der maßgebliche Sachverhalt schriftlich ermittelt werden kann oder der Aufwand zur Durchführung nicht in einem angemessenen Verhältnis zum Umfang der beantragten Leistung steht (§ 119 Abs. 1 SGB IX).

Teilhabeplanverfahren

Sind mehrere Rehabilitationsträger beteiligt, so ist außerdem ein Teilhabeplanverfahren durchzuführen. Der abschließende Teilhabeplan legt unter anderem das Verhältnis der beteiligten Rehabilitationsträger zueinander fest. Das Teilhabe- und das Gesamtplanverfahren sollen miteinander verbunden werden.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Egbert Schneider: Das neue Bundesteilhabegesetz, WzS 2017, S. 70.
  2. Stefan Doose / Birte Johannsen: Neuerungen durch das Bundesteilhabegesetz ab 01.01.2018. Berufs- und Fachverband Heilpädagogik e.V. 1/2018