Eidgenössische Volksinitiative «für demokratische Einbürgerungen»

Die eidgenössische Volksinitiative «für demokratische Einbürgerungen», (ugs. Einbürgerungsinitiative) war eine von der Schweizerischen Volkspartei lancierte Volksinitiative, die am 1. Juni 2008 abgelehnt wurde. Die Initiative wollte den Erwerb des Schweizer Bürgerrechts als politischen Akt festlegen – Im Gegensatz zur gegenwärtigen Position des Bundesgerichts, die diesen Erwerb als Verwaltungsakt betrachtet. Eine Annahme hätte eine Erweiterung des 38. Artikels der Bundesverfassung zur Folge gehabt, die den Gemeinden erlaubt darüber frei entscheiden zu dürfen, welches Organ über Einbürgerungsentscheide (beispielsweise eine Bürgerversammlung, eine Einbürgerungskommission oder Urnenabstimmung) entscheidet. Ein gefällter Einbürgerungsentscheid wäre zudem endgültig gewesen, das Rekursrecht wäre also dadurch dem Einbürgerungswilligen entzogen worden.

Entstehungsgeschichte

Bei einer Einbürgerungsabstimmung in der Gemeinde Emmen stellten sich 23 Einbürgerungswillige den Stimmberechtigten zur Wahl. In Emmen, wie auch in anderen Gemeinden der Schweiz, wurde über Einbürgerungsgesuche mit Urnenabstimmungen entschieden. Von den 23 Einbürgerungswilligen wurden am 12. März 2000 die acht aus Italien stammenden Personen eingebürgert, die 15 überwiegend aus dem ehemaligen Jugoslawien stammenden Gesuchstellenden wurden abgelehnt. Gegen die Ablehnung erhoben die Gesuchssteller am 11. April 2000 eine Gemeindebeschwerde an den Regierungsrat des Kantons Luzern. Nachdem dieser auf die Beschwerde nicht eintrat, erhoben die Gesuchssteller eine staatsrechtliche Beschwerde ans Bundesgericht, das am 6. März 2001 die Beschwerde gut hiess und den Entscheid des Regierungsrats wegen Verletzung von Treu und Glauben aufhob. Am 19. März 2002 wies der Regierungsrat des Kantons Luzern die Beschwerde erneut ab. Gegen die erneute Abweisung erhoben die Gesuchssteller am 23. April 2002 erneut eine Beschwerde ans Bundesgericht mit dem Antrag, den Entscheid des Regierungsrats aufzuheben. In ihrem Antrag machten sie Verletzungen unter anderem des Diskriminierungsverbots und des Willkürverbots geltend.

Das Bundesgericht entschied für die Gesuchssteller, da die Ablehnung der Einbürgerungsgesuche nach der dort angewandten Praxis gegen Artikel 8 Absatz 2 der Bundesverfassung[1] verstosse. Die Einbürgerungsentscheide an der Urne würden die Begründungspflicht verletzen, so das Urteil weiter.[2] Das Willkürverbot gebietet unter anderem, dass Entscheidungen sachlich begründet werden, so dass eine Beschwerdeinstanz darauf eingehen kann.

Die Schweizerische Volkspartei verurteilte diesen Bundesgerichtsentscheid als Fehlentscheidung. Die Volksinitiative würde diesen Entscheid korrigieren und künftige Fehlinterpretationen in Einbürgerungsfragen verhindern.[3] Weiter kritisieren Befürworter der Volksinitiative, dass die Einbürgerungsentscheide durch den Gerichtsentscheid zu blossen Verwaltungsakten degradieren[4] und die Schweiz dadurch am meisten Einbürgerungen[5], grösstenteils aus «fremden Kulturkreisen», verzeichnet. Die Volksinitiative hätte zudem dem Bürger das Recht über Einbürgerungsgesuche entscheiden zu können, wieder zurückgegeben.[6]

Wortlaut

Bei einer Annahme der Initiative wäre der schweizerischen Bundesverfassung der folgende Artikel hinzugefügt worden[7]:

Die Bundesverfassung vom 18. April 1999 wird wie folgt geändert:

Art. 38 Abs. 4 BV (neu)

  1. Die Stimmberechtigten jeder Gemeinde legen in der Gemeindeordnung fest, welches Organ das Gemeindebürgerrecht erteilt. Der Entscheid dieses Organs über die Erteilung des Gemeindebürgerrechts ist endgültig.

Zustandekommen

Am 6. April 2004 wurde die Unterschriftenliste zur Volksinitiative der Bundeskanzlei zur Vorprüfung vorgelegt. Urheber der Initiative waren 27 Personen, als Initiativkomitee wurde die Schweizerische Volkspartei genannt. Die Sammelfrist wurde auf den 18. November 2005 gesetzt.[8] Am 18. November 2005 gab die Bundeskanzlei bekannt, dass von den 102'326 eingereichten Unterschriften, 100'038 gültig waren und die Initiative damit Zustande kommt. Am meisten Unterschriften wurden im Kanton Zürich (27'689 gültige) und im Kanton Bern (13'062 gültige) gesammelt, am wenigsten im Kanton Jura (129 gültige) und im Kanton Neuenburg (283 gültige).[9]

Haltung von Bundesrat und Bundesversammlung

In einer Botschaft der Bundesversammlung am 25. Oktober 2006 gab diese bekannt, dass sie dem Volk und den Ständen rät, die Initiative abzulehnen.[10] Das eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement gab in einer Mitteilung bekannt, dass der Bundesrat die Initiative auch ablehnt, da die Einbürgerungsentscheide gemäss dem Bundesgerichtsentscheid nicht rein politischer Natur, sondern auch ein Akt der Rechtsanwendung sei.[11] Der Nationalrat unterstützt gemäss der Schlussabstimmung vom 5. Oktober 2007 mit 127 zu 67 Stimmen.[12] Mit 34 zu 7 Stimmen bestätigt der Ständerat die Meinung des Bundesrates ebenfalls.[13]

Abstimmungsparolen

Diverse Parteien riefen eine Nein-Parole aus: Flyer der JungsozialistInnen.

Bis auf die Eidgenössisch-Demokratische Union (ausser waadtländische Kantonalpartei), die Schweizerische Volkspartei, die Luzerner und Zuger Freisinnig-Demokratische Partei-Kantonalparteien und die Aktion für eine unabhängige und neutrale Schweiz riefen alle Parteien, Verbände, Organisationen und Regierungs- oder Parlamentskammern eine «Nein»-Abstimmungsparole aus.[14][15][16][17][18]

Ergebnis

Vorläufiges amtliches Endergebnis:[19]

KantonJa (%)Nein (%)Beteiligung
Kanton Aargau Aargau71'469 (46,8 %)81'352 (53,2 %)40,1 %
Kanton Appenzell Ausserrhoden Appenzell Ausserrhoden6'930 (42,6 %)9'334 (57,4 %)43,7 %
Kanton Appenzell Innerrhoden Appenzell Innerrhoden1'805 (48,3 %)1'930 (51,7 %)34,7 %
Kanton Basel-Stadt Basel-Stadt16'915 (28,5 %)42'388 (71,5 %)52,4 %
Kanton Basel-Landschaft Basel-Landschaft28'106 (35,2 %)51'705 (64,8 %)43,8 %
Kanton Bern Bern106'471 (36,7 %)183'565 (63,3 %)41,3 %
Kanton Freiburg Freiburg19'874 (27,0 %)53'673 (73,0 %)42,5 %
Kanton Genf Genf21'538 (17,9 %)98'778 (82,1 %)52,6 %
Kanton Glarus Glarus4'609 (48,9 %)4'816 (51,1 %)37,0 %
Kanton Graubünden Graubünden17'776 (35,0 %)32'975 (65,0 %)38,3 %
Kanton Jura Jura3'875 (19,8 %)15'736 (80,2 %)40,0 %
Kanton Luzern Luzern50'940 (44,3 %)64'043 (55,7 %)46,9 %
Kanton Neuenburg Neuenburg9'203 (18,0 %)41'991 (82,0 %)48,3 %
Kanton Nidwalden Nidwalden6'523 (49,1 %)6'771 (50,9 %)46,1 %
Kanton Obwalden Obwalden5'302 (47,1 %)5'955 (52,9 %)48,5 %
Kanton Schaffhausen Schaffhausen12'621 (42,8 %)16'835 (57,2 %)63,1 %
Kanton Schwyz Schwyz26'559 (59,9 %)17'758 (40,1 %)47,6 %
Kanton Solothurn Solothurn31'357 (41,4 %)44'389 (58,6 %)44,9 %
Kanton St. Gallen St. Gallen58'523 (48,3 %)62'591 (51,7 %)40,3 %
Kanton Tessin Tessin42'357 (42,2 %)58'127 (57,8 %)50,0 %
Kanton Thurgau Thurgau27'875 (48,9 %)29'081 (51,1 %)37,5 %
Kanton Uri Uri4'352 (46,5 %)5'002 (53,5 %)36,8 %
Kanton Waadt Waadt37'901 (19,0 %)199'331 (84,0 %)51,1 %
Kanton Wallis Wallis22'779 (25,0 %)68'411 (75,0 %)47,2 %
Kanton Zug Zug15'226 (44,3 %)19'174 (55,7 %)48,9 %
Kanton Zürich Zürich153'794 (39,3 %)237'379 (60,7 %)47,0 %
Eidgenössisches Wappen Schweizerische Eidgenossenschaft804'730 (36,2 %)1'415'249 (63,8 %)44,8 %

Einzelnachweise

  1. Gemäss Artikel 8, Absatz 2 der Bundesverfassung:
    Niemand darf diskriminiert werden, namentlich nicht wegen der Herkunft, der Rasse, des Geschlechts, des Alters, der Sprache, der sozialen Stellung, der Lebensform, der religiösen, weltanschaulichen oder politischen Überzeugung oder wegen einer körperlichen, geistigen oder psychischen Behinderung.
  2. relevancy.bger.ch: Bundesgerichtsurteil 129 I 217 (Zugriff am 2. Mai 2008)
  3. svp.ch: Pressemitteilung Demokratische Entscheide statt Masseneinbürgerungen! (Memento vom 24. Oktober 2007 im Internet Archive) (Zugriff am 2. Mai 2008)
  4. einbuergerungen.ch: Argumentarium (Memento vom 28. April 2008 im Internet Archive) (Zugriff am 2. Mai 2008)
  5. einbuergerungen.ch: Niemand bürgert mehr ein als die Schweiz@1@2Vorlage:Toter Link/www.einbuergerungen.ch (Seite nicht mehr abrufbar, Suche in Webarchiven Info: Der Link wurde automatisch als defekt markiert. Bitte prüfe den Link gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis. (Zugriff am 2. Mai 2008)
  6. einbuergerungen.ch: Die meisten kommen aus dem Balkan@1@2Vorlage:Toter Link/www.einbuergerungen.ch (Seite nicht mehr abrufbar, Suche in Webarchiven Info: Der Link wurde automatisch als defekt markiert. Bitte prüfe den Link gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis. (Zugriff am 2. Mai 2008)
  7. admin.ch: Wortlaut der Volksinitiative (Zugriff am 2. Mai 2008)
  8. admin.ch: Vorprüfung zur Volksinitiative (Zugriff am 2. Mai 2008; PDF; 96 kB)
  9. admin.ch: Zustandekommen der Initiative (Zugriff am 2. Mai 2008; PDF; 482 kB)
  10. admin.ch: Bundesbeschluss über die Initiative (Zugriff am 2. Mai 2008; PDF; 476 kB)
  11. ejpd.admin.ch: Bundesrat lehnt Volksinitiative "für demokratische Einbürgerungen" ab (Memento vom 16. Juni 2008 im Internet Archive) (Zugriff am 2. Mai 2008)
  12. parlament.ch: Schlussabstimmung vom 5. Oktober 2007 (Nationalrat) (Zugriff am 2. Mai 2008)
  13. parlament.ch: Schlussabstimmung vom 5. Oktober 2007 (Ständerat) (Zugriff am 2. Mai 2008)
  14. parlament.ch: Abstimmungsparolen zur Volksinitiative@1@2Vorlage:Toter Link/www.parlament.ch (Seite nicht mehr abrufbar, Suche in Webarchiven Info: Der Link wurde automatisch als defekt markiert. Bitte prüfe den Link gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis. (Zugriff am 31. Mai 2008)
  15. juso.ch: Möchtest du Opfer von WILLKÜR werden? (Zugriff am 2. Mai 2008)
  16. sp-ps.ch: Nein zur Einbürgerungs-Lotterie (Zugriff am 2. Mai 2008)
  17. cvp.ch: Der Verfassung wieder zu mehr Respekt verhelfen: Nein zur Einbürgerungsinitiative@1@2Vorlage:Toter Link/cvp.ch (Seite nicht mehr abrufbar, Suche in Webarchiven Info: Der Link wurde automatisch als defekt markiert. Bitte prüfe den Link gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis. (Zugriff am 2. Mai 2008)
  18. sosf.ch: 1. Juni 2008: NEIN zu willkürlichen Einbürgerungen! (Memento vom 4. Mai 2008 im Internet Archive) (Zugriff am 2. Mai 2008)
  19. Vorlage Nr. 532, vorläufige amtliche Endergebnisse - Schweizerische Bundeskanzlei, 1. Juni 2008

Weblinks

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