Referendum über die Schaffung einer elsässischen Gebietskörperschaft

Elsässische Politiker (Fabienne Keller, Philippe Richert und André Schneider) auf einer Wahlveranstaltung am 2. März 2013 auf dem Kléberplatz in Straßburg
Wahlplakate
Stimmzettel am 7. April 2013

Am 7. April 2013 fand in den beiden elsässischen Départements Haut-Rhin (Oberelsass) und Bas-Rhin (Unterelsass) ein Referendum über die Schaffung einer elsässischen Gebietskörperschaft (französisch Référendum sur la Collectivité territoriale d’Alsace), gewissermaßen eines conseil d’Alsace unique (Vereinigten Elsässischen Rates) statt. Die Abstimmenden hatten über die Frage zu entscheiden, ob ein gemeinsames Verwaltungsorgan durch Zusammenlegung des Conseil général du Bas-Rhin (Generalrats des Unterelsass), des Conseil général du Haut-Rhin (Generalrats des Oberelsass) und des Conseil régional d’Alsace (Elsässischen Regionalrats) gebildet werden sollte.

Hintergrund

Das proklamierte Ziel der Initiatoren des Referendums war in erster Linie eine Verschlankung der Verwaltung unter dem Motto Unité, Efficacité et Proximité pour l’Alsace („Einheit, Effizienz und Bürgernähe für das Elsass“)[1] durch Abbau von vermeintlichen bürokratischen Doppelstrukturen. Durch die Zusammenlegung der drei Versammlungen und ihrer Verwaltungen sollten pro Jahr mindestens 20 Millionen Euro eingespart werden.[2][3] Zu den Befürwortern der Vereinigung gehörte der Präsident des Regionalrats Philippe Richert (UMP) und die gemäßigten Konservativen. Gegen das Projekt sprachen sich der Front National, die Ultralinken und außerdem die Straßburger Sozialisten aus.[2] Viele Kritiker des Projektes bezweifelten, dass es wirklich zu einer nennenswerten Verschlankung der Verwaltung führen würde und argumentieren, dass man auch innerhalb der bestehenden Strukturen effizienter werden könne. Einige Regionalpolitiker fürchteten auch den Abbau oder Verlust von Verwaltungsstrukturen in ihren Städten.[4] In Meinungsumfragen vor der Abstimmung sprach sich eine Mehrheit der Befragten für die Fusion aus.[5]

Die Möglichkeit, Verwaltungsstrukturen zu fusionieren war durch ein Gesetz zur Verwaltungsreform vom 16. Dezember 2010 geschaffen worden.[3][6] Das Gesetz schrieb vor, dass die betroffene Bevölkerung vor einer solchen Verwaltungsumgliederung befragt werden und dass diese mit einer Mehrheit von mindestens 50 % der Abstimmenden und mindestens 25 % der Wahlberechtigten zustimmen musste. Außerdem mussten sämtliche davon betroffene gewählte Gebietskörperschaften zustimmen. Letzteres war im Elsass geschehen. Alle drei Räte, sowohl die der Region, als auch die der beiden Départements hatten am 1. Dezember 2011 in Colmar mehrheitlich in einem Projet de déclaration du Congrès d’Alsace das Projekt der Vereinigung befürwortet.[1][2]

Positionen der Parteien

Von den großen politischen Gruppierungen sprachen sich für die Annahme der Frage des Referendums aus:

Dagegen waren:

Unentschieden war die Parti socialiste.[13]

Frage des Referendums und Ergebnisse

Ergebnisse nach Abstimmungs­bezirken. Erstaunlich sind die deutlich unterschied­lichen Ergebnisse im Unter- und Oberelsass. Nur in zwei Stimm­bezirken (Molsheim und Straßburg-Land) lag die Zahl der Ja-Stimmen über 25 % der Wahl­berechtigten.

Die Frage, die gestellt wurde, war die folgende:

« Approuvez-vous le projet de création, en Alsace, d’une collectivité territoriale d’Alsace, par la fusion du Conseil régional d’Alsace, du Conseil général du Bas-Rhin et du Conseil général du Haut-Rhin ? »

„Unterstützen Sie das Vorhaben, eine elsässische Gebietskörperschaft durch die Fusion des Elsässischen Regionalrats und der Generalräte des Unterelsass und des Oberelsass zu schaffen ?“

Direction de l'information légale et administrative: Frage des elsässischen Referendums vom 7. April 2013[3]

Die Abstimmung am 7. April 2013 ergab das folgende Resultat:[14][15][16][17]

Ergebnis nach Départements[18]
DépartementJa-StimmenNein-StimmenWahlbeteiligung
(Prozent)
Zahlin %Zahlin %
Haut-Rhin83.26642,95 %104.84655,74 %33,89 %
Bas-Rhin172.13767,53 %82.77731,37 %36,05 %
Elsass gesamt255.40355,80 %187.62341,00 %34,78 %

† ohne die ungültigen Stimmen

Ergebnisse nach Kantonen[18]
DépartementCode
(Kanton)
Kanton
(Bas-Rhin und
Haut-Rhin)
Wahl-
berechtigte
Wahl-
beteiligung
Ungültige
Stimmen
(in %)
Gültige Stimmen
Ja (in %)Nein (in %)
Bas-Rhin1Barr14.60240,803,3269,1630,84
Bas-Rhin2Benfeld15.74637,184,0161,3538,65
Bas-Rhin3Bischwiller34.47532,263,4460,9039,10
Bas-Rhin4Bouxwiller15.10536,744,2765,3734,63
Bas-Rhin5Brumath38.40035,443,3868,6831,32
Bas-Rhin6Drulingen9.03638,554,0862,7137,29
Bas-Rhin7Erstein18.93736,613,5264,7735,23
Bas-Rhin8Geispolsheim25.57435,103,5270,9829,02
Bas-Rhin9Haguenau37.57135,413,2267,9032,10
Bas-Rhin10Hochfelden13.15245,323,5668,1731,83
Bas-Rhin11Lauterbourg3.38040,333,2361,6438,36
Bas-Rhin12Marckolsheim17.84641,093,6359,6340,37
Bas-Rhin13Marmoutier9.73341,573,3666,0633,94
Bas-Rhin14Molsheim30.76337,993,0669,7430,26
Bas-Rhin15Niederbronn-les-Bains21.50936,843,7464,5735,43
Bas-Rhin16Obernai16.29837,212,6673,9626,04
Bas-Rhin17La Petite-Pierre8.54342,353,9268,1831,82
Bas-Rhin18Rosheim14.12042,183,2674,2825,72
Bas-Rhin19Saales3.05636,393,1556,5543,45
Bas-Rhin20Sarre-Union11.36034,184,3362,8837,12
Bas-Rhin21Saverne17.98337,593,0967,8232,18
Bas-Rhin22Schiltigheim17.49525,722,5865,6934,31
Bas-Rhin23Schirmeck10.53231,644,1158,3741,63
Bas-Rhin24Schlettstadt23.11039,263,7065,7534,25
Bas-Rhin25Seltz8.55442,094,7555,1244,88
Bas-Rhin26Soultz-sous-Forêts14.89438,604,4252,5447,46
Bas-Rhin27Straßburg 115.80130,043,1279,7720,23
Bas-Rhin28Straßburg 210.07728,813,5870,0629,94
Bas-Rhin29Straßburg 311.86328,763,4965,7534,25
Bas-Rhin30Straßburg 412.70433,832,5878,6221,38
Bas-Rhin31Truchtersheim18.13244,643,3773,9926,01
Bas-Rhin32Villé8.88744,333,9865,3734,63
Bas-Rhin33Wasselonne17.43239,972,7471,8928,11
Bas-Rhin34Weißenburg12.94237,663,8061,5938,41
Bas-Rhin35Wœrth10.17043,434,3567,7232,28
Bas-Rhin36Straßburg 513.67034,242,5677,3022,70
Bas-Rhin37Straßburg 621.42119,512,8763,6936,31
Bas-Rhin38Straßburg 714.03827,583,0071,7228,28
Bas-Rhin39Straßburg 815.31629,023,5167,8932,11
Bas-Rhin40Straßburg 915.78422,613,2263,5836,42
Bas-Rhin41Straßburg 1011.91822,812,5064,7335,27
Bas-Rhin42Graffenstaden37.37330,532,6970,4229,58
Bas-Rhin43Mundolsheim35.49237,503,1373,6326,37
Bas-Rhin44Bischheim16.73331,412,7866,8933,11
Haut-Rhin1Altkirch18.83740,943,0045,8854,12
Haut-Rhin2Andolsheim19.54145,933,1346,7253,28
Haut-Rhin3Cernay27.61235,832,8042,1457,86
Haut-Rhin4Colmar-Nord15.54933,892,5227,7172,29
Haut-Rhin5Dannemarie10.13141,363,3738,1661,84
Haut-Rhin6Ensisheim20.31939,753,0037,5062,50
Haut-Rhin7Ferrette10.27744,042,3042,3357,67
Haut-Rhin8Guebwiller15.07935,673,0144,6355,37
Haut-Rhin9Habsheim25.65735,542,5753,9146,09
Haut-Rhin10Hirsingue12.02142,602,7334,4965,51
Haut-Rhin11Huningue32.64334,732,5951,4448,56
Haut-Rhin12Kaysersberg12.96844,243,2152,1547,85
Haut-Rhin13Sierentz17.72338,952,9346,5553,45
Haut-Rhin14Lapoutroie7.69341,583,5645,4154,59
Haut-Rhin15Masevaux9.24341,953,1240,5559,45
Haut-Rhin16Mülhausen-Nord14.76520,613,5840,5959,41
Haut-Rhin17Mülhausen-Süd26.23933,952,8951,5848,42
Haut-Rhin18Münster13.17040,853,4938,6661,34
Haut-Rhin19Neubreisach11.45743,523,1538,2761,73
Haut-Rhin20Ribeauvillé10.20145,283,1455,0544,95
Haut-Rhin21Rouffach9.22245,002,9646,3153,69
Haut-Rhin22Amarin10.18939,293,2540,0259,98
Haut-Rhin23Sainte-Marie-aux-Mines7.09832,084,3557,2542,75
Haut-Rhin24Soultz-Haut-Rhin17.27837,983,0042,6657,34
Haut-Rhin25Thann15.19436,622,3944,6555,35
Haut-Rhin26Wintzenheim15.77743,083,7747,6852,32
Haut-Rhin27Wittenheim35.18332,932,8841,6058,40
Haut-Rhin28Colmar-Süd28.01138,432,5836,3063,70
Haut-Rhin29Mülhausen-Ost15.91227,613,2858,0641,94
Haut-Rhin30Mülhausen-West12.55323,023,5346,2353,77
Haut-Rhin31Illzach23.77936,212,6039,9360,07

Insgesamt hatte eine Mehrheit der elsässischen Abstimmenden der Frage des Referendums zugestimmt, jedoch war es im Oberelsass mehrheitlich abgelehnt worden und aufgrund der geringen Wahlbeteiligung war mit 20,05 % der Wahlberechtigten das gesetzlich vorgeschriebene Quorum von mindestens 25 % nicht erreicht worden. Damit war das Projekt der Verwaltungsreform vorerst gescheitert.

Analyse des Abstimmungsergebnisses

Der überraschendste Aspekt des Ergebnisses war nicht die niedrige Wahlbeteiligung (die war schon vor dem Referendum als ein mögliches Problem gesehen worden), sondern der hohe Grad der Ablehnung im Oberelsass. In Meinungsumfragen vor der Abstimmung hatten sich auch dort eine Mehrheit der Befragten für die Annahme ausgesprochen. Der Straßburger Politologe Richard Kleinschmager vermutete verschiedene Gründe für das Scheitern des Referendums.[19] Zum einen seien viele politische Gruppierungen uneinheitlich aufgetreten, am deutlichsten die Sozialisten, die sich im Oberelsass für und im Unterelsass gegen die Annahme des Referendum ausgesprochen hatten. Im Oberelsass habe zudem die Sorge bestanden, durch den wirtschaftlich potenteren Norden dominiert zu werden. Außerdem bestehe in Frankreich seit langem eine Tendenz des konservativen Festhaltens an hergebrachten Verwaltungsstrukturen. So sei beispielsweise auch das Regionalisierungsreferendum unter Charles de Gaulle 1969 mehrheitlich abgelehnt worden, ebenso wie ein Regionalisierungsreferendum in Korsika 2003. Zudem sei die Tradition regionaler Selbstverwaltung in Frankreich noch relativ jung und ungewohnt. Obwohl die Regionen schon 1972 eingeführt wurden, gab es erst 1984 die ersten Wahlen zu den Regionalräten.

Einzelnachweise

  1. a b Réunion en Congrès de l’Assemblée régionale et des deux assemblées départementales. (PDF) (Nicht mehr online verfügbar.) Conseil Général du Bas-Rhin, 1. Dezember 2011, archiviert vom Original am 13. Dezember 2013; abgerufen am 13. Dezember 2013 (französisch).
  2. a b c Bärbel Nückles: Elsässer entscheiden über Fusion. Badische Zeitung, 5. April 2013, abgerufen am 13. Dezember 2013.
  3. a b c Actualités: En bref: Alsace: référendum le 7 Avril 2013 sur la collectivité unique. viepublique.fr, abgerufen am 13. Dezember 2013 (französisch).
  4. Gehrard Franz: Elsässer stimmen über Fusion von Départements ab. (Nicht mehr online verfügbar.) Saarbrücker Zeitung, 5. April 2013, ehemals im Original; abgerufen am 13. Dezember 2013.@1@2Vorlage:Toter Link/www.saarbruecker-zeitung.de (Seite nicht mehr abrufbar, Suche in Webarchiven Info: Der Link wurde automatisch als defekt markiert. Bitte prüfe den Link gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.
  5. Elsässer für Gebietsfusion. Badische Zeitung, 8. März 2013, abgerufen am 13. Dezember 2013.
  6. L'Alsace vers une collectivité unique. Französisches Innenministerium, abgerufen am 13. Dezember 2013 (französisch, Im Artikel 29 des Gesetzes zur Reform der Gebietskörperschaften hieß es: "une région et les départements qui la composent peuvent […] demander à fusionner en une unique collectivité territoriale exerçant leurs compétences respectives.").
  7. Franck Buchy: Le FN défend une "Alsace française". Dernières Nouvelles d'Alsace, November 2013, abgerufen am 13. Dezember 2013 (französisch).
  8. Communiqué du Front de gauche d’Alsace. (Nicht mehr online verfügbar.) 22. Dezember 2012, archiviert vom Original am 20. April 2012; abgerufen am 13. Dezember 2013 (französisch).  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.placeaupeuple2012.fr
  9. Tout est à nous (NPA), Collectivité Territoriale d'Alsace : un laboratoire du capitalisme. 4. April 2013, abgerufen am 13. Dezember 2013 (französisch).
  10. Collectivité unique d'Alsace : le 7 avril, NON, bien sûr ! Mouvement républicain et citoyen, 4. April 2013, abgerufen am 13. Dezember 2013 (französisch).
  11. Référendum en Alsace : Un "non" républicain et salutaire. Mouvement républicain et citoyen, 7. April 2013, abgerufen am 13. Dezember 2013 (französisch).
  12. Référendum du 7 Avril : Carnet de bord des militants UPR sur place. Union Populaire Républicaine, 31. März 2013, abgerufen am 13. Dezember 2013 (französisch).
  13. Le PS divisé sur le référendum en Alsace. (Nicht mehr online verfügbar.) Agence Bretagne Presse, 31. März 2013, archiviert vom Original am 23. Oktober 2014; abgerufen am 13. Dezember 2013 (französisch).
  14. Référendum du 7 avril 2013 concernant l'Alsace. Französisches Innenministerium, 16. April 2013, abgerufen am 15. Dezember 2013 (französisch, mit Ergebnistabelle).
  15. Les résultats du référendum. Dernières Nouvelles d'Alsace, abgerufen am 25. Dezember 2013 (französisch).
  16. Christian Bach: Un message adressé à Strasbourg ? Dernières Nouvelles d'Alsace, 7. Mai 2013, abgerufen am 25. Dezember 2013 (französisch).
  17. Référendum sur le Conseil unique d'Alsace du 7 avril 2013. Dernières Nouvelles d'Alsace, abgerufen am 25. Dezember 2013 (französisch, Detaillierte Ergebnisse nach Kommunen und Kantonen).
  18. a b Référendum du 7 avril 2013 (Alsace) – Résultats. (xls) Innenministerium Frankreichs, 4. September 2014, abgerufen am 16. März 2015 (französisch).
  19. Unbestreitbar ein konservativer Reflex. (Nicht mehr online verfügbar.) Arte Journal, 8. April 2013, archiviert vom Original am 16. Dezember 2013; abgerufen am 15. Dezember 2013.

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Bulletins référendum Collectivité Territoriale d'Alsace 7 avril 2013.jpg
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Bulletins de vote pour le référendum sur la Collectivité Territoriale d'Alsace, 7 avril 2013
Strasbourg, campagne pour le Conseil unique d'Alsace 2 mars 2013.jpg
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Fabienne Keller, Philippe Richert et André Schneider en campagne pour le oui au Conseil unique d'Alsace sur la place Kléber à Strasbourg.
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Affiches pour le référendum concernant la Collectivité territoriale d'Alsace
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