Therese Giehse

Therese Giehse, 1919Autogramm Therese Giehse
Therese Giehse, Foto: Annemarie Schwarzenbach, 1933

Therese Giehse, geborene Therese Gift (* 6. März 1898 in München; † 3. März 1975 ebenda), war eine deutsche Schauspielerin und Kabarettistin, 1933 Mitbegründerin des politischen Kabaretts Die Pfeffermühle in der Bonbonniere in München sowie Hauptdarstellerin in den Uraufführungen von Mutter Courage und ihre Kinder und Der Besuch der alten Dame, 1941 und 1956 im Schauspielhaus Zürich. Sie gilt als die bekannteste und neben Helene Weigel die beste Interpretin von Bertolt Brechts Werk.

Leben

Therese Giehse und Magnus Henning an der Reling stehend, Rückfahrt Amerika, Foto: Annemarie Schwarzenbach, 1936
Erika Mann vor dem Haus Jäger, Sils (rätoromanisch: Chesa Jäger, Segl), Foto: Annemarie Schwarzenbach, 1936
Therese Giehse auf der Treppe vor der Chesa Salis, Sils, Foto: Annemarie Schwarzenbach, 1936
Marianne Hoppe, 1935

Entwicklung, Wirken und Familie

Therese Gift kam 1898 als jüngstes von fünf Geschwistern des jüdischen Kaufmannsehepaars Gertrude und Salomon Gift zur Welt. Sie wurde nicht jüdisch-orthodox, sondern liberal erzogen und entwickelte eine entschiedene Skepsis gegenüber Religionen. In der Zeit, als sie die Volksschule auf dem Sankt-Anna-Platz besuchte, war sie den damals verbreiteten antisemitischen Beschimpfungen ausgesetzt und empfand diese als abgrenzend und entwürdigend: „Ich war dick und rothaarig und hatt’ den Herrn Jesus umgebracht“. Der Verlust des Vaters 1911 und der Beginn des Ersten Weltkriegs 1914 waren prägsame Einschnitte in ihrer Kindheit, die Auswirkungen auf ihre Familie hatten. Ihre Brüder dienten an der Front und wollten als Juden einen Beitrag für die Verteidigung ihres Vaterlandes leisten. Aufgrund ihrer Erfahrungen im Ersten Weltkrieg wurde Therese Giehse später zu einer überzeugten Pazifistin. Schon früh reifte in ihr der Wunsch, Schauspielerin zu werden, also stellte sie sich 1915 bei Albert Steinrück mit dem Gedicht Belsazar von Heinrich Heine vor. Steinrück entschied: „viel weniger dick als begabt“ und eröffnete ihr damit die Ausbildung bei der damals bekannten Schauspiellehrerin Toni Wittels-Stury.[1]

Von 1918 bis 1920 nahm sie Schauspielunterricht bei Tony Wittels-Stury. 1920 nahm sie den Künstlernamen Giehse an[2]. Ihre Saison-Engagements von 1920 bis 1926 („meine Lernjahre“) führten sie durch die Provinz: Siegen/Westfalen, Gleiwitz/Oberschlesien, Landshut/Niederbayern, die Bayerische Landesbühne, Breslau bei Paul Barney. Von 1926 bis 1933 war sie Mitglied an den Münchner Kammerspielen bei Otto Falckenberg.

Giehse gründete Anfang 1933 in München zusammen mit dem Musiker Magnus Henning, ihrer Lebensgefährtin Erika Mann und deren Bruder Klaus Mann (der ihr später seinen Roman Mephisto widmete) das Kabarett Die Pfeffermühle.[3] Mit diesem emigrierte sie noch im gleichen Jahr, da sie als Jüdin und politisch links stehende Künstlerin mit der Verfolgung durch die Nationalsozialisten rechnen musste. Erste Station ihrer Flucht war Zürich. Danach verlief ihr Fluchtweg von 1934 bis 1936 über Belgien, die Niederlande, Luxemburg und Österreich bis in die Tschechoslowakei. Am 26. April 1936 erlebte die Pfeffermühle ihre 1000. Vorstellung in Amsterdam.

Grabstätte von Therese Giehses und ihrer Schwester Irma Gift, Friedhof Fluntern, Zürich

Am 20. Mai 1936 heiratete die lesbische Giehse[4] den homosexuellen englischen Schriftsteller John Hampson († 1955), um auf diese Weise einen britischen Pass zu erhalten und so dem Zugriff der Nationalsozialisten entgehen zu können. 1937 wurden in Amerika begonnene Aufführungen der Peppermill nach kurzer Zeit wegen Erfolglosigkeit wieder eingestellt. Sie kehrte an das Zürcher Schauspielhaus zurück, dem sie ihr Leben lang treu blieb. Nach 1945 stand sie in München, Berlin, Salzburg und auch in Wien auf der Bühne.

Nach dem Krieg pflegte Giehse eine Liebesbeziehung zu der Schauspielerin Marianne Hoppe.[5]

Als zeitweiliges Mitglied des Berliner Ensembles von Bertolt Brecht war Giehse nach dem Krieg eine gefragte Interpretin seiner Werke. So erschien ihr Rezitations-Abend Ein Bertolt Brecht-Abend mit Therese Giehse auf mehreren Schallplatten sowohl in der BRD als auch in der DDR.

Therese Giehse starb 1975 drei Tage vor ihrem 77. Geburtstag in München. Während der Gedenkfeier in den Münchner Kammerspielen starb der Regisseur Paul Verhoeven an Herzversagen nach den ersten Sätze seines Nachrufs auf Giehse. Therese Giehse wurde auf ihren eigenen Wunsch auf dem Friedhof Fluntern in Zürich begraben.

Wichtige Engagements und Rollen

Therese Giehse in der Rolle der Mutter Courage, Porträt von Günter Rittner, 1966

Während der Zeit von 1937 bis 1966 war Giehse am Schauspielhaus Zürich sowohl als festes Ensemblemitglied wie auch als Gast engagiert. Sie spielte die Hauptrolle in der Brecht-Uraufführung von Mutter Courage und ihre Kinder am 19. April 1941 und wirkte im Stück Herr Puntila und sein Knecht Matti am 23. April 1948 ebenso mit. Am 22. September 1949 spielte sie in der ersten Premiere nach ihrer Emigration an den Kammerspielen in München in Der Biberpelz von Gerhart Hauptmann mit. Von 1949 bis 1952 war Giehse Mitglied am Berliner Ensemble und von 1949 bis 1973 auch an den Münchner Kammerspielen engagiert.

Am Zürcher Schauspielhaus wirkte Giehse in den Uraufführungen von Friedrich Dürrenmatts Theaterstücken Der Besuch der alten Dame (in der Hauptrolle) am 29. Januar 1956 sowie in Die Physiker am 21. Februar 1962 mit. Die Komödie wurde ihr vom Autor gewidmet. Dürrenmatt machte zu diesem Stück die Aussage, dass er den ursprünglich männlichen Anstaltsleiter nach einem Gespräch mit Therese Giehse in einen weiblichen geändert habe.[6][7] Eine Aussage, die er später jedoch relativierte.[8][9] An den Kammerspielen in München wirkte sie am 4. Oktober 1967 in der Uraufführung von Die Landshuter Erzählungen von Martin Sperr mit.

Theater (Auswahl)

Uraufführungen

  • 1933: Die Dummheit in Exiltheater »Die Pfeffermühle«, Uraufführung im Hotel Hirschen in Zürich, 30. September 1933
  • 1941: Mutter Courage, Hauptrolle in Mutter Courage und ihre Kinder von Bertolt Brecht, Uraufführung im Schauspielhaus Zürich, 19. April 1941
  • 1948: Schmuggleremma in Herr Puntilla und sein Knecht Matti von Bertolt Brecht, Uraufführung im Schauspielhaus Zürich, 23. April 1948
  • 1953 Celestina in Don Juan oder Die Liebe zur Geometrie von Max Frisch, Uraufführung im Schauspielhaus Zürich, 5. Mai 1953
  • 1956: Claire Zachanassian, Hauptrolle in Besuch der alten Dame von Friedrich Dürrenmatt, Uraufführung im Schauspielhaus Zürich, 29. Januar 1956
  • 1962: Fräulein Dr. h. c. Dr. med. Mathilde von Zahnd, weibliche Hauptrolle in Die Physiker von Friedrich Dürrenmatt, Uraufführung im Schauspielhaus Zürich, 21. Februar 1962

Weitere Rollen

Filmografie (Auswahl)

Kino

Fernsehen

Hörspiele

Diskografie

  • Ein Bertolt-Brecht-Abend mit Therese Giehse 1. Folge
  • Ein Bertolt-Brecht-Abend 2. Folge
  • Ein Bertolt-Brecht-Abend 3. Folge
  • Therese Giehse spricht Dürrenmatt (mit Friedrich Dürrenmatt)
  • Die Mutter (3 LP)
  • Weitere Aussichten

Auszeichnungen und Würdigungen

Am 24. Juni 1955 erhielt Giehse das Filmband in Silber für ihre Rolle in dem Spielfilm Kinder, Mütter und ein General.

Therese Giehse, Schauspielerin,
100 Pfennige
Gerd Aretz, 1988
Briefmarke
Briefmarken-Bilder.de

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Am 10. November 1988 kam eine Briefmarke der Dauermarken-Serie Frauen der deutschen Geschichte im Nennwert von 100 Pfennig Michel-Nr. 1390 mit einem Porträt Giehses an die Postschalter. Da es sich bei dem Wert der Marke seinerzeit um das Standardporto für Briefe handelte, wurde Giehse hierdurch nochmals einer größeren Öffentlichkeit bekannt.

In München wurde 1975 die Therese-Giehse-Allee in Neuperlach nach ihr benannt (die 1980 der U-Bahn-Station Therese-Giehse-Allee ihren Namen gab), in Unterschleißheim 1995 die Therese-Giehse-Realschule.[12] In Zürich-Oerlikon existiert eine Therese-Giehse-Straße. Im Hamburger Bezirk Bergedorf ist im Stadtteil Neuallermöhe ebenfalls eine Straße nach ihr benannt, der Therese-Giehse-Bogen. Auch in Berlin-Spandau gibt es eine Therese-Giehse-Straße. Germering hat den Therese-Giehse-Platz nach ihr benannt.

Der Intercity 815 WismarMünchen trug 1998/1999 ihren Namen.

Eine bedeutende Würdigung erfuhr die Schauspielerin durch den deutschen Bundesverband Schauspiel, der im September 2021 den von ihm jährlich vergebenen Theaterpreis ab sofort in Therese-Giehse-Preis umbenannte. Erster Preisträger wurde der Schauspieler und Autor Klaus Pohl für sein Hörbuch Sein oder Nichtsein.[13]

Fotogalerie Würdigungen

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Therese-Giehse-Platz in Germering

Literatur

  • Renate Schmidt: Therese Giehse. „Na, dann wollen wir den Herrschaften mal was bieten!“ Biografie. Langen Müller, München, Neuausgabe 2008, ISBN 978-3-7844-3166-6
  • Kay Weniger: Das große Personenlexikon des Films. Band 3: F – H. John Barry Fitzgerald – Ernst Hofbauer. Schwarzkopf & Schwarzkopf, Berlin 2001, ISBN 3-89602-340-3, S. 253 f.
  • Giehse, Therese, von Björn Siegel, in: Encyclopaedia Judaica, Bd. 7, Hg. Fred Skolnik, Macmillan Reference USA & Keter Publishing House, 2. Aufl. Detroit 2007, S. 598.
  • Helga Keiser-Hayne: Erika Mann und ihr politisches Kabarett „Die Pfeffermühle“ 1933–1937. Rowohlt, Reinbek 1995, ISBN 3-499-13656-2
  • „Ich hab nichts zum Sagen.“ Gespräche mit Monika Sperr. C. Bertelsmann, München 1973, ISBN 3-570-08405-1.
  • Tobias Hoffmann: Giehse, Therese. In: Historisches Lexikon der Schweiz.
  • Gunna Wendt: Erika und Therese: Erika Mann und Therese Giehse – Eine Liebe zwischen Kunst und Krieg. Piper, München 2018, ISBN 978-3-492-30941-7
  • Michaela Karl: Therese Giehse: Die Mutter Courage. In: Bayerische Amazonen – Zwölf Porträts. Pustet, Regensburg 2004, ISBN 3-7917-1868-1, S. 132–150
  • Anna Beck: Therese Giehse. In: Andreas Kotte (Hrsg.): Theaterlexikon der Schweiz. Band 1, Chronos, Zürich 2005, ISBN 3-0340-0715-9, S. 706 f.
  • Kay Weniger: ‘Es wird im Leben dir mehr genommen als gegeben …’. Lexikon der aus Deutschland und Österreich emigrierten Filmschaffenden 1933 bis 1945. Eine Gesamtübersicht. ACABUS-Verlag, Hamburg 2011, ISBN 978-3-86282-049-8, S. 193 f.

Weblinks

Commons: Therese Giehse – Sammlung von Bildern und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Gerhard Danzer: Therese Giehse – Der letzte Elefant. In: Europa, deine Frauen. Springer, 2015, ISBN 978-3-662-44231-9, S. 136–137.
  2. Bayerischer Rundfunk: Lebensläufe: Therese Giehse - Tscharlies jüdische Oma. 14. Februar 2016 (br.de [abgerufen am 24. Januar 2023]).
  3. Verstoß gegen das „gesunde Volksempfinden“. Abgerufen am 24. Januar 2021.
  4. Geschichte der Lesben und Schwulen in München. (PDF) Abgerufen am 24. Januar 2023.
  5. Marianne Hoppe - Nachlass. Abgerufen am 23. Januar 2023.
  6. RadioWissen Therese-Giehse Ein-starker-Charakter. (MP3) Archiviert vom Original; abgerufen am 24. Januar 2023.
  7. Nach: Ritter: Friedrich Dürrenmatt: Die Physiker, S. 101.
  8. Heinz Ludwig Arnold (Hrsg.): Friedrich Dürrenmatt: Der Klassiker auf der Bühne. Gespräche 1961–1970. Diogenes, Zürich 1996, ISBN 3-257-06111-0, S. 206.
  9. Ich bin der finsterste Komödienschreiber, den es gibt. Abgerufen am 24. Januar 2023.
  10. hoerspielundfeature.de: Hörspiel - Der Biberpelz. Abgerufen am 24. Januar 2023.
  11. Bayerischer Rundfunk Hörspiel Pool: Dieter Kühn/Martin Sperr: Lemsomd. 27. April 2012, abgerufen am 24. Januar 2023.
  12. Helga Pfoertner: Mit der Geschichte leben. Bd. 1, Literareron, München 2001, ISBN 3-89675-859-4, S. 160 (PDF; 1,1 MB (Memento vom 28. April 2014 im Internet Archive))
  13. Theaterpreis wird nach Therese Giehse benannt. In: Berliner Zeitung, 10. September 2021, S. 13.

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