Wohnsitz (Deutschland)

Der Wohnsitz ist der räumliche Mittelpunkt der Lebensverhältnisse einer natürlichen Person.[1] Im Unterschied zum bloßen Aufenthalt oder Wohnort setzt der Wohnsitz einen rechtsgeschäftlichen Willen voraus, einen solchen zu begründen.[2]

Die zivilrechtlichen Regelungen zur Begründung und Aufhebung des Wohnsitzes finden sich in §§ 7 ff. Bürgerliches Gesetzbuch (BGB). Davon abzugrenzen sind die Meldegesetze, siehe Abschnitt „Haupt- und Zweitwohnsitz“.

Dem Wohnsitz natürlicher Personen entspricht der Sitz bzw. die Niederlassung juristischer Personen (§ 24 BGB, § 29 HGB, § 4 Abs. 3 GewO).

Rechtliche Bedeutung

Durch den Wohnsitz wird der allgemeine Gerichtsstand einer Person bestimmt (§ 13 ZPO). Bei Personen, die keinen Wohnsitz haben, wird der Gerichtsstand durch den Aufenthaltsort oder den letzten bekannten Wohnsitz bestimmt (§ 16 ZPO). Der Wohnsitz bestimmt außerdem im Schuldrecht über den maßgeblichen Leistungs- und Zahlungsort (§ 269, § 270 BGB) oder das zuständige Standesamt bei Eheschließungen (§ 12 PStG). Im Steuerrecht hat jemand dort seinen Wohnsitz, wo er eine Wohnung unter Umständen innehat, die darauf schließen lassen, dass er die Wohnung beibehalten und benutzen wird (§ 8 AO). Die Vorschriften über die deutsche Sozialversicherung gelten – soweit sie nicht eine Beschäftigung oder eine selbständige Tätigkeit voraussetzen – für alle Personen, die ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland haben (§ 3 Nr. 2 SGB IV).

Gewillkürter und gesetzlicher Wohnsitz

  • Der freigewählte (gewillkürte) Wohnsitz einer Person befindet sich dort, wo sie sich ständig und willentlich niederlässt (§ 7 BGB). Wer geschäftsunfähig oder in der Geschäftsfähigkeit beschränkt ist, kann deshalb ohne den Willen seines gesetzlichen Vertreters einen Wohnsitz weder begründen noch aufheben (§ 8 Abs. 1 BGB). Zulässig ist auch ein Doppelwohnsitz in mehreren politischen Gemeinden (§ 7 Abs. 2 BGB) oder die Aufgabe eines Wohnsitzes, ohne einen neuen zu begründen (Obdachlosigkeit).
  • Der gesetzliche Wohnsitz minderjähriger Kinder befindet sich am Wohnsitz der Eltern bzw. des personensorgeberechtigten Elternteils (§ 11 Satz 1 BGB), ansonsten am Wohnsitz desjenigen, dem dieses Recht zusteht, etwa des Vormunds (§ 11 Satz 2 BGB).
  • Ein volljähriger Berufssoldat oder Soldat auf Zeit hat seinen Wohnsitz am Standort (§ 9 BGB).

Haupt- und Zweitwohnsitz

In Deutschland besteht unabhängig von der Staatsangehörigkeit für jeden Einwohner die Pflicht, einen Wohnungsein- oder -auszug zu melden. Von der allgemeinen Meldepflicht sind nur wenige Befreiungen (z. B. für ausländische Diplomaten und ihre Familien, § 26 BMG) und Ausnahmen (§ 27 BMG) vorgesehen. Die zu meldenden Daten werden von den Meldebehörden im Melderegister gespeichert (§ 3 BMG). Wer sich nicht, nicht richtig oder nicht rechtzeitig an- oder abmeldet, begeht eine Ordnungswidrigkeit (§ 54 BMG).

Das Meldewesen dient in erster Linie der Identitätsfeststellung und dem Wohnungsnachweis natürlicher Personen (§ 2 Abs. 1 BMG).[1] Es kommt deshalb nicht auf den zivilrechtlichen Rechtsbegriff des Wohnsitzes, sondern den tatsächlichen Aufenthalt, die Wohnung an (§ 17 BMG). Wohnung ist dabei jeder umschlossene Raum, der zum Wohnen oder Schlafen benutzt wird (§ 20 BMG).

Deutsche, die sich im Ausland dauerhaft niederlassen, müssen sich nicht bei der jeweiligen deutschen Botschaft melden. Sie können sich jedoch zur Krisenvorsorge in ein Register aufnehmen lassen (§ 6 Abs. 3 KonsG).[3] Wer im Ausland lebt und zusätzlich aber in Deutschland eine Wohnung besitzt und diese regelmäßig nutzt, muss wegen der Meldepflicht auch in Deutschland gemeldet sein. In der Regel folgt daraus eine unbeschränkte Einkommensteuerpflicht, wobei Doppelbesteuerungsabkommen zur Anwendung kommen.

Unterscheidung

Hat ein Einwohner mehrere Wohnungen im Inland, so ist eine dieser Wohnungen seine Hauptwohnung (Erstwohnsitz). Hauptwohnung ist die vorwiegend benutzte Wohnung des Einwohners (§ 22 BMG). Nebenwohnung ist jede weitere Wohnung des Einwohners im Inland. Die meldepflichtige Person hat der Meldebehörde mitzuteilen, welche weiteren Wohnungen im Inland sie hat und welche Wohnung ihre Hauptwohnung ist (§ 21 BMG). Der Wohnsitz eines Menschen ist gewöhnlich identisch mit seiner Hauptwohnung.

Rechtliche Bedeutung

  • Im öffentlichen Recht ist in der Regel die Hauptwohnung maßgeblich, die in manchen Bestimmungen ebenfalls als „Wohnsitz“ bezeichnet wird.
  • So ist der Eintrag in das Wählerverzeichnis und damit die Ausübung des Wahlrechts nur am Ort der Hauptwohnung möglich (§ 12 BWahlG, § 16 BWO).[4]
  • Für die Besteuerung natürlicher Personen nach dem Einkommen und Vermögen, insbesondere für die Verwaltung der elektronischen Lohnsteuerabzugsmerkmale (elektronische Steuerkarte) ist das Finanzamt der Hauptwohnung örtlich zuständig („Wohnsitzfinanzamt“, § 19 Abs. 1 Satz 2 AO).
  • Personalausweise werden von der für die Hauptwohnung zuständigen Ausweisbehörde ausgestellt (§ 8 Abs. 1 Satz 1 PAuswG).
  • Einige Städte erheben für das Innehaben einer Nebenwohnung eine Zweitwohnungsteuer, beispielsweise Berlin. Für den kommunalen Finanzausgleich (Schlüsselzuweisung) ist dagegen die Hauptwohnung entscheidend. Daraus ergab sich einer der Gründe für die Einführung einer Zweitwohnungssteuer.
  • Inhaber einer Nebenwohnung können sich vom Rundfunkbeitrag für die Nebenwohnung befreien lassen, wenn sie am Hauptwohnsitz bereits den Rundfunkbeitrag entrichten.[5] Dies gilt auch, wenn am Hauptwohnsitz der Ehepartner oder eingetragene Lebenspartner den Rundfunkbeitrag zahlt.[6]

Bedeutung während einer Pandemie

Das deutsche Infektionsschutzgesetz (IfSG) erlaubt es, die Freizügigkeit von Menschen einzuschränken, die sich in Deutschland aufhalten bzw. die Außengrenzen Deutschlands überschreiten wollen. Im Falle von Epidemien und Pandemien können Bewohner von Wohnungen und Wohnblocks daran gehindert werden, diese (außer bei Vorliegen bestimmter, amtlich akzeptierter Ausnahmen) zu verlassen. Menschen mit Wohnsitz in einem (Land-)Kreis bzw. einer kreisfreien Stadt können daran gehindert werden, die betreffende Gebietskörperschaft zu verlassen bzw. zum Verlassen ihres auswärtigen Aufenthaltsorts aufgefordert werden. Ihnen kann auf der Grundlage des IfSG der Aufenthalt in Einrichtungen, der Besuch von Veranstaltungen und die Inanspruchnahme bestimmter Dienstleistungen in Regionen außerhalb des Brennpunkts untersagt werden.[7] Zulässig ist es ferner anzuordnen, dass der in einem Brennpunkt Wohnende sich ausschließlich innerhalb eines festzulegenden Umkreises um seinen Wohnsitz herum aufhalten darf.

Eine unerlaubte Diskriminierung auf der Grundlage der (hier: geografischen) Herkunft im Sinne des Art. 3 GG liegt in den genannten Fällen und bei der Verweigerung des Bezugs eines gebuchten Urlaubsquartiers nicht vor, wenn der in einem Brennpunkt Wohnende kein aktuelles Attest vorweisen kann, das seine Infektionsfreiheit bescheinigt bzw. kein Zertifikat vorlegen kann, das seinen Impfstatus als „vollständig Geimpfter“ oder „Genesener“ nachweist. Allerdings ist die Methode, Menschen je nach ihrem Wohnsitz Rechte (nicht) zuzugestehen, 2021 innerhalb Deutschlands außer Gebrauch geraten. Mit der Zunahme des gegen COVID-19 geimpften Bevölkerungsanteils im Verlauf des Jahres 2021 verlor die Möglichkeit des Staates und von Kommunen, Mobilitätseinschränkungen zu verhängen, an Bedeutung, auch in Fällen, wenn die betreffende Gebietskörperschaft als „Risikogebiet“ eingestuft wurde.

Damit vergleichbare Beschränkungen der Freiheit zu Reisen und den Wohnsitz zu verlassen gab es in der Vergangenheit u. a. in der UdSSR und es gibt sie bis heute in der VR China, wo in bestimmten Regionen des Landes für das Verlassen des eigenen Wohnortes eine Genehmigung beantragt und von den zuständigen staatlichen Behörden erteilt werden muss. Dies galt in der UdSSR bis 1989 teilweise auch für Bahnreisen und den Erwerb von Fahrkarten an Bahnhöfen. In der Zeit des Zweiten Weltkrieges wurden von den Behörden des Deutschen Reiches ebenfalls umfangreiche Passierscheinregelungen zur Beschränkung der Bewegungsfreiheit erlassen und vor allem innerhalb der während des Krieges besetzten Gebiete umgesetzt.

Wohnsitz von Beamten, Richtern und Soldaten in Deutschland

Gemäß § 15 Abs. 1 Satz 1 Bundesbesoldungsgesetz (BBesG) ist der dienstliche Wohnsitz des Beamten oder des Richters der Ort, an dem die Behörde oder ständige Dienststelle ihren Sitz hat. Der dienstliche Wohnsitz eines Soldaten heißt Standort gemäß § 15 Abs. 1 Satz 2 BBesG.

Siehe auch

Weblinks

Wiktionary: Wohnsitz – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen
Wiktionary: Hauptwohnsitz – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen
Wiktionary: Zweitwohnsitz – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen

Einzelnachweise

  1. a b Carl Creifelds: Rechtswörterbuch. 21. Aufl. 2014, ISBN 978-3-406-63871-8.
  2. Stichwort: Wohnsitz: Ort, an dem jemand seine Wohnung hat. Beispiele: in seinem Personalausweis war Hamburg als zweiter Wohnsitz eingetragen // den Wohnsitz wechseln // seinen Wohnsitz in Berlin haben, nehmen // er ist ohne festen Wohnsitz
  3. Auswärtiges Amt: Krisenvorsorgeliste (ELEFAND) Abgerufen am 24. April 2016.
  4. Der Bundeswahlleiter: Aktives Wahlrecht (Memento vom 19. September 2016 im Internet Archive) Stand: Mai 2014
  5. https://www.rundfunkbeitrag.de/buergerinnen_und_buerger/formulare/befreiung_nebenwohnung/index_ger.html
  6. AFP, Veronika Völlinger, sög: Nebenwohnung: Rundfunkbeitrag entfällt am Zweitwohnsitz auch für Partner. In: zeit.de. 1. November 2019, abgerufen am 27. Januar 2024.
  7. Landkreis Osnabrück: Massiver Coronaausbruch: Strenge Vorschriften für Menschen aus Gütersloh und Warendorf. 23. Juni 2020, abgerufen am 29. Juni 2020.