Johann Schober

Johann Schober, ca. 1932
Erich Salomon: Julius Curtius und Johann Schober, 1929
(c) Bundesarchiv, Bild 102-11713 / CC-BY-SA 3.0
Johann Schober bei der Tagung des Europa-Comités in Genf, Mai 1931

Johann Schober (eigentlich Johannes Schober, * 14. November 1874 in Perg, Oberösterreich[1]; † 19. August 1932 in Baden bei Wien, Niederösterreich[2]) war ein österreichischer Beamter und Politiker. In den Jahren 1921/22 und 1929/30 amtierte er als Bundeskanzler, zudem war er mehrfacher Minister.

Leben

Johann Schober wurde als zehntes Kind des Amtsdieners Franz (1836–1898[3]) und seiner Frau Klara Schober (geb. Lehmann) in Perg 41,[4] heute Doktor-Schober-Straße 2,[5] geboren. 1894 begann er in Wien das Studium der Rechtswissenschaft und gehörte dort dem Akademischen Gesangsverein (AGV) an (heute: fakultativ schlagende Universitäts-Sängerschaft Barden zu Wien).

1898 trat er seinen Dienst als Polizeibeamter in Wien an. Als Polizeirat war er u. a. einer der führenden Ermittler in der 1913 enthüllten Spionageaffäre um den Leiter des Evidenzbüros, Alfred Redl, und trug maßgeblich zur Aufklärung bei. Schober war vom 11. Juni 1918 bis zu seinem Tod mit Unterbrechungen aufgrund seiner Amtszeiten als Bundeskanzler bzw. Vizekanzler Leiter der Bundespolizeidirektion Wien. Vom 30. November 1918 an war er zudem Polizeipräsident von Wien. Noch von Kaiser Karl I. auf Vorschlag des k.k. Ministeriums Seidler mit der Leitung der k.k. Polizeidirektion betraut, hatte er fünf Monate später den Übergang zum neu gegründeten Staat Deutschösterreich zu begleiten, dessen Staatsrat (mit Staatskanzler Karl Renner) ihn definitiv zum Polizeipräsidenten bestellte.

Am 21. Juni 1921 wurde er durch den Nationalrat gegen die Stimmen der Sozialdemokraten zum Bundeskanzler gewählt. Er bildete die Bundesregierung Schober I, eine Regierung, in der mehrheitlich Beamte vertreten waren und die von der Christlichsozialen und der Großdeutschen Partei unterstützt wurde.

Schober war gleichzeitig Außenminister. Am 13. Oktober 1921 unterzeichnete er das „Protokoll von Venedig“, mit dem die Durchführung einer Volksabstimmung über die Zugehörigkeit von Ödenburg (ungarisch Sopron) vereinbart wurde. Am 16. Dezember 1921 schloss er auf Schloss Lana bei Prag mit der Tschechoslowakei den Vertrag von Lana über die gegenseitige Anerkennung der Grenzen. Da Schober damit auf das Selbstbestimmungsrecht der Sudetendeutschen verzichtet hatte, verließ der einzige großdeutsche Minister, Leopold Waber, die Regierung und Schober trat am 26. Jänner 1922 zurück.

Am 26. Jänner 1922 leitete Walter Breisky einen Tag lang die Regierung. Bereits tags darauf jedoch konnte Schober seine neue Regierung, die Bundesregierung Schober II, im Parlament vorstellen, die wieder aus Beamten und drei Ministern der Christlichsozialen Partei bestand. Schober wurde gleichzeitig Innenminister und gab dafür das Außenministerium ab. Da Sozialdemokraten und Großdeutsche im Parlament einen Zusatzkredit ablehnten, trat Schober am 24. Mai 1922 mit seiner Regierung zurück.

Es folgte die Bundesregierung Seipel I. Nun wieder als Polizeipräsident aktiv, wurde Schober der erste Präsident der am 10. September 1923 in Wien gegründeten Interpol. In seiner Funktion als Polizeipräsident war er für die blutige Niederschlagung der Julirevolte 1927 verantwortlich. Schober hatte die Polizei dazu legitimiert, im Notfall der Feuerwehr auch mit Waffengewalt Zugang zum brennenden Justizpalast zu verschaffen; dabei wurden auch viele flüchtende Demonstranten erschossen. Die Folgen wurden von der Regierung Seipel als unvermeidlich und von Gegnern wie Karl Kraus (Plakattext: Ich fordere Sie auf, abzutreten.[6]) als unverzeihlich betrachtet.[7]

Am 26. September 1929 wurde Schober zum dritten Mal Bundeskanzler und bildete eine Regierung aus parteilosen Ministern und Vertretern der Christlichsozialen und der Großdeutschen Partei sowie des Landbundes. Am 7. Dezember 1929 wurde vom Parlament einstimmig eine wesentliche Verfassungsreform beschlossen, durch die der Bundespräsident, 1928–1938 Wilhelm Miklas, mehr Rechte erhielt: Der Bundeskanzler wird seither nicht mehr vom Nationalrat gewählt, sondern vom Bundespräsidenten ernannt, wenngleich er durch ein Misstrauensvotum des Nationalrats abberufen werden kann.

Am 20. Jänner 1930 erreichte Schober die Beendigung der im Vertrag von Saint-Germain 1919 der Republik Österreich auferlegten Reparationszahlungen im Gefolge des Ersten Weltkriegs. Dadurch wurden die Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise 1929 abgeschwächt. Am 6. Februar 1930 unterzeichnete er einen Freundschaftsvertrag zwischen Österreich und dem faschistischen Italien[8] und schloss ein Handelsabkommen mit dem noch demokratischen Deutschen Reich.

Schober scheiterte beim Versuch die Wehrverbände Schutzbund und Heimwehr zu entwaffnen. Die Heimwehr reagierte am 18. Mai 1930 im Korneuburger Eid mit einer Absage an den demokratischen Parlamentarismus. Die Ausweisung des deutschen Staatsbürgers und Heimwehrführers Waldemar Pabst am 15. Juni 1930 führte zum endgültigen Bruch mit der Heimwehrbewegung. Der Rücktritt des christlichsozialen Vizekanzlers Carl Vaugoin im Zuge der Strafella-Affäre zwang Schober am 25. September 1930, mit seiner Regierung zurückzutreten.

Bei der Nationalratswahl am 9. November 1930 war er Listenführer des Wahlbündnisses aus Großdeutscher Volkspartei und Landbund („Schober-Block“), das 19 Mandate erreichte. Vom 4. Dezember 1930 bis zum 16. Juni 1931 war er Vizekanzler und Außenminister in der Regierung Ender. Er führte im März 1931 mit dem deutschen Außenminister Julius Curtius geheime Verhandlungen über eine Zollunion. Der Vertrag wurde am 19. März unterzeichnet; nach einer Indiskretion wurde die Unterzeichnung am 17. März von der Zeitung Neue Freie Presse gemeldet. Frankreich, Italien und die Tschechoslowakei legten Proteste dagegen ein, und am 3. September 1931 erklärte Schober vor dem Völkerbund in Genf, die Zollunion werde nicht mehr weiter verfolgt.

Am 20. Juni 1931 wurde er wieder Vizekanzler und Außenminister, und zwar in der Regierung Buresch. Da die Angriffe der Christlichsozialen Partei auf ihn immer stärker wurden, trat er am 27. Jänner 1932 mit der Großdeutschen Volkspartei (GDVP) aus der Koalitionsregierung aus. Bei den Landtagswahlen am 24. April 1932 in Wien, in Niederösterreich und in Salzburg verlor die GDVP fast alle Stimmen an die Nationalsozialisten. Als Engelbert Dollfuß am 10. Mai 1932 von Bundespräsident Wilhelm Miklas mit der Regierungsbildung beauftragt wurde, lehnte Schober eine Koalition ab.

Wenige Tage nach dem Ableben von Ignaz Seipel (2. August) starb Johann Schober am 19. August 1932 in Baden bei Wien überraschend im Alter von 57 Jahren. Sein Grab befindet sich auf dem Friedhof in Perg im oberösterreichischen Mühlviertel.

Straßenschild Dr.-Schober-Straße in Wien

Am Tag seines Begräbnisses, dem 24. August 1932, wurde in Perg mit einstimmigem Gemeindebeschluss die frühere Badgasse in Dr.-Johann-Schober-Straße umbenannt (). Im gleichen Jahr wurde in der damals zur Gemeinde Mauer bei Wien gehörigen Polizeisiedlung, seit 1938 Teil des 13. Wiener Gemeindebezirks, Hietzing, die Dr.-Schober-Straße nach ihm benannt ().

Schobers Initiative ist es zu verdanken, dass am 7. September 1923 in Wien die Internationale Kriminalpolizeiliche Kommission (IKPK) gegründet wurde, deren erster Präsident Schober bis zu seinem Tod war. 1946 ging aus der IKPK die Interpol hervor, deren Sitz in Lyon (Frankreich) angesiedelt wurde. In ihrer Zentrale steht eine Schober-Büste.[9]

Literatur

  • Michael GehlerSchober, Johannes. In: Neue Deutsche Biographie (NDB). Band 23, Duncker & Humblot, Berlin 2007, ISBN 978-3-428-11204-3, S. 347 f. (Digitalisat).
  • Adam Wandruszka: Johann Schober. In: Friedrich Weissensteiner (Hrsg.): Die österreichischen Bundeskanzler. Österreichischer Bundesverl., Wien 1983
  • Jacques Hannak: Johannes Schober. Mittelweg in die Katastrophe. Porträt eines Repräsentanten der verlorenen Mitte. Europa, Wien u. a. 1966
  • Wilhelm F. Kroupa (Hrsg.): Festschrift zum 50. Todestag von DDDr. h. c. Johannes Schober. Freiheitliches Bildungswerk, Wien 1982
  • Rainer Hubert: Schober. „Arbeitermörder“ und „Hort der Republik“. Biographie eines Gestrigen. Böhlau, Wien u. a. 1990. ISBN 3-205-05341-9
  • G. Enderle-Burcel: Schober Johannes. In: Österreichisches Biographisches Lexikon 1815–1950 (ÖBL). Band 10, Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, Wien 1994, ISBN 3-7001-2186-5, S. 423–425 (Direktlinks auf S. 423, S. 424, S. 425).

Tondokumente

Weblinks

Commons: Johann Schober – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Matricula Online – Perg, Taufen - Duplikate 1874, Eintrag Nr. 82, 5. Zeile
  2. Matricula Online – Baden - St. Stephan, Sterbebuch, 1930–1932, Seite 196, Eintrag Nr. 263, 3. Zeile
  3. Matricula, Perg, Todesfälle 1898, S. 99, Zeile 3
  4. Taufen - Duplikate 1874 - 106/1874 | Perg | Oberösterreich: Rk. Diözese Linz | Österreich | Matricula Online. Abgerufen am 7. November 2022.
  5. Hofnamen und Häusergeschichte: Haus auf dem Platz (AGB). In: DORIS. Land Oberösterreich, abgerufen am 7. November 2022.
  6. Foto
  7. Straßennamen Wiens seit 1860 als „Politische Erinnerungsorte“ (PDF; 4,2 MB), S. 184, Forschungsprojektendbericht, Wien, Juli 2013
  8. Der Freundschafts-Vertrag unterzeichnet, Bericht der Tageszeitung Dolomiten vom 8. Februar 1930, S. 1–2 (Digitalisat).
  9. Anlässlich des 100-jährigen Gründungsjubiläums der Interpol hat der ORF ein ausführliches Dossier über Schobers Bedeutung zusammengestellt.

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Wappen der Republik Österreich: Nicht gesetzeskonforme Version des österreichischen Bundeswappens, umgangssprachlich „Bundesadler“, in Anlehnung an die heraldische Beschreibung des Art. 8a Abs. 3 Bundes-Verfassungsgesetz mit zwar nach Wappengesetz detailliertem, aber schwarzem statt grauem Gefieder, mit zu grellem Gelb sowie mit inkorrekter Darstellung des Bindenschilds, da die weiße Binde zu breit und der untere rote Balken zu schmal sowie der Spitz, statt halbrund zu sein, zu flach gerundet ist:

Das ursprüngliche Staatswappen wurde in der ersten Republik Österreich im Jahr 1919 eingeführt. Im austrofaschistischen Ständestaat wurde es im Jahr 1934 wieder abgeschafft und, im Rückgriff auf die österreichisch-ungarische Monarchie, durch einen Doppeladler ersetzt. In der wiedererstandenen (zweiten) Republik im Jahr 1945 wurde das Bundeswappen mit dem Wappengesetz in der Fassung StGBl. Nr. 7/1945 in modifizierter Form wieder eingeführt. Der Wappenadler versinnbildlicht, diesem Gesetzestext entsprechend (Art. 1 Abs. 1), „die Zusammenarbeit der wichtigsten werktätigen Schichten: der Arbeiterschaft durch das Symbol des Hammers, der Bauernschaft durch das Symbol der Sichel und des Bürgertums durch das Symbol der den Adlerkopf schmückenden Stadtmauerkrone […]. Dieses Wappen wird zur Erinnerung an die Wiedererringung der Unabhängigkeit Österreichs und den Wiederaufbau des Staatswesens im Jahre 1945 dadurch ergänzt, dass eine gesprengte Eisenkette die beiden Fänge des Adlers umschließt.“

Mit dem Bundesverfassungsgesetz vom 1. Juli 1981, mit dem das Bundes-Verfassungsgesetz in der Fassung von 1929 geändert wird, BGBl. Nr. 350/1981, wurden die Wappengesetze von 1919 und 1945 außer Kraft gesetzt und dem Text des Bundes-Verfassungsgesetzes mit Artikel 8a B-VG eine Verfassungsbestimmung über die Farben, die Flagge und das Wappen der Republik Österreich hinzugefügt. Mit der Neuverlautbarung des Wappengesetzes mit BGBl. Nr. 159/1984 in § 1 in der grafischen Umsetzung der Anlage 1 wurde das Bundeswappen in seiner aktuellen Version eingeführt.
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Bundeskanzler Johann Schober, Perg
Bundesarchiv Bild 102-11713, Genf, Tagung des Europa-Comités.jpg
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Es folgt die historische Originalbeschreibung, die das Bundesarchiv aus dokumentarischen Gründen übernommen hat. Diese kann allerdings fehlerhaft, tendenziös, überholt oder politisch extrem sein.
Die Tagung des Europa-Comités unter dem Vorsitz des deutschen Reichsaussenministers

Dr. Curtius in Genf!
Die Teilnehmer am Verhandlungstisch von links nach rechts:

Matos / Schober / Zumetta / Marinkowitsch / Zaleski / Grandi / Briand / Curtius / Drummond / Henderson / Joshisawa / Leouse / Benesch und Eymans
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Erich Salomon Julius Curtius Johann Schober 1929
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