Adolf Butenandt

Adolf Butenandt, 1921 als Mitglied der Turnerschaft Philippina
Das Grab von Adolf Butenandt und seiner Ehefrau Erika geborene von Ziegner im Familiengrab auf dem Waldfriedhof (München)

Adolf Friedrich Johann Butenandt (* 24. März 1903 in Lehe; † 18. Januar 1995 in München) war ein deutscher Biochemiker und Hochschullehrer. Von 1929 bis 1935 isolierte er Geschlechtshormone und ermittelte deren chemische Konstitution, 1939 erhielt er den Nobelpreis für Chemie in Anerkennung seiner Arbeiten auf dem Gebiet der Steroidhormone.

Kindheit, Studium in Marburg

Adolf (auch Adolph) Butenandt wuchs in Lehe (heute Stadtteil von Bremerhaven) auf, wo er an der Leher Oberrealschule – der Lessingschule – 1921 das Abitur machte. Danach studierte er Chemie und Biologie an der Philipps-Universität Marburg, wo er auch Mitglied der Turnerschaft Philippina wurde. Auch im Jungdeutschen Orden war er Mitglied.[1]

Göttingen

1924 wechselte er an die Universität in Göttingen. 1927 promovierte Butenandt bei Adolf Windaus in Göttingen Über die chemische Konstitution des Rotenons, des physiologisch wirksamen Bestandteils der Derris elliptica.[2] 1929 isolierte und bestimmte er die Struktur des weiblichen Sexualhormons Estrogen.[3][4] Nach der Habilitation 1931 mit Untersuchungen über das weibliche Sexualhormon wurde er Leiter der organischen und biochemischen Abteilung des Allgemeinen Chemischen Universitätslaboratoriums Göttingen.

Danzig

Im Jahr 1933 folgte er einem Ruf als ordentlicher Professor an die Technische Hochschule Danzig. Am 11. November 1933 unterzeichnete er das Bekenntnis der deutschen Professoren zu Adolf Hitler.[5] Ab 1933 arbeitete Butenandt mit Alfred Kühn bei der Erforschung von Genwirkstoffen zusammen. Wolfhard Weidel, Butenandts Doktorand (ab 1957 Direktor des Max-Planck-Instituts für Biologie in Tübingen), erforschte die Genwirkkette der Augenpigmentierung bei Mehlmotten.[6] 1934 wurde Butenandt zum Mitglied der Leopoldina gewählt. 1935 absolvierte er einen Studienaufenthalt in den USA auf Einladung der Rockefeller-Stiftung und lehnte einen Ruf an die Harvard-Universität ab.

Berlin

Nachdem er zum 1. Mai 1936 trotz Aufnahmesperre der NSDAP (Mitgliedsnummer 3.716.562)[7][5] sowie der DAF und dem NS-Lehrerbund beigetreten war, ging er als Direktor des Kaiser-Wilhelm-Instituts für Biochemie nach Berlin-Dahlem.[5] Von 1938 bis 1944 war er Honorarprofessor für Biochemie an der Universität Berlin. 1940 erforschte laut Klee der Mediziner und Lepraspezialist der Militärischen Abwehr Manfred Oberdörffer (gestorben 1941 bei einem Auftrag in Afghanistan) bei Butenandt hochgiftige Sapotoxine,[8] wobei im Tierversuch erstmals „klinische Lepra“ erzeugt werden konnte.

1939 wurde ihm (gemeinsam mit Leopold Ružička) der Nobelpreis für Chemie zuerkannt. Weil Adolf Hitler nach der Verleihung des Friedensnobelpreises an Carl von Ossietzky Deutschen verboten hatte, den Nobelpreis anzunehmen, konnte Butenandt erst 1949 die Medaille und die Urkunde entgegennehmen.[9]

Butenandts Rolle im „Dritten Reich“ ist umstritten. So soll er erwogen haben, die antibiotische Wirkung von Schimmelpilzen an menschlichen Lebern zu testen. Der Spiegel überschrieb im April 2006 eine Meldung über Butenandt jedoch mit den Worten Freispruch für Butenandt.[10] Demnach stellte der Immunchemiker Norbert Hilschmann, dessen Arbeit sich auf alte Institutsdokumente und persönliche Briefe Butenandts stützt, fest, dass keiner dieser Vorwürfe zutrifft.

Robert N. Proctor, Gastwissenschaftler im Forschungsprogramm Geschichte der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft im Nationalsozialismus, wiederum stellt in seinem Aufsatz Adolf Butenandt – Nobelpreisträger, Nationalsozialist und MPG-Präsident fest:[11]

„Nachzuweisen ist, daß Butenandt enger als bisher angenommen mit Wissenschaftlern zusammengearbeitet hat, die in derartige Forschungen involviert waren. Neue Quellen belegen, daß er an medizinisch-militärischen Forschungsprojekten, u. a. an der Luftwaffenversuchsstation in Rechlin, beteiligt war. Aus den Quellen geht hervor, daß Butenandt alle Institutsunterlagen vernichtete, die mit dem Vermerk Geheime Reichssache gekennzeichnet waren. Zwingend scheint die Schlußfolgerung, daß Butenandts Nachlaß, obwohl mit 80 Regalmetern der umfangreichste im Archiv der Max-Planck-Gesellschaft, kein vollständiges und ausgewogenes Bild von seinen Aktivitäten insbesondere in der Zeit des Nationalsozialismus vermitteln kann. Bisher konnte kein Hinweis auf eine antisemitische Haltung Butenandts gefunden werden; im Gegenteil, mehrfach ist belegt, daß er in den 1930er Jahren einzelnen Juden geholfen hat. Mehrfach zu belegen ist jedoch auch, daß Butenandt nach dem Kriege half, Kollegen vom Nazismusvorwurf reinzuwaschen. Butenandt hat dazu beigetragen, eine neue Konzeption von Wissenschaft populär zu machen, der zufolge Wissenschaft a priori mit politischer Unschuld gleichzusetzen sei. In diesem Sinne hat er dazu beigetragen, die Bemühungen der Nachkriegszeit zu vereiteln, die Mittäterschaft der Wissenschaft bei den Verbrechen der Hitler-Ära aufzuklären, strafrechtlich zu verfolgen und ‚Wiedergutmachung‘ zu leisten.“

Gesichert ist inzwischen, dass Butenandt ab 1939 als Fachkraft für Biochemie bei der Zeitschrift Der Biologe mitwirkte, die vom SS-Ahnenerbe übernommen worden war. 1942 war er korrespondierendes Mitglied der Deutschen Akademie der Luftfahrtforschung und arbeitete zusammen mit Theodor Benzinger und Erich Hippke an geheimen Luftwaffenforschungsprojekten. Im selben Jahr wurde er Senator der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft und arbeitete im Kaiser-Wilhelm-Institut für Anthropologie mit, wobei er auch über die Versuche an epileptischen Kindern durch seinen Assistenten Gerhard Ruhenstroth-Bauer informiert war. Seit 1944 gehörte Butenandt dem wissenschaftlichen Beirat des Generalkommissars für das Sanitäts- und Gesundheitswesen Karl Brandt an.[5]

Tübingen und München

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde das Kaiser-Wilhelm-Institut für Biochemie 1948 in Max-Planck-Institut für Biochemie umbenannt und zunächst nach Tübingen, 1956 schließlich an die Ludwig-Maximilians-Universität München verlegt. Als Nachfolger des Nobelpreisträgers Otto Hahn war Butenandt 1960 bis 1972 Präsident der Max-Planck-Gesellschaft. 1951 und 1952 war er Vorsitzender der Gesellschaft Deutscher Naturforscher und Ärzte.

Familie

Butenandt heiratete am 28. Februar 1931 in Göttingen Erika von Ziegner (1906–1995), die Tochter des Obersten Siegfried von Ziegner (31. August 1866 – 26. Juni 1935) und Marie Luise Eschenburg (22. Oktober 1878 – 26. Dezember 1954). Er hatte sieben Kinder, darunter der Kinderarzt Otfried Butenandt.

Werk

Sexualhormone

Struktur von Estron

Im Jahr 1929 isolierte Adolf Butenandt mit dem Follikelhormon Estron (auch Oestron) eines der weiblichen Sexualhormone.[12] Zwei Jahre später isolierte er Androsteron, ein männliches Geschlechtshormon, in kristalliner Form. Im Jahr 1934 entdeckte er das weibliche Hormon Progesteron. Durch seine Forschung wurde gezeigt, dass die Keimdrüsenhormone (Geschlechtshormone) eng mit den Steroiden verwandt sind. Seine Untersuchungen auf dem Gebiet der Sexualhormone, deren chemische Konstitutionsformeln er bekanntgab, ermöglichte die Synthese von Cortison sowie anderer Steroide, die schließlich zur Entwicklung von Verhütungsmitteln führte.

Insektenpheromone

500.000 Duftdrüsen des weiblichen Seidenspinners (Bombyx mori) wurden benötigt, um die Molekülstruktur des Bombykols aufzuklären.[13]

Adolf Butenandt begann in den 1940er Jahren ein Projekt zur Identifizierung von Insektenpheromonen. Nach fast 20-jähriger Arbeit gelang die endgültige Extraktion und Reinigung eines Stoffes aus mehr als 500.000 Seidenspinnern, den er Bombykol nannte. Er synthetisierte die vier möglichen Stereoisomere und testete sie auf ihre biologische Aktivität.[14] Da nur ein Isomer dieselbe Aktivität wie das Extrakt zeigte, erbrachte er damit den Nachweis, dass die Kommunikation unter Insekten auf stofflicher Basis erfolgt.

Auszeichnungen und Ehrungen

Butenandts Mutter stammte aus Beverstedt im Landkreis Cuxhaven, wo bis heute eine Straße nach ihm benannt ist. Auch die Oberschule[19] des Ortes trägt seinen Namen, obwohl im Juli 1998 die Gesamtkonferenz der Schule im Wissen um Butenandts Verstrickungen in nationalsozialistische Medizinverbrechen beschloss, den Schulnamen zu ändern. Die Koalition aus CDU und SPD im Gemeinderat ignoriert seither den Willen von Lehrerschaft, Eltern und Schülern. Der Landkreis Cuxhaven entschied, den Fall nicht zu behandeln.[20]

2013 „entführten“ Studierende der Humboldt-Universität zu Berlin sein Porträt aus der Galerie der HU-Nobelpreisträger wegen seiner umstrittenen NS-Vergangenheit. Zunächst sah die HU die Entfernung des Bildes als „Diebstahl“, doch dann blieb an seiner Stelle nur noch ein leerer Rahmen hängen.[21][22]

Literatur

  • Ernst Klee: Augen aus Auschwitz. In: Die Zeit. Nr. 5, 2000.
  • Wolfgang Schieder, Achim Trunk (Hrsg.): Adolf Butenandt und die Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft. Wissenschaft, Industrie und Politik im „Dritten Reich“. Wallstein, Göttingen 2004.
  • Christian Simon: Adolf Butenandt für Basel? Geschichte einer gescheiterten Berufung 1946–1949. In: Basler Zeitschrift für Geschichte und Altertumskunde. Band 109, 2009, S. 9.
  • Paul Diepgen, Heinz Goerke: Aschoff/Diepgen/Goerke: Kurze Übersichtstabelle zur Geschichte der Medizin. 7., neubearbeitete Auflage. Springer, Berlin/Göttingen/Heidelberg 1960, S. 63.
  • Sven Kinas: Adolf Butenandt und seine Schule. In: Eckart Henning, Marion Kazemi (Hrsg.): Veröffentlichungen aus der Max-Planck-Gesellschaft. Band 18. 2004.
  • Ernst Klee: Adolf Butenandt. In: Deutsche Medizin im Dritten Reich. Frankfurt am Main 2001, S. 350–355.
  • Angelika Ebbinghaus, Karl-Heinz Roth: Von der Rockefeller Foundation zur Kaiser Wilhelm/Max-Planck-Gesellschaft: Adolf Butenandt als Biochemiker und Wissenschaftspolitiker des 20. Jahrhunderts. In: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft. Band 50, Nr. 5, 2002, S. 389–419.
  • Adolf Butenandt: Reflexionen über die Würde des Menschen. (Adolf Butenandt feierte am 24. März 1983 seinen 80. Geburtstag. Die aus diesem Anlass am 14. Mai 1983 zu Ehren von Adolf Butenandt gehaltenen Vorträge sind in diesem Heft wiedergegeben. Das Heft erschien als Privatdruck zur Erinnerung an diesen Tag).

Weblinks

Commons: Adolf Butenandt – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Jaromír Balcar: Wandel durch Wachstum in »dynamischen Zeiten«. Die Max-Planck-Gesellschaft 1955 bis 1972. In: Florian Schmaltz, Jürgen Renn, Carsten Reinhardt, Jürgen Kocka (Hrsg.): Ergebnisse de Forschungsprogramms Geschichte der Max-Planck-Gesellschaft. Preprint 14, 2020, ISSN 2511-1833, doi:10.17617/2.3249490 (mpg.de [PDF; abgerufen am 8. Mai 2022]).
  2. Informationen zu und akademischer Stammbaum von Adolf Friedrich Johann Butenandt bei academictree.org, abgerufen am 22. Januar 2018.
  3. Helga Satzinger: Adolf Butenandt, Hormone und Geschlecht. In: Wolfgang Schieder, Achim Trunk: Adolf Butenandt und die Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft. Wallsteinverlag, 2004 S. 102, ISBN 978-3-89244-752-8; vgl. Schering (2) im Museum Sybodo, Innsbruck.
  4. Medizinische Mitteilungen Schering. Heft 8, November 1933, S. 209: vgl. Schering (4) im Museum Sybodo, Innsbruck.
  5. a b c d Ernst Klee: Das Personenlexikon zum Dritten Reich. Wer war was vor und nach 1945. Fischer Taschenbuch Verlag, Zweite aktualisierte Auflage, Frankfurt am Main 2005, S. 88.
  6. Ernst Klee: Deutsche Medizin im Dritten Reich. Karrieren vor und nach 1945. S. Fischer, Frankfurt am Main 2001, ISBN 3-10-039310-4, S. 356 und 388.
  7. Bundesarchiv R 9361-IX KARTEI/5350155
  8. Ernst Klee: Deutsche Medizin im Dritten Reich. Karrieren vor und nach 1945. S. Fischer, Frankfurt am Main 2001, ISBN 3-10-039310-4, S. 184 und 196 mit Anm. 49.
  9. Informationen der Nobelstiftung zur Preisverleihung
  10. Freispruch für Butenandt. In: Der Spiegel. Nr. 14, 2006, S. 164 (online).
  11. a b Robert N. Proctor: Adolf Butenandt – Nobelpreisträger, Nationalsozialist und MPG-Präsident. Forschungsprogramm „Geschichte der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft im Nationalsozialismus“, Berlin 2000, mpiwg-berlin.mpg.de (PDF; 165 kB).
  12. Adolf Butenandt: Über die chemische Untersuchung der Sexualhormone. In: Zeitschrift für Angewandte Chemie. Band 44, 1931, S. 905–908. doi:10.1002/ange.19310444602.
  13. Albert Gossauer: Struktur und Reaktivität der Biomoleküle. Helvetica Chimica Acta, Zürich 2006, S. 134, ISBN 978-3-906390-29-1.
  14. Adolf Butenandt, Erich Hecker, Manfred Hopp, Wolfgang Koch: Über den Sexuallockstoff des Seidenspinners, IV. Die Synthese des Bombykols und der cis-trans-Isomeren Hexadecadien-(10.12)-ole-(1). In: Justus Liebigs Annalen der Chemie. 658, 1962, S. 39–64, doi:10.1002/jlac.19626580105.
  15. Universität Würzburg: Preise und Ehrungen.
  16. Holger Krahnke: Die Mitglieder der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen 1751–2001 (= Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen, Philologisch-Historische Klasse. Folge 3, Bd. 246 = Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften in Göttingen, Mathematisch-Physikalische Klasse. Folge 3, Bd. 50). Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2001, ISBN 3-525-82516-1, S. 54.
  17. Verzeichnis der Mitglieder seit 1666: Buchstabe B. Académie des sciences, abgerufen am 30. September 2019 (französisch).
  18. Aufstellung aller durch den Bundespräsidenten verliehenen Ehrenzeichen für Verdienste um die Republik Österreich ab 1952 (PDF; 6,9 MB).
  19. https://www.landkreis-cuxhaven.de/Themenbereiche/Schulen-Sport/Schulbezirke/index.php?ModID=9&object=tx%7C2736.1&FID=578.721.1&NavID=1779.351
  20. https://unser-maerchenland.blogspot.com/2010/10/augen-aus-auschwitz.html
  21. Studierende entführen Forscher-Portrait, Tagesspiegel, 6. Dezember 2013
  22. Neues Narrativ der Universitätsgeschichte: „Chemiker, Kriegsverbrecher und Nobelpreisträger“, Tagesspiegel, 26. April 2022

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Adolf Friedrich Johann Butenandt (* 24. März 1903 in Lehe; † 18. Januar 1995 in München)
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Grab der Familie Butenandt auf dem w:de:Waldfriedhof (München), Grab 476a-W-7a/b. Beigesetzt sind hier der Biochemiker und Nobelpreisträger (1939) w:de:Adolf Butenandt (1903–1995), seine Frau Erika von Ziegner (1906–1995) sowie Ina Butenandt (1932–1987).