Johanna Ambrosius

Johanna Ambrosius um 1900
Johanna Ambrosius 1895

Johanna Ambrosius, verh. Voigt (* 3. August 1854 in Lengwethen bei Ragnit, Ostpreußen; † 27. Februar 1939 in Königsberg (Preußen)) war eine deutsche Lyrikerin, die Ende des 19. Jahrhunderts als „Naturdichterin“ Aufsehen erregte.

Leben

Bauerntochter und Bäuerin in Ostpreußen

Johanna Ambrosius wurde als zweites von vierzehn Kindern eines Handwerkers in Ostpreußen geboren.[1] Sie wuchs in ärmsten Verhältnissen auf und besuchte bis zu ihrem elften Lebensjahr die Dorfschule in Lengwethen. Von da an half sie ihren Eltern auf dem Feld und im Haus und verdingte sich als Magd und Wirtschafterin auf Gütern der Umgebung. Im Jahr 1875 heiratete sie den Bauernsohn Friedrich Wilhelm Voigt und zog mit ihm nach Dirwonuppen im Kreis Tilsit.[2] Ihnen wurden zwei Kinder geboren: Marie (* 1875) und Erich (* 1878). 1883 erwarben die Eheleute ein kleines Haus mit Grundstück in Groß Wersmeningken bei Lasdehnen im Kreis Pillkallen.[3]

Unverhoffter Ruhm

Bereits 1884 hatte Johanna Ambrosius erste Gedichte verfasst. Ihre Schwester Martha hatte einige davon – ohne Wissen der Autorin – an mehrere Redaktionen geschickt, so auch an Anny Wothe, die Herausgeberin der Wochenschrift Von Haus zu Haus.[4] Daraufhin veröffentlichten verschiedene Zeitschriften einzelne Gedichte. Infolgedessen entdeckte der österreichische Schriftsteller Karl Weiß Johanna Ambrosius als Volks- und Naturdichterin und gab ihre Gedichte im Dezember 1894 unter dem Pseudonym „Karl Schrattenthal“ heraus.[5][6] Der Veröffentlichung, und zwar unter ihrem Mädchennamen Johanna Ambrosius, hatte Johanna Voigt unter anderem zugestimmt, um ihrem Sohn Erich eine Ausbildung als Lehrer zu ermöglichen.

Bald nach ihrer „Entdeckung“ wurde Johanna Ambrosius mit namhaften Schriftstellern ihrer Zeit bekannt, darunter Hermann Sudermann, Gerhart Hauptmann, Herman Grimm, Bruno Wille und Heinrich Hart.[7] Teils begegnete sie ihnen persönlich, teils führten sie einen Briefwechsel. Diese Korrespondenzen sind jedoch nicht erhalten, abgesehen von einigen Briefen an Herman Grimm.[8] Ihr Ruhm währte jedoch nur kurz. Auf das Lob für ihre „ungelehrte“ Dichtung folgte Kritik am „Johanna-Ambrosius-Rummel“. An der Debatte über den „Wert“ des Werks von Johanna Ambrosius beteiligten sich Carl Busse, Theodor Fontane, Richard Weitbrecht, Ferdinand Avenarius, Otto Rühle, Arno Holz, Ludwig Goldstein und Christian Morgenstern.[9]

Im Sommer 1900 wurde Johanna Ambrosius Witwe. Acht Jahre später starb ihr erstes Kind Marie im Alter von 32 Jahren. Johanna Ambrosius folgte 1908 ihrem Sohn Erich nach Königsberg, wo sie bis zu ihrem Tod 1939 lebte.

Ihr Grab befindet sich auf dem Neuen Luisenfriedhof in Königsberg, dem heutigen Kaliningrad.

Nachlass

Der Nachlass von Johanna Ambrosius ging bei der Flucht der Familie Voigt aus Königsberg Anfang 1945 verloren.[10]

Werk

Johanna Ambrosius’ Gedichte hatten „als formgewandte Erzeugnisse einer aus bescheidensten Verhältnissen stammenden Frau einen ungewöhnlichen Erfolg“.[11] Sie erschienen bereits 1904 in der 41. Auflage. Ab der siebten Auflage, verlegt von Ferdinand Beyer in Königsberg, war ihren Gedichten außer einem Porträt auch eine Abbildung des Wohnhauses der Dichterin beigegeben. Manche ihrer Verehrerinnen ließen es sich nicht nehmen, in die ostpreußische Provinz zu reisen und sie in Groß Wersmeningken aufzusuchen.[12] Im Jahr 1896 wurde der Gedichtband ins Englische übersetzt und zunächst in den USA veröffentlicht, wo Johanna Ambrosius voll Überschwang gar als „German Sappho“ gefeiert wurde,[13] 1910 auch in England. Ein zweiter Gedichtband folgte 1897. Ihre späteren Gedichte erschienen in Zeitschriften und Jahrbüchern, unter anderem in Aus Höhen und Tiefen. Ein Jahrbuch für das deutsche Haus.[14] Prosa veröffentlichte sie nicht, von einem kurzen Text abgesehen.[15]

Johanna Ambrosius selbst schrieb über ihre Autorschaft:

„Ich kenne keine Regeln der Dichtkunst und selbst wenn ich sie kennen möchte wäre es mir unmöglich danach zu dichten, ich schreibe nur nach meinem Gefühl.“

Johanna Ambrosius (1905)[16]

Johanna Ambrosius’ bekannteste Dichtung war das 1884 geschriebene Gedicht Mein Heimatland mit der Anfangszeile „Sie sagen all, du bist nicht schön“, das als Älteres / Erstes Ostpreußenlied berühmt wurde.[17] Mindestens 90 Mal wurden ihre Gedichte vertont[10], unter anderem von Heinrich Schenker und Felix Rosenthal.

Werke

  • Johanna Ambrosius, eine deutsche Volksdichterin. Gedichte (1894)
  • Gedichte, 2. Teil (1897)

Literatur

In chronologischer Folge

  • Bruno Wille: Zwei Dorfpoeten. (Johanna Ambrosius und Christian Wagner). In: Das Magazin für Literatur, Jg. 64 (1895), Heft 10 vom 9. März 1895, Sp. 295–303.
  • Rolf Bulang: Voigt, Johanna, geb. Ambrosius. In: Wilhelm Kühlmann (Hrsg.): Killy-Literaturlexikon. Autoren und Werke des deutschsprachigen Kulturraumes. Bd. 12: Vo – Z. de Gruyter, Berlin, 2., vollständig überarbeitete Aufl. 2011. ISBN 978-3-11-022038-4, S. 14.
  • Hermann Bahr: Johanna Ambrosius. In: Die Zeit, Jg. 3 (1895), Heft 36, S. 153–154. Buchausgabe: Hermann Bahr: Renaissance – Neue Studien zur Kritik der Moderne. S. Fischer, Berlin 1897, S. 87–93 (Digitalisat).
  • Elisabeth Friedrichs: Die deutschsprachigen Schriftstellerinnen des 18. und 19. Jahrhunderts. Ein Lexikon. Metzler, Stuttgart 1981, ISBN 3-476-00456-2, (Repertorien zur deutschen Literaturgeschichte 9), S. 322.
  • Fritz Abshoff: Bildende Geister. Unsere bedeutendsten Dichter und Schriftsteller der Gegenwart und Vergangenheit in charakteristischen Selbstbiographien sowie gesammelten Biographien und Bildern. Bd. 1. Oestergaard, Berlin 1905, S. 12.
  • Margarete Kudnig: Johanna Ambrosius. Aus ihrem Leben und Wirken. Landsmannschaft Ostpreußen, Abteilung Kultur, 1960.
  • Karl Schrattenthal (Pseudonym von Karl Weiß): Johanna Ambrosius, eine deutsche Volksdichterin. Drodtleff, Preßburg 1895.
  • Ambrosius, Frau Joh.. In: Sophie Pataky (Hrsg.): Lexikon deutscher Frauen der Feder. Band 1. Verlag Carl Pataky, Berlin 1898, S. 10 (literature.at).
  • Charles Dudley Warner (Hrsg.): A Library of the World's Best Literature – Ancient and Modern. Vol. I. Abelard–Amiel. The International Society, New York 1896, S. 446–452.
  • Franz Brümmer: Lexikon der deutschen Dichter und Prosaisten vom Beginn des 19. Jahrhunderts bis zur Gegenwart. Reclam, Leipzig 1913, S. 275f.

Weblinks

Commons: Johanna Ambrosius – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien
Wikisource: Johanna Ambrosius – Quellen und Volltexte

Einzelnachweise

  1. Margarete Kudnig: Johanna Ambrosius. Aus ihrem Leben und Wirken. Landsmannschaft Ostpreußen, 1960. S. 5.
  2. Belkino – Groß Wersmeningken/Langenfelde und Johanna Ambrosius (Memento desOriginals vom 2. Mai 2014 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.ostpreussen.net, abgerufen am 24. April 2014.
  3. Bruno Wille: Zwei Dorfpoeten. (Johanna Ambrosius und Christian Wagner). In: Das Magazin für Literatur, Jg. 64 (1895), Heft 10 vom 9. März 1895, Sp. 295–303.
  4. Artikel Voigt, Frau Johanna. In: Sophie Pataky (Hrsg.): Lexikon deutscher Frauen der Feder. Verlag Carl Pataky, Berlin 1898. Bd. 2, S. 395.
  5. Bibliographischer Nachweis im Katalog der Staatsbibliothek zu Berlin (Memento desOriginals vom 4. März 2016 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.ubka.uni-karlsruhe.de.
  6. Lucia Hacker: Schreibende Frauen um 1900. Rollen – Bilder – Gesten. Lit, Münster 2007. ISBN 978-3-8258-9885-4. S. 117.
  7. Margarete Kudnig: Johanna Ambrosius. Aus ihrem Leben und Wirken. Landsmannschaft Ostpreußen, 1960. S. 9.
  8. Inventar zum Nachlass Herman Grimm im Hessischen Staatsarchiv Marburg.
  9. Pro und Contra Johanna Ambrosius – Der Johanna-Ambrosius-Rummel mit zahlreichen Stellungnahmen und Rezensionen, abgerufen am 6. Januar 2024.
  10. a b Werner Voigt: Johanna Ambrosius, abgerufen am 24. April 2014.
  11. Meyers Großes Konversations-Lexikon, Bd. 20. Bibliogr. Inst., Leipzig 1909, S. 220.
  12. Margarete Kudnig: Johanna Ambrosius. Aus ihrem Leben und Wirken. Landsmannschaft Ostpreußen, 1960. S. 11.
  13. Willis J. Buckingham: Emily Dickinson's reception in the 1890s. A documentary history. University of Pittsburgh Press, Pittsburgh 1989. S. 502.
  14. Thomas Dietzel, Hans-Otto Hügel (Hrsg.): Deutsche literarische Zeitschriften 1880–1945. Ein Repertorium. Bd. 1: A travers les Vosges – Deutsch-nordisches Jahrbuch. Saur, München 1988. ISBN 3-598-10646-7. S. 101.
  15. Johanna Ambrosius. In: Charles Dudley Warner (Hrsg.): A Library of the World’s Best Literature – Ancient and Modern, Bd. 1: Abelard – Amiel. The International Society, New York 1896. S. 446–452, hier S. 447.
  16. Fritz Abshoff: Bildende Geister. Berlin 1905, S. 12.
  17. Andreas Kossert: Ostpreußen. Geschichte und Mythos. Siedler, München 2005. ISBN 3-88680-808-4. S. 146f.

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Porträt der deutschen Schriftstellerin Johanna Ambrosius