Architekturkritik

Architekturkritik ist ein Teilaspekt der Kunstkritik und beschäftigt sich mit der Beurteilung von Architektur. Besonders die Auseinandersetzung mit zeitgenössischer Architektur ist ein Wesensmerkmal der Architekturkritik.

Inhalte

Beispiel: Der Petersdom in Rom (links) ist immer wieder kritisiert worden, weil Carlo Maderno an diese von Michelangelo als Zentralbau konzipierte Kirche ein Langhaus angebaut hat, mit der Folge, dass Michelangelos Kuppel trotz ihrer Höhe von 133 Metern vom Petersplatz aus – dem einzigen Ort auf Straßenniveau, der überhaupt eine gute Sicht auf das Bauwerk erlaubt – kaum zu sehen ist. Rechts zum Vergleich der Invalidendom in Paris.
Zu den kontroversesten Bauwerken der Gegenwart zählt Thomas Heatherwicks Skulptur Vessel (2019, New York City). Kritiker hatten von Anfang an davor gewarnt, dass das Design zu Suizidversuchen einlade.[1]
Ein weiteres vielkritisiertes Bauwerk ist 20 Fenchurch Street in London (2014). Aufgrund der konkaven Krümmung der Glasfassade tritt in der Umgebung des Hochhauses Reflektionslicht stark gebündelt auf und verursacht, etwa an geparkten PKWs, immer wieder Hitzeschäden.

Ein Ziel der Architekturkritik ist, die Ursachen der Fehlleistungen von Architektur aufzuzeigen.[2]

Architekturkritik ist eine Methode der Auseinandersetzung. Unter dem Aspekt von „Unterscheiden und Infragestellen“ wird die gebaute Umwelt beurteilt.

Philosophisch gesehen erfolgt die Kritik:

  1. subjektiv, nach persönlichem Geschmack und Empfinden und wird
  2. objektiv begründet durch Anwendung gesicherter, messbarer Prinzipien um den Wert (oder Unwert) einer Bauform zu erkennen.

Ziel ist es also, aufgrund dieser beiden Möglichkeiten eine argumentative Position zu finden.

Zur Architekturkritik gehört auch der Blick auf einschlägige Texte aus sprachlicher, vor allem linguistischer Sicht. Jan Büchsenschuß spricht dabei von einer "Tendenz zur Sprachentstellung" und zeigt dies an zahlreichen Beispielen, etwa an Phrasen wie "Das Haus ist gut orientiert", "fließender Wohnraum", "homöopathisch gebrochen", "hochgradig abstrakte, modernistische Umgebung", "die schmutzigen Brüche innerhalb der städtebaulichen Typologien", "Aluminium-Glas-Rasterfassade", "rigorose Treppen", "bei gezielter Injektion von Gegenwart".[3]

Kriterien

Die Kriterien der Architekturkritik werden von der Architekturtheorie formuliert. Nach Vitruv sind die drei Hauptanforderungen an die Architektur: Firmitas (Festigkeit), Utilitas (Nützlichkeit) und Venustas (Schönheit). Dabei muss allen drei Kategorien gleichermaßen und gleichwertig Rechnung getragen werden.[4]

Geschichte

Historische Repräsentationsarchitektur, wie zum Beispiel der Parthenon oder gotische Kathedralen, wurde von Baumeistern und anonymen Handwerkern geschaffen.

Mit dem Humanismus taucht eine neue Konzeption der Architektur als "Freie Kunst" auf und bildet einen neuen Typus: Der Architekt als Künstler, der mit seinem Bauentwurf ästhetischer Mittler für die Wünsche seiner Bauherrschaft wird. Geschichtlich gesehen vertraten Architekt und Bauherr dieselben Wertvorstellungen und damit die Grundlagen der gesamten Repräsentations-Architektur. Wer durch Geburt und (oder) Vermögen privilegiert war, vergrößerte sein Ansehen durch das des Architekten. Umgekehrt bedeutete es – da die Anerkennung eines Kunstwerkes allein von den Herrschenden abhing – für den Architekten gesellschaftlichen Aufstieg, Erfolg und weitere Aufträge. Dieser Kontext bildete die Basis für das Mäzenatentum. Kritik war hier völlig überflüssig, denn man war entweder "in" oder "out".

Im 19. Jahrhundert wandelte sich die Architektur durch den technischen Fortschritt und die Ingenieurwissenschaften: die Spaltung von Entwurf und Bautechnik. Die meisten Architekten schufen weiter Szenarien für den großbürgerlichen Zeitgeschmack, unfähig zur Synthese, setzten sie alles daran, die neuen Eisenkonstruktionen hinter monumentalen Fassaden zu verbergen und reduzierten sich so auf die angreifbare Funktion eines "Stylisten". Die Theorie des "Schönen" wurde auf ein System von Regeln reduziert und wer dem nicht entsprach, war kritisierbar.

Bekannte Architekturkritiker

Siehe auch: Comité Internacional de Críticos de Arquitectura

Auszeichnungen

Siehe auch

Literatur

  • Jürgen Tietz: Was ist gute Architektur? 21 Antworten. Deutsche Verlags-Anstalt, Stuttgart 2006, ISBN 3-421-03466-4.
  • Manfred Sack: Architektur in der Zeit. Kritiken und Reportagen über Häuser, Städte und Projekte. C. J. Bucher, Luzern / Frankfurt am Main, 1979, ISBN 3-7658-0289-1.
  • Ingeborg Flagge (Hrsg.): Streiten für die menschliche Stadt. Texte zur Architekturkritik. Junius, Hamburg 1997, ISBN 3-88506-276-3.
  • Georg Franck, Dorothea Franck: Architektonische Qualität. Hanser-Verlag, München 2008
  • Fred F. Stuber: Zur Problematik der Architekturkritik. Theoretische Diplomarbeit. Erster Teil.;Versuch einer umfassenden Publikation eines Bauwerkes. Theoretische Diplomarbeit. Zweiter Teil. Hochschule für Gestaltung, Ulm 1967.
  • Manfred Sack: Verlockungen der Architektur. Kritische Beobachtungen und Bemerkungen über Häuser und Städte, Plätze und Gärten. Quart-Verlag, Luzern 2003, ISBN 3-907631-22-6.
  • Jan Büchsenschuß: Die Blüten des Extravaganten. Über die Tendenz zur Sprachentstellung in zeitgenössischen Architekturkritiken. Tectum, Marburg 2016, ISBN 978-3-8288-3819-2.
  • Manfred Sack: Götter und Schafe: Über Häuser, Städte, Architekten – Kritiken und Reportagen. Birkhäuser, Basel 2000, ISBN 3-7643-6141-7.
  • Wilfried Dechau (Hrsg.): Mit spitzem Stift. Architektur in der deutschen Tagespresse. Deutsche Verlags-Anstalt, Stuttgart, 1998, ISBN 3-421-03171-1.
  • Ulrich Conrads, Eduard Führ, Christian Gänshirt (Hrsg.): Zur Sprache bringen. Kritik der Architekturkritik. Waxmann, Münster 2003, ISBN 3-8309-1304-4.
  • Klaus Jan Philipp: Vom Dilettantismus zur Zensur. Zur Geschichte der Architekturkritik. Deutsche Verlags-Anstalt, Stuttgart 1996, ISBN 3-421-03121-5.
  • Adolf Behne: Architekturkritik in der Zeit und über die Zeit hinaus: Texte 1913–1946. (Herausgegeben von Haila Ochs.) Birkhäuser, Basel / Boston / Berlin 1994.
  • Ulrich Conrads: Umwelt Stadt. Argumente und Lehrbeispiele für eine humane Architektur. Rowohlt, Reinbek bei Hamburg 1974, ISBN 3-499-16885-5.

Einzelnachweise

  1. New York sculpture Vessel faces calls for closure after fourth jump death. In: The Guardian. 31. Juli 2021, abgerufen am 9. Dezember 2022.
  2. Günther Binding: Bilderwörterbuch der Architektur. Kröner, 1999, ISBN 3-520-19403-1.
  3. Jan Büchsenschuß: Die Blüten des Extravaganten. Über die Tendenz zur Sprachentstellung in zeitgenössischen Architekturkritiken. Marburg: Tectum 2016, ISBN 978-3-8288-3819-2, S. 9, 10, 26, 42.
  4. Vitruv: Zehn Bücher über Architektur. Übersetzt und mit Anmerkungen versehen von Dr. Curt Fensterbusch. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 1964, ISBN 3-534-01121-X, S. 45.
  5. Nobody likes a Critic. Abgerufen am 8. Dezember 2022.
  6. Architectural Criticism That’s Not Just For Architects. Abgerufen am 8. Dezember 2022.

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0 Cathédrale Saint-Louis-des-Invalides à Paris (1).JPG
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Saint-Louis-des-Invalides Cathedral (height 107 m), built between 1681 and 1708 according to the general plan in the shape of a Latin cross by Jules Hardouin-Mansart on the plain of Grenelle in Paris.
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