Bemannte Raumfahrt

Stephen Robinson bei einem Außeneinsatz an der Raumstation ISS (2005)

Bemannte Raumfahrt ist nach der gebräuchlichen Definition der Association of Space Explorers gegeben, wenn ein Mensch die Erde mindestens einmal komplett bei einem Orbitalflug in einem Raumschiff umrundet hat.[1] Suborbitale Flüge zählen demnach nicht zur bemannten Raumfahrt im engeren Sinn.

Als erster Raumfahrer umkreiste der sowjetische Kosmonaut Juri Gagarin am 12. April 1961 die Erde. Mittlerweile wurden mehrere bemannte Raumstationen betrieben; über 600 Menschen absolvierten Raumflüge.

Länder

Stand 2021 gibt es drei Raumfahrtnationen, die bemannte Missionen mit eigenen Raumfahrzeugen durchführen: Russland, die Vereinigten Staaten und die Volksrepublik China. Außerdem bereitet Indien eigene bemannte Raumflüge vor.

In Russland, China und Indien werden die Raumschiffe von den staatlichen Weltraumagenturen Roskosmos, CMSA und ISRO betrieben; die amerikanische Raumfahrtbehörde NASA lässt ihre Astronauten hingegen seit Beginn des 21. Jahrhunderts von dem Privatunternehmen SpaceX und künftig auch von Boeing zur Internationalen Raumstation bringen. Nur die amerikanischen Raumschiffe sind wiederverwendbar. Die NASA-Partnerorganisationen ESA (Europa), JAXA (Japan) und die CSA (Kanada) erhalten über die NASA Plätze in den Dragon-Raumschiffen von SpaceX.

Einen chronologischen Überblick gibt die Liste der bemannten Raumflüge.

Stellenwert in der Berichterstattung

Die bemannte Raumfahrt hat in der Bevölkerung oft größeres Interesse geweckt als die unbemannte. So wird über bemannte Flüge in den Weltraum in den Medien tendenziell öfter und ausführlicher berichtet als über unbemannte (ferngesteuerte). Die wissenschaftliche Bedeutung umbemannter Missionen kann jedoch größer sein als die unbemannter. Fehlschläge und Unfälle, bei denen Astronauten gefährdet oder gar getötet worden sind, haften lange im Gedächtnis der Öffentlichkeit.

Motivation für bemannte Missionen

Von Beginn an dominierten politische und militärische, teils auch wissenschaftliche Beweggründe die Entwicklung. Die Fähigkeit zu bemannten Raumflügen war immer auch eine Frage des nationalen Prestiges. In den 1970er Jahren trat der Gedanke der Völkerverständigung hinzu (Ankoppeln eines sowjetischen an ein amerikanisches Raumschiff am 17. Juli 1975 mit Handschlag zwischen den Raumfahrern), was im Bau der Internationalen Raumstation (ISS) gipfelte. Mit Letzterer begann auch die systematische wirtschaftliche Nutzung der bemannten Raumfahrt. Unternehmen lassen auf der ISS Forschungsexperimente durchführen und erste Weltraumtouristen besuchten die Station. Unternehmen wie Blue Origin und SpaceX wurden mit dem Ziel gegründet, von einer zukünftigen Industrialisierung des erdnahen Weltraums oder gar der Übersiedlung von Menschen auf den Mars zu profitieren.

Geschichte

Frühe Entwicklung und erste Pioniere

In den USA und der Sowjetunion wurden bereits vor 1960 Ballonfahrten in große Höhen (bis etwa 30 km) mit anschließenden Fallschirmsprüngen aus der Stratosphäre unternommen, um die Belastungen zu untersuchen, denen der Mensch im Weltraum durch den fehlenden Luftdruck, die kosmische Strahlung u. a. ausgesetzt ist. Bekannt wurden insbesondere die amerikanischen Projekte Manhigh und Excelsior mit Joseph Kittinger, aber auch der sowjetische Springer Jewgeni Andrejew stellte neue Rekorde auf.[2]

Kalter Krieg – Wettlauf ins All – Mondlandung

Im Zeitalter des Kalten Krieges begann zwischen den verfeindeten Supermächten USA und der Sowjetunion ein Wettlauf ins All, zuerst mit unbemannten Flügen, später mit bemannten Starts. Am 12. April 1961 umkreiste Juri Gagarin mit einem Wostok-Raumschiff als erster Mensch die Erde. Die USA konnten wenige Wochen später, am 5. Mai 1961, im Rahmen des Mercury-Programms einen 16-minütigen suborbitalen Flug von Alan Shepard vorweisen.

1968 flogen dann mit Apollo 7 die ersten Menschen im Rahmen des Apollo-Programms ins Weltall, was schließlich in der ersten bemannten Mondlandung 1969 mit Apollo 11 gipfelte. Danach konzentrierte man sich auf den erdnahen Weltraum. Die Raumstationen Saljut und Skylab boten den Menschen im All ein bescheidenes Zuhause. Mit dem Apollo-Sojus-Projekt gab es 1975 außerdem zum ersten Mal eine gemeinsame amerikanisch-sowjetische Mission. Danach gingen die beiden Nationen für die nächsten 20 Jahre wieder getrennte Wege.

Shuttle-Konzept und Raumstation Mir

Bereits in den 1970er Jahren erfolgte die Entwicklung der US-Raumfähren. Das Space Shuttle flog regelmäßig ab 1981.

Auch die Sowjetunion setzte in den 1980er Jahren auf das Shuttle-Konzept: Es entstand die Raumfähre Buran, die das Gegenstück zum US-Space-Shuttle bieten sollte. Aufgrund von finanziellen und politischen Schwierigkeiten konnte Buran nie eine bemannte Mission absolvieren. 1993 wurde das Programm endgültig gestoppt.

Parallel arbeitete die Sowjetunion weiter an ihrem bemannten Raumstationsprogramm. 1986 startete das erste Modul der Raumstation Mir, weitere Module folgten. Die Station blieb bis 2001 in Betrieb und diente 28 Stammbesatzungen als ein Zuhause.

Internationale Raumstation (ISS)

Außer in der Volksrepublik China ist die Basis für alle gegenwärtigen Aktivitäten der staatlichen Raumfahrtagenturen die Internationale Raumstation (ISS). Bis zum Unglück der US-Raumfähre Columbia wurde die ISS von den US-Raumfähren und den russischen Sojus-Raumschiffen angeflogen. Nach dem Unglück im Februar 2003 startete zweieinhalb Jahre kein Space Shuttle mehr, erst im Juli 2005 wurde ein neuer Flug (STS-114) gestartet. Mit dem letzten Start des Space Shuttles Atlantis (STS-135) am 8. Juli 2011 endete die Ära des Space Shuttles. Abgesehen von unbemannten Weltraumfrachtern wurde die ISS bis Mai 2020 nur noch von russischen Sojus-Raumschiffen angeflogen.

Privatisierung und Weltraumtourismus

Privat finanzierte oder betriebene bemannte Raumfahrt steht erst am Anfang ihrer Geschichte. Zwar konnten seit 2001 mehrere Weltraumtouristen mit zur Internationalen Raumstation (ISS) fliegen; dabei handelte es sich aber um Ausnahmen, da die Transportkapazitäten zur ISS bislang begrenzt und Kosten sehr hoch sind.

Als erstes privates Raumschiff ging im Jahr 2020 die Crew Dragon in Betrieb. Diese US-amerikanische Raumkapsel wurde von dem Unternehmen SpaceX entwickelt, jedoch weitgehend von der NASA finanziert. Neben staatlich beauftragen ISS-Zubringerflügen führt SpaceX damit seit April 2022 auch eigene touristische Missionen durch. Im nächsten großen Schritt möchte die NASA auch den Raumstationbetrieb selbst privatisien; die Firma Axiom Space entwickelt dazu bereits neue ISS-Module.

Aktueller Stand und zukünftige Entwicklungen

Russland

Kernstück der bemannten Raumfahrt Russlands ist heute die Beteiligung am Betrieb der ISS. Russische Kosmonauten werden mit Sojus-Raumschiffen zur Station und wieder zurück auf die Erde gebracht. Seit der am 8. Dezember 2021 gestarteten Mission Sojus MS-20 können auch wieder einzelne Privatpersonen mitfliegen.[3] Für die Zukunft plant Russland auch bemannte Flüge zum Mond. In den 2030er Jahren möchte man mit den USA gleichziehen und Kosmonauten auf die Mondoberfläche bringen.[4]

Vereinigte Staaten

NASA

Die Situation und Pläne der NASA sind heute ähnlich denen von Russland, allerdings schon weiter fortgeschritten. Die USA sind am Betrieb der ISS beteiligt, können für den Raumverkehr allerdings auf modernere und geräumigere Privatraumschiffe zurückgreifen.

Nach Einstellung der Space-Shuttle-Flüge im Jahr 2011 legten die USA nacheinander das Constellation-Programm, das SLS/Exploration-Mission-Programm und das Artemis-Programm auf, um die Fähigkeit zu bemannten Missionen jenseits der Erdumlaufbahn wiederzuerlangen. Die US-Regierung möchte wieder bemannte Mondlandungen durchführen und dabei erstmals eine Frau auf den Mond bringen.[5] Das übergeordnete Ziel ist es, mit einer Raumstation im Mondorbit und Expeditionen auf die Mondoberfläche bemannte Missionen zum Mars vorzubereiten.[6] Auch hier möchte die NASA – konträr zu etwa China – bei Vorbereitungen und Durchführung auf kommerzielle Partner setzen und mit Unternehmen wie beispielsweise SpaceX, Dynetics oder Blue Origin zusammenarbeiten.[7][8]

Privatwirtschaft

Als erstes Privatunternehmen befördert die US-amerikanische Firma SpaceX seit Mai 2020 Raumfahrer zur ISS. Der Luft- und Raumfahrtkonzern Boeing entwickelt mit dem CST-100 Starliner ebenfalls ein Raumschiff für ISS-Zubringerflüge.

Für bemannte Missionen jenseits der Erde entwarf SpaceX das vollständig wiederverwendbare Starship-Raketensystem, dessen Oberstufe zugleich als Raumschiff dienen soll. Hiemit sollen frühestens ab 2023 bemannte Flüge zum Mond stattfinden.[9][10] Längerfristiges Ziel von SpaceX sind bemannte Missionen zur Marsoberfläche.[11] Auch das Unternehmen Blue Origin hat sich zum Ziel gesetzt, durch Bereitstellung neuer Raketensysteme eine „dauerhafte menschliche Präsenz im Weltraum“ zu ermöglichen.[12] Erste Schritte dorthin sind die Entwicklung der teilweise wiederverwendbaren Rakete New Glenn und der Mondlandefähre Blue Moon.

Volksrepublik China

Das Büro für bemannte Raumfahrt der Volksrepublik China (kurz: CMSA) baute 2021/2022 eine ständig besetzte Raumstation, die am 24. Februar 2023 offiziell in die Nutzungs- und Erweiterungsphase eintrat.[13] Für 2030 ist die Landung von Raumfahrern auf dem Mond geplant.

Indien

Die Indian Space Research Organisation beabsichtigt bemannte Raumflüge.[14] Sie wird dabei aktuell von der US-amerikanischen NASA innerhalb der NASA-ISRO Human Space Flight Working Group[15] und von der russischen Roskosmos[16] unterstützt.


Abgebrochene bemannte Raumfahrtprogramme

  • das US-amerikanische Projekt nuklear angetriebener Raumschiffe Orion-Projekt
  • der US-amerikanische militärische Raumgleiter X-20 Dyna-Soar
  • die US-amerikanische militärische Raumstation MOL
  • das sowjetische bemannte Mondprogramm
  • das chinesische Shuguang-Raumschiff
  • der sowjetische Raumgleiter Spiral
  • das schwere Zubringerraumschiff für Saljut-Raumstationen TKS
  • die sowjetische Raumfähre Buran
  • der japanische Raumgleiter Hope X
  • der europäische Raumgleiter Hermes
  • das US-amerikanische Constellation-Programm (mit Ausnahme des Orion-Raumschiffes)
  • der russische Raumgleiter Kliper

Siehe auch

Literatur

  • Donald Rapp: Human missions to Mars – enabling technologies for exploring the red planet. Springer u. a., Berlin u. a. 2008, ISBN 978-3-540-72938-9.
  • Matthias Gründer u. a.: Lexikon der bemannten Raumfahrt. (Raketen, Raumfahrzeuge und Astronauten). Lexikon-Imprint-Verlag, Berlin 2001, ISBN 3-89602-287-3.
  • Haeuplik-Meusburger: Architecture for Astronauts - An Activity based Approach. Springer Praxis Books, 2011, ISBN 978-3-7091-0666-2.
  • Stephen B. Johnson (Hrsg.): Space exploration and humanity. A historical encyclopedia. 2 Bände. ABC-CLIO, Santa Barbara CA u. a. 2010, ISBN 978-1-85109-514-8.
  • Jesco von Puttkamer: Der Mensch im Weltraum -- eine Notwendigkeit, Frankfurt 1987.
  • Wiley J. Larson (Hrsg.): Human spaceflight – mission analysis and design. McGraw-Hill, New York NY 2003, ISBN 0-07-236811-X.
  • David Darling: The complete book of spaceflight. From Apollo 1 to Zero gravity. Wiley, Hoboken NJ 2003, ISBN 0-471-05649-9.
  • Luca Codignola u. a. (Hrsg.): Humans in outer space – interdisciplinary Odysseys. Springer, Wien u. a. 2009, ISBN 978-3-211-87464-6 (Studies in Space Policy 1).

Weblinks

 Wikinews: Portal:Bemannte Raumfahrt – in den Nachrichten

Einzelnachweise

  1. ASE Members. In: space-explorers.org. Abgerufen am 9. August 2020 (englisch).
  2. History of Research in Space Biology and Biodynamics 1948-1958. Abgerufen am 16. Dezember 2010.
  3. Mihir Neal: Soyuz MS-20 space tourism flight docks with ISS. In: nasaspaceflight.com. 7. Dezember 2021, abgerufen am 4. Januar 2022 (englisch).
  4. Russia in six months’ time to draft program for crewed mission to the Moon by 2030. TASS, 13. Januar 2021.
  5. Flint Wild: What Is the Artemis Program? 30. August 2019, abgerufen am 31. Mai 2020.
  6. Brian Dunbar: Moon to Mars Overview. 2019, abgerufen am 31. Mai 2020.
  7. NASA Artemis program: Who will design next lunar lander? Abgerufen am 31. Mai 2020 (englisch).
  8. Sarah Loff: Commercial Lunar Payload Services Update. 29. Juli 2019, abgerufen am 31. Mai 2020.
  9. Tariq Malik 18 September 2018: How SpaceX's 1st Passenger Flight Around the Moon with Yusaku Maezawa Will Work. Abgerufen am 1. Juni 2020 (englisch).
  10. Darrell Etherington: SpaceX wants to land Starship on the Moon before 2022, then do cargo runs for 2024 human landing. Techcrunch, 25. Oktober 2019.
  11. Elon Musk Swears He'll Send Humans to Mars by 2026. That Seems Impossible. Popular Mechanics, 3. Dezember 2020.
  12. Blue Origin (Memento vom 27. Juli 2003 im Internet Archive)
  13. 郝祎咛: “逐梦寰宇问苍穹——中国载人航天工程三十年成就展”在京正式开幕 首次全面系统面向公众展示工程发展历程和建设成就. In: cmse.gov.cn. 25. Februar 2023, abgerufen am 21. Mai 2023 (chinesisch).
  14. Chandrayaan-3 launch in June next year, says ISRO chairman. In: economictimes.indiatimes.com. 20. Oktober 2022, abgerufen am 23. Oktober 2022 (englisch).
  15. NASA resumes cooperation with ISRO after ASAT test. 7. April 2019, abgerufen am 31. Mai 2020 (amerikanisches Englisch).
  16. ISRO & ROSCOSMOS to work together for first Indian manned mission. In: The Financial Express. 5. Oktober 2018, abgerufen am 31. Mai 2020 (amerikanisches Englisch).

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STS-114 Steve Robinson on Canadarm2.jpg
Originalbeschreibung der NASA: An den Füßen auf dem Roboterarm Canadarm2 der Internationalen Raumstation verankert, nimmt der Astronaut Stephen K. Robinson, Spezialist der Mission STS-114, am dritten Außeneinsatz (EVA) dieser Mission teil. Der schwarze Weltraum und der Erdhorizont bilden den Hintergrund des Bildes (3. August 2005).