Circus Gammelsdorf

Der Circus Gammelsdorf war ein Liveclub mit Kleinkunstbühne in den Räumlichkeiten des ehemaligen Dorfkinos in Gammelsdorf im oberbayrischen Landkreis Freising, der wegen seiner regelmäßigen Konzertveranstaltungen von Mitte der 1970er bis Mitte der 1990er Jahre überregional bekannt war.

Geschichte

Verzehrbon über 2 DM (1981)

Ursprünglich wurde die Lokalität mit der Adresse Hauptstraße 12 als Tagescafé mit Dorfkino betrieben, angeblich das „weltweit erste Land-Programmkino“.[1]

Mitte der 1970er Jahre wurde das Konzept verändert, worauf der Circus vor allem in der Indie-Szene des Großraum Münchens Bekanntheit erlangte. Hier traten unter anderem Nina Hagen und Konstantin Wecker auf.

Nachdem sich ein paar Jahre kein Pächter fand, wurde der Club 1987 von Alexander Lacher, der 1997 den Szene-Club Atomic Café in München miteröffnete und derzeit die Magazine Spex und Riddim herausgibt, wiedereröffnet. Kurz darauf beteiligte sich auch Herbert Scholz. 1990 übernahm der aus Landshut stammende Musiker und Gastronom Harald Richter das Lokal. Er präsentierte ein kontroverses und in Teilen umstrittenes Musikprogramm mit Fokus auf extreme Death-/Black-Metal- und Psychobilly-Bands und ein ebenso gemischtes Filmprogramm. So enthielt das Kinoprogramm neben Mainstream-Streifen auch indizierte Horrorfilme und andere Seltsamkeiten. Haus-DJ war die letzten sieben Jahre DJ Tomahawk.[2]

Nach der Wiedereröffnung 1987 gaben im Circus beispielsweise die damals noch jungen Bands My Bloody Valentine und Nirvana (1989 noch als Vorband von Tad), sowie Beasts of Bourbon, The Flaming Lips, Gorgoroth, The Swans, Sonic Youth, The Meteors, Psychic TV, Big Black, The Young Gods, Paradise Lost, Type O Negative, New Christs, The Dickies, Hard-Ons und andere namhafte Bands und Künstler wie Willy Michl Konzerte. Auch Live-Aufnahmen bekannter Bands entstanden im Circus, zum Beispiel 1981 die Seiten 3 und 4 des Doppelalbums Negamusi von Sparifankal, 1989 das Live-Album LIVE von Saint Vitus oder 1991 die LP Mod Is Dead von Television Personalities.

Besonders in den letzten Jahren unter der Führung von Harald Richter erlebte der Circus seinen Höhepunkt. Während Einheimische so gut wie gar nicht zu den Gästen zählten, reisten neben dem bayerischen Szene-Publikum je nach Bekanntheit der Interpreten zeitweise Gäste aus ganz Deutschland oder sogar aus dem benachbarten Ausland an, weshalb der Club in der Gemeinde nicht allzu gern gesehen war und sogar geschlossen werden sollte. Viele der heute bekannten Münchener Club-Betreiber zählten zu den Stammgästen.

Am 14. Mai 1994, einem gut besuchten Samstagabend, fiel das Lokal einer Brandstiftung zum Opfer. Der Täter wurde nie ermittelt. Die Hausbesitzerin Dorothea Schmid reichte bei der Gemeinde einen Antrag auf Neuerrichtung ein, der allerdings aufgrund der Einwände der Anwohner abgelehnt wurde.[3][4][5][6][7][8][9]

Regelmäßiger Besucher des Musikclubs war Ende der 1980er Jahre der Musikjournalist Markus Kavka.[10]

Nachwirkungen

Mitglieder der Circus Crew 1994 im Muffatwerk, November 2013;
rechts im Bild Harald Peter Richter, der letzte Betreiber des damaligen Lokals

Das Konzept des Clubs inspirierte auch Jürgen Franke und Frank Bergmeyer, die im März 1990 in einer ehemaligen Münchener Wirtschaft mit Saalanbau das Substanz eröffneten.[11][12] Am 16. Oktober 2004 gab es im Djungle in Abensberg eine „Gammelsdorf Revival“-Party.[13] Noch heute existiert die sogenannte Circus Crew 1994. Primäres Aufnahmekriterium der Gruppe ist, dass man seinerzeit zur Crew gehörte oder als Gast im Circus Gammelsdorf war.

Weblinks

Commons: Circus Gammelsdorf – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Kleinkunstland Bayern: Heroen des Musikunderground in Gammelsdorf. (Memento vom 11. Oktober 2013 im Internet Archive) Bayern 2 (Stand: 12. Juni 2012)
  2. Dj Tomahawk Interview + Exclusive Track (ET005), electro-swing.com, 29. November 2012.
  3. Markus Kavka in Als Kurt Cobain noch in der Dorfdisko spielte: Nichts los in München – wild, punkig und unabhängig war es nur in Clubs wie dem Circus Gammelsdorf oder dem Ballroom Esterhofen. In: Süddeutsche Zeitung, Jugendseite, 29. Woche 2006.
  4. Live At Circus Gammelsdorf, 10. November 1989, Saint Vitus, abgerufen am 22. Dezember 2012.
  5. Rainer Springenschmid: Gammelsdorf und die Folgen, ORF FM4, 23. September 2001.
  6. Circus in traditioneller Form wird es nie wieder geben, 1994.
  7. Hey ho, let’s go: Jeder auf seine Art enthemmt, Süddeutsche, 26. Oktober 2011.
  8. Untergrund im Unterland. Kleinkunstkneipenland in Bayern (Memento desOriginals vom 28. September 2013 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.ardmediathek.de, ARD-Mediathek, 10. Juni0 2012.
  9. Television Personalities – Mod Is Dead. discogs.com.
  10. Podcast "Der Soundtrack meines Lebens" startet mit Markus Kavka und Robert Stadlober Interview mit Markus Kavka von Redakteur Jan Schwarzkamp auf www.visions.de (Visions), 15. Dezember 2021
  11. Lea Fließ: Kreuzberg in München. süddeutsche.de, 21. November 2011.
  12. 15 Jahre Substanz – Interview mit Jürgen Franke (Memento desOriginals vom 5. Januar 2011 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/substanz-club.de (MS Word; 96 kB), Pressemitteilung.
  13. Veranstaltungen (PDF; 6,2 MB), Megazin 10/2004, Oktober 2004, S. 48.

Koordinaten: 48° 33′ 11,04″ N, 11° 56′ 50,83″ O

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Circus Crew 1994 - November 2013.jpg
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Mitglieder der Circus Crew 1994 im November 2013; rechts im Bild der letzte Betreiber des Circus Gammelsdorf Harald Peter Richter.