Mainauer Deklarationen

Die Mainauer Deklarationen sind eine Serie sozio-politischer Appelle von Nobelpreisträgern, die im Rahmen der Lindauer Nobelpreisträgertagungen abgegeben werden. Der Name beruht auf der Tatsache, dass die Deklarationen stets am letzten Tag der einwöchigen Nobelpreisträgertagung auf der Insel Mainau im Bodensee präsentiert werden.[1]

Mainauer Deklaration 1955

Die erste Mainauer Deklaration war ein Appell gegen die Nutzung von Nuklearwaffen. Die Deklaration wurde von den beiden deutschen Physiknobelpreisträgern Otto Hahn und Max Born initiiert und während der 5. Lindauer Nobelpreisträgertagung (11.–15. Juli 1955) in Umlauf gebracht. Die öffentliche Präsentation erfolgte am 15. Juli 1955 auf der Insel Mainau. Die Deklaration wurde zunächst von 18 anwesenden Nobelpreisträgern unterzeichnet, innerhalb eines Jahres stieg die Zahl der Unterzeichner jedoch auf 52.

Originaltext

„Wir, die Unterzeichneten, sind Naturforscher aus verschiedenen Ländern, verschiedener Rasse, verschiedenen Glaubens, verschiedener politischer Überzeugung. Äußerlich verbindet uns nur der Nobelpreis, den wir haben entgegennehmen dürfen.

Mit Freuden haben wir unser Leben in den Dienst der Wissenschaft gestellt. Sie ist, so glauben wir, ein Weg zu einem glücklicheren Leben der Menschen. Wir sehen mit Entsetzen, dass eben diese Wissenschaft der Menschheit Mittel in die Hand gibt, sich selbst zu zerstören.

Voller kriegerischer Einsatz der heute möglichen Waffen kann die Erde so sehr radioaktiv verseuchen, dass ganze Völker vernichtet würden. Dieser Tod kann die Neutralen ebenso treffen wie die Kriegführenden.

Wenn ein Krieg zwischen den Großmächten entstünde, wer könnte garantieren, dass er sich nicht zu einem solchen tödlichen Kampf entwickelte? So ruft eine Nation, die sich auf einen totalen Krieg einlässt, ihren eigenen Untergang herbei und gefährdet die ganze Welt.

Wir leugnen nicht, dass vielleicht heute der Friede gerade durch die Furcht vor diesen tödlichen Waffen aufrechterhalten wird. Trotzdem halten wir es für eine Selbsttäuschung, wenn Regierungen glauben sollten, sie könnten auf lange Zeit gerade durch die Angst vor diesen Waffen den Krieg vermeiden. Angst und Spannung haben so oft Krieg erzeugt. Ebenso scheint es uns eine Selbsttäuschung, zu glauben, kleinere Konflikte könnten stets durch die traditionellen Waffen entschieden werden. In äußerster Gefahr wird keine Nation sich den Gebrauch irgendeiner Waffe versagen, die die wissenschaftliche Technik erzeugen kann. Alle Nationen müssen zu der Entscheidung kommen, freiwillig auf die Gewalt als letztes Mittel der Politik zu verzichten. Sind sie dazu nicht bereit, so werden sie aufhören, zu existieren.

Mainau/Bodensee, 15. Juli 1955“[1]

Die 18 Erstunterzeichner

Die Erstunterzeichner waren:[1]

Mainauer Deklaration 2015 zum Klimawandel

Die Mainauer Deklaration 2015 zum Klimawandel wurde am 3. Juli 2015, dem letzten Tag der 65. Lindauer Nobelpreisträgertagung auf der Insel Mainau präsentiert. Im Dokument warnen die unterzeichneten Nobelpreisträger eindringlich vor den Folgen des Klimawandels. Die Deklaration wurde zunächst von 36 an der Tagung teilnehmenden Nobelpreisträgern unterzeichnet. Bis zum 1. Februar 2016 stieg die Zahl der Unterzeichner um weitere 35 Preisträger auf insgesamt 71 an.[2] Der Text der Deklaration räumt ein, dass noch mehr Daten gesammelt und noch mehr Forschung betrieben werden müsse, bezeichnet den Klimareport des IPCC jedoch als zuverlässigste wissenschaftliche Einschätzung zum anthropogenen Klimawandel. Der IPCC-Report solle daher die Grundlage bilden, auf der politische Entscheidungsträger möglichst rasch über Gegenmaßnahmen zur globalen Erwärmung diskutieren sollten.

Originaltext

„Wir unterzeichnenden Wissenschaftler, die mit Nobelpreisen ausgezeichnet wurden, sind an den Bodensee gekommen, um unsere Erkenntnisse mit vielversprechenden jungen Forschern zu teilen, die wie wir aus der ganzen Welt kommen. Vor fast 60 Jahren hat hier auf der Insel Mainau ein ähnliches Treffen der Nobelpreisträger stattgefunden. Sie gaben eine Erklärung zu den Gefahren der neu entdeckten Nuklearwaffen‐Technologie ab – eine Technologie, die durch Fortschritte in der Grundlagenforschung entstand. Bisher konnten wir einen Atomkrieg vermeiden, obwohl die Bedrohung immer noch besteht.

Nachfolgende Generationen von Wissenschaftlern haben dazu beigetragen, die Welt immer wohlhabender zu machen. Dieser Wohlstand wurde auf Kosten eines weltweit rasch ansteigenden Rohstoffverbrauchs erzielt. Wenn wir dem nicht entgegensteuern, so wird die Erde schließlich nicht mehr in der Lage sein, den Bedürfnissen der Menschheit gerecht zu werden und unsere ständig zunehmende Nachfrage nach Nahrung, Wasser und Energie zu decken. Und dies wird zu einer umfassenden menschlichen Tragödie führen. Bereits jetzt beobachten Klimaforscher die negativen Auswirkungen menschlichen Handelns.

Als Reaktion auf die Möglichkeit eines durch Menschen verursachten Klimawandels haben die Vereinten Nationen den Zwischenstaatlichen Ausschuss über Klimaveränderung IPCC ins Leben gerufen, um den Regierungen der Welt einen Überblick über den aktuellen Stand der maßgeblichen wissenschaftlichen Erkenntnisse zu vermitteln. Auch wenn er bei weitem nicht perfekt ist, so glauben wir doch, dass die Bemühungen, die zum aktuellen Fünften Sachstandsbericht des IPCC geführt haben, eine der besten Informationsquellen über den heutigen Kenntnisstand zum Klimawandel hervorgebracht haben. Wir behaupten das nicht als Experten auf dem Gebiet des Klimawandels, sondern vielmehr als eine vielfältige Gruppe von Wissenschaftlern, die Hochachtung vor der Integrität des wissenschaftlichen Prozesses haben und ein tiefes Verständnis dafür aufbringen.

Obwohl über das genaue Ausmaß des Klimawandels noch Ungewissheit herrscht, so sind die Schlussfolgerungen der wissenschaftlichen Community, die im jüngsten IPCC‐Bericht enthalten sind, alarmierend ‐ vor allem im Zusammenhang mit den genannten Risiken, die eine Aufrechterhaltung des menschlichen Wohlstands angesichts eines Anstiegs der globalen Durchschnittstemperatur von mehr als ein 2 °C mit sich bringen würde. Im Bericht kommt man zu dem Schluss, dass die von Menschen verursachten Treibhausgasemissionen die wahrscheinliche Ursache der derzeitigen globalen Erderwärmung sind. Prognosen mittels Klimamodellen weisen darauf hin, dass diese Erwärmung mit großer Wahrscheinlichkeit im kommenden Jahrhundert zu einer Temperatur führen wird, die mehr als 2 °C über dem vorindustriellen Niveau liegt, sofern die von Menschen verursachten Treibhausgasemissionen in den kommenden Jahrzehnten nicht drastisch gesenkt werden.

Der Bewertung des IPCC zufolge muss die Welt rasche Fortschritte bei der Senkung aktueller und zukünftiger Treibhausgasemissionen erzielen, um die wesentlichen Risiken des Klimawandels zu minimieren. Wir sind der Meinung, dass die Nationen der Welt die Chance der UN‐Klimakonferenz in Paris im Dezember 2015 nutzen und entschlossen handeln müssen, um die künftigen Emissionen weltweit zu begrenzen. Dieses Ziel wird die Zusammenarbeit aller Nationen erfordern, ganz gleich, ob Industriestaat oder Entwicklungsland, und es muss in Übereinstimmung mit aktuellen wissenschaftlichen Bewertungen bis in die Zukunft aufrechterhalten werden. Untätigkeit würde bedeuten, dass wir künftige Generationen der Menschheit einem unzumutbaren Risiko aussetzen.

Mainau Island, Germany 3 July 2015“[2]

Unterzeichner und Unterstützer

Unterzeichnet bis 3. Juli 2015Unterzeichnet bis Dezember 2015
Peter AgreHiroshi Amano
J. Michael BishopDavid Baltimore
Elizabeth BlackburnAaron Ciechanover
Martin ChalfieElias Corey
Steven ChuRobert Curl
Claude Cohen-TannoudjiJohann Deisenhofer
James W. CroninSheldon Glashow
Peter DohertyRobert Grubbs
Gerhard ErtlLeland Hartwell
Edmond FischerDudley Herschbach
Walter GilbertRoald Hoffmann
Roy GlauberWolfgang Ketterle
David GrossWalter Kohn
John L. HallYuan T. Lee
Serge HarocheMichael Levitt
Stefan HellJohn Cromwell Mather
Jules A. HoffmannArthur B. McDonald
Klaus von KlitzingEdvard Moser
Harold KrotoMay-Britt Moser
William MoernerRyōji Noyori
Ferid MuradPaul Nurse
Ei-ichi NegishiJohn O'Keefe
Saul PerlmutterDouglas Osheroff
William PhillipsArno Penzias
Richard John RobertsCarlo Rubbia
Kailash SatyarthiOliver Smithies
Brian SchmidtJack Steinberger
Hamilton O. SmithThomas Steitz
George SmootHorst Störmer
Jack SzostakThomas Südhof
Roger Y. TsienJohn Sulston
Harold VarmusJoseph H. Taylor
J. Robin WarrenSteven Weinberg
Arieh WarshelCarl Wieman
Torsten WieselDavid Wineland
Robert Wilson

Mainauer Deklaration 2016 zur Grünen Gentechnik

Von den knapp 300 lebenden Nobelpreisträgern (Stand 2016) setzten sich zunächst 107 in einer gemeinsamen Erklärung für den Einsatz von Gentechnik in der Landwirtschaft ein;[3] die Anzahl der Unterzeichnenden ist aktuell (Stand Juni 2020) auf 155 gestiegen.[4] Die Erklärung ist an die Greenpeace-Führung, an die UNO und an die „Regierungen der Welt“ gerichtet.[5][6] Am Beispiel der Reissorte Golden Rice (die durch gentechnische Verfahren erhöhte Mengen an Provitamin A enthält) beschreibt sie die Potentiale der Gentechnik vor allem zum Wohl der ärmsten Bevölkerungsschichten in Afrika und Südostasien. Die Erklärung protestiert insbesondere gegen die Ablehnung gentechnischer Verfahren durch Greenpeace und stellt die Frage, ob manche Gegner der Gentechnik sich eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit schuldig machen.[7] Die Unterzeichner sind der Meinung, dass die Biotechnologie genauso sicher, „wenn nicht sogar sicherer“ sei, als herkömmliche Methoden.[8][9][10]

Originaltext

„Brief der Nobelpreisträger zur Unterstützung der Präzisions-Landwirtschaft (Genetisch Modifizierte Organismen, GMOs)

An die Entscheidungsträger von Greenpeace, die Vereinten Nationen und die Regierungen der Welt

Die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen stellte fest, dass sich die globale Produktion von Nahrungsmitteln, Tierfutter und Naturfasern bis etwa 2050 verdoppeln muss, um dem Bedarf der wachsenden Weltbevölkerung gerecht werden zu können. Organisationen, die der modernen Saatzucht ablehnend gegenüber stehen, allen voran Greenpeace, leugneten wiederholt diese Tatsache und gingen gegen biotechnologische Innovationen in der Landwirtschaft vor. Sie stellten deren Risiken, Nutzen und Auswirkungen verzerrt dar und unterstützten die kriminelle Zerstörung von behördlich genehmigten Freilandstudien und wissenschaftlichen Projekten.

Wir fordern Greenpeace und seine Unterstützer auf, die weltweit gesammelten Erfahrungen von Landwirten und Konsumenten mit biotechnologisch verbesserten Feldfrüchten und anderen Nahrungsmitteln neu zu überprüfen. Wir fordern die Berücksichtigung von Forschungsergebnissen anerkannter wissenschaftlicher Institutionen und Aufsichtsbehörden. Wir drängen darauf, die Kampagnen gegen ‚GMOs‘ im Allgemeinen und gegen den Goldenen Reis insbesondere einzustellen.

Wissenschaftliche Institutionen und Regulierungsbehörden der ganzen Welt stellten wiederholt und übereinstimmend fest, dass durch Biotechnologie modifizierte Feldfrüchte und Nahrungsmittel genauso sicher, wenn nicht sogar sicherer sind, als Pflanzen, die durch konventionelle Produktionsmethoden hergestellt wurden. Es gab keinen einzigen bestätigten Fall von schädlichen Gesundheitsfolgen bei Mensch oder Tier durch den Konsum von GMOs. Ihre Auswirkungen auf die Umwelt haben sich wiederholt als weniger schädlich dargestellt, und als fördernd für die globale Artenvielfalt.

Greenpeace stellt die Angriffsspitze des Widerstands gegen den Goldenen Reis dar, welcher das Potenzial hat, die Folgen von Vitamin-A-Mangel zu beseitigen. Diese schließen Blindheit, und andere Leiden mit Todesfolge ein, welche die ärmsten Menschen in Afrika und Südostasien am härtesten treffen.

Die Weltgesundheitsorganisation schätzt, dass etwa 250 Millionen Menschen an Vitamin-A-Mangel leiden, darunter bis zu 40 % Kinder unter 5 Jahren in den Entwicklungsländern. Laut Statistiken von UNICEF ist Vitamin-A-Mangel verantwortlich für jährlich etwa ein bis zwei Millionen verhinderbare Todesfälle, da dieser das Immunsystem schwächt und somit besonders Kinder und Neugeborene großen Gefahren aussetzt. Vitamin-A-Mangel selbst ist die führende Ursache von Kinderblindheit, die weltweit 250.000–500.000 Kinder jährlich betrifft. Die Hälfte dieser Kinder wird innerhalb von 12 Monaten aufgrund des Verlustes ihres Sehvermögens sterben.

WIR RUFEN GREENPEACE AUF ihre Kampagne gegen den Goldenen Reis im Speziellen, und gegen biotechnologisch verbesserte Feldfrüchte und Nahrungsmittel im Allgemeinen einzustellen und keine weiteren Aktionen dahingehend durchzuführen;

WIR RUFEN DIE REGIERUNGEN DER WELT AUF die Kampagne von Greenpeace gegen den Goldenen Reis im Speziellen, und gegen biotechnologisch verbesserte Feldfrüchte und Nahrungsmittel im Allgemeinen zurückzuweisen; und alles in Ihrer Macht stehende zu tun, um sich Greenpeace‘s Handlungen zu widersetzen und den Zugang von Landwirten zu allen Mitteln der modernen Biologie zu beschleunigen, dabei vor allem den Zugang zu biotechnologisch verbessertem Saatgut. Opposition, die auf Emotionen und den vorliegenden Daten widersprechendem Dogma basiert, muss verhindert werden.

Wie viele von Armut betroffene Menschen in der Welt müssen noch sterben, bevor wir dies als ‚Verbrechen gegen die Menschlichkeit‘ anerkennen?

Hochachtungsvoll,

Klicken Sie hier für eine volle Liste der Unterzeichnenden“

Einzelnachweise

  1. a b c Ralph Burmester: Wissenschaft aus erster Hand, 65 Jahre Lindauer Nobelpreisträgertagungen. Deutsches Museum Bonn, 2015, S. 48 ff.
  2. a b http://www.MainauDeclaration.org, Offizielle Webseite, aufgerufen am 24. November 2015
  3. 155 Laureates Supporting Precision Agriculture (GMOs), Liste der Unterzeichner, Support Precision Agriculture, Stand 9. Juli 2020
  4. Nobelpreisträger fordern Einsatz von Gentechnik in der Landwirtschaft, Der Standard, 30. Juni 2016
  5. Nobelpreisträger schiessen gegen Greenpeace, NZZ, 30. Juni 2016
  6. Nobelpreisträger fordern Gentechnik in der Landwirtschaft, von Christoph Behrens, Süddeutsche Zeitung, 29. Juni 2016
  7. Laureates Letter Supporting Precision Agriculture (GMOs), Wortlaut der Erklärung (engl.), Support Precision Agriculture
  8. Nobelpreisträger fordern Greenpeace zum Umdenken auf, Spektrum der Wissenschaften, 30. Juni 2016
  9. Nobelpreisträger kritisieren Greenpeace heftig, von Daniel Lingenhöhl, Handelsblatt, 30. Juni 2016