Stephanos von Alexandria

Stephanos von Alexandria (lateinisch Stephanus Alexandrinus) war ein griechischer Philosoph. Seine Tätigkeit fällt ins späte 6. und frühe 7. Jahrhundert.

Leben

Stephanos erhielt seine Ausbildung in der neuplatonisch orientierten Philosophenschule von Alexandria, doch galt sein Interesse anscheinend weniger dem Platonismus als den Werken des Aristoteles und naturkundlichen Themen. Möglicherweise studierte er bei dem Neuplatoniker Elias, der ein Schüler Olympiodoros’ des Jüngeren war. Vermutlich war er nach dem Abschluss seiner Ausbildung als Philosophielehrer in Alexandria tätig.

Der oströmische Kaiser Herakleios holte bald nach seiner Machterlangung (610) den offenbar renommierten Philosophen nach Konstantinopel, wo Stephanos als „Weltlehrer“ (oikoumenikós didáskalos) Unterricht erteilen sollte. Stephanos hielt auch Vorträge vor dem Kaiser und widmete ihm eine Kurzfassung des astronomischen Werks des Theon von Alexandria. Sein Wirken in Konstantinopel – und die damit einhergehende Vermittlung philosophischer Inhalte der alexandrinischen Schule – bezeugt die kulturelle Spätblüte, die Ostrom in der Regierungszeit des Herakleios noch einmal erlebte, bevor nach dem Beginn der arabischen Expansion das Reich in eine schwere Krise geriet.

Die von Wanda Wolska-Conus[1] vertretene Gleichsetzung des Philosophen Stephanos von Alexandria mit dem Arzt Stephanos von Athen, der in Handschriften seiner Werke auch als Philosoph bezeichnet wird, wird in der neueren Forschung zwar als Möglichkeit in Betracht gezogen, aber teils skeptisch beurteilt.[2]

Werke und Lehre

Stephanos schrieb Kommentare zu verschiedenen Werken des Aristoteles, darunter einen zu De interpretatione und einen zum dritten Buch von De anima (beide vollständig erhalten); weitere Aristoteles-Kommentare sind heute verloren. Bei der Auslegung des Aristoteles übernahm er nicht durchgängig die bei den alexandrinischen Neuplatonikern beliebte Harmonisierung der aristotelischen Lehren mit den platonischen, sondern vermerkte Unterschiede zwischen ihnen und bevorzugte Aristoteles. Allerdings macht sich in seinen Überlegungen zur aristotelischen Seelenlehre auch der Einfluss der neuplatonischen Denkweise bemerkbar.[3] Er war zweifellos Christ, doch thematisierte er bei seiner Aristoteles-Kommentierung die Gegensätze zwischen der christlichen und der aristotelischen Weltanschauung nicht, sondern stellte die Ansichten des Aristoteles, die den christlichen widersprechen, als solche dar, ohne selbst dazu Stellung zu beziehen.

Außerdem verfasste Stephanos astronomische Abhandlungen und ein Werk über Alchemie.

Wanda Wolska-Conus identifiziert Stephanos von Alexandria mit dem sogenannten „Pseudo-Elias“, dem unbekannten Verfasser eines Kommentars zur Isagoge des Porphyrios. Diesem Kommentar sind nur fragmentarisch erhaltene Prolegomena zur Philosophie und eine Einleitung zur Isagoge vorangestellt; die ersten sieben der insgesamt 23 Lektionen (práxeis) der Prolegomena zur Philosophie fehlen.[4]

Textausgaben

  • Michael Hayduck (Hrsg.): Stephani in librum Aristotelis de interpretatione commentarium (= Commentaria in Aristotelem Graeca Bd. 18 Teil 3). Georg Reimer, Berlin 1885 (kritische Ausgabe)
  • Michael Hayduck (Hrsg.): Ioannis Philoponi in Aristotelis de anima libros commentaria (= Commentaria in Aristotelem Graeca Bd. 15). Georg Reimer, Berlin 1897 (kritische Ausgabe; enthält S. 446–607 den Kommentar des Stephanos zum dritten Buch von De anima, der damals noch irrig Johannes Philoponos zugeschrieben wurde)

Literatur

Übersichtsdarstellungen in Handbüchern

  • Adolf Lumpe: Stephanos von Alexandria. In: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon (BBKL). Band 10, Bautz, Herzberg 1995, ISBN 3-88309-062-X, Sp. 1406–1409.
  • Denis Searby: Stéphanos d’Alexandrie. In: Richard Goulet (Hrsg.): Dictionnaire des philosophes antiques. Band 6, CNRS Éditions, Paris 2016, ISBN 978-2-271-08989-2, S. 563–579
  • Matteo Martelli: Stéphanos. Alchimiste et astronome/astrologue. In: Richard Goulet (Hrsg.): Dictionnaire des philosophes antiques. Band 6, CNRS Éditions, Paris 2016, ISBN 978-2-271-08989-2, S. 557–563 (über die alchimistischen, astronomischen und astrologischen Schriften und ihren Verfasser)
  • Christian Tornau: Stephanos. In: Christoph Riedweg u. a. (Hrsg.): Philosophie der Kaiserzeit und der Spätantike (= Grundriss der Geschichte der Philosophie. Die Philosophie der Antike. Band 5/3). Schwabe, Basel 2018, ISBN 978-3-7965-3700-4, S. 2097–2107, 2185–2188

Untersuchungen

  • Leendert Gerrit Westerink, Jean Trouillard (Hrsg.): Prolégomènes à la philosophie de Platon. Les Belles Lettres, Paris 1990, ISBN 2-251-00412-2, S. XXXIX–XLII
  • Rudolf Werner Soukup: Natur, Du himmlische! Die alchemistischen Traktate des Stephanos von Alexandria. Eine Studie zur Alchemie des 7. Jahrhunderts. In: Mitteilungen der Österreichischen Gesellschaft für Geschichte der Naturwissenschaften 12, 1992, S. 1–93 (online; PDF; 96,4 MB)
  • Henry J. Blumenthal: John Philoponus and Stephanus of Alexandria: Two Neoplatonic Christian Commentators of Aristotle? In: Dominic J. O’Meara (Hrsg.): Neopatonism and Christian Thought. State University of New York Press, Albany 1982, S. 54–63

Anmerkungen

  1. Wanda Wolska-Conus: Stéphanos d’Athènes et Stéphanos d’Alexandrie. Essai d’identification et de biographie. In: Revue des Études byzantines 47, 1989, S. 5–89.
  2. Siehe dazu Véronique Boudon-Millot: Stéphanos d’Athènes. In: Richard Goulet (Hrsg.): Dictionnaire des philosophes antiques, Bd. 6, Paris 2016, S. 579–588, hier: 581–583.
  3. Henry Blumenthal: John Philoponus and Stephanus of Alexandria: Two Neoplatonic Christian Commentators of Aristotle? In: Dominic J. O’Meara (Hrsg.): Neopatonism and Christian Thought, Albany 1982, S. 54–63, hier: 56f.
  4. Dieser Kommentar ist herausgegeben von Leendert Gerrit Westerink: Pseudo-Elias (Pseudo-David): Lectures on Porphyry’s Isagoge, Amsterdam 1967. Vorsichtig zustimmend äußert sich zur Identifizierung des Pseudo-Elias mit Stephanos Pascal Mueller-Jourdan: Une initiation à la Philosophie de l’Antiquité tardive: Les leçons du Pseudo-Elias, Fribourg 2007, S. XXVf.