Alliierte Bombenabwürfe auf die Schweiz

Bombenabwurf der United States Army Air Forces im Raum Milchbuck, Zürich-Oberstrass, am 4. März 1945
Bundesratsentscheidung betreffend Bombenschäden vom 19. Februar 1945 im Kanton Aargau

Die alliierten Bombenabwürfe auf die Schweiz während des Zweiten Weltkriegs werden offiziell auf Navigationsfehler zurückgeführt. Eine andere Theorie sah die Ursache in den Waffenlieferungen der SIG und anderer Unternehmen an das Deutsche Reich.[1] Diese zeitgenössische Theorie ist aber inzwischen klar widerlegt,[2] wenn auch Winston Churchill die Bombardierung der Eisenbahnlinien erwogen hat, welche die neutrale Schweiz im Zweiten Weltkrieg von den Achsenmächten benutzen liess.[3]

Einzelne Bombenabwürfe

In der Schweiz starben in den Jahren 1939 bis 1945 insgesamt 84 Menschen durch britische und US-amerikanische Bomben.

  • In der Nacht vom 16. auf den 17. Dezember 1940 wurden Basel und Binningen von der Royal Air Force bombardiert. Es gab vier Tote.[4]
  • Am 23. Dezember 1940 wurde das Wipkinger Eisenbahnviadukt in Zürich bombardiert. Eine Person starb, weitere Menschen wurden verletzt. Die Zahnradfabrik Maag wurde von über 50 Brandbomben getroffen. Das eigentliche Ziel waren angeblich die Motorenwerke Mannheim (MWM, heute Caterpillar Energy Solutions); wegen schlechten Wetters sollen einige Piloten vom Kurs abgekommen sein und Zürich irrtümlich für ein geeignetes Ausweichziel gehalten haben. Nach dem Angriff verbreiteten sich Gerüchte über einen planvollen Angriff, da die Maag-Fabrik Rüstungsmaterial nach Deutschland liefere und Kohlentransporte von Deutschland nach Italien über diese Bahnlinie liefen.[2][5]

In den Jahren 1941 und 1942 waren kaum alliierte Überflüge über Schweizer Gebiet zu verzeichnen, unter anderem wegen der von der Schweiz nach diplomatischem Druck Deutschlands verfügten Verdunkelungsmassnahmen, die den Piloten die Orientierung erschwerten. Im Verlauf des Jahres 1942 nahm die Zahl der Überflüge wieder zu.[6]

  • 17. Mai 1943: Bombenabwurf über Oerlikon, Zürich[7]
  • In der Nacht vom 12. zum 13. Juli 1943 wurde Riggisberg von einem britischen Bomber mit über 200 Bomben mit einem Gesamtgewicht von 1,2 Tonnen bombardiert, die grossen Sachschaden anrichteten. Es sei ein Notabwurf der Bomben gewesen, da der Pilot über eine Gewitterwolke aufsteigen wollte. Der Bomber gehörte zu einer Staffel von circa 100 britischen Avro Lancaster, die in der Nacht die Schweiz vom Norden nach dem Ziel Turin in Italien überquerten, und es kam infolge Föhnlage mit heftigen Gewitterstürmen sowie Beschuss mit sichtbaren Treffern durch Schweizer Flugabwehr vom Col du Marchairuz aus zu Notabwürfen u. a. über dem Val de Ruz, bei Flamatt, bei Lutry und an der Schynigen Platte, die weniger Schaden anrichteten. Zwei Bomber stürzten in Folge des Beschusses bei Le Bouveret und Sion ab, die Besatzungen kamen ums Leben.[8][9][10][11]

Ab Oktober 1943 nahm die Schweizer Luftwaffe ebenfalls auf deutschen Druck hin ihre seit Juni 1940 eingestellten Abfangsmassnahmen wieder auf, wobei man vor allem versuchte, alliierte Bomber zur Landung in der Schweiz zu zwingen.[6]

Schaffhausen, Inschrift auf dem Erker: "Von Fliegern vernichtet 1. April 1944, wieder errichtet 1944/1945"
  • Bei der Bombardierung von Schaffhausen am 1. April 1944, dem folgenschwersten Angriff in der Geschichte des schweizerischen Bundesstaates, kamen 40 Menschen um und 270 wurden zum Teil schwer verletzt.[12][13][7][14][15][16]
  • Im Oktober 1944 wurden beim Luftangriff auf Le Noirmont zwei Menschen verletzt.
  • Am 9. November 1944 warfen US-Bomber 20 Sprengbomben über dem Glattfelder Weiler Rheinsfelden ab. Drei Tote und mehrere Verletzte waren die Folge. Der Eisenbahnviadukt der Linie Winterthur–Koblenz sowie mehrere Wohnhäuser wurden beschädigt. Das bei Rheinsfelden liegende Kraftwerk Eglisau wurde nicht beschädigt.
  • Am 25. Dezember 1944 starb beim Bombenabwurf auf Thayngen ein Stellwerkwärter, neun Piloten einer Bomberstaffel hatten Thayngen mit Singen (Hohentwiel) verwechselt.
  • Am 11. Januar 1945 starb bei der Bombardierung der Gotthard-Bahnlinie nahe Chiasso ein Lokomotivführer der SBB.
  • Am 22. Februar 1945 gab es bei der Bombardierung von Stein am Rhein 9 Tote und 15 Schwerverletzte.[17]
  • Ebenfalls am 22. Februar 1945 wurde die Gemeinde Vals in Graubünden irrtümlich von amerikanischen Flugzeugen bombardiert.
  • Am 4. März 1945 um 10.19 Uhr bombardierten sechs amerikanische B-24 „Liberator“ der 392nd Bomb Squadron das Gebiet der Landwirtschaftlichen Schule Strickhof in Zürich-Oberstrass, 5 Menschen starben, 15 wurden verletzt. Die Piloten sollen die Stadt irrtümlich für Pforzheim gehalten haben.[2][18]
  • Ebenfalls offiziell irrtümlich wurde am 4. März 1945 der Güterbahnhof Wolf in Basel von den United States Army Air Forces bombardiert.[19] Neun B-24 Liberator Bomber der 466th Bomb Group werfen um 10:13 Uhr 12,5 Tonnen Bomben und 5 Tonnen Brandstabbomben ab. Es entstehen Schäden im Gundeldinger-, St. Alban und Breitequartier.[20][21]

Reparationszahlungen

Hatten die Amerikaner 1944 noch 4 Millionen Dollar an Entschädigung bezahlt, so erhielt die Schweiz von den USA am 21. Oktober 1949 einen abschließenden zusätzlichen Betrag von 62 176 433.06 Schweizer Franken (14 392 692.82 $) für die gesamten durch die USA verursachten Sach- und Personenschäden in der Schweiz.[22][23][24]

Siehe auch

Literatur

  • Jackson Granholm: The Day We Bombed Switzerland: Flying with the US Eighth Army Air Force in World War II. Airlife Publishing, 2000, ISBN 1-84037-135-8, 264 S., 51 s/w Photos
  • Thomas Bachmann: The Swiss can’t have it both ways. Britische Neutralitätsverletzungen des Schweizer Luftraumes 1940–1945. Dissertation an der Universität Zürich, 2004.
  • Matthias Wipf: Als wäre es gestern gewesen! 35 Zeitzeugenberichte der Bombardierung von Schaffhausen, Verlag stamm+co, Schleitheim 2022, ISBN 978-3-033-08962-4.
  • Museum zu Allerheiligen (Hrsg.): Kunst aus Trümmern. Die Bombardierung des Museums zu Allerheiligen 1944 und ihre Folgen, Baden 2019, ISBN 978-3-03919-489-6.
  • Stefan Ineichen: Zürich 1933–1945. 152 Schauplätze. Limmat, Zürich 2009, ISBN 978-3-85791-583-3.
  • Jonathan E. Helmreich: The Diplomacy of Apology: U.S. Bombings of Switzerland during World War II. In: Aerospace Power Journal. Summer 2000 (maxwell.af.mil).
  • Matthias Wipf: Die Bombardierung von Schaffhausen – ein tragischer Irrtum. Meier Buchverlag, Schaffhausen 2019 (3. Aufl.), ISBN 978-3-85801-257-9.

Weblinks

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Einzelnachweise

  1. Peter Hug: Schweizer Rüstungsindustrie und Kriegsmaterialhandel zur Zeit des Nationalsozialismus. 2002, S. 641 [1]
  2. a b c Thomas Bachmann: Vor 60 Jahren fielen Bomben auf Zürich. (Memento vom 30. Mai 2010 im Internet Archive) In: Neue Zürcher Zeitung. 4. März 2005.
  3. Michael Bloch: Churchill: Bomben auf die Schweiz.
  4. Patrick Schlenker: Bombenabwürfe über Basel und Binningen vom 16./17. Dezember 1940
  5. Simon Eppenberger: Als Bomben auf den Wipkinger Viadukt fielen. In: Tages-Anzeiger vom 13. August 2009.
  6. a b H. R. Kurz (Hrsg.): Die Schweiz im zweiten Weltkrieg. 1959.
  7. a b Jonas Anderegg: Die Bombardierung von Schaffhausen – Irrtum oder Absicht? Ebnat-Kappel, 2007, bannjongg.com (PDF; 752 kB).
  8. Vom Bombenhagel reden nur noch wenige Berner Zeitung vom 12. Juli 2013
  9. Bombenabwürfe in den Kantonen Bern, Fribourg, Neuenburg und Waad 12. / 13. Juli 1943 auf raf.durham-light-infantry.ch
  10. Der Bombenabwurf über Riggisberg („Bombenabwurf-Büchlein“) auf www.riggisberg.ch erhältlich
  11. Die Bombenabwürfe in Riggisberg vom 13. Juli 1943, Protar Band 9 (1943)
  12. Museum zu Allerheiligen (Hrsg.): Kunst aus Trümmern. Die Bombardierung des Museums zu Allerheiligen 1944 und ihre Folgen, Baden 2019, ISBN 978-3-03919-489-6.
  13. Matthias Wipf: Die Bombardierung von Schaffhausen – ein tragischer Irrtum. Meier Buchverlag, Schaffhausen 2019, ISBN 978-3-85801-257-9.
  14. Schweizer Filmwochenschau: Bombardierung der Stadt Schaffhausen vom 1. April 1944
  15. Franco Battel: Die Bombardierung – Schaffhausen 1944 – Erinnerungen, Bilder, Dokumente. ISBN 3-908609-05-4.
  16. 70 Jahre Bombardierung der Stadt Schaffhausen. In: Schaffhauser Nachrichten. 2014.
  17. Karl Hirrlinger: Die Bombardierung von Stein am Rhein am 22. Februar 1945 und ihre Zusammenhänge. In: Heimatblätter des Historischen Vereins von Stein am Rhein. 6. Jahrgang, 1982, zitiert nach Walter Hess.
  18. Fotos der Schäden in der Schweizer Illustrierten Zeitung, 7. März 1945, S. 38–39
  19. René Teuteberg: Basler Geschichte. 2. Auflage. Christoph Merian Verlag, Basel 1988, ISBN 3-85616-034-5, S. 376.
  20. Patrick Schlenker: Als Feuer auf Basel niederging wie ein Frühlingsregen - Basel im Krieg März 1945. Abgerufen am 2. März 2021.
  21. Fotos der Schäden in der Schweizer Illustrierten Zeitung, 7. März 1945, S. 37–38
  22. Jonathan E. Helmreich: The Diplomacy of Apology. U.S. Bombings of Switzerland during World War II. In: Aerospace Power Journal. Sommer, 2000 (airpower.maxwell.af.mil (Memento vom 18. Juli 2012 im Webarchiv archive.today)).
  23. Stadtarchiv Schaffhausen: Fotos der bombardierten Stadt Schaffhausen. J 02.25. In: stadtarchiv-schaffhausen.ch, abgerufen am 5. Dezember 2020.
  24. Stadtarchiv Schaffhausen: Fotos der bombardierten Stadt Schaffhausen. J 02.26. In: stadtarchiv-schaffhausen.ch, abgerufen am 5. Dezember 2020.

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Bombardierung von Schaffhausen, Schweiz, 1. April 1944; Zun Rebleuten Stube, Neustadt 62. Inschrift auf dem Erker: «Von Fliegern vernichtet 1. April 1944, wieder errichtet 1944/1945»
Bundesratsprotokoll 1946 US-Bomben.png
Bundesratsprotokoll vom 27. Juni 1946 (Präsidialverfügung) betreffend Bombenschäden vom 19. Februar 1945 in Full-Reuenthal, Kanton Aargau
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Fotograf: Gerber, Hans Titel: Zürich nach der Bombardierung vom 4. März 1945 Beschreibung:

Bombenabwurf der US Air Force im Raum Milchbuck-Schwamendingen, Areal in der Nähe der Landwirtschaftlichen Schule Strickhof, Frohburgstrasse und In der Hub, Lizenz: CC BY-SA 4.0
Bombenabwurf der US Air Force im Raum Milchbuck-Schwamendingen, Areal in der Nähe der Landwirtschaftlichen Schule Strickhof, Frohburgstrasse und In der Hub