2000-Watt-Gesellschaft

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Die 2000-Watt-Gesellschaft ist ein energiepolitisches Modell, das im Rahmen des Programms Novatlantis an der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich (ETHZ) entwickelt wurde. Gemäß dieser Vision sollte der Energiebedarf jedes Erdenbewohners einer durchschnittlichen Leistung von 2000 Watt auf Stufe Primärenergie entsprechen.

Modell

Das Modell der 2000-Watt-Gesellschaft entstand Anfang der 90er Jahre im Umfeld der ETHZ. Angesichts der zunehmenden Hinweise auf den Klimawandel stellte sich die Frage nach der Ausgestaltung einer nachhaltigen und gerechten Energieversorgung. Als Zielwert wurde eine Leistung von 2000 Watt pro Kopf auf Stufe Primärenergie festgelegt.

Die genannten 2000 Watt (2 Kilojoule pro Sekunde) entsprechen dem Wert von 2010 mit einem Weltjahresverbrauch von 17.520 kWh (Kilowattstunden) pro Person.[1] Wird das Modell weiter ins Detail gerechnet, heißt dies: 2000 Joule pro Sekunde bzw. 48 Kilowattstunden pro Tag bzw. 17.520 Kilowattstunden pro Jahr bzw. ein Verbrauch von rund 1700 Liter Heizöl oder Benzin (Endenergie) pro Jahr und Person.[2]

2011 lag der durchschnittliche Energiebedarf weltweit bei rund 2500 Watt.[3] Doch sind die Unterschiede zwischen den Ländern enorm: Während es in den Entwicklungsländern einige hundert Watt sind, haben Industrieländer einen sechs bis sieben Mal höheren Verbrauch als die angestrebten 2000 Watt. Das Modell der 2000-Watt-Gesellschaft strebt eine global gerechte Verteilung des Energieverbrauchs an.

Das nachhaltige Energieverbrauchsmodell soll den jährlichen Ausstoß von Treibhausgasen (vor allem Kohlenstoffdioxid) senken. Nach diesem Modell sollen 500 Watt pro Kopf aus fossilen Energien und zusätzliche 1500 Watt pro Kopf aus erneuerbare Energien stammen.[4] Eine 2000-Watt-Gesellschaft wäre unter Aufrechterhaltung des gegenwärtigen Lebensstils technisch möglich.[5] Wird der Energiemix zugunsten erneuerbarer Energien verändert, wäre dieser Verbrauch auch ökologisch verträglich.[6]

Umsetzung

Die Zielsetzung einer 2000-Watt-Gesellschaft soll erreicht werden, indem auf der Basis eines modernen Lebensstils mit innovativen technischen Lösungen, Managementkonzepten und gesellschaftlichen Innovationen die Effizienz des Energieeinsatzes verbessert, der Energieverbrauch gesenkt und fossile durch erneuerbare Energieträger substituiert werden.[7][8] Projekte wie Minergie P oder Passivhaus verfolgen beispielsweise das Ziel einer 2000-Watt-Gesellschaft. Ein Kerngedanke der 2000-Watt-Gesellschaft ist zudem, dass nur ein bestimmter, maximaler Gesamtenergieverbrauch zulässig ist, der auf die Erde verteilt werden kann (Energiesuffizienz). Die Welt verfügt nur über beschränkte Ressourcen, daher kann der Energieverbrauch nicht stetig zunehmen. Ab einer gewissen Schwelle bringt mehr Energie keine höhere Lebensqualität mehr.[9][6]

Kritik

Die Machbarkeit der 2000-Watt-Gesellschaft wird von gewissen Fachleuten mit Hinweis auf Graue Energie in importierten Waren sowie auf Rebound-Effekte in Frage gestellt. Denkbare Alternative wäre der Ansatz eines größeren Energiebedarfs, als das 2000-Watt-Modell vorsieht, und einer Bereitstellung größerer Mengen durch erneuerbare Energien; wobei künftig das Verhältnis zwischen Energieeffizienz (Energiesparen) und zusätzlich hergestellter erneuerbarer Energie (Nachhaltigkeit) maßgeblich durch den Markt bestimmt wird.

Schweiz

2000-Watt-Bilanzierung für die Schweiz (Fachstelle 2000-Watt-Gesellschaft)[10]

Die Schweiz hat zurzeit einen Wert der stetigen Leistung von ca. 5000 Watt pro Bewohner/-in.[11] Man muss bis in die 1950er Jahre zurückgehen, um einen Verbrauch von 2000 Watt festzustellen. Gemäß den Spezialisten der ETHZ ist es möglich, mittelfristig ohne Komforteinbußen auf diesen Wert zurückzukehren. Dies soll vor allem durch Erhöhung der Effizienz an Gebäuden, Geräten und Fahrzeugen geschehen, aber auch durch die Entwicklung neuer Technologien. Es sind jedoch auch Impulse aus der Politik notwendig, um eine solche Entwicklung einzuleiten.[5]

In der Schweiz haben sich mittlerweile diverse Gemeinden und Kantone zur 2000-Watt-Gesellschaft bekannt und Maßnahmen zur Umsetzung eingeleitet.[12] Die Vision soll bis im Jahr 2100 Realität werden, einige streben eine Umsetzung bis 2050 an. Als Vorreiter haben die Stimmberechtigten der Stadt Zürich in der Volksabstimmung vom 30. November 2008 eine Änderung der Gemeindeordnung beschlossen, welche die Umsetzung der 2000-Watt-Gesellschaft zum Ziel hat.[13] Mit Luzern (2011), Zug (2011), Aarau (2012), Dietikon (2012), Nidau (2012) und Winterthur (2012) haben sich weitere Städte und Gemeinden in einer Volksabstimmung zum Umsetzen der Ziele der 2000-Watt-Gesellschaft bekannt.[14]

Das Modell der 2000-Watt-Gesellschaft ist mittlerweile ein fester Bestandteil des Programms EnergieSchweiz für Gemeinden und des Labels Energiestadt. Mit dem SIA-Effizienzpfad Energie wurden die Ziele der 2000-Watt-Gesellschaft für den Gebäudebereich übernommen. Für Areale besteht die Möglichkeit einer Zertifizierung zum 2000-Watt-Areal.[15]

Die 2000-Watt-Gesellschaft integriert u. a. die Ziele der Energiestrategie 2050 und des Übereinkommens von Paris.[16]

Deutschland

Für Deutschland hat der umweltpolitische Dachverband DNR im Mai 2011 einen Sechs-Punkte-Plan[17] zum Umbau des Energiesystems mit dem Ziel einer 2000-Watt-Gesellschaft vorgelegt.[18]

Im April 2011 beschloss die Stadt Radolfzell, eine 2000-Watt-Gesellschaft bis 2050 anzustreben.[19] Mittlerweile sind es zehn Kommunen im Bodenseeraum, die sich dieses Ziel vorgenommen haben. Vier davon liegen in Deutschland.[20] Auch die Stadt Walldorf (Baden) hat sich dieses Ziel gesetzt.[21]

Siehe auch

Literatur

  • Eberhard Jochem et al.: Steps towards a sustainable development. A White Book for R&D of energy-efficient technologies. novatlantis, 2004 (englisch, Online).
  • Schweizerischer Ingenieur- und Architektenverein: SIA-Effizienzpfad Energie. Ausgabe 2011.
  • Paul Scherrer Institut: Die 2000-Watt-Gesellschaft: Norm oder Wegweiser? 2007 (Online).
  • Paul Kesselring, Carl-Jochen Winter: World Energy Scenarios: A Two-Kilowatt Society – Plausible Future or Illusion? PSI-Energietage, Villigen, Paul-Scherrer-Institut, 1994.
  • EnergieSchweiz für Gemeinden: Bilanzierungskonzept 2000-Watt-Gesellschaft. September 2014 (Online).
  • Daniel Spreng, Marco Semadeni: Energie, Umwelt und die 2000 Watt Gesellschaft. Grundlage zu einem Beitrag an den Schlussbericht Schwerpunktsprogramm Umwelt (SPPU) des Schweizerischen National Fonds (SNF). CEPE Working Paper Nr. 11. Dezember 2001.
  • Daniel Spreng et al.: Das Energieverbrauchsfenster, das kein Fenster ist. CEPE Working Paper Nr. 15. Juni 2002.
  • Thomas Schneider: Kernindikatoren für die Nachhaltigkeit von Städten und Kantonen. 2003.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Paul Kesselring, Carl-Jochen Winter: Energy Scenarios: A Two-Kilowatt Society - Plausible Future or Illusion? Energietage 94: proceedings, 10th - 12th November 1994. Paul-Scherrer-Institut, Villigen 1995. S. 103–116.
  2. 2000 Watt – aber für alle! (Memento vom 12. November 2013 im Internet Archive)
  3. Fachstelle 2000-Watt-Gesellschaft: 2000 Watt - Globale Betrachtung
  4. Lukas Gutzwiller: Exkurs: 2000-Watt-Gesellschaft. In: Bundesamt für Energie BFE: Die Energieperspektiven 2035: Exkurse. Band 4. Juni 2007. S. 235–248.
  5. a b Eberhard Jochem et al.: Steps towards a sustainable development. A White Book for R&D of energy-efficient technologies. (Memento vom 20. Januar 2016 im Internet Archive) Novatlantis, 2004.
  6. a b Daniel Spreng et al.: Das Energieverbrauchsfenster, das kein Fenster ist. (Memento vom 20. Januar 2016 im Internet Archive) CEPE Working Paper Nr. 15, Juni 2002.
  7. Daniel Spreng, Marco Semadeni: Energie, Umwelt und die 2000 Watt Gesellschaft. CEPE Working Paper Nr. 11, Dezember 2001. doi:10.3929/ethz-a-004300072.
  8. Paul Kesselring, Carl-Jochen Winter: Energy Scenarios: A Two-Kilowatt Society - Plausible Future or Illusion? Energietage 94: proceedings, 10th - 12th November 1994. Paul-Scherrer-Institut, Villigen 1995. S. 105.
  9. Philip F. Palmedo: Energy Needs, Uses and Resources in Developing Countries. New York: Policy Analysis Division, National Center for Analysis of Energy Systems 1978.
  10. Fachstelle 2000-Watt-Gesellschaft: Facts & Figures
  11. Fachstelle 2000-Watt-Gesellschaft: Facts & Figures (abgerufen am 17. Oktober 2017)
  12. Karte der Energiestädte mit einem Engagement für die 2000-Watt-Gesellschaft
  13. Abstimmungszeitung der Stadt Zürich (PDF; 1,4 MB)
  14. Fachstelle 2000-Watt-Gesellschaft: Facts & Figures (abgerufen am 17. Oktober 2017)
  15. Zertifizierung 2000-Watt-Areal
  16. Was ist die 2000-Watt-Gesellschaft? In: local-energy.swiss. EnergieSchweiz, abgerufen am 17. Dezember 2020.
  17. Sechs-Punkte-Plan: Der Umbau des Energiesystems in Deutschland (Memento vom 9. Juli 2011 im Internet Archive) (PDF; 253 kB)
  18. Naturschutzring plädiert für 2.000-Watt-Gesellschaft (Memento vom 24. Februar 2016 im Internet Archive)dapd vom 3. Mai 2011
  19. Energetische Rosskur für RadolfzellSüdkurier vom 20. April 2011
  20. http://www.wirleben2000watt.com/
  21. http://www.walldorf.de/2010/index.php?seite=3383

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Bilanzierung der beanspruchten Primärenergie für die Schweiz, ausgedrückt in Watt pro Einwohner/-in, aufgeschlüsselt nach Energieträgern, ab 1980.