Kontrollratsgesetz Nr. 11

Basisdaten
Titel:Gesetz des Kontrollrats für Deutschland Nr. 11: Aufhebung einzelner Bestimmungen des deutschen Strafrechts
Kurztitel:Kontrollratsgesetz Nr. 11
Abkürzung:CCL11
Art:Nationales Recht
Geltungsbereich:Deutschland in den Grenzen vom 2. September 1945
Erlassen aufgrund von:
Berliner Erklärung
Rechtsmaterie:Strafrecht
Erlassen am:30. Januar 1946 (Amtsblatt des Kontrollrats in Deutschland S. 55)
Inkrafttreten am:4. Februar 1946
Außerkrafttreten:5. Mai 1955 (BR Dtl.)
20. September 1955 (DDR)
Bitte den Hinweis zur geltenden Gesetzesfassung beachten.

Das Kontrollratsgesetz Nr. 11 (engl. Control Council Law No. 11, Abk. CCL11; franz. Loi n° 11 du Conseil de contrôle allié; russ. Закон № 11 Контрольного совета/Zakon No. 11 Kontrol'nogo soveta), welches vom Alliierten Kontrollrat in seiner Funktion als oberster Gesetzgeber für ganz Deutschland erlassen wurde, bestimmte, dass eine Reihe von Strafbestimmungen aus der Zeit des Nationalsozialismus außer Kraft zu setzen waren. Zudem wurden einige StGB-Normen auf dem Gebiet des Staatsschutzes aufgehoben.

Aufgehobene Bestimmungen des StGB

Bis auf einige Bestimmungen des Allgemeinen wie des Besonderen Teils wurde das Gesetz im Jahr 1955 in beiden deutschen Staaten aufgehoben.

Allgemeiner Teil

Im Allgemeinen Teil des Strafgesetzbuchs wurden die „Bestrafung nach gesundem Volksempfinden“ (§ 2), das Auslieferungsverbot (§ 9) sowie die Anwendungen von Militärgesetzen (§ 10) gestrichen.

Auf dem Gebiet der Rechtsfolgen wurden aufgehoben

  • die Möglichkeit der Beschäftigung außerhalb des Gefängnisses (§ 16 Abs. 3),
  • die Vorgabe der Bestrafung nach mildestem Gesetz bei Tatmehrheit (§ 2b) sowie
  • die Nebenstrafe der Entmannung (§§ 42a Nr. 5, 42k StGB).

Besonderer Teil

Im Besonderen Teil des StGB fielen die folgenden Straftatbestände fort:

  • Hochverrat (§§ 80, 82–86 StGB a. F.[1])
  • Nötigung von Verfassungsorganen (§ 81)
  • Landesverrat (§ 87)
  • Mitgliedschaft in einem fremden Wehrdienst (§ 88)
  • Sabotagehandlungen an Verteidigungsmitteln (§§ 89–91)
  • Offenbaren von Staatsgeheimnissen (§ 92)
  • Verunglimpfung des Reichspräsidenten (§ 94)
  • Hochverrat gegen einen ausländischen Staat (§ 102)
  • Beleidigung von Organen oder Vertretern ausländischer Staaten (§ 103)
  • Aufforderung zum militärischen Ungehorsam (§ 112)
  • Verunglimpfung des Staates oder der NSDAP und seiner/ihrer Symbole (§§ 134a, 134b)
  • Fahnenflucht (§§ 140, 140a, 140b)
  • Anwerben für fremden Wehrdienst (§ 141a)
  • Wehrpflichtentziehung (§ 142, 143, 143a)
  • Verunglimpfung des Andenkens Gefallener (§ 189 Abs. 3)
  • Zerstörung der Fruchtbarkeit auf Verlangen (§ 226b)
  • Munitionsdiebstahl (§ 291)
  • Bruch des Amtsgeheimnisses (§ 353a)
  • Erwerb von Heeres- oder Marineuniformen (§ 370 Abs. 3)

Außerdem aufgehoben wurde die Straffreiheit für die Teilnahme an Duellen (§ 210a). Insofern wirkte das Kontrollratsgesetz Nr. 11 nicht ausschließlich entkriminalisierend.

Mit dem Kontrollratsgesetz Nr. 11 aufgehobene Gesetze und Verordnungen

  • Gesetz zur Gewährleistung des Rechtsfriedens[3]
    (Androhung der Todesstrafe für Morde an Staatsbeamten, Soldaten, Beteiligten an Gerichtsprozessen etc. sowie für Herstellung oder Einfuhr hochverräterischer Schriften)
  • Kriegssonderstrafrechtsverordnung[5]
    (Androhung der Todesstrafe für Spionage, Freischärlerei, Wehrkraftzersetzung oder Fahnenflucht, Androhung von Zuchthaus für Zuwiderhandlungen gegen Anordnungen der Besatzungstruppen oder unerlaubte Entfernung von der Truppe)
  • Verordnung gegen Volksschädlinge[7]
    (Androhung der Todesstrafe für Plünderung im besetzten Gebiet oder gemeingefährliche Verbrechen, Androhung von 15 Jahren Zuchthaus für das Verüben von Verbrechen bei Fliegeralarm, Ausnutzung des Kriegszustandes als Strafverschärfung)
  • Verordnung zur Ergänzung der Strafvorschriften zum Schutz der Wehrkraft des deutschen Volkes[8]
    (Androhung von Gefängnis für Wehrmittelbeschädigung oder verbotenen Umgang mit Kriegsgefangenen, Androhung von Zuchthaus für Störung eines wichtigen Betriebs, Teilnahme an einer wehrfeindlichen Verbindung oder Gefährdung der Streitkräfte befreundeter Staaten)
  • Verordnung zum Schutze des Reichsarbeitsdienstes[9]
    (Androhung von Zuchthaus für die Aufforderung zum Verweigern der RAD-Pflicht, Aufwiegelung von Angehörigen des RAD, RAD-Entziehung oder Fahnenflucht im RAD, Androhung von Gefängnis für Dienstflucht von weiblichen RAD-Angehörigen)
  • Polenstrafrechtsverordnung – Verordnung über die Strafrechtspflege gegen Polen und Juden in den eingegliederten Ostgebieten[11]
    (Androhung der Todesstrafe gegen Polen für Gewalttaten gegen Deutsche, Androhung der Todesstrafe oder Freiheitsstrafe gegen Polen für das Unternehmen hetzerischer Betätigung einer deutschfeindlichen Gesinnung, Beschädigung einer deutschen Behörde oder Aufforderung zum Ungehorsam gegen eine Verordnung oder Anweisung)
  • Verordnung des Führers zum Schutze der Sammlung von Wintersachen für die Front[12]
    (Androhung der Todesstrafe für die Aneignung von für die Soldaten bestimmten Kleidungsstücken)
  • Verordnung des Führers zum Schutze der Rüstungswirtschaft[13]
    (Androhung von Zuchthaus oder Todesstrafe für Falschaussagen bezüglich Bedarf oder Bestand an Arbeitskräften oder rüstungsrelevanten Gütern)
  • Verordnung über den Schutz der Waffenabzeichen der Wehrmacht[14]
    (Waffenabzeichen werden unter denselben strafrechtlichen Schutz gestellt wie Orden und Ehrenzeichen)
  • Verordnung zur Sicherung des totalen Kriegseinsatzes[15]
    (Androhung von Gefängnis oder Geldstrafe für Verstöße gegen Maßnahmen zur Durchführung des totalen Kriegseinsatzes)
  • Polizeiverordnung über das Betreten von Seeschiffen in deutschen Häfen[16]
    (Androhung einer Geldstrafe oder Haft bis sechs Wochen für das Betreten eines Seeschiffs durch Schiffsfremde in einem deutschen Hafen)
  • Verordnung zur Sicherung des Fronteinsatzes[17]
    (Androhung der Todesstrafe oder Zuchthaus für Sabotage der Fronthilfe, Strafbarkeit der Vereitelung des Fronteinsatzes)

Rechtsfolgen

Die Urteile sämtlicher oben genannter Strafnormen wurden durch das NS-Unrechtsurteile-Aufhebungsgesetz vom 25. August 1998 rückwirkend aufgehoben.[18]

Einzelnachweise

  1. Alle Paragraphen entstammen dem Strafgesetzbuch in der Fassung vom 20. September 1945
  2. Reichskanzler Adolf Hitler, für den Reichsjustizminister Franz von Papen: Gesetz über Verhändung und Vollzug des Todesstrafe vom 29. März 1933. In: Reichsgesetzblatt Jahrgang 1933 Teil 1 Nr. 28. Reichsministerium des Innern, 31. März 1933, S. 151, abgerufen am 23. Dezember 2011.
  3. Reichskanzler Adolf Hitler, Reichsjustizminister Franz Gürtner, Reichsinnenminister Wilhelm Frick: Gesetz zur Gewährleistung des Rechtsfriedens vom 13. Oktober 1933. In: Reichsgesetzblatt Jahrgang 1933 Teil I. Reichsministerium des Innern, 13. Oktober 1933, S. 723/14, abgerufen am 23. Dezember 2011.
  4. Reichskanzler Adolf Hitler, Reichsinnenminister Wilhelm Frick, Reichsjustizminister Franz Gürtner: Gesetz über Maßnahmen der Staatsnotwehr vom 3. Juli 1934. In: Reichsgesetzblatt Jahrgang 1934 Teil I. Reichsministerium des Innern, 3. Juli 1934, S. 529, abgerufen am 23. Dezember 2011.
  5. Führer und Reichskanzler Adolf Hitler, Chef des OKW Wilhelm Keitel: Gesetz über das Sonderstrafrecht im Kriege und bei besonderem Einsatz vom 17. August 1938. In: Reichsgesetzblatt Jahrgang 1939 Teil 1. Reichsministerium des Innern, 26. August 1939, S. 1455–1457, abgerufen am 23. Dezember 2011.
  6. Vorsitzender des Ministerrats für die Reichsverteidigung Hermann Göring, Stellvertreter des Führers Rudolf Heß, Generalbevollmächtigter für die Reichsverwaltung Wilhelm Frick, Chef der Reichskanzlei Hans Heinrich Lammers: Verordnung über außerordentliche Rundfunkmaßnahmen vom 1. September 1939. In: Reichsgesetzblatt Jahrgang 1939 Teil I Nr. 169. Reichsministerium des Innern, 7. September 1939, S. 1683, abgerufen am 23. Dezember 2011.
  7. Vorsitzender des Ministerrats für die Reichsverteidigung Hermann Göring, Generalbeauftragter für die Reichsverwaltung Wilhelm Frick, Chef der Reichskanzlei Hans Heinrich Lammers: Verordnung gegen Volksschädlinge vom 5. September 1939. In: Reichsgesetzblatt Jahrgang 1939 Teil I Nr. 168. Reichsministerium des Innern, 5. September 1939, S. 1679, abgerufen am 23. Dezember 2011.
  8. Vorsitzender des Ministerrats für die Reichsverteidigung Hermann Göring, Generalbevollmächtigter für die Reichsregierung i. V. Heinrich Himmler, Chef der Reichskanzlei Hans Heinrich Lammers: Verordnung zur Ergänzung der Strafvorschriften zum Schutz der Wehrkraft des deutschen Volkes vom 25. November 1939. In: Reichsgesetzblatt Jahrgang 1939 Teil I Nr. 238. Reichsministerium des Innern, 30. November 1939, S. 2319, abgerufen am 23. Dezember 2011.
  9. Generalbevollmächtigter für die Reichsverwaltung Wilhelm Frick: Verordnung zum Schutze des Reichsarbeitsdienstes vom 12. März 1940. In: Reichsgesetzblatt Jahrgang 1940 Teil I Nr. 45. Reichsministerium des Innern, 14. März 1940, S. 485, abgerufen am 23. Dezember 2011.
  10. Vorsitzender des Ministerrats für die Reichsverteidigung Hermann Göring, Chef der Reichskanzlei Hans Heinrich Lammers: Verordnung zum Schutze des Metallsammlung des deutschen Volkes vom 29. März 1940. In: Reichsgesetzblatt Jahrgang 1940 Teil 1 Nr. 56. Reichsministerium des Innern, 30. März 1940, S. 565, abgerufen am 23. Dezember 2011.
  11. Vorsitzender des Ministerrats für die Reichsverteidigung Hermann Göring, Generalbevollmächtigter für die Reichsverwaltung Wilhelm Frick, Chef der Reichskanzlei Hans Heinrich Lammers: Verordnung über die Strafrechtspflege gegen Polen und Juden in den eingegliederten Ostgebieten vom 5. Dezember 1941. In: Reichsgesetzblatt Jahrgang 1941 Teil I Nr. 140. Reichsministerium des Innern, 16. Dezember 1941, S. 759–761, abgerufen am 23. Dezember 2011.
  12. Führer Adolf Hitler, Chef der Reichskanzlei Hans Heinrich Lammers: Verordnung des Führers zum Schutze der Sammlung von Wintersachen für die Front vom 23. Dezember 1941. In: Reichsgesetzblatt Jahrgang 1941 Teil I Nr. 144. Reichsministerium des Innern, 29. Dezember 1941, S. 797, abgerufen am 23. Dezember 2011.
  13. Führer Adolf Hitler, Chef der Reichskanzlei Hans Heinrich Lammers, Chef des OKW Wilhelm Keitel: Verordnung des Führers zum Schutze der Rüstungswirtschaft vom 21. März 1943. In: Reichsgesetzblatt Jahrgang 1942 Teil I Nr. 34. Reichsministerium des Innern, 9. April 1942, S. 267, abgerufen am 23. Dezember 2011.
  14. Führer Adolf Hitler, Chef des OKW Wilhelm Keitel: Verordnung über den Schutz der Waffenabzeichen der Wehrmacht vom 3. Mai 1942. In: Reichsgesetzblatt Jahrgang 1942 Teil I Nr. 49. Reichsministerium des Innern, 11. Mai 1942, S. 45, abgerufen am 23. Dezember 2011.
  15. Reichsjustizminister i. V. Herbert Klemm: Verordnung zur Sicherung des totales Kriegseinsatzes vom 25. August 1944. In: Reichsgesetzblatt Jahrgang 1944 Teil 1 Nr. 38. Reichsministerium des Innern, 26. August 1944, S. 45, abgerufen am 23. Dezember 2011.
  16. Reichsinnenminister i. A. Ernst Kaltenbrunner: Polizeiverordnung über das Betreten von Seeschiffen in deutschen Häfen 16. September 1944. In: Reichsgesetzblatt Jahrgang 1944 Teil 1 Nr. 47. Reichsministerium des Innern, 30. September 1944, S. 237, abgerufen am 23. Dezember 2011.
  17. Reichsbevollmächtigter für den totalen Kriegseinsatz Joseph Goebbels, Leiter der Parteikanzlei Martin Bormann, Chef des OKW Wilhelm Keitel, Reichsführer SS Heinrich Himmler: Verordnung zur Sicherung des Fronteinsatzes vom 26. Januar 1945. In: Reichsgesetzblatt Jahrgang 1945 Teil I Nr. 4. Reichsministerium des Innern, 26. Januar 1945, S. 20, abgerufen am 23. Dezember 2011.
  18. Gesetz zur Aufhebung nationalsozialistischer Unrechtsurteile in der Strafrechtspflege und von Sterilisationsentscheidungen der ehemaligen Erbgesundheitsgerichte vom 25. August 1998 (BGBl. I S. 2501)