Bolko von Richthofen

Bolko Karl Ernst Gotthard Freiherr von Richthofen (* 13. September 1899 in Mertschütz, Landkreis Liegnitz, Schlesien; † 18. März 1983 in Seehausen am Staffelsee) war ein deutscher Prähistoriker aus dem Adelsgeschlecht der Richthofens.

Leben

Jugend und Ausbildung

Bolko von Richthofen war ein Sohn des Jauerschen Landrates und Abgeordneten Ernst Freiherr von Richthofen (1858–1933), Gutsherrn auf Mertschütz, das durch den Memoirenautor Hans von Schweinichen in die Geschichte einging. Mit dem Roten Baron Manfred von Richthofen ist Bolko von Richthofen nur entfernt verwandt; Manfred von Richthofens jüngerer Bruder war Karl-Bolko von Richthofen (1903–1971), was manchmal zu Verwechslungen führt.

Richthofen legte sein Abitur am 1. Juni 1917 am Städtischen humanistischen Gymnasium in Liegnitz ab. Ab Ostern 1917 wurde er Mitglied im 8. Dragoner-Regiment in Oels, zunächst als Fahnenjunker im Garnisonsdienst.[1] Er nahm von Oktober 1917 bis März 1918 am Ersten Weltkrieg teil. Danach erneut Garnisonsdienst, mittlerweile als Leutnant beim 8. Dragoner-Regiment in Oels bis Anfang Dezember 1918. Vom 18. Dezember 1918 bis zum 20. Juni 1919 wurde er erneut eingezogen und diente anschließend bis zum 20. November 1919 in der Reichswehr (Schwarze Reichswehr).[2] Er beteiligte sich 1919 an Kämpfen in Berlin und München.[3] Sein Dragoner-Regiment 8 war im Januar 1919, zusammen mit der Garde-Kavallerie-Schützen-Division an der Niederschlagung des Spartakusaufstands in Berlin beteiligt. Danach wurden das 8. Dragoner-Regiment zusammen mit dem Freikorps Lützow nach München verlegt wo diese an der Niederschlagung der Münchner Räterepublik wirkten. Ende Juni war Richthofen mit seinen 8. Dragoner-Regiment im Grenzschutzeinsatz im Kreis Kempen in Posen. Kurz danach im Kreis Pleß zum Schutz Oberschlesiens bis März 1920.[4][5] Vom 1. April bis zum 7. Juli 1921 war er Freiwilliger beim Selbstschutz Oberschlesien (SSOS), der den Sturm auf den Annaberg organisierte. Richthofen erwarb sich beim Sturm auf Zembowitz den Schlesischen Adler.[2]

Frühe Karriere

Er studierte Vorgeschichte, Klassische Archäologie und Geographie in Breslau und wurde dort 1924 mit einer Arbeit über die ältere Bronzezeit in Schlesien promoviert. Nach Beendigung seines Studiums arbeitete er ab 1924 als wissenschaftliche Hilfskraft am Schlesischen Museum für Kunstgewerbe und Altertümer in Breslau. Ab 1925 war er Abteilungsleiter und Kustos am Städtischen Museum im damaligen Beuthen. Von 1925 bis 1929 arbeitete er als Staatlicher Vertrauensmann für kulturgeschichtliche Bodendenkmäler der Provinz Oberschlesien in Beuthen und Ratibor. Außerdem war er Leiter der Oberschlesischen Provinzialsdenkmalspflege.

Von 1929 bis 1933 war er Abteilungsleiter und Kustos am Museum für Völkerkunde in Hamburg. 1930 habilitierte er sich an der Universität Hamburg für Vor- und Frühgeschichte.

Karriere im Nationalsozialismus

Bolko von Richthofen trat am 17. April 1933 der NSDAP bei (Mitgliedsnummer 3.039.581),[2] wurde aber schon vor diesem Datum von einem Fachkollegen gegenüber Joseph Goebbels als „begeisterter Nationalsozialist“ bezeichnet.[6] Schon in seiner Hamburger Zeit vor 1933 war er ehrenamtlicher Dozent an der dortigen nationalsozialistischen Volkshochschule gewesen und engagierte sich ab 1932 im nationalsozialistischen Kampfbund für deutsche Kultur. Im Reichsbund für Deutsche Vorgeschichte war Richthofen Landesleiter, in der Berufsvereinigung Deutscher Vorgeschichtsforscher ab 1933 Leiter. In der NS-Zeit verfasste von Richthofen eine Reihe von Schriften mit antislawischer Stoßrichtung. Im Jahr 1937 wurde er zum Mitglied der Leopoldina gewählt. Zwischen 1937 und 1939 wurde er Mitglied im Ahnenerbe.[7] Als enger Bekannter von Hermann Göring war Richthofen in Raub von Kunst, die sich in jüdischem Besitz befand, verwickelt.[8] Noch im Oktober 1944 publizierte er in Walter Franks Reihe Forschungen zur Judenfrage einen Beitrag unter dem Titel „Judentum und bolschewistische „Kulturpolitik“.“[9]

1933 wurde Richthofen als Ordinarius für Vor- und Frühgeschichte an die Universität Königsberg berufen, wo er zudem als Dekan der Philosophischen Fakultät wirkte.[10] Ab dem Wintersemester 1939/1940 lehrte er außerdem „Auslandspressekunde“.[11] Er leitete dort das Seminar bis 1942, dann folgte er dem Ruf als ordentlicher Professor für Ur- und Frühgeschichte an die Universität Leipzig. Nach 1939 war er allerdings hauptsächlich im Militärdienst als „Dolmetscher-Offizier“ und Referent für verschiedene Dienststellen des Oberkommandos der Wehrmacht tätig (er beherrschte angeblich 18 Sprachen). Richthofen wurde ab Mai 1942 im Range eines Rittmeisters in die Abteilung Fremde Heere Ost[12] kommandiert. Er war beteiligt am Raub von Kunstgegenständen in den von der Wehrmacht besetzten Gebieten. Angeblich vernichtete er im Auftrag des Auswärtigen Amtes während des Russlandfeldzuges die Bibliothek der Nowgoroder Altertums-Gesellschaft sowie das Museum in Staraja Russa.[13]

Nach 1945

Nach dem Krieg trat Richthofen als Berater der Verteidigung im sogenannten Nürnberger Wilhelmstraßen-Prozess hervor. Er kehrte nach Gründung der DDR nicht wieder nach Leipzig zurück und erhielt im Westen Forschungsaufträge durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft, das Bundesministerium für Vertriebene, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigte und das Außenministerium.

Von 1945 bis 1972 war er Mitglied der CSU. 1962 gründete Richthofen zusammen mit Gerhard Frey und Erwin Arlt die rechtsextreme Aktion Oder-Neiße.[14] 1963 erhielt er das deutsche Bundesverdienstkreuz 1. Klasse.[15]

Ab 1966 saß Richthofen im Kuratorium der Grotiusstiftung zur Verbreitung des Völkerrechts. 1968 wurde er, unter internem Protest, in die Deutschland-Stiftung aufgenommen, vor der Bundestagswahl 1972 aufgrund seines Einsatzes für die NPD aber wieder ausgeschlossen.[16]

1969 wurde er Präsident der Gesellschaft für Vor- und Frühgeschichte (Bonn). Außerdem engagierte er sich in den Vertriebenenverbänden und veröffentlichte antipolnische, revanchistische Literatur. 1970 gründete er zusammen mit Herbert Böhme und Fritz Münch die rechtsextreme Deutsche Bürgergemeinschaft.[17] Das deutsche Bundesamt für Verfassungsschutz zählt die Arbeiten von Richthofens, die im rechtsextremen Arndt-Verlag erschienen, als „revisionistische Werke (…) in denen die Hauptschuld des Hitler-Regimes am Ausbruch des Zweiten Weltkriegs abgestritten wird.“[18]

Im März 1983 kehrte Richthofen von einem Spaziergang nicht in sein Seniorenheim zurück. Er war offenbar in einen Wassergraben gestürzt und ertrunken; seine Leiche wurde dort erst im Oktober gefunden. Sein Grab liegt auf dem Friedhof von Partenkirchen.

Schriften

  • Bolschewistische Wissenschaft und Judentum. In: Bolko von Richthofen (Hrsg.): Bolschewistische Wissenschaft und „Kulturpolitik“. Königsberg – Berlin 1938, S. 289–318.
  • Auslandsstimmen zur oberschlesischen Volksabstimmung (20. März 1921). Augsburg 1961.
  • Schlesien und die Schlesier. (Eine landes- und stammeskundliche Übersicht 3). Wolfenbüttel o. J. (1967).
  • Kriegsschuld 1939–1941. T.1,2, Vaterstetten 1968/1970.

Literatur

  • Uta Halle: „Die Externsteine sind bis auf weiteres germanisch!“ Prähistorische Archäologie im Dritten Reich. Sonderveröffentlichungen des Naturwissenschaftlichen und Historischen Vereins für das Land Lippe, Band 68. Verlag für Regionalgeschichte, Bielefeld 2002, ISBN 3-89534-446-X (Buchrezension für H-Soz-u-Kult).
  • Georg Schaufler: Zur Biographie des Verfassers. In: B. von Richthofen, Schlesien und die Schlesier. Eine landes- und stammeskundliche Übersicht. Die Schlesier vor und nach der Vertreibung aus der Heimat. Band 1. Wolfenbüttel 1967, S. 44–47. (Zur Biographie Bolko von Richthofens. Die Biographie in manchen Ausdrücken geschönt).
  • Tobias Weger: Bolko Freiherr von Richthofen und Helmut Preidel. Eine doppelte Fallstudie zur Rolle von Prähistorikern und Archäologen in den Vertriebenenorganisationen nach 1945. In: Judith Schachtmann, Michael Strobel, Thomas Widera (Hrsg.): Politik und Wissenschaft in der prähistorischen Archäologie. Perspektiven aus Sachsen, Böhmen und Schlesien. Berichte und Studien Nr. 56, herausgegeben vom Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung. V&R unipress, Göttingen 2009, S. 125–140, ISBN 978-3-89971-741-9.
  • Braunbuch. Kriegs- und Naziverbrecher in der Bundesrepublik, Hrs. Nationalrat der Nationalen Front, Staatsverlag Berlin 1965, S. 299ff.

Einzelnachweise

  1. AWR-Bulletin 22 (1984), S. 78
  2. a b c Bundesarchiv: R58/9002 (ZB I 1223 Akte 7 Bl. 311–429), Blatt 389, Akte über Richthofen.
  3. Hans-Dieter Bamberg: Die Deutschlandstiftung e.V. Hain, 1978, S. 405.
  4. Oliver Grimm /Gerd Simon, Chronologie Bolko von Richthofen, Homepage Universität Tübingen 2009, S. 11
  5. Deutsches Soldatenjahrbuch, Schild Verlag 1986, S. 221
  6. Uta Halle: "Die Externsteine sind bis auf weiteres germanisch!" Prähistorische Archäologie im Dritten Reich. Sonderveröffentlichungen des Naturwissenschaftlichen und Historischen Vereins für das Land Lippe Band 68 (Bielefeld 2002), S. 144.
  7. Reinhard Bollmus, Stephan Lehnstaedt: Das Amt Rosenberg und seine Gegner. Oldenbourg, München 2006, S. 220.
  8. Advies inzake Oppenheimer auf restitutiecommissie.nl, abgerufen am 15. Januar 2021.
  9. Ernst Klee: Das Personenlexikon zum Dritten Reich. Wer war was vor und nach 1945. 2. Auflage. Fischer, Frankfurt am Main 2005, ISBN 978-3-596-16048-8, S. 495.
  10. Oliver Grimm /Gerd Simon, Chronologie Bolko von Richthofen, Homepage Universität Tübingen 2009, S. 3
  11. Broockmann, Hartmut: Die Königsberger Historiker vom Ende des Ersten Weltkrieges bis zum Ende der Universität, in: Rauschning, Dietrich / Nerée, Donata von: Die Albertus-Universität zu Königsberg und ihre Professoren. Aus Anlaß der Gründung der Albertus-Universität vor 450 Jahren, Berlin 1994, 257–281, 273.
  12. Hans-Günther Seraphim: Die Deutsch-Russischen Beziehungen, 1939–1941. Nölke, 1949, S. 79.
  13. Christiane Mückenberg: Deutsche Slawistik und Ostforschung., in: Gerhard Ziegengeist: Wissenschaft am Scheidewege. Kritische Beiträge über Slawistik, Literaturwissenschaft und Ostforschung in Westdeutschland. Akademie, Berlin (Ost) 1964, S. 34.
  14. Hans-Dieter Bamberg: Die Deutschlandstiftung e.V. Hain, 1978, S. 321.
  15. Judith Schachtmann, Thomas Widera: Politik und Wissenschaft in der prähistorischen Archäologie. S. 137 (Google books)
  16. Hans-Dieter Bamberg: Die Deutschlandstiftung e.V. Hain, 1978, S. 65.
  17. Hans-Dieter Bamberg: Die Deutschlandstiftung e.V. Hain, 1978, S. 512.
  18. Verfassungsschutzbericht des Bundesministeriums des Inneren 2003, S. 98.

Weblinks

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