Luigi Pareyson

Luigi Pareyson (Aussprache [-'reɪ-]) (* 4. Februar 1918 in Piasco, Provinz Cuneo; † 8. September 1991 in Rapallo, Provinz Genua) war ein italienischer Philosoph.

Leben

Luigi Pareyson wurde am 4. Februar 1918 in Piasco, einer okzitanisch-sprachigen Ortschaft an der Mündung des Varaita-Tals geboren. Seine Eltern stammten aus dem Aosta-Tal. Der erst 17-jährige Abiturient hielt schon im Herbst 1935 vertretungsweise seinen ersten Unterricht am Cavour-Gymnasium in Turin ab und immatrikulierte sich im November desselben Jahres an der dortigen Universität. Nachdem er sich im Sommer 1936 und 1937 in Heidelberg aufgehalten und mit Karl Jaspers angefreundet hatte, beendete er sein Philosophiestudium 1939 in Turin mit einer Arbeit über Jaspers und die Existenzphilosophie (Carlo Jaspers e la filosofia dell’esistenza).

Von Oktober 1940 bis März 1944 unterrichtete er Philosophie am altsprachlichen Gymnasium von Cuneo. Einige seiner Schüler wurden wenig später im antifaschistischen Widerstand aktiv: Ildebrando Vivanti, Mitgründer der Widerstandsgruppe „Giustizia e Libertà“ (Gerechtigkeit und Freiheit), und Uberto Revelli, Mitbegründer der Widerstandsgruppe „Franchi“. Andere schlugen die philosophische Karriere ein: Carlo Arata (Professor an der Universität Genua), Michelangelo Ghio (Professor an der Universität Chieti) und Valerio Verra (Professor an der Universität Rom).

Mit Leonardo Ferrero und Duccio Galimberti gründete Pareyson 1942 in Cuneo den regionalen Kern der Aktionspartei „Partito d’Azione“. Im März 1944 wurde er deshalb entlassen und von der faschistischen Polizei festgenommen. Er wurde erst nach einigen Tagen der Gefangenschaft und nach Verhören wieder freigelassen, arbeitete weiter im Untergrund und blieb auch mit Duccio Galimberti, der ebenfalls untertauchen musste, insgeheim in Kontakt. Als Mitbegründer des Komitees für die nationale Befreiung „Comitato di Liberazione Nazionale“ im Piemont veröffentlichte Pareyson anonym verschiedene Artikel in der Zeitung L'Italia libera und programmatische Aufsätze über die Notwendigkeit einer Schul- und Erziehungsreform.

Von 1945 bis 1951 unterrichtete er am Gioberti-Gymnasium in Turin. Daneben war er Lehrbeauftragter für Ästhetik an der dortigen Universität und lehrte 1948–49 zwei Semester lang an der Universidad Nacional de Cuyo in Mendoza in Argentinien. Nachdem er 1951 auf den Lehrstuhl für Philosophiegeschichte an der Universität Pavia berufen worden war, übernahm er Ende 1952 den Lehrstuhl für Ästhetik an der Universität Turin, der speziell für ihn eingerichtet worden war. 1964 wurde er der Nachfolger seines Lehrers Augusto Guzzo auf dem Lehrstuhl für Theoretische Philosophie in Turin, den er bis 1984 behielt.

Seine letzten Lebensjahre verbrachte er zurückgezogen bei Rapallo, wo er an seiner „Ontologie der Freiheit“ (Ontologia della libertà) arbeitete.

Pareyson gründete und leitete lange Zeit die Rivista di Estetica und philosophische Reihen in verschiedenen Verlagen (Mursia, Zanichelli, Bottega d'Erasmo), für deren Mitarbeit er einige der besten italienischen und ausländischen Gelehrten gewinnen konnte. Von 1985 an veröffentlichte er bei Mursia auch das Jahrbuch Annuario Filosofico. Er war Mitglied der Accademia dei Lincei, des Institut International de Philosophie sowie seit 1990 korrespondierendes Mitglied der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Nach seinem Tode gründeten einige seiner Schüler im Jahre 1995 ein nach ihm benanntes Studienzentrum an der Universität Turin, das „Centro Studi Filosofico-religiosi ‚Luigi Pareyson‘“. Seit 1998 erscheint eine auf zwanzig Bände geplante Gesamtausgabe Opere Complete im Verlag Mursia in Mailand.

Bekannte Schüler

Zu Pareysons bekanntesten Studenten gehören Umberto Eco und Gianni Vattimo, die beide ihre Abschlussarbeit bei ihm schrieben, die Ästhetiker Sergio Givone und Mario Perniola, außerdem Claudio Ciancio, Francesco Moiso, Maurizio Pagano, Ugo Perone, Giuseppe Riconda, der Politiker Valerio Zanone und der Journalist Piero Bianucci.

Denken

Neben philosophiegeschichtlichen Arbeiten, vor allem zu Fichte und Schelling, befasste sich Pareyson aus systematischer und historischer Sicht mit Problemen der Ästhetik. Andere Veröffentlichungen betreffen die Existenzphilosophie und einzelne ihrer Vertreter, wie Jaspers, Heidegger und Gabriel Marcel. Der hermeneutische Ansatz seines 1971 erschienenen Buches Verità e interpretazione (Wahrheit und Interpretation) ist oft in Beziehung zu Gadamers Wahrheit und Methode gesetzt worden. 1995 erschien posthum Pareysons heute wohl meistdiskutiertes Werk Ontologia della libertà, in dem er sich unter Rückgriff auf Schelling und Dostojewski mit dem Begriff des Bösen auseinandersetzt.

Schriften

  • La filosofia dell’esistenza e Carlo Jaspers. Napoli 1940.
  • Studi sull’esistenzialismo. Firenze 1943.
  • Esistenza e persona. Genova 1950, 1976 (Neuauflage).
  • L'estetica dell’idealismo tedesco. Torino 1950.
  • Fichte. Il sistema della libertà. Milano 1950, 1976 (Neuauflage).
  • Estetica. Teoria della formatività. Milano, 1954, 1988 (Neuauflage); französisch Esthétique. Théorie de la formativité. Paris 2007.
  • Teoria dell’arte. Milano 1965.
  • I problemi dell’estetica. Milano 1966.
  • Conversazioni di estetica. Milano 1966.
  • Verità e interpretazione. Milano 1971; englisch Truth and interpretation. Albany 2013.
  • L’esperienza artistica. Milano 1974.
  • Schelling. Milano 1975.
  • Schellingiana rariora. Turin 1977 (= Philosophica varia inedita vel rariora. Band 4).
  • Karl Jaspers. Casale Monferrato 1983, 2. Aufl. 1997.
  • Filosofia dell’interpretazione. Antologia degli scritti. Hrsg. von Marco Ravera. Torino 1988.
  • Ontologia della libertà: il male e la sofferenza. Torino 1995; französisch Ontologie de la liberté. Paris 1998.
  • Opere Complete di Luigi Pareyson. Mursia, Milano 1998 ff., OCLC 955369101 (insgesamt 20 Bände).
  • Vom Staunen der Vernunft. Herausgegeben und eingeleitet von Gianluca De Candia, mit einem Vorwort von Gianni Vattimo und Giuseppe Riconda, Aschendorff Verlag, Münster 2001: Open Access: doi:10.17438/978-3-402-21815-0

Literatur

  • Gianluca De Candia: Heiteres Spiel am Abgrund der Wahrheit. Das „schwache Denken“ bei Umberto Eco und Gianni Vattimo und dessen Hintergrund in der Philosophie von Luigi Pareyson. In: Annuario filosofico. Band 34, 2018, S. 330–346.
  • Martin Weiß: Pareyson, Luigi. In: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon (BBKL). Band 14, Bautz, Herzberg 1998, ISBN 3-88309-073-5, Sp. 1340–1353.
  • Martin G. Weiß: Hermeneutik des Unerschöpflichen. Das Denken Luigi Pareysons (= Pontes. Band 21). LIT, Münster 2004, ISBN 3-8258-7429-X.
  • Thorsten Gubatz: Heidegger, Gadamer und die Turiner Schule. Die Verwindung der Metaphysik im Spannungsfeld zwischen Glaube und Philosophie (= Studien zur Phänomenologie und praktischen Philosophie. Band 14). Ergon, Würzburg 2009, ISBN 978-3-8991-3711-8, besonders Teil 3, S. 229–390 (Zugleich Dissertation Universität Freiburg im Breisgau 2008).
  • Gianluca De Candia: Vom unmöglichen zum potenziellen Christentum. Luigi Pareyson und die Philosophie als Hermeneutik der religiösen Erfahrung. In: Theologie und Philosophie. Band 93, 2018, S. 555–562.
  • Francesco Tomatis: Pareyson. Vita, filosofia, bibliografia. Morcelliana, Brescia 2003.
  • Palma Sgreccia: Il pensiero di Luigi Pareyson. Una filosofia della libertà e della sofferenza. Vita e Pensiero, Mailand 2006.
  • Thorsten Gubatz: Umberto Eco und sein Lehrer Luigi Pareyson. Vom ontologischen Personalismus zur Semiotik (= Pontes. Band 40). LIT, Berlin/Münster 2007, ISBN 978-3-8258-0972-0 (Zugleich Magisterarbeit Universität Freiburg im Breisgau).

Weblinks