Christoph Heusgen

Christoph Heusgen (rechts) mit dem damaligen bulgarischen Außenminister Kristian Wigenin (März 2014)

Christoph Heusgen (* 17. März 1955 in Düsseldorf-Heerdt) ist ein deutscher Beamter und Diplomat. Ab 2005 war er der außen- und sicherheitspolitische Berater von Bundeskanzlerin Angela Merkel und von 2017 bis zum Juni 2021 Ständiger Vertreter der Bundesrepublik Deutschland bei den Vereinten Nationen. Im April 2019[1] und im Juli 2020[2] leitete er turnusgemäß als Präsident die Sitzungen des UN-Sicherheitsrats. Im Jahr 2022 übernahm er den Vorsitz der Münchner Sicherheitskonferenz.[3]

Leben

Heusgen wuchs in Neuss auf. Seine Eltern führten dort eine Apotheke.[4] Nach dem Abitur 1973 am Quirinus-Gymnasium Neuss studierte er von 1973 bis 1977 Wirtschaftswissenschaften an der Universität St. Gallen und an der Georgia Southern University in Statesboro. Bis 1980 absolvierte er ein Postgraduierten-Studium in St. Gallen und an der Sorbonne in Paris. 1980 promovierte er in St. Gallen zum Thema „Ludwig Erhards Lehre von der sozialen Marktwirtschaft. Ursprünge, Kerngehalt, Wandlungen“.[5][6] Heusgen ist Mitglied der CDU und gilt als enger Vertrauter von Ex-Kanzlerin Angela Merkel.[7]

Heusgen ist verheiratet und Vater von vier Kindern.[8]

Laufbahn

1980 trat er in den Auswärtigen Dienst in der damaligen Bundeshauptstadt Bonn ein. 1983 bis 1986 hatte er eine Position im Generalkonsulat Chicago, in der Verantwortung für Wirtschaft und Presse. 1986 bis 1988 war er in der Botschaft von Paris stationiert. Im Auswärtigen Amt in Bonn war er 1988 bis 1990 persönlicher Referent des Koordinators für die deutsch-französische Zusammenarbeit Rainer Barzel (CDU) und 1990 bis 1993 Referent und stellvertretender Referatsleiter im EU-Grundsatzreferat. 1993 bis 1997 arbeitete Heusgen unter Thomas Matussek als stellvertretender Leiter im Ministerbüro von Außenminister Klaus Kinkel (FDP), danach war er als Ministerialdirigent Leiter der Unterabteilung Europa. Von 1999 bis 2005 war Heusgen im Generalsekretariat des Rates der Europäischen Union in Brüssel Büroleiter und Leiter des Politischen Stabs von Javier Solana, damals Hoher Vertreter für die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik der EU.

Ab November 2005 leitete er als Ministerialdirektor die für Außenpolitik im Bundeskanzleramt zuständige Abteilung 2 und war damit der außen- und sicherheitspolitische Berater von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU). Im Juli 2017 wurde Heusgen Nachfolger von Harald Braun als Ständiger Vertreter der Bundesrepublik Deutschland bei den Vereinten Nationen. Merkel berief nach der Bundestagswahl 2017 den Juristen Jan Hecker zum neuen außenpolitischen Berater.[9]

Am 30. Juni 2021 schied Heusgen aus dem Auswärtigen Dienst aus.[10] Er ist seit 2020 Honorarprofessor an der Universität St. Gallen[11] und seit 2022, als Nachfolger von Wolfgang Ischinger, Vorsitzender der Münchner Sicherheitskonferenz. Seine Nachfolgerin als Ständige Vertreterin der Bundesrepublik Deutschland bei den Vereinten Nationen wurde im September 2021 Antje Leendertse.

Erklärungen 2022 und 2023

Zum Jahresende 2022 – 10 Monate nach dem Beginn des Angriffs Russlands auf die Ukraine – erklärte Heusgen die Entscheidung der Regierung Merkel III 2015 (während seiner Zeit als Berater) für den Bau von Nord Stream 2 – im Nachhinein betrachtet – als falsch. Die schwarz-rote Regierung Merkel III wollte damals nach der Nuklearkatastrophe von Fukushima (2011) in Deutschland Atomenergie reduzieren bzw. den 2011 beschlossenen schrittweisen Atomausstieg in die Tat umsetzen; mit Erdgas aus Russland erschien das rasch und relativ kostengünstig möglich.

Heusgen forderte Ende 2022 die Lieferung deutscher Leopard-Kampfpanzer an die Ukraine.[12]

Laut Konrad Schuller (FAZ) bekannten Heusgen (und Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier) ihren Irrtum, Merkel und Olaf Scholz bislang (Stand Juni 2023) hingegen nicht. Schuller zitiert Heusgen: man habe sich „Blößen gegeben, wo man im Nachhinein sagen kann: Wie konnte das passieren?“[13]

Heusgen hat 2023 gefordert, für den Fall einer künftigen Friedenslösung für die Ukraine westliche Truppen als Garantiemacht auf ukrainischem Boden zu stationieren.[13]

Auszeichnungen

Kritik

Im November 2017 berichtete Der Spiegel, Heusgen habe in einer E-Mail an Maria Luiza Ribeiro Viotti, die Kabinettschefin des UN-Generalsekretärs António Guterres, um eine Stelle auf der Gehaltsstufe P5 (mindestens 107.459 Dollar brutto und 56.000 Dollar netto New-York-Zuschlag) für seine Ehefrau in dessen Büro gebeten. Dabei habe er darauf hingewiesen, dass Deutschland einen großen Beitrag zur UN leiste. Als Stärken seiner Frau habe er in der E-Mail angegeben, dass diese „einen direkten Draht zum Kanzleramt und zum Büro des Außenministers (und zu Deutschlands künftigem Botschafter bei der UN, der die Ambition hat, 2019/2020 im Sicherheitsrat zu sitzen)“ habe. Der Spiegel wertete dies als eine Verletzung der Grenze des Anstands. Ina Heusgen arbeitet seit August 2017 als Referentin in der Hauptabteilung Friedenssicherungseinsätze. Das Auswärtige Amt bezeichnete sie gegenüber dem Spiegel als „hochqualifiziert“ und die optimale Besetzung für den Posten.[16][17]

Heusgen wurde 2019 vom Simon Wiesenthal Center auf Platz 7 in die Liste der „10 schlimmsten Vorfälle von antisemitischem Verhalten“ gesetzt.[18] Vorgeworfen wurde ihm ein einseitiges antiisraelisches Abstimmungsverhalten als Vertreter Deutschlands bei der UNO sowie eine Rede, in der er Raketen der radikalislamischen Hamas auf Israel mit den israelischen Bulldozern verglich, die geräumte palästinensische Häuser zerstören.[19] Deutschland hatte bei acht Resolutionen siebenmal gegen Israel abgestimmt. Die Bundesregierung nahm Heusgen gegen die Kritik in Schutz: „Unseren Botschafter bei den Vereinten Nationen Heusgen mit Antisemitismus in Verbindung zu bringen, ist abwegig“, sagte der stellvertretende Sprecher des Auswärtigen Amts, Rainer Breul, ausdrücklich im Namen von Außenminister Heiko Maas und der gesamten Bundesregierung Merkel III. Botschafter Heusgen sei ein hervorragender Diplomat, der der Sicherheit und historischen Verbundenheit zu Israel genauso verpflichtet sei wie die Bundesrepublik Deutschland. Heusgen vertrete bei sämtlichen Abstimmungen die Haltung der Bundesregierung und handele auf Weisung aus Berlin.[20]

Auch der damalige israelische Botschafter in Deutschland, Jeremy Issacharoff, nahm Heusgen gegen Antisemitismus-Vorwürfe in Schutz; er sagte: „Wir mögen manchmal Differenzen in politischen Fragen haben. Aber das heißt nicht, dass jemand antisemitisch ist, wenn er nicht mit uns einer Meinung ist“. Die politischen Differenzen zwischen Deutschland und Israel dürften nicht auf der persönlichen Ebene ausgetragen werden; man müsse die Themen weiter inhaltlich diskutieren. Solche „wirklich völlig unangebrachten Vorwürfe“ würden die Diskussion nur erschweren.[21][22] Jason Greenblatt, Trumps Sondergesandter für internationale Verhandlungen, kritisierte in der Welt insbesondere Heusgens Bemerkung anlässlich einer Stimm-Enthaltung bei einer Nahost-Resolution der USA, Deutschland glaube im Gegensatz zu den USA „nicht an das Recht des Stärkeren“.[23]

Nach dem Terrorangriff der Hamas auf Israel 2023 geriet Heusgen erneut in die Kritik, als er im ZDF heute-journal forderte, einen israelische Einmarsch im Gazastreifen zu verhindern und von einer „Hamas-Aktion“ sprach. Der israelische Botschafter in Deutschland, Ron Prosor, bezeichnete diese Äußerungen als „ungeheuerlich“. Heusgens Umschreibung des „bestialischen Terrorangriff der Hamas“ als einer „Hamas-Aktion“ sei verharmlosend und kaltherzig, auch habe er diese mit keinem Wort verurteilt. Israel brauche keine Belehrungen von „Besserwissern wie Herrn Heusgen“, der sich schämen solle. Zudem stellten sich „große Fragen“ an Heusgens Fähigkeit, die Münchner Sicherheitskonferenz zu führen.[24]

Schriften (Auswahl)

  • Führung und Verantwortung. Angela Merkels Außenpolitik und Deutschlands künftige Rolle in der Welt. Siedler Verlag, München 2023, ISBN 978-3-8275-0169-1.

Literatur

Weblinks

Commons: Christoph Heusgen – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Der Ständige Vertreter. Ständige Vertretung Deutschlands bei den Vereinten Nationen, archiviert vom Original am 2. Dezember 2020; abgerufen am 30. Dezember 2018.
  2. spiegel.de: Deutscher Uno-Botschafter ernüchtert über Arbeit im Sicherheitsrat
  3. Christoph Heusgen zum Vorsitzenden der Münchner Sicherheitskonferenz gewählt. In: securityconference.org. Abgerufen am 8. Dezember 2021.
  4. Ludger Baten: Heimatfreunde ehren UN-Botschafter. rp-online.de, 6. September 2017, abgerufen am 4. Januar 2021.
  5. Dissertation von Christoph Heusgen. Katalog der Deutschen Nationalbibliothek, abgerufen am 4. Januar 2021.
  6. Biografie Christoph Heusgen. munzinger.de, abgerufen am 4. Januar 2021.
  7. Von den UN zur Münchner Sicherheitskonferenz: Christoph Heusgen. dw.com, 18. Februar 2022, abgerufen am 28. Februar 2022.
  8. Lebenslauf: "Botschafter Dr. Christoph Heusgen" new-york-un.diplo.de (Archiv)
  9. FAZ.net: Weit mehr als eine amtsinterne Umsetzung
  10. Interview UN-Botschafter Heusgen. Weg von „Realitäten der Sechzigerjahre“. tagesschau.de, 30. Juni 2021.
  11. Dr. Christoph Heusgen wird Honorarprofessor. unisg.ch, 28. Mai 2020.
  12. Merkel-Berater räumt Fehler in Russland-Politik ein orf.at, 31. Dezember 2022, abgerufen am gleichen Tag.
  13. a b Konrad Schuller: Das deutsche Hamlet-Syndrom. FASZ; (faz.net vom 25. Mai 2023)
  14. Aufstellung aller durch den Bundespräsidenten verliehenen Ehrenzeichen für Verdienste um die Republik Österreich ab 1952 (PDF; 6,9 MB)
  15. Claudia Ehrenstein, Robin Alexander: Am Schlossplatz wird getalkt. In: Die Welt, 17. Oktober 2015, Nr. 242, S. 8.
  16. Mit 88.351 Dollar dotiert. Mit anmaßender E-Mail: Merkel-Vertrauter schanzt Ehefrau gut bezahlten UN-Posten zu. Focus, 17. November 2017, Zugriff am 18. November 2017.
  17. Rafael Buschmann, Jürgen Dahlkamp, Gunther Latsch, Jörg Schmitt und Christoph Schult, Botschafter Heusgen: „... dass meine Frau Ina eine Stelle in deinem Büro bekommt“, Der Spiegel, 18. November 2017, Zugriff am 18. November 2017.
  18. SWC „2019 Top Ten worst global anti-semitic and anti-Israel incidents“-Liste
  19. Benjamin Weinthal: German UN ambassador makes list of worst antisemitic incidents. In: Jerusalem Post. 12. Dezember 2019, abgerufen am 12. Dezember 2019 (englisch).
  20. Christoph Heusgen auf Antisemitismus-Liste, Jüdische Allgemeine, 12. Dezember 2019. Abgerufen am 14. Dezember 2019.
  21. Israels Botschafter nimmt Heusgen in Schutz, Jüdische Allgemeine, 15. Dezember 2019. Abgerufen am 15. Dezember 2019.
  22. Israels Botschafter verteidigt UN-Diplomaten Heusgen. Der Tagesspiegel, 18. Dezember 2019, abgerufen am 13. April 2020.
  23. Jason Greenblatt: Mit Verlaub, Herr Botschafter Heusgen ..., Welt, 8. August 2019.
  24. »Schämen Sie sich!«, Jüdische Allgemeine, 25. Oktober 2023

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