Trennungsgebot zwischen Polizei und Nachrichtendiensten

Das Trennungsgebot zwischen Polizei und Nachrichtendiensten, kurz Trennungsgebot, ist ein Grundsatz des deutschen Rechts, nach dem die Polizei und die Nachrichtendienste in Bezug auf die Aufgaben, die Organisation, die Befugnisse und die Datenverarbeitung getrennt sein sollen.

Geschichte

Ab 1815 bildete sich in den Teilstaaten des Deutschen Bundes neben der Kriminalpolizei eine politische Polizei zur Bekämpfung politischer Straftaten. In der Folgezeit entstanden Bundesorgane, die nur zur Sammlung und Auswertung von Informationen berechtigt waren. Von 1848 bis zur Reichsgründung 1871 konzentrierte sich die Tätigkeit der politischen Polizei wieder auf die Ebene der Teilstaaten. Nach der Reichsgründung übernahm die Zentralstelle der preußischen Landespolizei auf Grundlage einer Übereinkunft des Reiches mit den Ländern die Aufgaben einer Reichszentralstelle. Sie hatte selbst keine Exekutivbefugnis, sondern koordinierte den Informationsaustausch zwischen den Ländern. Der Schutz des Staates mit nachrichtendienstlichen Mitteln oblag in der Weimarer Republik den Landespolizeien. Ab 1920 übernahmen dann ein dem Innenministerium unterstellter Reichskommissar und anschließend das Reichsinnenministerium selbst die Aufgabe, verfassungsfeindliche Bestrebungen mit nachrichtendienstlichen Mitteln zu beobachten. Beiden Stellen standen keine exekutiven Befugnisse zu, d. h., sie durften nicht durchsuchen, beschlagnahmen, vernehmen oder gar in Haft nehmen.

Ab 1933 übernahm im nationalsozialistischen Deutschland die Geheime Staatspolizei (Gestapo) sukzessive, länderübergreifend und umfassend die Aufgaben der politischen Polizei. Mit der Gleichschaltung verloren die Länder auch ihre Zuständigkeit für die sonstige Polizei. Die überregional agierende Gestapo erhielt umfassende exekutive Befugnisse, ohne Bindung an geltendes Recht. Durch Proklamation des Alliierten Kontrollrats wurden 1945 die Gestapo und 1946 die übrige Polizei aufgelöst. In der Folgezeit sollte der Neuaufbau der Polizei ausschließlich in den Besatzungszonen erfolgen und ihre Zuständigkeit sich vorerst nur auf Gefahrenabwehr und Strafverfolgung erstrecken.

Als die Geburtsstunde des Trennungsgebotes gilt der sogenannte Polizeibrief, ein Schreiben der Militärgouverneure der westdeutschen Besatzungszonen vom 14. April 1949 an den Parlamentarischen Rat inmitten der Schlussberatungen zum Grundgesetz.[1][2]

Auf der Grundlage des Bundesverfassungsschutzgesetzes (BVerfSchG) aus dem Jahr 1950 wurde auf Bundesebene mit dem Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) ein zentraler Inlandsnachrichtendienst geschaffen, der keine polizeilichen Befugnisse hatte. Desgleichen wurden Landesbehörden für den Verfassungsschutz (LfV) eingerichtet, ebenfalls ohne polizeiliche Befugnisse. Damit waren erstmals in der deutschen Geschichte Verfassungsschutzbehörden vollständig von den Polizeibehörden getrennt.[3]

Rechtliche Herleitung und Reichweite

Die Herleitung des Trennungsgebotes ist strittig.

Verfassungsrecht

Das Gebot einer Trennung von Polizei und Nachrichtendiensten wird erstmals im Polizeibrief vom 14. April 1949 an den Parlamentarischen Rat angesprochen. Danach soll der einzurichtende Nachrichtendienst keine polizeilichen Kompetenzen haben. In ihrem Genehmigungsschreiben zum Grundgesetz haben sich die Alliierten ausdrücklich auf diesen Polizeibrief bezogen.

Das Grundgesetz spricht in Art. 73 Abs. 1 Nr. 10 GG und Art. 87 Abs. 1 GG von Polizei und Verfassungsschutz. Eine Trennung zwischen Polizei und Verfassungsschutz wird vom Wortlaut der beiden Normen nicht gefordert. Nicht zwingend ist der Schluss, allein in der Aufzählung der dort niedergelegten Aufgaben (Zusammenarbeit des Bundes und der Länder auf den Gebieten a) der Kriminalpolizei, b) des Schutzes der freiheitlichen demokratischen Grundordnung und c) …) im Plural einen Anhaltspunkt dafür zu sehen, dass der Gesetzgeber von getrennten Stellen ausgegangen ist (sog. Plural-Argument). Der Wortlaut von Art. 87 Abs. 1 S. 2 GG besagt lediglich, dass verschiedene Stellen eingerichtet werden können, nicht jedoch müssen. Art. 87 Abs. 1 S. 2 GG und Art. 73 Abs. 1 Nr. 10 GG regeln jedoch lediglich die Gesetzgebungs- und Verwaltungskompetenz des Bundes, also eine Frage der bloßen Zuständigkeit.[4]

Das Bundesverfassungsgericht hat im Rahmen einzelner Entscheidungen ausgeführt, dass sich das Trennungsgebot aus dem Grundgesetz, insbesondere aus dem Rechtsstaatsprinzip, dem Bundesstaatsprinzip und dem Schutz der Grundrechte herleiten lassen könne,[5] die Frage wegen fehlender Relevanz im konkreten Fall allerdings nicht entschieden. Der Hinweis auf das Fehlen eines vergleichbaren Trennungsgebots in anderen Rechtsstaaten wie Frankreich, Österreich, der Schweiz, den Vereinigten Staaten, Dänemark und Schweden spricht nicht gegen ein dem deutschen Rechtsstaat immanentes Trennungsgebot. Das Rechtsstaatsprinzip ist kein allgemeingültiges und unveränderbares Prinzip, sondern national durch Rechtstradition und geschichtliche Erfahrungen geprägt und somit zeitlichen Veränderungen unterworfen.[6]

Einfachgesetzliches Recht

Im § 2 Abs. 1 S. 3 und § 8 Abs. 3 BVerfSchG werden dem Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) in zwei Regelungen das Verbot der Angliederung an eine Polizeidienststelle und der Ausschluss polizeilicher Befugnisse sowie in einem dritten Regelungskomplex bestimmte Aufgabenfelder zugewiesen (vgl. § 3 BVerfSchG). Aus dem Zusammenspiel dieser drei Regelungsbereiche, welche sich in den Spezialgesetzen jedes deutschen Nachrichtendienstes finden, ergibt sich das Trennungsgebot unter einem funktionellen, kompetenziellen und organisatorischen Gesichtspunkt.

Die erste Komponente des Trennungsgebots bezieht sich auf die funktionelle Trennung des BfV von den Polizeibehörden und folgt aus der Aufgabenzuweisung in § 3 BVerfSchG in Verbindung mit den jeweiligen Polizeigesetzen. Sind die Polizeibehörden doch grundsätzlich auf die Gefahrenabwehr und Strafverfolgung beschränkt, sucht das BfV nach Informationen insbesondere über Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung bereits im Vorfeld entstehender Gefahren. Trotz dieser verschiedenen Aufgabengebiete kommt es zu Berührungspunkten und Überschneidungen, insbesondere bei der Verhinderung und Bekämpfung politischer Straftaten.

Im Zusammenhang mit diesen unterschiedlichen Aufgabenzuweisungen steht auch das Gebot der kompetenziellen Trennung beider Behörden. § 8 Abs. 3 BVerfSchG verbietet der Verfassungsschutzbehörde den Einsatz polizeilicher Mittel. Daraus wird zum Teil geschlossen, dass dem Trennungsgebot zugleich zu entnehmen ist, dass den Polizeibehörden nachrichtendienstliche Befugnisse versagt bleiben. Hintergrund dieser Ansicht ist, dass der Gesetzgeber mit der Befugnisbegrenzung des BfV die Entstehung eines übermächtigen Bundesamtes verhindern wollte. Insofern sei ein BfV mit vollumfänglichen polizeilichen Befugnissen ebenso unzulässig wie eine zentrale Bundespolizeistelle, welche umfassend nachrichtendienstliche Mittel einzusetzen berechtigt ist. Der überwiegenden Ansicht folgend sind jedoch die Polizeibehörden innerhalb derjenigen Grenzen, welche von ihrer Aufgabenzuweisung gezogen werden, durch die genannten Kompetenznormen zum Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel berechtigt.

Um eine Umgehung der kompetenziellen Trennung zwischen Verfassungsschutz- und Polizeibehörden zu verhindern, ist dem Trennungsgebot auch eine organisatorische Komponente zu entnehmen. Danach darf das BfV keiner Polizeidienststelle angegliedert werden. Da das Gebot der Befugnistrennung zum Teil wechselseitig wirkt, gilt dies konsequenterweise auch für die organisatorische Trennung. Es kann rechtlich keinen Unterschied machen, ob die Verfassungsschutzbehörde einer Polizeidienststelle angegliedert wird oder umgekehrt. Beides wäre unzulässig, da eine organisatorische Zusammenlegung faktisch eine Kumulation der Befugnisse und Kompetenzen bedeuten würde.

Alle Bundesländer haben sich in ihren Landesverfassungsschutzgesetzen für eine dem BVerfSchG ähnliche Regelung entschieden. Darüber hinaus haben sich die Länder Brandenburg und Sachsen[A 1] dazu entschieden, das Trennungsgebot in ihren Landesverfassungen zu regeln. Damit besteht auch auf Landesebene ein von der Bundesebene unabhängiges Trennungsgebot.

Praktische Beispiele

Der informationellen Komponente des Trennungsgebots ist zu entnehmen, dass eine uneingeschränkte Weitergabe von jeglichen Informationen zwischen den Nachrichtendiensten und den Polizeibehörden unzulässig ist. Weder Polizei noch Nachrichtendienste sollen über Informationen verfügen, die zu ihrer Aufgabenerfüllung nicht erforderlich sind. Das Trennungsgebot gebietet es jedoch nicht, dass eine Zusammenarbeit zwischen Nachrichtendiensten und Polizei zu unterbleiben hat, wo dies für die beiderseitigen Aufgabenerfüllungen erforderlich ist. Dies zeigen die vielfältigen Datenübermittlungsnormen zwischen den Sicherheitsbehörden.

Auf dem Gebiet der Schnittmenge der gesetzlichen Aufgabenzuweisungen der jeweiligen Behörden ist eine Informationsweitergabe zulässig. Dies ist auch nach den Verfassungsschutzgesetzen Voraussetzung für eine Übermittlung. Damit ist die Zulässigkeit der Errichtung gemeinsamer Lagezentren und Zentraldateien insofern begrenzt, als sie ausschließlich zur kumulativen gesetzlichen Aufgabenerfüllung von Nachrichtendiensten und Polizeibehörden dienen. Die Schaffung entsprechender Zentraldateien und Lagezentren stellt demnach eine besondere Form der zulässigen Informationsübermittlung dar.

Aus der organisatorischen Komponente des Trennungsgebotes folgt schließlich, dass kein Personal funktionell zugleich sowohl bei der einen als auch bei der anderen Behörde beschäftigt sein darf. Das schließt nicht aus, dass Auswertemitarbeiter der Nachrichtendienste und der Polizei unter einem Dach – wie im Gemeinsamen Terrorismusabwehrzentrum (GTAZ) von Bund und Ländern und im Gemeinsamen Analysezentrum Terrorismus/Extremismus (GATE) im Land Brandenburg praktiziert – nebeneinander im ständigen Informationsabgleich Sicherheitsaufgaben erfüllen. Dieser Abgleich und die gemeinsame Auswertung richten sich wiederum nach den einschlägigen Übermittlungsnormen der Verfassungsschutz- und Polizeigesetze. Unzulässig wird die organisatorische Angliederung aller dieser Mitarbeiter an den gemeinsamen Behördenleiter einer Polizei- oder nachrichtendienstlichen Behörde.

Andere Staaten

Eine umfassende Trennung wie im deutschen Recht war und ist den Inlandsnachrichtendiensten der USA, Frankreichs, Dänemarks, Österreichs und der meisten anderen Staaten fremd. Das Prinzip gibt es hingegen auch in der Schweiz[7], und der britische Inlandsnachrichtendienst MI5 war in seinen Exekutivkompetenzen insofern beschränkt, als er nicht zur polizeilichen Festnahme berechtigt war.[3]

Literatur

  • Christoph Streiß: Das Trennungsgebot zwischen Polizei und Nachrichtendiensten im Lichte aktueller Herausforderungen des Sicherheitsrechts. Peter Lang Verlag, 2011, ISBN 978-3631607503.
  • Alexander Dorn: Das Trennungsgebot in verfassungshistorischer Perspektive: zur Aufnahme inlandsnachrichtendienstlicher Bundeskompetenzen in das Grundgesetz vom 23. Mai 1949. Verlag Duncker & Humblot, 2004. ISBN 3428111575
  • Helmut Albert: Das „Trennungsgebot“ – ein für Polizei und Verfassungsschutz überholtes Entwicklungskonzept? ZRP 1995, 105 ff.
  • Christoph Gusy: Das gesetzliche Trennungsgebot zwischen Polizei und Verfassungsschutz. DV 1991, S. 467–490
  • Christoph Gusy: Das verfassungsrechtliche Gebot der Trennung von Polizei und Nachrichtendiensten. ZRP 1987, S. 45–52
  • Helmut Roewer: Trennung von Polizei und Verfassungsschutzbehörden. DVBl. 1986, S. 205 ff.

Weblinks

Anmerkungen

  1. Wortlaut Artikel 83 Abs. 3 Landesverfassung Sachsen: "Der Freistaat unterhält keinen Geheimdienst mit polizeilichen Befugnissen. Der Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel unterliegt einer Nachprüfung durch von der Volksvertretung bestellte Organe und Hilfsorgane, sofern dieser Einsatz nicht der richterlichen Kontrolle unterlegen hat. Das Nähere bestimmt das Gesetz."

Einzelnachweise

  1. Schreiben der Militärgouverneure zum Grundgesetz ("Polizei-Brief") vom 14. April 1949 (deutsche Übersetzung)
  2. Das Trennungsgebot – Teil 1: Politisches Schlagwort oder verfassungsrechtliche Vorgabe? (Memento vom 23. Mai 2007 im Internet Archive) von Regierungsdirektor Dr. jur. Jens Singer, Die Kriminalpolizei September 2006
  3. a b Alexander Dorn: "Das Trennungsgebot in verfassungshistorischer Perspektive: zur Aufnahme inlandsnachrichtendienstlicher Bundeskompetenzen in das Grundgesetz vom 23. Mai 1949", Verlag Duncker & Humblot, 2004. ISBN 3428111575
  4. Schmidt, Zeitschrift für Rechtspolitik, 1979, S. 190
  5. Beschluß des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 28. Januar 1998 mit dem Aktenzeichen 2 BvF 3/92, Randnummer 88 bzw. BVerfGE 97, 198 (217) (englisch) In: www.servat.unibe.ch/dfr. Internetprojekte Prof. Dr. Axel Tschentscher, LL.M., M.A.. 28. Januar 1998. Abgerufen am 9. April 2018.
  6. BVerfG Urteil vom 28. Januar 1998 (AZ: 2 BvF 3/92) in BVerfGE Band 97, S. 217
  7. Therese Steffen Gerber, Martin Keller: Bundespolizei. In: Historisches Lexikon der Schweiz. 27. Januar 2010, abgerufen am 13. Juni 2019.