Differenzialgenus

Ein Differenzialgenus liegt vor, wenn in einer Sprache derselbe Wortstamm, also ohne weiteres Affix, in zwei oder mehr Genera flektiert werden kann. Es ist der Spezialfall der Stammflexion für genusbehaftete Wortarten.

Viele romanische Sprachen können belebte Substantive im Maskulinum und im Femininum flektieren, bspw. spanisch amig+a ‚Freundin‘ und amig+o ‚Freund‘, um männliche und weibliche Individuen zu bezeichnen, während der gemeinsame Plural meist maskulin-identisch ist.

Situation im Deutschen

Im Deutschen wird bei Substantiven das meist maskuline Grundwort hingegen moviert, z. B. Freund+in, dafür flektieren Adjektive, Artikel und Pronomen in allen drei Genera, wobei sie zum Teil formidentisch sind.

Flexion der Begleiter in einer Nominalphrase im Deutschen: Maskulinum:Neutrum:Femininum:Plural[1]
KasusArtikelAdjektive
unbestimmter Artikelbestimmter Artikelstarke Flexionschwache Flexion
MNFPlMNFPlMNFPlMNFPl
Direkte KasusNomein Rockein Kleideine HoseRöcke/
Kleider/
Hosen
der Rockdas Kleiddie Hosedie Röcke/
Kleider/
Hosen
heißer Kaffeeheißes Wasserheiße Milchheiße Getränkeder heiße Kaffeedas heiße Wasserdie heiße Milchder heißen Getränke
Akkfür einen Rockfür ein Kleidfür eine Hosefür Röcke/
Kleider/
Hosen
für den Rockfür das Kleidfür die Hosefür die Röcke/
Kleider/
Hosen
für heißen Kaffeefür heißes Wasserfür heiße Milchfür heiße Getränkefür den heißen Kaffeefür das heiße Wasserfür die heiße Milchfür die heißen Getränke
Oblique KasusDatmit einem Rock(e)mit einem Kleid(e)mit einer Hosemit Röcken/
Kleidern/
Hosen
mit dem Rock(e)mit dem Kleid(e)mit der Hosemit den Röcken/
Kleidern/
Hosen
mit heißem Kaffeemit heißem Wassermit heißer Milchmit heißen Getränkenmit dem heißen Kaffeemit dem heißen Wassermit der heißen Milchmit den heißen Getränken
Genwegen eines Rock(e)swegen eines Kleid(e)swegen einer Hosewegen Röcken/
Kleidern/
Hosen
wegen des Rock(e)swegen des Kleid(e)swegen der Hosewegen der Röcke/
Kleider/
Hosen
wegen heißen Kaffeeswegen heißen Wasserswegen heißer Milchwegen heißer Getränkewegen des heißen Kaffeeswegen des heißen Wasserswegen der heißen Milchwegen den heißen Getränke
entsprechend:Possessivpronomen (mein, dein, sein, ihr, …), Indefinitpronomen (kein [Plural möglich, dort starke adjektivische Flexion])Demonstrativpronomen (dieser, jener), Relativ, Interrogativpronomen (welcher [auch starke adjektivische Flexion möglich])Demonstrativpronomen (solcher), Indefinitpronomen (mancher, vieler, sämtlicher)

Feministische Sprachkritik

Die Feministische Linguistik kritisiert das Fehlen eines nominalen Differenzialgenus im Deutschen als sprachsystematische Diskriminierung von Frauen. Die geschlechtergerechte Sprache bevorzugt daher zur Gleichbehandlung der Geschlechter die Neutralisierung des Geschlechtlichen, beispielsweise durch die Verwendung substantivierter Partizipien oder Adjektive – diese sind im Plural immer geschlechtsabstrahierend (der/die Studierende statt der Student/die Studentin; die Abgeordneten); nur im unbestimmten Singular zeigt sich die Maskulinform (ein Studierender, ein Abgeordneter).[2]

Einzelnachweise

  1. nach Eisenberg (2006): Grundriss der Deutschen Sprache. Band 1: Das Wort
  2. Daniel Elmiger: Von Dozierenden und Emeritierenden: substantivierte Partizip-I-Formen im heutigen Deutsch. In: Revue Tranel (Travaux neuchâtelois de linguistique). Band 55, 2011, S. 163–179, hier S. 164 (Universität Genf; PDF: 1 MB, 17 Seiten auf ac.uk).