Deutsches Volksliedarchiv

Magazingebäude des Deutschen Volksliedarchivs in der Rosastraße 17 in Freiburg im Breisgau

Das Deutsche Volksliedarchiv wurde 1914 gegründet und ist im Februar 2014 in das Zentrum für Populäre Kultur und Musik integriert worden und damit Teil der Universität Freiburg geworden. Der traditionsreiche Name Deutsches Volksliedarchiv bezeichnet seitdem die umfangreichen Sammlungen zum Volkslied, zum traditionellen und populären Lied, die in dem neugeschaffenen Zentrum weiter gepflegt und ausgebaut werden und uneingeschränkt öffentlich zugänglich sind. Vor 2014 war das Deutsche Volksliedarchiv ein selbständiges wissenschaftliches Forschungsinstitut des Landes Baden-Württemberg in Freiburg im Breisgau.

Geschichte

Die Einrichtung wurde 1914 von dem Germanisten und Volkskundler John Meier (1864–1953) gegründet.[1]

Historischer Anlass zur Einrichtung dieses Archivs war das Bedürfnis, Volkslieder zu sammeln, zu dokumentieren und in einer wissenschaftlichen Gesamtausgabe herauszugeben (für die Balladen zwischen 1935 und 1996 verwirklicht).

John Meiers volkskundliches und germanistisches Unternehmen war damals wissenschaftlich modern, insbesondere der Rekurs auf damals noch neuartige empirische Methoden (aktive Sammeltätigkeit).[2] Grundiert wurde es allerdings von nationalen und volkspädagogischen Bemühungen, so sollte den durch die Moderne entwurzelten Menschen das Kulturerbe der Vorfahren wiedergegeben werden. Zeitgenössische Unterhaltungsmusik (Operette, Schlager) lehnte Meier ab, wurde aber im Rahmen der Theorie vom „Kunstlied im Volksmund“ dennoch gesammelt.[3] In der Zeit des Nationalsozialismus und des Zweiten Weltkrieges setzte das Deutsche Volksliedarchiv seine Sammel-, Dokumentations- und Editionstätigkeit fort. Ideologisch wurden die bereits 1914 angelegten nationalen und volkspädagogischen Akzente verstärkt, rassistische oder antisemitische Töne wurden jedoch von Meier nicht angeschlagen. Während des Krieges gab es Bemühungen, das Archiv in die Universität Freiburg einzugliedern, allerdings wurde dieser Schritt nicht vollzogen.

Nach dem Tod des Archivgründers wurde das Institut 1953 vom Land Baden-Württemberg als Forschungseinrichtung (mit den Sammlungen und einer Fachbibliothek) übernommen. Rechtsgrundlage war ein Schenkungsvertrag: Meier hatte dem Land seine wissenschaftliche Bibliothek und die Sammlungen überlassen, während das Institutsgebäude – das ehemalige Wohnhaus Meiers – vom Land Baden-Württemberg angekauft und dem Archiv bis zum Jahr 2011 überlassen wurde.

Seit den 1960er Jahren wurde das wissenschaftliche Spektrum erweitert, sowohl in Bezug auf die Materialbasis als auch im Hinblick auf die Forschungsfragen. Insbesondere rückten das politische Lied und die Liedermacher-Szene in den wissenschaftlichen Fokus. Eine neuerliche und umfassende Modernisierung wurde in den 2000er Jahren[4] umgesetzt, vor allem durch Einbeziehung der musikalischen Gegenwartskultur und die Zuwendung zu medialen Fragestellungen. Zeitgleich wurden neue Publikationen herausgebracht: Die beiden online-basierten Lexika Historisch-kritisches Liederlexikon (2005 ff.) sowie das Songlexikon. Encyclopedia of songs (2011 ff.).[5] Neugegründet wurde zugleich die Reihe Populäre Kultur und Musik (hrsg. von Michael Fischer und Nils Grosch), welche die ältere Reihe Volksliedstudien ergänzt und erweitert.[6]

2010 wurde das Deutsche Musicalarchiv (als rechtlich unselbständige Einheit des Deutschen Volksliedarchivs) gegründet, um eine Forschungsgrundlage für das populäre Musiktheater bereitzustellen; seine Arbeit wird durch einen Freundeskreis der Freunde und Förderer unterstützt. Im Aufbau befindet sich ein Internationales Popmusikarchiv. 2011 wurde das Institut durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft als „herausragende Forschungsbibliothek“ ausgezeichnet und der Aufbau eines „Popmusikarchivs“ finanziell gefördert.

Zum Jahreswechsel 2011/12 bezog das Forschungsinstitut neue Räume mit einer Fläche von 1.000 Quadratmetern (bisher standen im ehemaligen Wohnhaus Meiers lediglich 400 m² zur Verfügung) und neuer Ausstattung in der Rosastraße in Freiburg.[7] Neuerdings werden diese Räume durch ein separates Außenmagazin ergänzt.

Bis zum Jahr 2014 handelte es sich formal um eine „nachgeordnete Behörde des Landes zum Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst“.[8] Im März 2014 wurde vom Wissenschaftsministerium beschlossen, das Deutsche Volksliedarchiv in die Universität Freiburg zu integrieren. Als Zentrum für Populäre Kultur und Musik setzt es dort seine Arbeit auf dem Gebiet der populären Musik fort.[9]

Sammlungen, Dokumentation und Bibliothek

Das Archiv verfügt über umfangreiche historische und aktuelle Materialsammlungen zum populären Lied und zur populären Musik, insbesondere ca. 250.000 Liedbelege, deren Kernbestand durch eine in allen deutschsprachigen Landschaften durchgeführte Sammelaktion (1912 bis 1930) zusammengetragen wurde. Allein 3.000 Belege stammen aus dem Ersten Weltkrieg. Das Zentrum beherbergt daneben eine Reihe von Spezialsammlungen, etwa zu Soldatenliedern, zur Arbeitermusikkultur oder zu einzelnen Liedmedien (Liedflugschriften, handschriftliche und gedruckte Liederbücher). Mittlerweile gibt es eine umfangreiche Tonträger-Kollektion, etwa 20.000 Singles mit populärer Musik sowie eine einzigartige Musikalien-Leihbibliothek aus dem 19. Jahrhundert mit etwa 10.000 Einheiten. Die Sammlungen stehen seit 2013 unter Denkmalschutz.

Seit 2021 sind Noten und Liedtexte von fast 200 000 deutschen Volksliedern aus der Zeit von 1914 bis 1959 in digitaler Form kostenfrei von der Webseite (siehe unten) abrufbar.[10]

Langjährige Bibliotheksmitarbeiterin Barbara Boock

Die Bibliothekarin und Liedforscherin Barbara Boock war von 19722013 beim Deutschen Volksliedarchiv beschäftigt. Sie nahm viele Sammlungen und Erwerbungen im Volksliedarchiv auf, prägte es als Ort wissenschaftlicher Begegnung und initiierte und unterstützte viele Forschungsprojekte. Sie war am Aufbau des Historisch-kritischen Liederlexikons beteiligt und von 2001 bis 2012 Vorstandsmitglied der Kommission für Volksdichtung (SIEF). Die Ergebnisse ihrer Recherchen veröffentlichte Boock in drei Büchern und über 20 Aufsätzen, die Bibliographie der deutschsprachigen Kinderliederbücher 1770–2000 gilt als Referenzwerk.

Siehe auch

Literatur

  • Michael Fischer: Flugschrift und Volkslied. Zur Sammlungs- und Bestandsgeschichte im Deutschen Volksliedarchiv. In: Albrecht Classen, Michael Fischer, Nils Grosch (Hrsg.): Kultur- und kommunikationshistorischer Wandel des Liedes im 16. Jahrhundert. Waxmann, Münster 2012 (Populäre Kultur und Musik; 3), ISBN 978-3-8309-2641-2, S. 57–71.
  • Michael Fischer: 100 Jahre Deutsches Volksliedarchiv – Gründung des Zentrums für Populäre Kultur und Musik. In: Lied und Populäre Kultur / Song and Popular Culture. Jahrbuch des Zentrums für Populäre Kultur und Musik 59 (2014), S. 9–18. Online abrufbar unter: Digitalisat.
  • Michael Fischer: Jedes Deutschen Ehrenpflicht. Die Sammeltätigkeit des Deutschen Volksliedarchivs als patriotische Aufgabe. In: Julia Freifrau Hiller von Gaertringen (Hrsg.): Kriegssammlungen 1914–1918. Klostermann, Frankfurt a. M. 2014 (Zeitschrift für Bibliothekswesen und Bibliographie, Sonderbände; 114), ISBN 978-3-465-04215-0, S. 217–226.
  • Michael Fischer: Rekonstruktion und Dekonstruktion. Die Edition „Deutsche Volkslieder mit ihren Melodien“ (1935–1996) und die Online-Publikation „Populäre und traditionelle Lieder. Historisch-kritisches Liederlexikon“ (2005 ff.). In: Lied und populäre Kultur / Song and Popular Culture. Jahrbuch des Deutschen Volksliedarchivs, 54 (2009), S. 33–61.
  • Otto Holzapfel: Das Deutsche Volksliedarchiv Freiburg i. Br. Lang, Bern 1989 (Studien zur Volksliedforschung; [N.F.] 3), ISBN 3-261-03947-7.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Zur Geschichte des Deutschen Volksliedarchivs bis 1945 vgl. Otto Holzapfel: Das Deutsche Volksliedarchiv Freiburg i. Br. Bern 1989 (2. Aufl. 1993).
  2. Vgl. hierzu: Waltraud Linder-Beroud: Von der Schriftlichkeit zur Mündlichkeit? Untersuchungen zur Interdependenz von Individualdichtung und Kollektivlied. Frankfurt 1989, S. 59–71.
  3. Vgl. John Meier: Kunstlieder im Volksmunde. Materialien und Untersuchungen. Halle 1906, Neudruck Hildesheim 1976.
  4. Zu den ersten Versuchen einer Modernisierung in den späten 1990er Jahren vgl. Otto Holzapfel: Mündliche Überlieferung und Literaturwissenschaften. Münster 2002, S. 85–92.
  5. Zur neueren Volkslieddebatte im Zusammenhang mit dem Deutschen Volksliedarchiv vgl. den Beitrag von Tilman Spreckelsen: Gute Menschen haben Lieder. In: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, Frankfurt, 20. Mai 2012, S. 57.
  6. Zur neueren Entwicklung des Deutschen Volksliedarchivs vgl. Otto Schneckenburger: „Wir sind kein Museum für Volkslieder“. Jetzt auch mit Popmusik und erheblich größer: Das Deutsche Volksliedarchiv ist in Bewegung. In: Der Sonntag, Freiburg, 26. Februar 2012, S. 3.
  7. Julia Littmann: Aus der Villa in die Moderne In: badische-zeitung.de, Lokales, Freiburg, 14. Dezember 2011 (20. Dezember 2011).
  8. Volksliedarchiv: Altes Haus in Silberbachstraße wird verkauft, Julia Litmann, Badische Zeitung, 2. März 2012, abgerufen am 6. März 2012.
  9. Zentrum für populäre Kultur und Musik. Abgerufen am 2. August 2014.
  10. KNA: Volksliedarchiv online abrufbar. Badische Zeitung, 19. Januar 2021, abgerufen am 28. Januar 2021.

Koordinaten: 47° 59′ 54,1″ N, 7° 50′ 41,9″ O

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Autor/Urheber: Andreas Schwarzkopf, Lizenz: CC BY-SA 3.0
Rosastraße 17 in Freiburg, Sitz des Deutschen Volksliedarchivs