Desinformation

Desinformation (Zusammensetzung[1] aus des- lat. dē‑ „ab-, weg-, fort-, herab-“[2] und Information von lat. īnformātio „Auskunft, Benachrichtigung“ bzw. īnformāre „bilden, befähigen, unterrichten“[3]) wird das gezielte Verbreiten von Informationen genannt, dessen Ziel ist, die Gesellschaft, einzelne Gruppen oder Einzelpersonen im Sinne politischer oder wirtschaftlicher Interessen zu täuschen.[4] Selten bezeichnet „Desinformation“ auch die beschriebene (als Täuschungsversuch betrachtete) Falschinformation selbst (beispielsweise „schädliche Desinformationen verbreiten“).[5] Die dazu übermittelte Information ist nicht nur nach objektiven Maßstäben unwahr, sondern wird vom Urheber bewusst zum Zweck der Täuschung in die Welt gesetzt.[6] Die Desinformation kann etwa über Massenmedien verbreitet werden, wobei man auch von Medienmanipulation spricht. Die Desinformation ist entweder direkte Lüge oder besteht indirekt aus subtiler Unterdrückung, Verschweigen oder Ablenken von überprüften Fakten.

In zahlreichen Gebieten von Politik und Wirtschaft werden Desinformationen gezielt eingesetzt. So besitzen viele Geheimdienste eigene Abteilungen für die Fälschung und Verbreitung von Informationen. Im militärischen Bereich werden Desinformationen zur Täuschung des Gegners eingesetzt, etwa um ihn durch falsche Informationen über eigene Truppenstärken oder deren räumliche Verteilung zu fehlerhaften Entscheidungen zu leiten. Verbraucher werden durch Verbreitung von Gerüchten oder öffentlich zugängliche falsche Informationen dahingehend beeinflusst, Produkte eines Mitbewerbers nicht zu kaufen.

2024 kam der Weltrisikobericht des World Economic Forum, für den rund 1500 Experten befragt wurden, zum Ergebnis, dass über den Zeitraum von zwei Jahren betrachtet Desinformation und Falschinformationen noch vor dem Klimawandel das größte globale Risiko für die Gesellschaft darstelle.[7]

Verursacher und Ziele von Desinformation

Desinformation kann in der Öffentlichkeitsarbeit von staatlichen Stellen (z. B. Geheimdienst oder Militär), von politischen Parteien und Gruppen, von Lobbygruppen oder von Einzelpersonen vorkommen. Ziel ist Täuschung der Bevölkerung, Stimmungsmache oder Verwirrung des Gegners.

Am 11. Januar 1923 beschloss das Politbüro des ZK der KPR(B) ein unter der Leitung des sowjetischen Staatssicherheitsdienstes GPU stehendes Büro für Desinformation einzurichten. Hierbei entstand ein Konflikt mit dem sowjetischen Außenministerium, das bereits die Kompetenz für Desinformationskampagnen für sich beanspruchte.[8]

Der russische Generalstabschef Waleri Wassiljewitsch Gerassimow schrieb im Februar 2013 in einem Essay für die Wochenzeitung Woenno-Promyschlennyi Kur’er („Militärisch-Industrieller Kurier“): „Kriege werden nicht mehr erklärt, und wenn sie einmal begonnen haben, verlaufen sie nach einem ungewohnten Muster.“ Nicht-militärische Mittel seien bedeutender denn je, in bestimmten Fällen sogar bedeutender als Waffen. Als nicht-militärische Mittel nannte Gerassimow explizit die Kommunikation. Kriege gewinne nicht, wer mehr Waffen besitzt. Kriege gewinne, wer die Informationen steuert.[9]

Beispiele

Als gängige Beispiele für Desinformation gelten unter anderem:

  • die Operation Bodyguard, die den geplanten Ort der Operation Neptune verschleiern sollte. Neben anderen Desinformationen verbreiteten die Alliierten trügerische Funksprüche und Militärberichte, um die NS-Führung davon zu überzeugen, dass eine große Streitmacht in Ostanglien bereit war, Calais und nicht die Normandie anzugreifen.[10]
  • parteiischer Scheinjournalismus, beispielsweise im Zuge rechtspopulistischer Bewegungen wie Pegida.[10] Diese Art von Scheinjournalismus wird teils staatlich gefördert, siehe z. B. staatliche Nachrichtenportale wie Russlands Sputnik sowie die Operation Mockingbird der Vereinigten Staaten.[11][12]
  • die Verbreitung von Desinformation, um Wahlen in anderen Ländern zu beeinflussen. Der Wissenschaftler Dov H. Levin nennt hier vor allem die Verbreitung von Desinformation durch die Vereinigten Staaten und Russland.[13]
  • die Manipulation sozialer Medien durch Bots und digitale Astroturfing-Kampagnen.[14] Untersuchungen des Oxford Computational Propaganda Project aus dem Jahre 2017 ergaben, dass diese Art der Desinformationsverbreitung von mindestens 28 Staaten betrieben wird.[15]
  • die Verbreitung von Desinformation, um politische Gegner zu diskreditieren oder in Verruf zu bringen. Nach aktuellem Forschungsstand wird diese Art von Desinformation „von den meisten größeren Staatsmächten“ verbreitet.[16] Gängige Beispiele sind die Behauptung der Sowjetunion, AIDS sei eine Biowaffe der CIA sowie die Behauptung der USA, der Irak sei im Besitz von Massenvernichtungswaffen, die unter anderem als Vorwand für den Irakkrieg verwendet wurde.[16][17]
  • die Kampagne zur Beeinflussung junger schwarzer Wähler der Maga-Bewegung in den Vereinigten Staaten auch unter Verwendung von Propaganda aus Russland, die im September 2024 in den Vorgängen in Folge des Angeblichen Verzehrs von Haustieren durch Migranten aus Haiti (Haitianische Diaspora) in Springfield (Ohio)[18] gipfelte und unter anderem zahlreiche Bombendrohung gegen staatliche Einrichtungen wie Schulen zur Folge hatte.[19]

Auch auf Wikipedia können Desinformationen verbreitet werden. Als bekanntes Beispiel im englischsprachigen Raum gilt der englische Wikipedia-Eintrag des Journalisten John Seigenthaler, in welchem zeitweise behauptet wurde, er sei „direkt in das Kennedy-Attentat verwickelt“ gewesen.[10]

Probleme in der Definition und Erfassung

Die Einordnung der Information als Desinformation ist bezüglich vieler interpretativer Sachverhalte stark abhängig vom jeweiligen sozio-kulturellen Kontext, was eine automatisierte Detektion in Internet und sozialen Netzwerken erschwert. Laut Alexander Schindler, leitender Forscher am Austrian Institute of Technology, handelt es sich um ein schwaches Konzept: „Desinformation ist kaum definierbar. Die Definition ist von so vielen Faktoren abhängig, zum Beispiel politischen oder religiösen Ansichten, dass eine einheitliche oder standardisierte Kennzeichnung kaum möglich ist.“[20]

Auch können wahre Informationen unter dem Begriff Desinformation fallen, sofern sie selektiv Tatsachen hervorheben (Cherry Picking) oder in einen gewünschten Kontext setzen (Framing). Die Definition dessen, was Desinformation ist, ist in solchen Fällen daher subjektiv.

Abgrenzung zu verwandten Konzepten

Desinformation und Propaganda

Desinformation unterscheidet sich vom benachbarten Begriff Propaganda, also der gezielten und einseitigen Kommunikation zur Verfolgung eines bestimmten Ziels von Kommunikatoren. Im weiteren Sinne ist Desinformation auch die gezielte Überversorgung mit – aus der Rezipientenperspektive – nutzlosen Informationen, welche die wichtigen Informationen überdecken sollen. Im Gegensatz zu Desinformation muss Propaganda nicht Falschinformation enthalten.[21]

Desinformation und Fehlinformation

Desinformation und Fehlinformation (auch Falschinformation) sind nicht dasselbe. Eine Fehlinformation ist eine unrichtige oder irreführende Information.[22] Diese wird im Gegensatz zu Desinformation ohne manipulativen Hintergrund weitergegeben. Bei einer Desinformation handelt es sich hingegen um eine bewusste Täuschung, bei der Fehlinformation wird die unwahre Information unabsichtlich verbreitet.[23]

Siehe auch

Literatur

Commons: Desinformation – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien
Wiktionary: Desinformation – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen

Einzelnachweise

  1. Desinformation, die. DWDS – Digitales Wörterbuch der deutschen Sprache, abgerufen am 10. März 2021.
  2. Wolfgang Pfeifer: de-. In: Etymologisches Wörterbuch. DWDS – Digitales Wörterbuch der deutschen Sprache, abgerufen am 10. März 2021.
  3. Wolfgang Pfeifer: Information, f. In: Etymologisches Wörterbuch. DWDS – Digitales Wörterbuch der deutschen Sprache, abgerufen am 10. März 2021.
  4. Desinformation 1. Bedeutung. DWDS – Digitales Wörterbuch der deutschen Sprache, abgerufen am 10. März 2021.
  5. Desinformation 2. Bedeutung. DWDS – Digitales Wörterbuch der deutschen Sprache, abgerufen am 10. März 2021.
  6. Brandon Michael Henry, Giuseppe Lippi et al.: Was ist Desinformation? Betrachtungen aus sechs wissenschaftlichen Perspektiven. (medienanstalt-nrw.de [PDF]).
  7. Kathrin Hondl: Größtes globales Risiko: Desinformation. In: Tagesschau.de. 10. Januar 2024, abgerufen am 22. September 2024.
  8. В.Н. Хаустов, В.П. Наумов, Н.С. Плотникова: Лубянка. Сталин и ВЧК—ГПУ—ОГПУ—НКВД. Архив Сталина. Документы высших органов партийной и государственной власти. Январь 1922 — декабрь 1936. Hrsg.: Internationale Stiftung „Demokratie“ - Fond „Alexander N. Jakowlew“ (= Rossija XX vek: Dokumenty). Moskau 2003, ISBN 5-85646-087-1, S. 73–74 (Titel ungefähr übersetzt: Lubjanka. Stalin und die [sowjetische Staatsicherheit] (WeTscheKa-GPU-OGPU-NKWD). Stalins [persönliches] Archiv. Dokumente der höchsten Parteiorgane und Staatsbehörden. Januar 1922 — Dezember 1936.).
  9. Patrick Beuth, Marc Brost, Peter Dausend, Steffen Dobbert, Götz Hamann: Krieg ohne Blut. In: Die Zeit. Nr. 9/2017 (zeit.de).
  10. a b c Don Fallis: What Is Disinformation? In: Library Trends. Band 63, Nr. 3, 2015, ISSN 1559-0682, S. 401–426, doi:10.1353/lib.2015.0014 (amerikanisches Englisch, jhu.edu [abgerufen am 12. März 2021]).
  11. Mariia Zhdanova & Dariya Orlova: Ukraine. In: Samuel C. Woolley & Philip N. Howard (Hrsg.): Computational Propaganda: Political Parties, Politicians, and Political Manipulation on Social Media. Oxford University Press, Oxford, England 2019, ISBN 978-0-19-093140-7, S. 44 ff. (amerikanisches Englisch).
  12. Oliver Boyd-Barrett: Media Imperialism. SAGE, Thousand-Oaks, CA 2015, ISBN 978-1-4462-6870-4, S. 23 (amerikanisches Englisch).
  13. Dov H. Levin: Partisan electoral interventions by the great powers: Introducing the PEIG Dataset. In: Conflict Management and Peace Science. Band 36, Nr. 1, Januar 2019, ISSN 0738-8942, S. 88–106, doi:10.1177/0738894216661190 (amerikanisches Englisch, sagepub.com [abgerufen am 12. März 2021]).
  14. Alice Marwick & Rebecca Lewis: Media Manipulation and Disinformation Online. Data & Society Research Institute, New York City, NY 15. Mai 2017, S. 33 ff. (amerikanisches Englisch).
  15. Samantha Bradshaw & Philip N. Howard: Troops, Trolls and Troublemakers: A Global Inventory of Organized Social Media Manipulation. University of Oxford, Oxford, England 2017, S. 4 ff. (amerikanisches Englisch).
  16. a b Garth S. Jowett & Victoria O’Donnell: Propaganda & Persuasion. 6. Auflage. SAGE, Thousand Oaks, CA 2015, ISBN 978-1-4522-5753-2, S. 29 (amerikanisches Englisch).
  17. Volker Foertsch, Susanne Meinl: Desinformation durch Geheimdienste: Eine untaugliche Waffe des Kalten Krieges wiederbelebt? In: Zeitschrift für Außen- und Sicherheitspolitik. Band 9, Nr. 4, Oktober 2016, ISSN 1866-2188, S. 489–501, doi:10.1007/s12399-016-0587-8 (springer.com [abgerufen am 16. März 2021]).
  18. Layla Ferris: Trump, JD Vance repeat baseless claim Haitian immigrants are eating pets as Ohio officials say there is no evidence. In: CBS News. 11. September 2024, abgerufen am 16. September 2024 (englisch).
  19. Nils Metzger: Desinformation für junge Männer - Wie Fake News Schwarze US-Wähler beeinflussen. Junge Schwarze Männer in den USA wenden sich vermehrt von den Demokraten ab. Rechte Influencer kämpfen für den "Blexit" Schwarzer Wähler, befeuert von russischer Desinformation. In: heute.de. 20. September 2024, abgerufen am 21. September 2024.
  20. Marleen Wiegmann: Die rettende Lösung gegen Desinformation? Klimawandel, Corona und der Krieg in der Ukraine - die Menge an Desinformation nimmt mit jeder Krise zu. Künstliche Intelligenz könnte eine Lösung sein, um damit umzugehen. Doch sie hat einen entscheidenden Knackpunkt. In: Tagesschau. Abgerufen am 22. September 2024.
  21. ANDREAS JUNGHERR: DESINFORMATION: KONZEPTE, IDENTIFIKATION, REICHWEITE UND EFFEKTE. In: Landesanstalt für Medien NRW (Hrsg.): Was ist Desinformation? Betrachtungen aus sechs wissenschaftlichen Perspektiven. Düsseldorf 6. März 2020, S. 24 (medienanstalt-nrw.de [PDF]).
  22. David M. J. Lazer, Matthew A. Baum, Yochai Benkler, Adam J. Berinsky, Kelly M. Greenhill, Filippo Menczer, Miriam J. Metzger, Brendan Nyhan, Gordon Pennycook, David Rothschild, Michael Schudson, Steven A. Sloman, Cass R. Sunstein, Emily A. Thorson, Duncan J. Watts, Jonathan L. Zittrain: The science of fake news: Addressing fake news requires a multidisciplinary effort. In: Science. Band 359, Nr. 6380, 2018, S. 1094–1096, doi:10.1126/science.aao2998.
  23. Edson C. Tandoc Jr., Zheng Wei Lim, Richard Ling: Defining “Fake News”. A typology of scholarly definitions. In: Digital Journalism. Band 6, Nr. 2, 2017, S. 137–153, doi:10.1080/21670811.2017.1360143.