Reisekönigtum

Reisende Könige, mittelalterliche Malerei, Dädesjö-Kirche, Schweden

Das Reisekönigtum war von der fränkischen Zeit bis in das Spätmittelalter hinein die übliche Form der Herrschaftsausübung durch König oder Kaiser. Die deutschen Könige des Mittelalters regierten nicht von einer Hauptstadt aus. Sie reisten mit ihrem Gefolge durch das Reich, wobei sie sich in karolingischer Zeit vor allem in Pfalzen aufhielten, während im 10. Jahrhundert vermehrt Reichsabteien und im 11. Jahrhundert Bischofssitze hinzukamen. Auch in anderen europäischen Ländern war dies im Fall einer fehlenden zentralisierten Herrschaftsgewalt über längere Zeiträume üblich und wird dort zum Beispiel auf Englisch als itinerant kingship, travelling kingdom oder auf Italienisch als corte itinerante bezeichnet.

Das Heilige Römische Reich besaß keine Hauptstadt im heutigen Sinne, sondern wurde von wechselnden Orten aus regiert. Diese Orte waren meist auf Krongut errichtete Pfalzen sowie Klöster und Bischofsstädte. Die Wege, die der Königshof auf diesen Reisen zurücklegte, lassen sich oft nur unzureichend aus Ortsangaben in Urkunden und erzählenden Quellen rekonstruieren; diese lückenhaft überlieferten Reiserouten werden Itinerare genannt. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Pfalzen oft in verkehrsgünstigen und auch fruchtbaren Gebieten angelegt wurden, die zur Versorgung von Königshöfen als Mittelpunkt königlicher Grundherrschaften umgeben waren. Die Königshöfe lagen dabei verstreut über das gesamte Reich. Die Zusammensetzung des Hofstaats änderte sich dabei, je nachdem, durch welches Gebiet man zog und welche Adligen sich dem Hof mit ihrem Gefolge auf dieser Reise anschlossen oder sich auch wieder von ihm entfernten.

Die Reisegeschwindigkeiten des Königshofes lagen gewöhnlich bei 20 bis 30 Kilometer am Tag.[1] Bei König Konrad III. konnte im Jahr 1146 bei seiner Reise von Frankfurt nach Weinheim ein Spitzenwert von bis zu 66 Kilometer ermittelt werden.[2]

Das Reisekönigtum diente einerseits dem besseren Überblick über das Reich, gleichzeitig ermöglichte es aber auch die Kontrolle über lokale Fürsten und diente somit dem Zusammenhalt des Reiches. Damals wurde Herrschaft über persönliche Beziehungen ausgeübt (Personenverbandsstaat), wozu es auch erforderlich war, persönlich den Kontakt mit den Beherrschten zu suchen. Andererseits war es auch nur durch die Reisetätigkeit möglich, die wirtschaftlichen Bedürfnisse des Hofes zu stillen, da es damals aufgrund der unzureichenden Verkehrswege noch nicht möglich war, eine größere Gruppe von Menschen dauerhaft am selben Ort zu versorgen. Anstatt die Lebensmittel zum Hof zu schicken, wanderte der Hof folglich zu den Lebensmitteln.

Literatur

  • Andrea Stieldorf: Reiseherrschaft und Residenz im frühen und hohem Mittelalter. In: Historisches Jahrbuch 129, 2009, S. 147–178.
  • Wilhelm Berges: Das Reich ohne Hauptstadt. In: Das Hauptstadtproblem in der Geschichte. Niemeyer, Tübingen 1952.
  • Karl Otmar von Aretin: Das Reich ohne Hauptstadt? Die Multizentralität der Hauptstadtfunktionen im Reich bis 1806. In: Theodor Schieder, Gerhard Brunn (Hrsg.): Hauptstädte in europäischen Nationalstaaten. Oldenbourg, München u. a. 1983, ISBN 3-486-51641-8, S. 5–13.
  • Carlrichard Brühl: Fodrum, Gistum, Servitium Regis. Böhlau, Köln/Graz 1968.
  • Caspar Ehlers: Ort, Region, Reich. Mobilität als Herrschaftsfaktor. In: Gerhard Lubich (Hrsg.): Heinrich V. in seiner Zeit. Herrschen in einem europäischen Reich des Hochmittelalters (= Forschungen zur Kaiser- und Papstgeschichte des Mittelalters. Band 34). Böhlau, Köln. u. a. 2013, ISBN 3-412-21010-2, S. 81–102 (online).
  • Edith Ennen: Funktions- und Bedeutungswandel der 'Hauptstadt' vom Mittelalter zur Moderne. In: Theodor Schieder, Gerhard Brunn (Hrsg.): Hauptstädte in europäischen Nationalstaaten. Oldenbourg, München u. a. 1983, ISBN 3-486-51641-8, S. 153–164.
  • Rudolf Schieffer: Von Ort zu Ort. Aufgaben und Ergebnisse der Erforschung ambulanter Herrschaftspraxis. In: Caspar Ehlers (Hrsg.): Orte der Herrschaft. Mittelalterliche Königspfalzen. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2002, ISBN 3-525-36261-7, S. 11–23.
  • Hans Conrad Peyer: Das Reisekönigtum des Mittelalters. In: Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte. 51, 1964, S. 1–21 (online).

Anmerkungen

  1. Carlrichard Brühl: Fodrum, gistum, servitium regis. Studien zu den wirtschaftlichen Grundlagen des Königtums im Frankenreich und in den fränkischen Nachfolgestaaten Deutschland, Frankreich und Italien vom 6. bis zur Mitte des 14. Jahrhunderts. Bd. 1, Köln u. a. 1968 S. 163.
  2. Martina Reinke: Die Reisegeschwindigkeit des deutschen Königshofes im 11. und 12. Jahrhundert nördlich der Alpen. In: Blätter für deutsche Landesgeschichte 128, 1987, S. 225–251, hier S. 245 und S. 248 (online).

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