Umerziehung

Der Begriff Umerziehung wird und wurde in verschiedenen Zusammenhängen benutzt.

Reeducation

Die ursprünglich US-amerikanische Bezeichnung Reeducation (englisch re-education), später Reorientation bzw. Re-Orientation, war der Oberbegriff für die Programme im Zusammenhang mit der Entnazifizierung zur Überwindung des Nationalsozialismus. Das Programm hieß „Reconstruction“ bei den Briten, „mission civilisatrice“ bei den Franzosen und „antifaschistisch-demokratische Umgestaltung“ in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ), der späteren DDR.[1][2][3][4]

Die Neue Zeitung wurde nach dem Zweiten Weltkrieg in der amerikanischen Besatzungszone herausgegeben und war von ihren amerikanischen Herausgebern auch als Mittel zur politischen Umerziehung gedacht.

Zeit des Nationalsozialismus in Deutschland

Nach dem gescheiterten Attentat vom 20. Juli 1944 auf Adolf Hitler wurden 46 Kinder und Jugendliche der Widerstandskämpfer von der Gestapo verschleppt und in das Kinderheim im Borntal in Bad Sachsa gebracht. Geplant war, bis zu 200 Kinder und Jugendliche in Bad Sachsa zu internieren. Sie wurden ihrer Identität beraubt und bekamen neue Namen. Später sollten die jüngeren Kinder zur Adoption in SS-Familien freigegeben werden und die älteren Kinder in Nationalpolitischen Erziehungsanstalten untergebracht werden. Ziel war eine komplette Umerziehung der Kinder für „Führer, Volk und Vaterland“.[5]

Jugendhilfe in der DDR

Die Spezialheime bildeten eine eigene Organisationsstruktur innerhalb des Heimsystems der Jugendhilfe in der DDR. Aufgabe der Spezialheime war die Umerziehung von Kindern und Jugendlichen im Alter zwischen 6 und 18 Jahren, die als schwererziehbar eingestuft worden waren.[6][7][8]

Der Jugendwerkhof war eine Einrichtung im System der Spezialheime der Jugendhilfe in der DDR. Aufgabe des Jugendwerkhofes war die Umerziehung „mit dem Ziel der Heranbildung vollwertiger Mitglieder der sozialistischen Gesellschaft und bewusster Bürger der Deutschen Demokratischen Republik.“[9][10]

Ideologische Umpolung mit Hilfe von Druckmitteln

Umerziehung wird zum Teil im Sinne von ideologischer Umpolung mit Hilfe von Druckmitteln verwendet:

  • Zur Zeit des Nationalsozialismus wurde teils behauptet, die Konzentrationslager dienten der „Umerziehung“.
  • Das Pitești-Experiment des rumänischen Geheimdienstes in den Jahren 1949 bis 1952.

Linkshänder

Vorwiegend früher war die Umerziehung von Linkshändern zu Rechtshändern weit verbreitet.

Literatur

  • Ine Hopfer: Geraubte Identität: die gewaltsame „Eindeutschung“ von polnischen Kindern in der NS-Zeit, Böhlau Verlag, Wien / Köln / Weimar 2010, ISBN 978-3-205-78462-3.
  • Jörn Gerhard: Der Jugendwerkhof im Jugendhilfesystem der DDR, Cuvillier Verlag, Göttingen 1995, ISBN 3-89588-084-1 (Dissertation Universität Göttingen 1994).
  • Rahel Marie Vogel: Auf dem Weg zum neuen Menschen: Umerziehung zur „sozialistischen Persönlichkeit“ in den Jugendwerkhöfen Hummelshain und Wolfersdorf (1961 - 1989), Lang, Frankfurt am Main / Berlin / Bern / Bruxelles / New York, NY / Oxford / Wien 2010, ISBN 978-3-631-60259-1 (= Europäische Hochschulschriften / European University Studies / Publications Universitaires Européennes, Band 1075, Geschichte und ihre Hilfswissenschaften, Band 1075, zugleich Staatsexamensarbeit Humboldt-Universität zu Berlin 2008 unter dem Titel: Umerziehung zur „sozialistischen Persönlichkeit“ in den DDR-Jugendwerkhöfen Hummelshain und Wolfersdorf (1961 - 1989)).
  • Christian Sachse: Ziel Umerziehung: Spezialheime der DDR-Jugendhilfe 1945 - 1989 in Sachsen. Leipziger Universitätsverlag, Leipzig 2013, ISBN 978-3-86583-787-5 (= Auf Biegen und Brechen, Sonderband; Schriftenreihe Erinnerungs- und Begegnungsstätte im ehemaligen Geschlossenen Jugendwerkhof Torgau).
  • Andreas Gatzemann: Die Erziehung zum „neuen“ Menschen im Jugendwerkhof Torgau: ein Beitrag zum kulturellen Gedächtnis, Lit Verlag, Berlin / Münster 2008, ISBN 978-3-8258-1599-8 (= Diktatur und Widerstand, Band 14, Dissertation Universität Passau 2008).

Weblinks

Wiktionary: Umerziehung – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen

Einzelnachweise

  1. Tent, J. F. (1982). Mission on the Rhine:" Reeducation" and Denazification in American-Occupied Germany. University of Chicago Press.
  2. Pronay, N., & Wilson, K. M. (Eds.). (1985). The Political re-education of Germany & her allies after World War II. Taylor & Francis.
  3. Gerhardt, U. (1996). A Hidden Agenda of Recovery: The Psychiatric Conceptualization of Re-education for Germany in the United States during World War II. German History, 14(3), 297-324.
  4. Fisher, J. (2007). Disciplining Germany: Youth, Reeducation, and Reconstruction after the Second World War. Wayne State University Press.
  5. „Sippenhaft“: Wie Hitler sich an Kindern rächte bei NDR 1 vom 18. Juli 2019
  6. Zimmermann, V.: „Den neuen Menschen schaffen“, die Umerziehung von schwererziehbaren und straffälligen Jugendlichen in der DDR (1945-1990). Böhlau, Köln / Weimar 2004, ISBN 3-412-12303-X (Dissertation Universität München 2000).
  7. Sachse, C. (2013). Ziel Umerziehung: Spezialheime der DDR-Jugendhilfe 1945-1989 in Sachsen. Leipziger Universitätsverlag.
  8. Jachertz, N. (2012). Spezialheime in der DDR: Die gewaltsame Umerziehung in der DDR hinterließ viele traumatisierte Opfer. Deutsches Ärzteblatt-Ärztliche Mitteilungen-Ausgabe A, 109(26), 1367.
  9. Jahn, U. (2010). Jugendwerkhöfe in der DDR. Landesbeauftragter des Freistaats Thüringen für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR.
  10. Krausz, D. (2009). Die Umerziehung schwererziehbarer und krimineller Jugendlicher in den Jugendwerkhöfen der DDR: Methoden einer Erziehungsdiktatur. Diplomarbeiten Agentur.