Depot I von Dieskau

Vier der fünf erhaltenen Gegenstände aus dem Goldhort von Dieskau (der Armreif unten links ist doppelt vorhanden)

Das Depot I von Dieskau (auch Hortfund I von Dieskau oder Goldhort von Dieskau) ist vermutlich ein Depotfund der frühbronzezeitlichen Aunjetitzer Kultur aus Dieskau, einem Ortsteil der Gemeinde Kabelsketal im Saalekreis (Sachsen-Anhalt). Es datiert in die Zeit zwischen 2000 und 1700 v. Chr. Möglicherweise handelte es sich auch um Grabbeigaben.

Fundgeschichte

Das Depot wurde vermutlich 1874 auf dem Rittergut Dieskau entdeckt. Nach Angaben des damaligen Besitzers Curt von Bülow wurde es im Flurstück „das saure Loch“ bei Drainagearbeiten von einem Arbeiter gefunden und unterschlagen. Der Arbeiter verkaufte die Fundstücke zunächst für einen geringen Preis an einen Trödler aus Schkeuditz und dieser verkaufte sie wiederum an den Juwelier F. F. Jost aus Leipzig. Von Bülow, der erst später von der Sache Kenntnis erhielt, verlangte von Jost eine Entschädigung. Jost behauptete, alle Gegenstände eingeschmolzen zu haben. Von Bülow brachte aber 1880 in Erfahrung, dass Jost von den 13 angekauften Stücken, für die er nach eigenen Angaben 3000 Mark bezahlt hatte, fünf an das Museum für Vor- und Frühgeschichte in Berlin weiter verkauft und dafür 800 Taler (2400 Mark) erhalten hatte. Von den übrigen acht Stücken behauptete Jost weiterhin, sie eingeschmolzen zu haben. Ob dies der Wahrheit entspricht oder ob sie anderweitig veräußert wurden, lässt sich nicht mehr feststellen.[1]

Seit 1945 befinden sich die fünf erhaltenen Stücke als Beutekunst im Puschkin-Museum in Moskau. Im Landesmuseum für Vorgeschichte in Halle (Saale) sind originalgetreue Kopien der erhaltenen Gegenstände ausgestellt. Sie wurden vom 21. September 2018 bis 6. Januar 2019 im Martin-Gropius-Bau in Berlin in der Ausstellung Bewegte Zeiten. Archäologie in Deutschland gezeigt, die aus Anlass des Europäischen Kulturerbejahres 2018 stattfand.

Bereits 1980 wurde die Möglichkeit erwogen, dass es sich nicht um ein Depot, sondern um ein Ensemble von Grabbeigaben handeln könnte. Berthold Schmidt und Waldemar Nitzschke brachten die Gegenstände mit dem von ihnen in einer Notgrabung untersuchten Grabhügel von Dieskau in Verbindung.[2] Aufgrund einer fehlerhaften Lokalisierung der Fundstelle erscheint diese Hypothese mittlerweile jedoch unwahrscheinlich. Nach einer neueren Überlegung könnte es sich nach Harald Meller und Torsten Schunke auch um Grabbeigaben aus dem im 19. Jahrhundert zerstörten Grabhügel Bornhöck bei Raßnitz handeln, der in Sichtweite des vermeintlichen Fundplatzes der Goldgegenstände lag.[3]

Die Gegend um Dieskau ist äußerst reich an Funden der Aunjetitzer Kultur. An anderen Stellen des Ortes wurden 1904 und 1937 zwei weitere bedeutende Hortfunde (Depot II und Depot III) mit Gegenständen aus Bronze und Bernstein entdeckt. Außerdem befinden sich hier neben den oben genannten noch weitere (im 19. Jahrhundert weitgehend abgetragene) Grabhügel, darunter bspw. der Hallberg zwischen Benndorf und Osmünde.

Zusammensetzung

Das Depot bestand gemäß Curt von Bülow ursprünglich aus 13 Gegenständen mit einem Gesamtgewicht von vier preußischen Pfund (1868 g).[4] Es handelt sich damit um den größten bekannten Goldhort der mitteldeutschen Frühbronzezeit.

Die fünf vom Museum für Vor- und Frühgeschichte in Berlin angekauften Gegenstände haben ein Gesamtgewicht von 635,5 g. Vier bestehen aus Gold: eine Beilklinge, zwei Armbänder und ein Armring; hinzu kommt ein Ösenhalsring aus Elektron.

Über die anderen acht Gegenstände liegen keine genaueren Informationen vor. Laut einem Akteneintrag könnte es sich unter anderem um Golddraht gehandelt haben. Sollte es sich tatsächlich um Grabbeigaben aus dem Bornhöck handeln, bietet sich ein Vergleich mit den Beigaben aus dem Fürstengrab von Leubingen und dem Fürstengrab von Helmsdorf an, die einander sehr ähnlich sind und ein recht striktes Muster bei den Grabausstattungen der Aunjetitzer Kultur erkennen lassen. Harald Meller und Kai Michel halten es aufgrund dieser Vergleichsbasis für denkbar, dass es sich bei den verlorenen Stücken um ein zweites Beil, zwei Dolche, zwei Ösenkopfnadeln, zwei Noppenringe und eine Spirale gehandelt haben könnte.[5]

Kulturgeschichtlicher Kontext

Die beiden Armbänder haben große Ähnlichkeit mit zwei Stücken aus dem Depot von Minice (Středočeský kraj, Tschechien; heute im Nationalmuseum in Prag).[6] Dieser Depotfund belegt, dass auch im böhmischen Verbreitungsgebiet der Aunjetitzer eine starke gesellschaftliche Hierarchisierung bestand, wenngleich auch von dort keine Fürstengräber bekannt sind.[7]

Zu dem Ösenhalsring aus Elektron existiert ein fast identisches Vergleichsstück aus Byblos (Libanon). Der Ring ist somit ein Beleg für weitreichende Handelsbeziehungen der Aunjetitzer Kultur.[8] Einen weiteren Beleg liefert das Depot von Kyhna (Landkreis Nordsachsen, Sachsen): Zu diesem gehört eine geschlitzte bronzene Lanzenspitze, die große Ähnlichkeit zu Stücken aus der Ägäis aufweist.[9]

Literatur

  • Wilhelm Albert von Brunn: Die Hortfunde der frühen Bronzezeit aus Sachsen-Anhalt, Sachsen und Thüringen (= Schriften der Sektion für Vor- und Frühgeschichte/Deutsche Akademie der Wissenschaften zu Berlin. Band 7/1). Akademie-Verlag, Berlin 1959.
  • Juliane Filipp, Martin Freudenreich: Dieskau Revisited I. Nachforschungen zur »Lebensgeschichte« des Goldhortes von Dieskau und zu einem weiteren Grabhügel mit Goldbeigabe bei Osmünde im heutigen Saalekreis, Sachsen-Anhalt. In: Harald Meller et al. (Hrsg.): Metalle der Macht – Frühes Gold und Silber. 6. Mitteldeutscher Archäologentag vom 17. bis 19. Oktober 2013 in Halle (Saale) (= Tagungen des Landesmuseums für Vorgeschichte Halle. Band 11/II). Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt Halle 2014, ISBN 978-3-944507-13-2, S. 743–752 (Online).
  • Martin Jahn: Ein kultureller Mittelpunkt bei Halle/Saale während der frühen Bronzezeit. In: Jahresschrift für mitteldeutsche Vorgeschichte. Band 34, 1950, S. 81–89.
  • Harald Meller: Fürsten, Goldwaffen und Armeen. Überlegungen zum Goldfund von Dieskau und dessen möglicher Herkunft aus dem frühbronzezeitlichen Großgrabhügel Bornhöck bei Dieskau, Saalekreis. In: Harald Meller, François Bertemes (Hrsg.): Der Aufbruch zu neuen Horizonten. Neue Sichtweisen zur europäischen Frühbronzezeit. Abschlusstagung der Forschergruppe FOR550 vom 26. bis 29. November 2010 in Halle (Saale) (= Tagungen des Landesmuseums für Vorgeschichte Halle. Band 19). Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt, Halle (Saale) 2020, ISBN 978-3-948618-03-2, S. 101–112.
  • Harald Meller, Jan-Heinrich Bunnefeld: Die Herren der Ringe – Frühbronzezeitlicher Ringschmuck als Herrschaftssymbol. In: Harald Meller, Michael Schefzik (Hrsg.): Die Welt der Himmelsscheibe von Nebra – Neue Horizonte. Begleitband zur Sonderausstellung im Landesmuseum für Vorgeschichte Halle (Saale), 4. Juni 2021 bis 9. Januar 2022. wbg Theiss, Darmstadt 2020, ISBN 978-3-8062-4223-2, S. 104–107, 203.
  • Harald Meller (Hrsg.), Regine Maraszek, Juraj Lipták: Bronzerausch. Spätneolithikum und Frühbronzezeit (= Begleithefte zur Dauerausstellung im Landesmuseum für Vorgeschichte Halle Band 4). Landesmuseum für Vorgeschichte, Halle (Saale) 2011, ISBN 978-3-939414-58-2, S. 188–189.
  • Harald Meller, Kai Michel: Die Himmelsscheibe von Nebra. Der Schlüssel zu einer untergegangenen Kultur im Herzen Europas, Ullstein, Berlin 2020, ISBN 978-3-548-06116-0, S. 243–244, 253–269.
  • Harald Meller, Kai Michel: Griff nach den Sternen – Nebra, Stonehenge, Babylon: Reise ins Universum der Himmelsscheibe. Propyläen, Berlin 2021, ISBN 978-3-549-10027-1, S. 75–76, 164.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Harald Meller, Kai Michel: Die Himmelsscheibe von Nebra. Der Schlüssel zu einer untergegangenen Kultur im Herzen Europas. 2020, ISBN 978-3-548-06116-0, S. 255–257.
  2. Bertold Schmidt, Waldemar Nitzschke: Ein frühbronzezeitlicher »Fürstenhügel« bei Dieskau im Saalekreis. Vorbericht. In: Ausgrabungen und Funde. Band 25, 1980, S. 179–183.
  3. Harald Meller, Torsten Schunke: Die Wiederentdeckung des Bornhöck – Ein neuer frühbronzezeitlicher »Fürstengrabhügel« bei Raßnitz, Saalekreis. Erster Vorbericht. In: Harald Meller et al. (Hrsg.): Arm und Reich – Zur Ressourcenverteilung in prähistorischen Gesellschaften. 8. Mitteldeutscher Archäologentag vom 22. bis 24. Oktober 2015 in Halle (Saale) (= Tagungen des Landesmuseums für Vorgeschichte Halle. Band 14/I). Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt Halle 2016, ISBN 978-3-944507-45-3, S. 460 (Online).
  4. Harald Meller, Kai Michel: Die Himmelsscheibe von Nebra. Der Schlüssel zu einer untergegangenen Kultur im Herzen Europas. 2020, ISBN 978-3-548-06116-0, S. 256.
  5. Harald Meller, Kai Michel: Die Himmelsscheibe von Nebra. Der Schlüssel zu einer untergegangenen Kultur im Herzen Europas. 2020, ISBN 978-3-548-06116-0, S. 257.
  6. Václav Moucha: Hortfunde der frühen Bronzezeit in Böhmen. Archeologický ústav AV ČR, Prag 2005, ISBN 80-86124-57-6, S. 130 (Online).
  7. Harald Meller, Jan-Heinrich Bunnefeld: Die Herren der Ringe – Frühbronzezeitlicher Ringschmuck als Herrschaftssymbol. 2020, ISBN 978-3-8062-4223-2, S. 106, 203.
  8. Harald Meller, Jan-Heinrich Bunnefeld: Die Herren der Ringe – Frühbronzezeitlicher Ringschmuck als Herrschaftssymbol. 2020, ISBN 978-3-8062-4223-2, S. 105, 203.
  9. Bernhard F. Steinmann: Kyhna oder Hin und zurück – Zentraleuropa und der Mittelmeerkontakt. In: Harald Meller, Michael Schefzik (Hrsg.): Die Welt der Himmelsscheibe von Nebra – Neue Horizonte. Begleitband zur Sonderausstellung im Landesmuseum für Vorgeschichte Halle (Saale). wbg Theiss, Darmstadt 2020, ISBN 978-3-8062-4223-2, S. 175–177.

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Vier der fünf erhaltenen Gegenstände aus dem Goldhort von Dieskau (der Armreif unten links ist doppelt vorhanden); Museum für Vor- und Frühgeschichte Berlin, seit 1945 als Beutekunst im Puschkin-Museum Moskau