Analogie (Recht)

Die Analogie ist eine Argumentationsform im Rahmen der juristischen Methodenlehre in den Rechtswissenschaften. Sie bezeichnet die Übertragung der für einen oder mehrere gesetzlich bestimmte Tatbestände vorgesehenen Regelanwendung auf einen anderen Tatbestand, der vergleichbar und damit rechtsähnlich ist, gesetzlich aber nicht geregelt.[1] Der Analogieschluss erweitert den Geltungsbereich einer rechtlichen Regelung auf bisher ungeregelte Fälle und überschreitet damit auch die Grenze zur Auslegung eines tatbestandlichen Wortsinns. Dies gründet sich auf den Gleichheitssatz, wenn und weil die Unterschiede zwischen den schon geregelten und den noch nicht geregelten Fällen eine unterschiedliche Behandlung nicht rechtfertigen.[2]

Auch der Gesetzgeber bedient sich der Analogie, wenn er eine entsprechende oder sinngemäße Anwendung einer Norm fordert. Dies ist methodologisch dann aber keine Rechtsfortbildung durch Analogie, sondern Rechtsanwendung.[3]

Gegenstücke zur Analogie sind der Umkehrschluss und die teleologische Reduktion.

Historischer Hintergrund

Die Rechtsfigur der Analogie geht auf die Glossatoren zurück, die bei den einzelfallbezogenen Abschnitten der Digesten jeweils prüften, ob Rechtssätze auf ähnliche, vergleichbare Fälle anwendbar seien.

Das Gegenstück zur Analogie ist die teleologische Reduktion, bei der der Tatbestand einer Norm im Nachhinein nicht ausgeweitet, sondern beschränkt wird.

Voraussetzungen

Die analoge Anwendung einer Norm kommt in Betracht, wenn für einen bestimmten Sachverhalt keine Rechtsnorm existiert, d. h. eine Gesetzeslücke oder Regelungslücke vorliegt. Vielfach wird gefordert, dass diese planwidrig ist, d. h. vom Gesetzgeber nicht beabsichtigt war.[4] Demgegenüber wird vertreten, dass eine Planwidrigkeit nur dann als unabdingbar für eine Analogie anerkannt werden kann, wenn man ausschließlich die subjektive Auslegungsmethode akzeptiert. Nach der objektiven Auslegungsmethode könnte man demgegenüber zu dem Ergebnis kommen, dass eine analoge Anwendung angebracht ist, also eine Gesetzeslücke vorliegt, obwohl der historische Gesetzgeber nachweislich keine Rechtsfolge an den Fall knüpfen wollte.[5] Die Frage, ob eine Lücke durch eine Analogie ausgefüllt werden kann, ist aber in beiden Fällen durch Auslegung zu ermitteln.[6]

Mit der herrschenden Meinung ist daher zu fordern, dass eine Analogie dann in Betracht kommt, wenn

  1. die „Interessenlage vergleichbar“ ist und
  2. das Fehlen einer passenden Rechtsnorm eine „planwidrige Regelungslücke“ darstellt.

Liegen diese Voraussetzungen vor, dann kann die andere Norm entsprechend, also analog auf den Sachverhalt angewendet werden.

Kein allgemeines Analogieverbot

Analogien sind in sämtlichen Rechtsbereichen grundsätzlich zulässig, soweit sie nicht nach dem Grundgedanken des betreffenden Gesetzes, welches analog angewandt werden soll, ausgeschlossen sind (argumentum lege non distinguente).[7]

Nach dem verfassungsrechtlichen Gebot des Art. 103 Abs. 2 Grundgesetz (nulla poena sine lege, „keine Strafe ohne Gesetz“), ist eine Analogie im Strafrecht zu Lasten des Täters verboten.[8] Demgegenüber wird eine Analogie zu Gunsten des Täters als zulässig erachtet, da das verfassungsrechtliche Gebot den Angeklagten lediglich schützen, nicht jedoch benachteiligen soll.[9] Ähnliches ergibt sich für das Verwaltungsrecht. Dort ist aufgrund des Vorbehaltes des Gesetzes eine Analogie als Grundlage für Grundrechtseingriffe durch die Verwaltung grundsätzlich verboten.

Planwidrige Regelungslücke

Es muss eine Regelungslücke vorliegen und diese muss planwidrig sein.

Regelungslücke

Eine Regelungslücke liegt vor, wenn für einen bestimmten Sachverhalt eine Rechtsfolge ersichtlich nicht vorgesehen ist, in der Regel, weil ein bestimmtes Merkmal eines Tatbestands nicht erfüllt ist und kein anderer Tatbestand existiert, der für diesen konkreten Fall eine Rechtsfolge vorsieht. In bestimmten Fällen sehen Gesetze ausdrücklich vor, dass in bestimmten Fällen andere Vorschriften entsprechend anzuwenden sind (typischerweise mit der Formulierung „ist entsprechend anzuwenden“, siehe z. B. § 84 ArbGG). In einem solchen Fall lag nach Ansicht des Gesetzgebers ursprünglich eine Regelungslücke vor, die durch die Einführung des Verweises geschlossen wurde. In einem solchen Fall ist eine Analogie deshalb nicht (mehr) möglich.

Planwidrigkeit

Nach der subjektiven Auslegungsmethode ist eine Regelungslücke dann planwidrig, wenn anzunehmen ist, dass der Gesetzgeber die Notwendigkeit einer Regelung schlicht übersehen hat (hätte er erkannt, dass eine Regelungslücke entsteht, hätte er sie geschlossen).[10] Oft lässt sich aber auch aus den Wertungen der Verfassung oder etwaiger Generalklauseln ableiten, dass eine Lücke planwidrig ist, da sich der Gesetzgeber ansonsten in Widerspruch zu grundsätzlichen, allgemeingültigen Wertungen gesetzt hätte.

Wenn der Gesetzgeber absichtlich keine gleiche Regelung erlassen hat oder eine solche aufgehoben hat, ist eine Analogieanwendung nicht möglich. Ob eine Lücke absichtlich offengelassen wurde, ist durch Auslegung insbesondere unter Berücksichtigung des gesamten Regelungskonzepts der mit der fraglichen Regelung im Zusammenhang stehenden weiteren Vorschriften zu ermitteln.[11]

Vergleichbare Interessenlage

Es wird angenommen, dass die Interessenlage vergleichbar ist, wenn sich beide Sachverhalte in allen wesentlichen Merkmalen gleichen. Dies ist eine Wertentscheidung. In den Worten des Bundesgerichtshofs (BGH): Darüber hinaus muss der zu beurteilende Sachverhalt in rechtlicher Hinsicht soweit mit dem vom Gesetzgeber geregelten Tatbestand vergleichbar sein, dass angenommen werden kann, der Gesetzgeber wäre bei einer Interessenabwägung, bei der er sich von den gleichen Grundsätzen hätte leiten lassen wie beim Erlass der herangezogenen Norm, zum gleichen Abwägungsergebnis gekommen.[12]

Beispielsweise ist die Interessenlage vergleichbar, wenn aus Sicht des Betroffenen vom Zufall abhängt, ob eine einschlägige Norm vorhanden ist oder nicht (z. B. der Zeitpunkt der Erledigung eines Verwaltungsaktes bei der Fortsetzungsfeststellungsklage).

Gesetzesanalogie – Rechtsanalogie – allgemeiner Rechtsgedanke

Nach einer verbreiteten Einteilung unterscheidet man die Gesetzesanalogie (Einzelanalogie) von der Rechtsanalogie (Gesamtanalogie) – je nachdem, ob eine Analogie zu einer Rechtsnorm oder zu einem aus mehreren Rechtsnormen entnommenen Regelungsprinzip erfolgt.

Bei der Gesetzesanalogie „wird die Rechtsfolge einer Norm auf einen vergleichbaren Fall … übertragen“.[13]

Bei der Rechtsanalogie wird aus mehreren Rechtssätzen ein gemeinsamer Rechtsgedanke gewonnen und ein ganzer Regelungskomplex auf ähnliche Fälle angewendet; dies wird beispielsweise für die Anwendung des Grundrechtsschutzes auf ungeborene Kinder erwogen, die nach dem Wortlaut diverser Vorschriften im Grundgesetz und im BGB nicht von diesem Schutz erfasst wären.[14]

Die Rechtsanalogie ist eng mit dem Begriff des allgemeinen Rechtsgedanken verwandt. Aus bestimmten Vorschriften werden solche allgemeinen Rechtsgedanken abgeleitet, die dann im Rahmen der systematischen Auslegung anderer Vorschriften herangezogen werden. Eine Analogie kann, muss damit aber nicht zwingend einhergehen, wie nachfolgende zwei Beispiele zeigen:

  • Der Vorschrift des § 31 BGB (die ihrer systematischen Stellung und ihrem Wortlaut nach lediglich auf Vereine Anwendung findet) wird der allgemeine Rechtsgedanke entnommen, dass sich sämtliche gesamtverantwortungsfähige Vereinigungen (z. B. AG, GmbH, GbR, OHG, KG, Stiftung) ihrer Organe haftungsrechtlich zurechnen lassen müssen, also für diese Handlungen und daraus resultierende Folgen, insbesondere Schäden, einzustehen haben.[15] Die Vorschrift wird daher analog auf sämtliche dieser Vereinigungen angewandt.[15][16][17][18]
  • Der Vorschrift des § 84 Abs. 1 Satz 2 HGB entnahm das BAG vor Einführung des § 611a BGB zum 1. April 2017 den allgemeinen Rechtsgedanken, dass eine abhängigen Tätigkeit und damit ein Arbeitnehmer-Arbeitgeber-Verhältnis immer dann vorliegt, wenn eine Dienste erbringende Person ihre Tätigkeit nicht frei gestalten und ihre Arbeitszeit auch nicht selbst bestimmen kann.[19] Bei der Auslegung des Begriffs "Arbeitnehmer" in diversen Gesetzen zog das BAG diesen Rechtsgedanken heran und ermittelte anhand dieser Kriterien im jeweiligen Einzelfall, ob es sich bei der jeweiligen Leistung um eine Arbeitsleistung mit daraus resultierender Anwendbarkeit von Arbeitnehmerschutzvorschriften oder um eine selbstständige Tätigkeit handelte.[20]

Sonderfälle

Doppelte Analogie

Auch die Möglichkeit, eine Regelung in doppelt analoger Anwendung heranzuziehen, besteht. Dies erfolgt, wenn zwei Tatbestandsmerkmale einer gesetzlichen Regelung nicht ohne Weiteres erfüllt sind. Dies ist z. B. in einer Situation im Verwaltungsprozess nötig, bei der sich ein begehrter Verwaltungsakt vor Erhebung der Verpflichtungsklage z. B. wegen Zeitablaufs erledigt hat. § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO wird in dieser Situation doppelt analog herangezogen. § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO ist grundsätzlich nur auf die Anfechtungsklage anwendbar, wenn der Verwaltungsakt sich nach Klageerhebung erledigt hat. Im beschriebenen Fall liegt aber eine Verpflichtungsklage und eine Erledigung vor Klageerhebung vor und erfordert so die doppelte Analogie.

Analogieschluss im islamischen Recht

Auch das islamische Recht kennt das Instrument des Analogieschlusses. Er wird als Qiyās (arabisch قِيَاس) bezeichnet, gilt im sunnitischen Islam nach Koran, Sunna und Gelehrtenkonsens als die vierte Quelle des islamischen Rechts und wird bis heute als Verfahren zur Gewinnung von Normen angewandt. Die Regeln für den Qiyās werden in den Kompendien zur islamischen Rechtstheorie behandelt.

Beispiel: Die Sure 17,24 verbietet, Eltern wegen Unsauberkeit zu schelten. Daraus wird geschlossen, dass es bei einem ähnlichen Anlass erst recht verboten ist, die Eltern zu schlagen.[21]

Siehe auch

Literatur

  • Elmar Bund: Juristische Logik und Argumentation. Rombach, Freiburg 1983, ISBN 3-7930-9028-0.
  • Franz Bydlinski: Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff, 2. Auflage, Verlag Österreich, Wien 2011, ISBN 978-3-7046-5972-9.
  • Arthur Kaufmann: Analogie und Natur der Sache. 2. Auflage. Decker & Müller, Heidelberg 1982, ISBN 3-8114-0882-8.
  • Thorsten Ingo Schmidt: Die Analogie im Verwaltungsrecht. In: VerwArch. 97 (2006), S. 139–164.
  • Thomas Regenfus: Die »doppelte Analogie« – Erscheinungsformen und Voraussetzungen, Juristische Arbeitsblätter (JA) 2009, 579.
  • Markus Würdinger: Die Analogiefähigkeit von Normen – Eine methodologische Untersuchung über Ausnahmevorschriften und deklaratorische Normen, in: Archiv für die civilistische Praxis (AcP) 206 (2006), S. 946–979.
  • Markus Würdinger: Die Ähnlichkeitsfalle. In: Juristische Schulung (JuS). 61. Jahrgang, 2021, S. 198–200.
  • Markus Würdinger: Ähnlichkeiten im juristischen Denken und Arbeiten. In: Christoph Althammer und Christoph Schärtl (Hrsg.): Dogmatik als Fundament für Forschung und Lehre. Festschrift Herbert Roth zum 70. Geburtstag, Mohr Siebeck, Tübingen 2021, ISBN 978-3-16-159444-1, S. 141–156.

Einzelnachweise

  1. Bernd Rüthers: Rechtstheorie. München 2010, ISBN 978-3-406-60126-2.
  2. Reinhold Zippelius, Rechtsphilosophie, 6. Auflage, 2011, §§ 18 II, 40 I 3, II.
  3. Peter Schwacke: Juristische Methodik. 5. Auflage. Kohlhammer, Stuttgart 2011, S. 132.
  4. Franz Bydlinski: Grundzüge der juristischen Methodenlehre Wien 2012, ISBN 978-3-8252-3659-5.
  5. Ingeborg Puppe: Kleine Schule des juristischen Denkens Stuttgart 2012, ISBN 978-3-8252-3053-1.
  6. Karl Larenz: Methodenlehre der Rechtswissenschaft Berlin 1991, ISBN 3-540-52872-5.
  7. Carl Creifelds: Rechtswörterbuch 21. Aufl. 2014. ISBN 978-3-406-63871-8.
  8. BVerfG, Beschluss vom 04. Dezember 2003 – 2 BvR 1107/03 –, bundesverfassungsgericht.de = BeckRS 2003, 25539 Rn. 3
  9. BGH, Beschluss vom 27. Mai 2020 − 1 StR 118/20 –, juris.bundesgerichtshof.de = NStZ 2021, 290
  10. BGH, Beschluss vom 12. Juli 2017 – IV ZB 15/16 –, juris.bundesgerichtshof.de
  11. BAG, Urteil vom 05. Mai 2010 – 7 AZR 728/08 –, bundesarbeitsgericht.de = NZA 2010, 1025 Rn. 31
  12. BGH, Urteil vom 04. Dezember 2014 – III ZR 61/14 –, juris.bundesgerichtshof.de Rn. 9 = NJW 2015, 1176
  13. Palandt/Grüneberg, BGB, 77. Auflage. 2018, Einleitung, Rn. 48.
  14. Roman Poseck: BeckOK BGB. Hrsg.: Wolfgang Hau, Roman Poseck. 75. Edition. C.H.BECK, München 1. August 2025, BGB § 1 Rn. 27, 28.
  15. a b Martin Schöpflin: BeckOK BGB. Hrsg.: Wolfgang Hau, Roman Poseck. 75. Edition. C.H.BECK, München 1. August 2025, BGB § 31 Rn. 3.
  16. BGH, Urteil vom 09. Mai 2005 – II ZR 287/02 –, openjur.de für die AG
  17. BGH, Urteil vom 03. Mai 2007 – IX ZR 218/05 –, openjur.de für die GbR
  18. BGH, Urteil vom 13. Januar 1987 – VI ZR 303/85 –, research.wolterskluwer-online.de für die GmbH
  19. BAG, Urteil vom 30. November 1994 – 5 AZR 704/93 –, tk-lex.tk.de
  20. Reinhard Engshuber: Münchener Kommentar zum BGB. Hrsg.: Franz Jürgen Säcker. 9. Auflage. C.H.BECK, München 2023, BGB § 621 Rn. 4.
  21. Karl Jaroš: Der Islam. Böhlau, Wien u. a. 2012, S. 100