Almasbek Atambajew

Almasbek Atambajew (2017)

Almasbek Scharschenowitsch Atambajew (kirgisisch Алмазбек Шаршенович Атамбаев; * 17. September 1956 in Araschan, Gebiet Tschüi, Kirgisische SSR, Sowjetunion) ist ein kirgisischer Politiker. Er war von 2011 bis 2017 Präsident seines Landes. Zuvor war er ab 30. Juni 1999 der Vorsitzende der Sozialdemokratischen Partei Kirgisistans sowie vom 29. März bis zum 28. November 2007 und nochmals ab dem 17. Dezember 2010 Regierungschef.

Leben

Atambajew studierte an der Moskauer Hochschule für Verwaltung und war von 1980 bis 1981 als Ingenieur beim Ministerium für Post- und Fernmeldewesen der Kirgisischen Sowjetrepublik tätig. Nach einer weiteren Anstellung als Hauptingenieur folgte von 1983 bis 1987 eine Tätigkeit im Präsidium des Obersten Sowjets der Kirgisischen SSR. 1987 bis 1989 war Atambajew als stellvertretender Vorsitzender des Exekutivkomitees des Rates der Volksdeputierten des Perwomaiski-Stadtbezirks von Frunse tätig.

1989 gründete Atambajew das Forschungsunternehmen Forum; von 1995 bis 2000 folgten fünf Jahre als Abgeordneter im Dschogorku Kengesch, dem kirgisischen Parlament. 1997 bis 1999 leitete er außerdem das Industrieunternehmen Kyrgysawtomasch.

Als Kandidat bei den Präsidentschaftswahlen im Oktober 2000 erhielt Atambajew 6 % der Wählerstimmen.[1] Ab dem 20. Dezember 2005 saß er als Minister für Industrie, Handel und Tourismus in der kirgisischen Regierung,[2] trat aber bereits im April 2006 von seinem Posten zurück.[3]

Im April und im November 2006 gehörte er zu den führenden Kräften der Bewegung „Für Reformen!“ (За Реформы), die Massenproteste gegen die Regierung organisierte.[4]

Nach dem Rücktritt von Asim Issabekow am 29. März 2007 ernannte ihn Präsident Kurmanbek Bakijew zum kommissarischen Premierminister; am 30. März wurde er im Parlament mit einer Stimmenmehrheit von 48 zu 3 im Amt bestätigt.[5]

Vergiftung

Nach eigenen Angaben fiel Atambajew am 11. Mai 2007 in seinem Büro in Ohnmacht, nachdem er ein Glas Wasser getrunken hatte. Erst nach zwei Tagen erlangte er das Bewusstsein wieder. Ärzte diagnostizierten eine toxische Hepatitis, die durch ein unbekanntes Gift hervorgerufen wurde.[6]

Entlassung

Am 24. Oktober 2007 entließ Präsident Bakijew die Regierung Atambajew. Drei Tage zuvor war in einem Referendum eine neue Verfassung angenommen worden, die dem Präsidenten mehr Macht einräumt.[7] Atambajew blieb noch bis zur Ernennung des Interimspremiers Iskenderbek Aidaralijew am 28. November 2007 im Amt.

Präsidentschaftskandidatur 2009

Bei den Präsidentschaftswahlen am 23. Juli 2009 trat Atambajew als aussichtsreichster Oppositionskandidat gegen Amtsinhaber Bakijew an. Am Wahltag zog er seine Kandidatur kurzfristig zurück und begründete dies damit, dass die Wahlen manipuliert würden. Seine Verzichtserklärung hatte jedoch keine Auswirkungen mehr auf die Wahl, da die Frist für einen Rückzug bereits verstrichen war. Offiziellen Angaben zufolge votierten knapp 8 % der Wähler für Atambajew, Amtsinhaber Bakijew kam auf über 80 %. Die Wahlen wurden von der Opposition und der OSZE als unfrei kritisiert. Wahlbeobachter stellten zahlreiche Unregelmäßigkeiten fest. Atambajew kündigte nach der Wahl eine Anfechtung des Ergebnisses an und rief zu Protesten auf.[8]

Umsturz 2010

Im Zuge der blutigen Unruhen in Kirgisistan im April 2010 wurde Atambajew zunächst gemeinsam mit anderen Oppositionspolitikern festgenommen.[9] Nach der Machtübernahme durch die Opposition wurde er erster stellvertretender Regierungschef in der Übergangsregierung unter Rosa Otunbajewa.[10]

Nach der Parlamentswahl vom 10. Oktober 2010 und langen Koalitionsverhandlungen wurde Atambajew am 17. Dezember durch das neue Parlament erneut zum Regierungschef gewählt.[11] Er kündigte unter anderem an, die einzige in Zentralasien verbliebene US-Militärbasis in Manas schließen zu wollen.[12]

Präsidentschaft

Almazbek Atambayev (2. von links) mit dem aserbaidschanischen Präsidenten İlham Əliyev (2. von rechts, 2012)

Im Oktober 2011 gewann der als pro-russisch geltende Sozialdemokrat die Präsidentschaftswahl mit knapp 63 Prozent. Atambajew wurde damit der Nachfolger des anderthalb Jahre zuvor gestürzten autoritär regierenden Kurmanbek Bakijew bzw. der Übergangspräsidentin Rosa Otunbajewa.[13] Bei seinem Staatsbesuch in Russland im Juni 2017 gab Atambajew bekannt, er habe Wladimir Putin, der als ein Vertrauter Atambajews gilt, um die Errichtung einer zweiten russischen Militärbasis im Süden von Kirgistan gebeten. Dies sei notwendig und hänge mit der Erstarkung der Taliban in Afghanistan und anderer islamistischer Terrorgruppen zusammen, die die Sicherheit des Landes gefährden würden. In Kant, ca. 40 Kilometer von der Hauptstadt Bishkek entfernt befindet sich bereits ein russischer Militärstützpunkt.[14] 2016 kam es zu einem Treffen von Atambajew und Bundeskanzlerin Angela Merkel. Angela Merkels Besuch in Kirgisistan im Jahr 2015 war der erste Besuch einer Bundeskanzlerin in diesem Land in der Geschichte der unabhängigen Kirgisischen Republik und der erste Besuch eines Bundeskanzlers von Deutschland in der zentralasiatischen Region in der Geschichte.[15]

Ein weiteres Thema seiner Präsidentschaft waren Grenzkonflikte mit dem Nachbarland Usbekistan, unter anderem um den Berg Ungar-Too. Gegen Präsident Atambajew wurden bereits während seiner Präsidentschaft Vorwürfe erhoben, er missbrauche sein Amt und sei korrupt. Konkret wurden die Vergabe eines Renovierungsauftrags eines Heizkraftwerks und die Freilassung eines landesweit bekannten Straftäters kritisiert und hinterfragt.[16] Bei der Präsidentschaftswahl in Kirgisistan 2017 durfte er nicht mehr antreten, zu seinem Nachfolger wurde der ehemalige Regierungschef Sooronbai Dscheenbekow gewählt.[17] Zu Dscheenbekow hat Atambajew jedoch ein angespanntes Verhältnis, da beide um die Vorherrschaft innerhalb der Sozialdemokratischen Partei Kirgisistans (SDPK) konkurrieren.

Innenpolitik

Ein Meilenstein während der Amtszeit von Almasbek Atambajew ist auch die Einführung von biometrischen Pässen und einem biometrischen Wahlsystem, das die Transparenz der Wahlen gewährleistete und die Möglichkeit ausschloss, dass ein Bürger mehrmals abstimmt. Es wurde erst möglich abzustimmen, nachdem der Fingerabdruck identifiziert wurde.[18] Während Atambajews Präsidentschaft führte das Land ein System der Wahlteilnahme auf Basis biometrischer Daten ein, das die Transparenz des Abstimmungsverfahrens erheblich erhöhte und viele Möglichkeiten zur Fälschung beseitigte. Das Gesetz von 2014 "Über die biometrische Registrierung der Bürger der Kirgisischen Republik" spielte eine wichtige Rolle bei der Entwicklung der Institution der demokratischen Wahlen.[19] Im Dezember 2016 unterzeichnete Atambajew ein Dekret, das die Verwendung von Militärgerichten in Kirgisistan offiziell abschaffte.[20]

Internationale Experten bewerteten den Übergang zu einer parlamentarischen Regierungsform durch eine Verfassungsreform, die Stärkung der Rolle des Premierministers und des Parlaments dank der Verfassungsreform sowie die Tatsache, dass dies die Institution der Macht im Gegensatz zur wachsenden Verbreitung der islamistischen Ideologie im Land stabilisieren sollte, positiv.[21] Die Änderungen wurden mit einer überwältigenden Mehrheit von nahezu 80 % der kirgisischen Bevölkerung angenommen.

Kirgisistan erhielt unter Almasbek Atambajew im Jahr 2015 auch den GSP+-Status mit der Europäischen Union. Um den GSP+-Status beizubehalten, muss Kirgisistan 27 internationalen Konventionen entsprechen. 7 davon beziehen sich auf Menschenrechte - den Schutz der Rechte von Kindern, die Beseitigung von Diskriminierung gegenüber Frauen und Minderheiten, den Schutz der Meinungsfreiheit, der Versammlungsfreiheit, das Recht auf ein faires Verfahren, die Gewährleistung der Unabhängigkeit der Justiz sowie wirtschaftliche, kulturelle und soziale Rechte.[22]

Meinungen zur Präsidentschaft

George Soros äußerte sich positiv über Almasbek Atambajew und sagte, dass "Kirgisistan Glück habe, einen nicht korrupten Präsidenten zu haben", und stellte fest, dass das die Wahl einer Person, die nicht in Korruption verstrickt ist, gut für die demokratische Entwicklung des Landes ist.[23] Alexander Soros bewertete die Digitalisierungsbemühungen der kirgisischen Regierung im Tasa Koom-Projekt positiv.[24]

Nach der Präsidentschaft

Ende März 2018 wurde Atambajew auf dem Parteikongress der SDPK zu deren Vorsitzenden gekürt und kündigte seine Rückkehr in die Politik an. Er betonte, keine höheren Posten anstreben zu wollen. Das Ziel sei, seine Partei auf die Parlamentswahlen 2020 vorzubereiten.[25]

Am 27. Juni 2019 hob das kirgisische Parlament Atambajews Immunität auf, um eine Anklage wegen Korruption, Amtsmissbrauch und Vermögensenteignung zu ermöglichen. Im Juli besuchte Atambajew Russlands Präsidenten Putin, der Präsident Dscheenbekow vor einer weiteren Eskalation warnte. Am 7. August 2019 versuchte eine Spezialeinheit, ihn auf seinem Anwesen festzunehmen, was jedoch von seinen Anhängern verhindert wurde. Bei der Auseinandersetzung zwischen etwa 1000 Anhängern des Ex-Präsidenten und 100 Sicherheitskräften (darunter eine Spezialeinheit) wurde ein Mensch getötet und Dutzende verletzt. Atambajew selbst gibt an, selbst geschossen zu haben.[26][27][28] Am darauffolgenden Tag wurde er auf seinem Anwesen im Dorf Koj-Tasch im Rajon Alamüdün südlich der Hauptstadt Bischkek von Sicherheitskräften, die selbst mit 1000 „Mann“ angerückt waren, festgenommen.[28] Nach der Festnahme Atambajews wuchs die Angst vor einem Eingreifen Russlands in die innenpolitische Krise, da Atambajew als Vertrauter Putins galt und Russland strategische Interessen in Kirgisistan verfolgt.[29] Am 23. Juni 2020 wurde Atambajew wegen Korruption von einem Gericht zu elf Jahren und zwei Monaten Gefängnis verurteilt.[30]

Nach der kirgisischen Parlamentswahl am 4. Oktober 2020 besetzten Demonstranten den Sitz der kirgisischen Regierung in der Hauptstadt Bischkek und befreiten Atambajew aus einem Gefängnis des kirgisischen Geheimdienstes KNB.[31]

Auszeichnungen und Ehrungen

Weblinks

Commons: Almasbek Atambajew – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Presidential Election of 7 November 2000 (Memento vom 29. März 2005 im Internet Archive) auf psephos.adam-carr.net.
  2. New Kyrgyz Government Sworn In (Memento vom 30. September 2007 im Internet Archive), Radio Free Europe/Radio Liberty, 21. Dezember 2005.
  3. Kyrgyzstan’s Trade Minister Resigns (Memento vom 30. September 2007 im Internet Archive), Radio Free Europe/Radio Liberty, 21. April 2006.
  4. Deputies Take Legal Steps For New Constitution, Radio Free Europe/Radio Liberty, 7. November 2005.
  5. Kyrgyz Parliament Confirms New Prime Minister, Radio Free Europe/Radio Liberty, 30. März 2007.
  6. Kirgisiens Premier nach Giftanschlag zu Behandlung in der Türkei, RIA-Novosti, 14. Juni 2007.
  7. Kirgisischer Präsident entlässt Regierung. In: Tagesspiegel. 24. Oktober 2007 (archive.org).
  8. NZZ online: Opposition in Kirgistan ficht Wahlergebnis an
  9. NZZ online: Regierungsgegner töten den Innenminister Kirgistans
  10. Zentralasien-Analysen Nr. 28, 30. April 2010, S. 17
  11. Die Welt: Parlament wählt Regierung unter Almasbek Atambajew
  12. Financial Times: Kyrgyz president says US base will be closed, 31. Oktober 2011
  13. DW: Atambajew gewinnt Präsidentenwahl, 31. Oktober 2011.
  14. Analysis: Kyrgyzstan's President Wants Another Russian Military Base. Abgerufen am 14. Oktober 2017.
  15. Merkel In Kyrgyzstan For 'Historic' Visit. In: Radio Free Europe/Radio Liberty. 14. Juli 2016 (rferl.org [abgerufen am 5. Mai 2023]).
  16. Showdown in Kirgisistan. 11. August 2019, abgerufen am 14. August 2019.
  17. Keine Überraschung bei Kirgistan-Wahl. In: Der Standard. 15. Oktober 2017, abgerufen am 26. November 2017.
  18. Атамбаев: биометрические паспорта обеспечат транспарентность выборов. Abgerufen am 5. Mai 2023.
  19. Monitors Praise Kyrgyz Elections. In: Radio Free Europe/Radio Liberty. 5. Oktober 2015 (rferl.org [abgerufen am 5. Mai 2023]).
  20. K-News: Военные суды в Кыргызстане ликвидируют. In: K-News. 27. Dezember 2016, abgerufen am 5. Mai 2023 (russisch).
  21. Carnegie Moscow: Еще сдержаннее. Зачем в Киргизии опять меняют Конституцию. In: Carnegie.
  22. Кыргызстан и ВСП+: двери открыты, но войти в них трудно. Abgerufen am 5. Mai 2023 (russisch).
  23. CentralAsia: Кыргызстану повезло получить некоррумпированного президента, - Сорос (видео). Abgerufen am 5. Mai 2023.
  24. Алмазбек Атамбаев встретился с сыном Джорджа Сороса - Алексом. Abgerufen am 5. Mai 2023 (russisch).
  25. Kirgistan: Ex-Präsident Atambajew kehrt in die Politik zurück. In: Novastan Deutsch. 1. April 2018 (novastan.org [abgerufen am 5. April 2018]).
  26. Showdown in Kirgisistan. 11. August 2019, abgerufen am 14. August 2019.
  27. https://www.welt.de/politik/ausland/article198167791/Kirgistan-Versuchte-Festnahme-von-Ex-Praesident-wird-zur-Schlacht.html
  28. a b Kirgisien: Spezialkräfte stürmen Haus von Ex-Präsident – Menge schlägt zurück. In: Der Spiegel. 8. August 2019, abgerufen am 6. Oktober 2020.
  29. Almasbek Atambajew: Mordanklage gegen Kirgistans ehemaligen Präsidenten. (Nicht mehr online verfügbar.) Ehemals im Original; abgerufen am 14. August 2019.@1@2Vorlage:Toter Link/www.handelsblatt.com (Seite nicht mehr abrufbar. Suche in Webarchiven.)
  30. Kyrgyz ex-president sentenced to 11 years in prison. In: Reuters. 23. Juni 2020, abgerufen am 23. Juni 2020 (englisch).
  31. Kirgisien: Demonstranten stürmen offenbar Regierungssitz und befreien Ex-Präsidenten. In: Der Spiegel. 6. Oktober 2020, abgerufen am 6. Oktober 2020.

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По итогам российско-киргизских переговоров Владимир Путин и Алмазбек Атамбаев сделали заявления для прессы
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Official meeting ceremony of President of Kyrgyzstan Almazbeк Atambayev was held
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