Kernkraftwerk Brokdorf

Kernkraftwerk Brokdorf
Kernkraftwerk Brokdorf
Lage
Koordinaten53° 51′ 3″ N, 9° 20′ 41″ O
LandDeutschland
Daten
Eigentümer80 % PreussenElektra GmbH
20 % Vattenfall[1]
BetreiberPreussenElektra GmbH[2]
Projektbeginn1975
Kommerzieller BetriebOktober 1986
Stilllegung31. Dezember 2021

Aktive Reaktoren (Brutto)

0  (0 MW)

Stillgelegte Reaktoren (Brutto)

1  (1480 MW)
Eingespeiste Energie im Jahr 201610.958 GWh
Eingespeiste Energie seit Inbetriebnahme317.940 GWh
WebsitePreussenElektra
Stand 31. Dezember 2016
Die Datenquelle der jeweiligen Einträge findet sich in der Dokumentation.
f1

Das stillgelegte Kernkraftwerk Brokdorf (KBR) befindet sich nahe der Gemeinde Brokdorf im Kreis Steinburg, Schleswig-Holstein und wurde im Oktober 1986 erstmals durch die damaligen Eigentümer PreussenElektra und HEW in Betrieb genommen. Das Kernkraftwerk gehört heute den Unternehmen PreussenElektra GmbH (80 %) und Vattenfall (20 %). Während der Bauphase in den 1970er und 1980er Jahren gab es heftige Proteste von Atomkraftgegnern.[3]

Das Kernkraftwerk war mit 1480 MW Bruttoleistung eines der leistungsstärksten Kernkraftwerke in Deutschland. Mit einer Bruttostromerzeugung von knapp unter 12.000 Gigawattstunden hatte der Reaktor 2005 weltweit die größte Strommenge erzeugt.

Infolge des Atomausstiegs erfolgte die endgültige Abschaltung des Kernkraftwerks Brokdorf am 31. Dezember 2021.[4][5]

Geschichte

Das Reaktorgebäude
Polizeieinsatz gegen die Großdemonstration im Februar 1981
(c) Louis-F. Stahl, CC BY-SA 3.0 de
Luftaufnahme des Kernkraftwerks Brokdorf im Jahr 2011

Im November 1973 gab die Nordwestdeutsche Kraftwerke AG (NWK) Brokdorf als Standort für den Bau eines geplanten Atomkraftwerkes bekannt. Noch im selben Monat gründete sich mit der Forderung „Kein Atomkraftwerk in Brokdorf“ die „Bürgerinitiative Umweltschutz Unterelbe“ (BUU).[6] Im August 1974 wurde die Bau- und Betriebsgenehmigung beantragt, im November 1974 der atomrechtliche Erörterungstermin in Wilster abgehalten, jedoch nach vier Tagen von den Behörden vorzeitig abgebrochen, ohne dass eine vollständige Erörterung der Sachfragen erfolgt war.[6] 1975 begannen die Bauarbeiten. 1976 folgte die erste atomrechtliche Teilgenehmigung.[2] Gegen Planung und Bau fanden seit November 1976 Demonstrationen der Anti-AKW-Bewegung statt, die im Laufe der Zeit eskalierten. Auch wurde gegen den Bau geklagt.

Im Dezember 1976 verfügte das Verwaltungsgericht in Schleswig einen einstweiligen Baustopp bis zur Klärung der Frage, ob die sofortige Vollziehbarkeit der 1. Teilerrichtungsgenehmigung rechtens gewesen sei.[2][6] Nach einem vierjährigen Baustopp wurde Ende 1980 bekannt, dass es zu einer Fortsetzung des Baus kommen werde, nachdem das Oberverwaltungsgericht Lüneburg bestätigte, dass kein Baustopp mehr besteht und am 19. Februar 1981 die 2. Teilerrichtungsgenehmigung erteilt wurde. Daraufhin wurden größere Proteste angekündigt und der Landrat in Itzehoe erließ ein Demonstrationsverbot.[7] Am 28. Februar 1981 fand mit der Großdemonstration bei Brokdorf in der Wilstermarsch mit rund 100.000 Menschen die bis dahin größte Demonstration gegen Kernkraft in der Bundesrepublik statt. Rund 10.000 Polizisten versuchten vergeblich, einen Teil der Demonstration zu verhindern. 128 Polizisten und etwa gleich viele Demonstranten wurden bei heftigen Krawallen verletzt, die Polizei stellte Waffen verschiedener Art sicher. Die juristischen Auseinandersetzungen um die Demonstration[7] wurden später Gegenstand des Brokdorf-Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts. Das Gericht stellte fest, dass das Verbot der Demonstration verfassungswidrig gewesen war. Den Widerstand der Bevölkerung sowie das Vorgehen der Staatsmacht gegen den Protest porträtierte unter anderem der im Jahr 2012 veröffentlichte Film Das Ding am Deich.[8]

Am 25. Mai 1981 trat Hamburgs Bürgermeister Hans-Ulrich Klose (SPD) auch deshalb von seinem Amt zurück, weil er den von ihm gewünschten Ausstieg aus dem Kraftwerksprojekt Brokdorf nicht gegen Teile der Hamburger SPD-Führung durchsetzen konnte.

Nach der Nuklearkatastrophe von Tschernobyl gab es in Deutschland am 7. Juni 1986 zwei bundesweite Großdemonstrationen: eine gegen die in Bau befindliche Wiederaufarbeitungsanlage Wackersdorf und eine gegen das in Bau befindliche Kernkraftwerk Brokdorf. Beide Großdemonstrationen wurden verboten. Trotzdem demonstrierten an beiden Orten hunderttausende Menschen gegen Kernenergie. Es kam zu massiven Auseinandersetzungen. Gegen die polizeilichen Maßnahmen kam es am nächsten Tag in Hamburg zu einer Protestdemonstration, die im später als verfassungswidrig eingestuften Hamburger Kessel endete.

Der Hamburger Kessel war Auslöser zur Gründung des „Hamburger Signals“, einer Vereinigung Hamburger Polizisten, die sich öffentlich gegen diesen Polizeieinsatz aussprachen. Aus dem Hamburger Signal ging die Bundesarbeitsgemeinschaft Kritischer Polizisten hervor.

Am 8. Oktober 1986 ging das Kernkraftwerk als weltweit erste Anlage nach dem Reaktorunfall von Tschernobyl in Betrieb. Am 5. März 2007 ging ein Zwischenlager für abgebrannte Kernelemente mit einer Schwermetallmasse von 1.000 Tonnen in Betrieb. Es hat 100 Lagerplätze für Castor-Behälter und eine genehmigte Laufzeit von maximal 40 Jahren.[9] [10] In das Zwischenlager sollen sieben Castorbehälter mit radioaktivem Abfall aus Sellafield eingelagert werden.

Am 24. April 2010 demonstrierte eine Kette von über 100.000 Menschen zwischen den Kernkraftwerken Brunsbüttel, Brokdorf und Krümmel gegen Kernkraft.[11]

2006 erhielt es eine Genehmigung zur thermischen Leistungserhöhung.[2] Im Herbst 2010 beschloss der Bundestag eine Laufzeitverlängerung deutscher Kernkraftwerke durch Erhöhung der Reststrommengen (dadurch hätte Brokdorf rechnerisch bis 2036 laufen können); diese Laufzeitverlängerung wurde nach der Nuklearkatastrophe von Fukushima im März 2011 revidiert (siehe Atomausstieg). 2011 fand die Protestaktionen Block Brokdorf statt. Als vorzeitiger Abschalttermin wurde das Jahr 2021 festgelegt.[2]

Nachdem bei Revisionsarbeiten eine Oxidationsschicht in unerwarteter Stärke an den Stäben der Brennelemente entdeckt wurde, untersagte Schleswig-Holsteins Umweltminister Robert Habeck Mitte März 2017 das Bestücken mit neuen Brennelementen und anschließende Wiederanfahren des Kraftwerks.[12] Erst fünf Monate später gestattete die schleswig-holsteinische Atomaufsicht nach umfangreichen Untersuchungen dem Betreiber, das Kernkraftwerk mit Einschränkungen wieder hochzufahren. Der Betrieb durfte nur mit 88 Prozent seiner Leistung erfolgen, bei Senkung der mittleren Kühlmitteltemperatur wurden 95 Prozent erlaubt.[13]

Ende 2017 beantragte der Betreiber PreussenElektra die Stilllegung und den Abriss des Meilers. Mit der Genehmigung des Abbaus wird im Jahr 2023 gerechnet. Das Rückbauverfahren wird sich voraussichtlich über 15 Jahre erstrecken und in der ersten Phase mit besonderen Herausforderungen verbunden sein, da sich dann noch Brennelemente im Reaktorgebäude befinden werden, die zu diesem Zeitpunkt noch nicht genügend abgeklungen sein werden.[14] In dem letzten Jahr des Leistungsbetriebs (2021) war das Kernkraftwerk Brokdorf 8760 Stunden (01.01. bis 31.12. durchgehend) am Netz. Es kam zu keinen außerplanmäßigen Abschaltungen. Aufgrund der planmäßigen Beendigung des Leistungsbetriebs konnte auf einen Brennelementwechsel verzichtet werden.

Am 19. Juli 2022 stürzte bei Reparaturen an einem Brennelement zur Vorbereitung zur Entsorgung ein Brennstab aus der Greifvorrichtung und wurde dabei verformt. Der Vorfall ereignete sich im mit Wasser gefüllten Lagerbecken, dabei sei laut Ministerium für Energiewende, Klimaschutz, Umwelt und Natur keine Radioaktivität freigesetzt worden.[15] Insgesamt lagern im Atomkraftwerk noch 233 Brennstäbe, „die nicht regulär in den Brennelementen entsorgt werden können.“ Davon gelten 170 Brennstäbe als defekt, weil sie im Hüllrohr Poren, Risse oder Löcher aufwiesen. Zwei Stäbe seien verbogen, die restlichen Stäbe wiesen Wanddickenschwächungen der Hüllrohre auf.[16]

Daten der Reaktorblöcke

Das Kernkraftwerk Brokdorf hat einen Kraftwerksblock:

Reaktorblock[17]Brokdorf (KBR)
ReaktortypDruckwasserreaktor
BaulinieKWU-Baulinie-'3 (Vor-Konvoi)
Elektrische LeistungNetto 1.410 MW, Brutto 1.480 MW
thermische Reaktorleistung3.900 MW
Baubeginn1. Jan. 1976
Netzsynchronisation14. Okt. 1986
Kommerzieller Betrieb22. Dez. 1986
Stilllegung31. Dez. 2021[18]
Technische Daten[19][20]Reaktor Brokdorf
KernbrennstoffUO2/MOX
Anreicherung an U235bis zu 4 %
Kernbrennstoffmenge103 t
Anzahl der Brennelemente193
Anzahl der Brennstäbe je Brennelement236
Anzahl der Steuerstäbe je Brennelement20
Brennstablänge4,83 m
Brennstabdurchmesser10,75 mm
Anzahl der Steuerelemente61
AbsorbermaterialIn, Ag, Cd
Kühlmittel und ModeratorH2O (Leichtes Wasser)
thermische Reaktorleistung3900 MW
Nettowirkungsgrad36,4 %
mittlere Leistungsdichte im Reaktorkern93,2 kW/dm³
Entlade-Abbrand (Gleichgewichtskern)ca. 53000 MWd/t U
Wärmeübertragungsfläche im Reaktorkern6036 m²
Kondensatorkühlfläche3 × 20781 m²
Brennelementprofil16×16

Die als KBR bezeichnete Kernkraftwerksanlage besitzt einen Druckwasserreaktor vom Hersteller KWU mit Urandioxid-Brennelementen, die in Anreicherungsgraden von 1,9, 2,5 und 3,5 Prozent eingesetzt werden. Auch Mischoxid-Brennelemente (MOX-Brennelemente), die Plutonium aus der Wiederaufarbeitung enthalten, werden verwendet. Im Reaktor des Kernkraftwerks befinden sich 193 Brennelemente mit einer Schwermetall-Masse von insgesamt 103 Tonnen. Das Kernkraftwerk Brokdorf hat eine thermische Leistung von 3.900 Megawatt und eine elektrische Nettoleistung von 1.410 MW. Es gehört zur 3. Druckwasserreaktor-Generation in Deutschland, den Vor-Konvoi-Anlagen.

Eine Übersicht mit aktuellen Emissionswerten für das KBR findet sich auf den Seiten der Landesregierung Schleswig-Holstein.[21]

Der Netzanschluss erfolgt auf der 380-kV-Höchstspannungsebene in das Netz des Übertragungsnetzbetreibers Tennet TSO.[22]

Siehe auch

Literatur

  • Atomkraft – Von Brokdorf bis Bonn mit Fotos von Günter Zint. Verlag Atelier im Bauernhaus, Fischerhude 1977.

Weblinks

Commons: Kernkraftwerk Brokdorf – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. PreussenElektra: Kraftwerk Brokdorf. Online auf www.preussenelektra.de, abgerufen am 27. November 2016.
  2. a b c d e PreussenElektra: Unsere Geschichte (Memento des Originals vom 3. Dezember 2016 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.preussenelektra.de. Online auf www.preussenelektra.de, abgerufen am 27. November 2016.
  3. Kai von Appen, Fritz Storim, Uwe Zabel: Das Symbol Brokdorf. In: taz, 28. Oktober 2006
  4. Drei weitere Atomkraftwerke gehen zum Jahresende vom Netz. 31. Dezember 2021, abgerufen am 1. Januar 2022.
  5. AKW Brokdorf stellt Stromproduktion ein. 31. Dezember 2021, abgerufen am 1. Januar 2022.
  6. a b c Brokdorf - Der unbeachtete Weiterbau. Informationen zur Atomenergie. In: Archiv Deutsches Atomerbe e.V. Bürgerinitiative Umweltschutz Unterelbe, 1982, abgerufen am 25. Dezember 2022.
  7. a b WESER-KURIER 14. April 1981, Seite 2: „Demonstrationsrecht beschäftigt erneut BVG“
  8. Webseite des Films "Das Ding am Deich"
  9. Deutsches Atomforum e. V.: Kernenergie – Aktuell 2007, Kapitel Zwischenlager/Transporte. Berlin, September 2007.
  10. Bundesamt für Strahlenschutz: Informationen zum Standort Brokdorf (Schleswig-Holstein), 23. September 2010. (Memento vom 24. Januar 2012 im Internet Archive)
  11. Die hohen Ziele weit übertroffen. In: taz, 24. April 2010
  12. Gerald Traufetter: Atomenergie: Schleswig-Holstein untersagt Wiederanfahren von AKW Brokdorf. In: Spiegel Online. 14. März 2017, abgerufen am 9. Juni 2018.
  13. Nach Rost an Brennstäben: AKW Brokdorf darf wieder hochgefahren werden. In: SPIEGEL Online. 30. Juli 2017, abgerufen am 20. März 2019.
  14. Wolfram Hammer: Kernkraftwerk Brokdorf wird stillgelegt und abgerissen. In: LN Online. Lübecker Nachrichten, 1. Dezember 2017, abgerufen am 20. März 2019.
  15. Kernkraftwerk Brokdorf: Absturz eines Brennstabes bei Brennelementreparatur. Landesregierung Schleswig-Holstein, 19. Juli 2022, abgerufen am 20. August 2022.
  16. Dirk Seifert: Atomgefahren AKW Brokdorf: Defekte Brennstäbe und Wanddickenschwächungen. In: umweltFAIRaendern. 2. August 2022, abgerufen am 20. August 2022 (deutsch).
  17. Power Reactor Information System (Memento des Originals vom 16. Mai 2012 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/pris.iaea.org der IAEO: „Germany: Nuclear Power Reactors“ (englisch)
  18. tagesschau.de: Merkel sieht Energiewende als „riesige Chance“, 31. Mai 2011. (Memento vom 24. August 2011 im Internet Archive)
  19. Martin Volkmer: Kernenergie Basiswissen. Informationskreis KernEnergie, Berlin Juni 2007, ISBN 3-926956-44-5. Seite 46
  20. E.ON Kernkraft – Daten (Memento vom 11. Dezember 2009 im Internet Archive)
  21. Kernkraftwerksfernüberwachung Schleswig-Holstein: Messwerte (Memento vom 28. Juli 2009 im Internet Archive)
  22. Kraftwerksliste Bundesnetzagentur (bundesweit; alle Netz- und Umspannebenen) Stand 02.07.2012. (XLS-Datei, 1,6 MB) Archiviert vom Original am 22. Juli 2012; abgerufen am 21. Juli 2012.

Auf dieser Seite verwendete Medien

KKW Brokdorf Reaktorgebäude Dec-2008 SL271781.jpg
Autor/Urheber: C. Löser, Lizenz: CC BY 3.0 de
Reaktorgebäude, KKW Brokdorf, Deutschland.
Kernkraftwerk Brokdorf.jpg
(c) Louis-F. Stahl, CC BY-SA 3.0 de
Kernkraftwerk Brokdorf, Luftaufnahme
Kernkraftwerk Brokdorf 2006 (cropped).jpg
(c) Alois Staudacher, CC BY-SA 3.0
Atomkraftwerk Brokdorf von der Elbe aus gesehen
Brokdorfdemo.jpg
Autor/Urheber: Leonce49 - Hans Weingartz, Lizenz: CC BY 3.0
Polizeieinsatz gegen die Demonstration gegen das AKW Brokdorf
Germany Schleswig-Holstein adm location map.svg
(c) Karte: NordNordWest, Lizenz: Creative Commons by-sa-3.0 de
Positionskarte von Schleswig-Holstein, Deutschland