Oberschlesisches Industriegebiet

Zentraler Teil des Oberschlesischen Industriegebietes (Oberschlesischer Metropolenverbund)

Das Oberschlesische Industriegebiet (polnisch Górnośląski Okręg Przemysłowy, GOP) ist das wichtigste Industriegebiet Polens im Grenzgebiet des historischen Oberschlesiens und Kleinpolens. Es ist das Zentrum des polnischen Steinkohlebergbaus und der Schwerindustrie (16,8 % der Landesproduktion) und verfügt über 98 % der Steinkohlevorkommen Polens.

Es ist außerdem der zweitgrößte Ballungsraum Polens mit etwa 2,7 Millionen Einwohnern (2008). Wichtigste Städte des oberschlesischen Industriegebiets sind Bytom (Beuthen), Dąbrowa Górnicza (Dombrowa), Gliwice (Gleiwitz), Zabrze (Hindenburg), Jaworzno, Katowice (Kattowitz), Chorzów (Königshütte), Ruda Śląska (Ruda), Sosnowiec (Sosnowitz) und Tychy (Tichau). 14 Städte des Oberschlesischen Industriegebiets gründeten 2007 den Oberschlesischen Metropolenverbund.

Geschichte

Polnisches bzw. Dombrowaer Kohlebecken in Kongresspolen (1843)
Kattowitz, Denkmal für die polnischen Gefallenen der Aufstände in Oberschlesien

Schon im 12. Jahrhundert begann der Abbau von Silber- und Bleierzen, mindestens seit dem 18. Jahrhundert wurde Steinkohle abgebaut (Bergwerk Reden, 1785). Im Oberschlesischen Revier fehlte eine leistungsfähige Verkehrsinfrastruktur in Form einer Wasserstraße. 1842 begann die Anbindung des Industriegebiets, als die Oberschlesische Bahn es an das damals entstehende Eisenbahnnetz anschloss. Mit der Industrialisierung (durch den Steinkohlenbergbau und die Hüttenindustrie) entwickelte die Region sich zum zweitgrößten Schwerindustriezentrum des Deutschen Reichs nach dem Ruhrgebiet, ähnlich wie das Polnische Kohlebecken im russisch beherrschten Kongresspolen und das Krakauer Bergbaurevier um Jaworzno in österreichischen Galizien.

Die 1922 durchgeführte Teilung Oberschlesiens zwischen Polen und Deutschland brachte wirtschaftliche Probleme mit sich, da die neue Grenze mitten durch das Revier gezogen wurde. Aufeinander abgestimmte Produktionsanlagen und die Infrastruktur waren dadurch getrennt und der Wirtschaftsraum erheblich gestört. In der Zeit der Sanacja gab es kontroverse Pläne der administrativen Vereinigung des Gebiets durch die Angliederung der stark industrialisierten Gebieten aus der Woiwodschaft Kielce und Woiwodschaft Krakau an die Woiwodschaft Schlesien.[1]

Die Situation änderte sich nach dem Zweiten Weltkrieg: Da nun das ganze Industrierevier von der sowjetischen Besatzungsmacht unter polnische Verwaltung gestellt worden war, stand dem Staat ein ausgedehnter Wirtschaftsraum zur Verfügung. Zwar waren polnische Industrieanlagen im Zweiten Weltkrieg stark in Mitleidenschaft gezogen worden und mussten größtenteils wiederaufgebaut werden, doch hatte das Oberschlesische Industriegebiet diese Zeit vergleichsweise gut überstanden. Im Zuge des Wiederaufbaus der polnischen Wirtschaft wurde das Oberschlesische Industriegebiet gezielt vom Staat nach planwirtschaftlichem Muster ausgebaut.

Die Energiegewinnung und die Stahlerzeugung waren für die weitere Industrialisierung des Landes essentiell, wofür große Mengen Steinkohle abgebaut werden mussten. Der Ausbau der Schwerindustrie wurde sehr schnell vorangetrieben ohne Rücksicht auf Umwelt oder die Gesundheit der Bevölkerung. Auch nach 1970 unter Edward Gierek, selbst aus dem Gebiet, wurden noch neue Hüttenwerke gebaut, wie etwa das größte Eisenhüttenwerk Polens, „Katowice“ bei Dąbrowa Górnicza.

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Oberschlesischer Industriebezirk, grün umrandet sind die Orte mit Knappschafts-Lazaretten und Heilanstalten

Transformation

Straßenbahn Kattowitz–Königshütte–Beuthen

Mit der Wende 1989 setzte die Transformation von der Planwirtschaft zur freien Marktwirtschaft ein. Der wesentliche Schritt, die Privatisierung der Mehrzahl der Staatsbetriebe war früh und sehr rasant erfolgt. Dieser verlief mit großen Turbulenzen, wie etwa dem drastischen Fall des Lohnniveaus und Massenarbeitslosigkeit, da viele Produktionsstätten geschlossen wurden, weil sie sich am freien Markt orientieren mussten und die staatlichen Subventionen ausblieben. Auch die hohe Bevölkerungsdichte und der hohe Anteil an Beschäftigten im sekundären Sektor sowie die Ausrichtung der Infrastruktur auf die Schwerindustrie trugen dazu bei, dass über 320.000 Arbeitsplätze verloren gingen.

Diese Lage hat sich normalisiert und es sind zum Ausgleich für die verlorenen Arbeitsplätze im sekundären Sektor neue Arbeitsplätze im Dienstleistungsgewerbe entstanden. Trotzdem bleibt das Gebiet eine Problemregion mit der höchsten Arbeitslosigkeit Polens (20 %). Es gibt immer noch mehrere Bergwerke und einige Stahlhütten, diese werden aber weiterhin abgebaut. In einem Bergwerk konnte beispielsweise in dem ehemaligen Verwaltungsgebäude ein Bürozentrum entstehen. Vor allem durch den EU-Beitritt gibt es immer mehr Investitionen in die bevölkerungsreichste Region Polens. Die staatlichen Bergbauunternehmen wie Katowicki Holding Węglowy und Kompania Węglowa sind defizitär, tragen aber in einem überragenden Maße zur Stromversorgung des Landes bei.[2]

Linienverkehr

Die Sitzpolster der oberschlesischen Straßenbahn zeigen einen Förderschacht und ein Flügelrad

Das Gebiet ist durch die Straßenbahn im oberschlesischen Industriegebiet erschlossen. Betreiber sind die Tramwaje Śląskie. Die Linien sind in den kommunalen Verkehrsverbund ZTM integriert.

Umweltprobleme

Kraftwerk Jaworzno III

Die Gas- und Staubemission im Raum Kattowitz liegt 20-mal über dem Landesdurchschnitt. Hier waren zeitweise 40 Prozent der gesamten Luftbelastung des Landes auf lediglich 2,1 Prozent der Staatsfläche konzentriert. Auch die Wasserqualität entspricht noch nicht europäischen Standards. Die starke Siedlungsdichte im Oberschlesischen Industriegebiet verursachte eine Vermischung von Wohn- und Industriegebieten. Dadurch wurde die Gesundheit der Bewohner erheblich belastet. Im Oberschlesischen Industriegebiet liegt die Krankheitsrate deutlich über dem Landesdurchschnitt. Es gibt zum Beispiel 50 Prozent mehr Atemwegserkrankungen und die Krebsrate ist um ein Drittel höher als im Rest Polens. Diese Umstände haben eine deutlich geringere Lebenserwartung zur Folge.

Gründe für diese Probleme liegen hauptsächlich in den veralteten Industrieanlagen. So werden zum Beispiel die Abwässer der Fabriken nur unzureichend gereinigt oder direkt ungeklärt in die Gewässer geleitet. Auch die starke Konzentration von Industrieanlagen nahe an den dicht besiedelten Wohngebieten liefert eine weitere Ursache für die erhöhte Krankheitsrate. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden Fabriken und Bergwerke ohne Rücksicht auf die Wasser- und Luftverschmutzung gebaut.

Diesen Problemen wirken EU und Regierung durch diverse Maßnahmen entgegen. So wurden einige verschmutzende Betriebe aus den Städten ausgelagert, der Emissionsschutz verbessert und die Betriebe modernisiert. Des Weiteren sind eine Vielzahl von Umweltverträgen mit Investoren und der EG unterzeichnet worden. So wurde eine Reihe von Kläranlagen durch die EU finanziert. Verstöße gegen Umweltauflagen sollen von nun an auch effizienter verfolgt und gegebenenfalls bestraft werden. Bereits zwischen 1990 und 1999 konnte so die Umweltsituation spürbar verbessert werden, trotzdem bleibt das Oberschlesische Industriegebiet weiterhin ein „Umweltnotstandsgebiet“.

Verwaltungsgliederung

Zum Oberschlesischen Industriegebiet gehören folgende Städte, Gemeinden (Gminas) und Kreise (Powiats).[3]

RangNameEinwohner
(31. Dez. 2008)
Fläche
(in km²)
Dichte
(Ew./km²)
1.Katowice309.621164,671.880
2.Sosnowiec221.77591,262.447
3.Gliwice196.968134,201.474
4.Zabrze188.71780,472.357
5.Bytom184.32869,322.680
6.Powiat będziński150.951368,02410
7.Ruda Śląska144.25477,701.865
8.Powiat tarnogórski137.646642,63214
9.Tychy129.54082,631.578
10.Dąbrowa Górnicza128.560188,00688
11.Powiat gliwicki114.066663,35173
12.Chorzów113.46933,503.395
13.Jaworzno95.383152,20628
14.Powiat mikołowski91.866231,53395
15.Mysłowice74.94066,001.136
16.Siemianowice Śląskie71.42525,502.824
17.Piekary Śląskie58.91539,601.495
18.Powiat bieruńsko-lędziński56.345156,68358
19.Świętochłowice54.44713,224.141
20.gmina Chrzanów50.16679,33632
21.Oświęcim41.38230,301.366
22.Trzebinia20.37331,30651
23.Libiąż17.67135,88493
24.gmina Łazy15.077132,56121
25.gmina Chełmek12.87727,24473
26.Bukowno10.76563,42167
27.gmina Bolesław7.84241,42189
Gesamt2.656.8513.359,74791

Literatur

  • Norman Davies: Im Herzen Europas. Geschichte Polens. Beck, München 2000, ISBN 3-406-46709-1.
  • Lutz Budraß, Barbara Kalinowska-Wojcik, Andrzej Michalczyk (Hrsg.): Industrialisierung und Nationalisierung. Fallstudien zur Geschichte des oberschlesischen Industriereviers im 19. und 20. Jahrhundert (= Veröffentlichungen zur Kultur und Geschichte im östlichen Europa. Band 40). Klartext, Essen 2013, ISBN 978-3-8375-0378-4.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Dariusz Majchrzak: Śląska autonomia dla Zagłębia Dąbrowskiego? Sprawa włączenia Zagłębia Dąbrowskiego do województwa śląskiego w II RP (polnisch)
  2. Anne Kunz: Musterland Polen droht am EU-Tropf hängen zu bleiben. welt.de, 11. Mai 2015, abgerufen am 11. Mai 2015.
  3. Central Statistical Office (Hrsg.) @1@2Vorlage:Toter Link/www.stat.gov.plPopulation. Size and structure by territorial division as of December 31, 2008. (Seite nicht mehr abrufbar, festgestellt im Mai 2023. Suche in Webarchiven.) (bzw. Suche Webcitearchiv in Webarchiven; archivierte Webseiten von WebCite sind seit 2021 nicht mehr abrufbar). (PDF, polnisch und englisch; 1,3 MB).

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Kraftwerk Jaworzno III
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The area of the industrial connurbation of Zagłębie Dąbrowskie, before it was known as such in a year 1843 on a russian military map;
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Straßenbahnen im Oberschlesischen Industriegebiet