Auf dem Berliner Reichstag, 2. Mai 1945

Auf dem Berliner Reichstag, 2. Mai 1945
Jewgeni Chaldej, 2. Mai 1945

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(c) Mil.ru, CC BY 4.0
Die Sowjetfahne über dem Reichstag (abweichendes Bild)

Auf dem Berliner Reichstag, 2. Mai 1945 ist der Titel einer Serie von 36 Aufnahmen[1] des sowjetischen Fotografen Jewgeni Chaldej, die während der Schlacht um Berlin am Ende des Zweiten Weltkrieges entstanden.[2] Das bekannteste Foto der Serie zeigt den historischen Augenblick des Hissens der Flagge der Sowjetunion auf dem Reichstagsgebäude. Das Foto gilt als Ikone der Bildgeschichte und symbolisiert „das Ende des Zweiten Weltkrieges“ und damit „das Ende des deutschen Faschismus“.[3] Das Foto ist unter zahlreichen Namen wie Hissen einer Flagge auf dem Reichstag („Raising a flag over the Reichstag“), Das Banner des Sieges auf dem Reichstag („Знамя Победы над Рейхстагом“) und Die Sowjetfahne über dem Reichstag bekannt.

Die Identität der abgebildeten Soldaten der Roten Armee ist umstritten. Da das Bild nicht die tatsächliche erste Flaggenhissung zeigt und zudem teilweise retuschiert wurde, wurde später wiederholt der Vorwurf erhoben, dass es sich um eine Fälschung handele.[1]

Entstehung

Chaldejs Foto wird zur Ikone:
Briefmarkenblock der DDR von 1975
Aserbaidschanische Briefmarke zum 65. Jahrestag des Sieges

Soldaten und Führung der Roten Armee sahen im Reichstagsgebäude eines der Schlüsselsymbole des Deutschen Reichs, was unter anderem mit der in der UdSSR zum Medienereignis gewordenen triumphalen Verteidigung Georgi Dimitrows im Reichstagsbrandprozess 1933 zusammenhängt. Nach heftigen Kämpfen vom 28. April bis zum späten Abend des 1. Mai 1945 wurde das Gebäude von der 150., 171. und 207. Schützendivision des 79. Schützenkorps der 3. Stoßarmee der Weißrussischen Front und anderen Kampfverbänden eingenommen. Neun rote Sowjetfahnen waren aus Moskau eingeflogen worden. Am 30. April 1945 wurde die Fahne der 150. Schützendivision als „Banner des Sieges“ zunächst über dem Eingangsportal und gegen 22:40 Uhr auch auf dem Dach des Gebäudes aufgepflanzt. Politoffiziere verbreiteten später, die Fahne habe bereits gegen 14:25 Uhr über Berlin geweht. Gegen 15 Uhr hatte der Befehlshaber der 3. Stoßarmee, Generaloberst Kusnezow, im Gefechtsstand bei Marschall der Sowjetunion Schukow angerufen und diesem gemeldet: „Unser rotes Banner weht auf dem Reichstag!“ Er teilte Schukow aber auch mit: „An einigen Stellen der oberen Stockwerke und in den Kellern wird immer noch gekämpft.“[4] Das später verbreitete Foto Chaldejs wurde wegen der anhaltenden Kämpfe erst am Morgen des 2. Mai 1945 nachgestellt.

Chaldej hatte seit Juni 1941 verschiedene Teilstreitkräfte der sowjetischen Armee an Kriegsschauplätzen als Fotograf begleitet. Nach der Eroberung Berlins durch die sowjetische Armee suchte er nach einem passenden Motiv mit hohem Symbolwert. Ob er Joe Rosenthals wenige Monate zuvor entstandenes Foto Raising the Flag on Iwo Jima kannte, ist umstritten.[5][6] Vom Hausmeister der Nachrichtenagentur TASS erhielt er rote Tischdecken und ließ daraus bei einem befreundeten Schneider drei sowjetische Fahnen schneidern. Mit drei Soldaten, die er im Eingangsbereich des brennenden Reichstags traf, stieg er auf das Dach des Gebäudes und fotografierte sie beim Hissen der Fahne. Danach reiste er zurück nach Moskau.

Retusche

In Moskau sollte das Bild am 13. Mai 1945 erstmals im Magazin Ogonjok gedruckt werden.[7] Vor der Veröffentlichung des Fotos fiel einem Redakteur auf, dass einer der Soldaten als Plünderer erkennbar war: Er schien an jedem Handgelenk eine Armbanduhr zu tragen. Daher wurde die Uhr am rechten Arm des Soldaten wegretuschiert.[7] In der roten Armee war allerdings das Tragen von Armbandkompassen (Modell Adrianow) verbreitet, sodass die Deutung als Plünderer zwar aus der Entfernung nahelag, aber nicht zwingend ist.

In späteren Versionen wurden zusätzlich die Rauchschwaden im Hintergrund des Bildes geschwärzt, sodass sie bedrohlicher wirkten.[7][8] Zuletzt wurde auch eine neue Fahne abgebildet, die sich dramatischer im Wind bauschte.[7]

Beteiligte Personen

Laut offizieller sowjetischer Geschichtsschreibung wurde die Flagge von den drei Soldaten Meliton Kantaria, Michail Alexejewitsch Jegorow und Konstantin Samsonow gehisst. Alle drei wurden als „Helden der Sowjetunion“ mit mehreren Orden dekoriert und erhielten in Anerkennung ihrer herausragenden Leistungen im Kampf gegen den Faschismus eine lebenslange Rente.[9][1] Der ebenfalls beteiligte Alexei Berest wurde im Gegensatz zu den genannten drei und weiteren an der Erstürmung des Reichstages beteiligten Soldaten nicht als „Held der Sowjetunion“ ausgezeichnet, sondern erhielt lediglich den massenhaft verliehenen Rotbannerorden und wurde nach dem Krieg drei Jahre im Gulag interniert.[10]

Mitte der 1990er Jahre enthüllte Chaldej in einem Interview mit britischen Journalisten die Namen der drei tatsächlich beteiligten Soldaten. Die Aufnahmen zeigten den Ukrainer Alexei Leontjewitsch Kowaljow, den Kumyken Abdulchakim Issakowitsch Ismailow und den Weißrussen Leonid Goritschew.[11][9][1] Josef Stalin selbst hatte sich für eine Gruppe aus allen an der Erstürmung des Reichstages beteiligten Soldaten entschieden und wählte mit Kantaria einen georgischen Landsmann als Flaggenhisser, die beiden anderen waren Russen.[9] Alle weiteren Beteiligten, darunter der Fotograf und die tatsächlich abgebildeten Soldaten, wurden zu strengster Geheimhaltung verpflichtet.

Beim Tod Michail Petrowitsch Minins im Januar 2008 wurde bekannt, dass Minin und weitere Soldaten bereits am Abend des 30. April 1945 eine Sowjetflagge auf dem Reichstag gehisst hatten. Auch andere Soldaten brachten in den beiden Tagen danach weitere Flaggen auf dem Gebäude an. Da diese Vorgänge aber nicht oder nur unzureichend durch Fotos dokumentiert wurden, wurde das Hissen durch Chaldej am 2. Mai noch einmal neu in Szene gesetzt. Neben Chaldej hatten mindestens drei weitere sowjetische Fotografen am 1. und 2. Mai am und auf dem Reichstag Soldaten mit Flaggen fotografiert.[7] Schlussendlich setzte sich jedoch Chaldejs Foto durch.

Literatur

  • Ernst Volland: Das Banner des Sieges. 1. Auflage. Berlin Story Verlag, Berlin 2008, ISBN 978-3-929829-91-4 (80 Seiten).
  • Bilder, die lügen. Begleitbuch zur Ausstellung der Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland (Hrsg.). Bouvier, Bonn 2003, ISBN 3-416-02902-X, S. 44–47.

Weblinks

Commons: Raising a flag over the Reichstag (Yevgeny Khaldei) – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. a b c d „Ich hisste die Flagge auf dem Reichstag.“ – „Nein ich!“ (Auszug) bei berlinstory-verlag.de, abgerufen am 12. Mai 2012.
  2. Jewgeni Chaldej bei artnet.de, abgerufen am 12. Mai 2012.
  3. Die Flagge auf dem Reichstag (Memento vom 10. Februar 2013 im Webarchiv archive.today) bei berlinstory-verlag.de, abgerufen am 12. Mai 2012.
  4. „um etwa 15:00“ und nachfolgende Zitate nach Georgi K. Schukow: Erinnerungen und Gedanken, Deutsche Verlags-Anstalt, Stuttgart 1969, S. 602–603.
  5. Kriegspropaganda: Diffuse Ikonen des Sieges bei handelsblatt.com, abgerufen am 16. Mai 2012.
  6. Martin Mehlhorn: „Raising the Flag on Iwo Jima“ Entstehungsgeschichte einer Ikone und ihre Bedeutung für die US-amerikanische Erinnerungskultur von 1945–2006, 2011, S. 14 (Online-Version).
  7. a b c d e Legendäre Foto-Manipulation Fahne gefälscht, Uhr versteckt, Wolken erfunden bei spiegel.de, abgerufen am 12. Mai 2012.
  8. Vergleichende Abbildung von Retusche und Original. Die Flagge auf dem Reichstag. Teil 3. Das manipulierte Foto. Ernst Volland, abgerufen am 12. Mai 2012.
  9. a b c „Jungs, stellt euch da hin und hißt die Flagge“ bei faz.net, abgerufen am 12. Mai 2012.
  10. Alexei Berest bei peoples.ru, abgerufen am 12. Mai 2012.
  11. Der letzte Rotarmist vom Reichstag ist tot bei welt.de, abgerufen am 12. Mai 2012.

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