Idee zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht

Die Idee zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht ist ein Aufsatz von Immanuel Kant, bestehend aus einem Vorwort, neun Sätzen und deren Begründung. Er verfasste ihn 1784 im Alter von 60 Jahren.

Einordnung ins Gesamtwerk

Die Schrift entfaltet die Grundlagen der Geschichtsphilosophie Kants. Sie enthält aber auch Thesen zur Staatsphilosophie sowie zur Philosophie des Völkerrechts und kann als Vorwerk zu Zum ewigen Frieden (1795) gesehen werden. Die Überschrift deutet eine „Geschichtsschreibung in die Zukunft“ an, bemerkenswerterweise hier sogar in „weltbürgerlicher Absicht“, also universell anwendbar. Es kann aus dem Werk eine rechtsphilosophische Überlegung entnommen werden, die dem kategorischen Imperativ ähnelt: Die Freiheit des Einzelnen soll zwar größtmöglich sein, findet ihre Grenzen aber, wenn die Gesellschaft dadurch beeinträchtigt wird.

Die Idee wird andererseits von dem Kant-Experten Werner Flach als ein Anwendungsbeispiel der Kritik der reinen Vernunft gesehen, da die Schrift geltungstheoretisch und nicht empirisch sei.[1] Die Hauptfrage des Werkes ist somit die nach den Voraussetzungen einer vernünftig gerechtfertigten Geschichtsphilosophie. Kant stellt dazu in seiner Einleitung die These auf: Wenn wir sinnvoll über Geschichte nachdenken möchten, dann müssen wir annehmen, dass es eine Naturabsicht gäbe.

Zusammenfassung

Die ersten acht Sätze dienen als Hinleitung zu einer Pointe im letzten Satz. Diese besagt, dass die in allem vorhandene Anlage zur Vervollkommnung sich beim Menschen erst über eine republikanische Staatsform ausprägen könne. Ist diese auch nur ein vorübergehender Zustand auf dem Weg zur wahren Moral, so sei sie dennoch unumgehbar.

In der Einleitung legt Kant die Ansicht dar, dass die allgemeine Geschichte der Menschheit, obwohl sie, wenn man einen einzelnen Zeitpunkt oder ein einzelnes Individuum betrachtet, sich scheinbar nicht nach Regeln verhält, doch im Großen betrachtet ein Ziel zu haben scheint und sich wohl einem Plan der Natur unterordnen lässt. Zwar könne jeder Mensch nach seinem freien Willen, den Kant voraussetzt, entscheiden, was er tut und ob er seinen Trieben oder seiner Vernunft die Kontrolle überlasse, doch die Summe der einzelnen Geschehnisse verhalte sich stets nach der Naturabsicht, auch ohne dass sich der Einzelne darüber bewusst sei. Der freie Wille folge also im Großen (statistisch) denselben Linien. Individuen handelten interessengeleitet für sich und leiten damit in der Summe ihr Volk auf eine Art, die sie nicht beabsichtigt hatten.

Hier wird sichtbar, dass Kant von einem geordneten, teleologischen Weltbild ausgeht. Weiterhin bleibt auch die Idee der Entelechie präsent, was hier konkret bedeutet, dass Mensch und Menschheitsgeschichte zumindest die Anlage zur Vervollkommnung in sich tragen.

  1. Im ersten Satz erläutert Kant, dass nach der teleologischen Naturlehre alle Naturanlagen des Menschen zum Zwecke des Gebrauchs existierten und bestimmt seien, sich zu entwickeln. Ohne diese Naturlehre gäbe es keinen Leitfaden der Naturabsicht.
  2. Aus dem zweiten Satz geht hervor, dass der Mensch das volle Potenzial seiner Vernunft nur empirisch ausschöpfen kann. Da die Lebenszeit eines einzelnen Menschen begrenzt ist, muss der Fortschritt von Generation zu Generation überliefert werden. Die Weiterentwicklung wird hier von Kant im Kontext der gesamten Menschheit gesehen. Als Ziel der Menschheitsgeschichte müsse die vollkommene Ausprägung der Vernunft gedacht werden, da ihre Existenz sonst keinen Zweck habe.
  3. Im dritten Satz schließt Kant von der Ausstattung des Menschen durch die Natur mit Vernunft und dem sich daraus ableitenden freien Willen darauf, dass er nicht nur seinem Instinkt folgen, sondern auch Gebrauch von seinem Verstand machen soll. So habe sich der Mensch es schließlich selbst zu verdanken, wenn er infolge der Geschichte einen Zustand der vollen Ausprägung der Vernunft erreicht hat, die das Ziel der Menschheitsgeschichte sei. Merkwürdig sei nur, dass die, die den Fortschritt mühselig vorangetrieben haben, die Früchte ihrer Anstrengungen nicht genießen könnten.
  4. Im vierten Satz steht geschrieben, dass die Entwicklung aller Anlagen der Natur durch einen gesellschaftlichen Antagonismus erfolge. Dieser Antagonismus ist nach Kant die "ungesellige Geselligkeit" des Menschen. Der individuellen Neigung zur Vergesellschaftung steht der Hang, sich zu isolieren, gegenüber. Dieser verursacht nach Kant Widerstand, der den Menschen antreibt und somit seine Talente fordert. Die Natur verhindert somit die vom Menschen begehrte Eintracht durch verursachte Zwietracht. Durch diese List der Natur sei der Mensch zum Fortschritt gezwungen. Für Kant ist dies ein Hinweis auf die Existenz einer weisen Schöpferin, die die Natur sei.
  5. Im fünften Satz thematisiert Kant die höchste Aufgabe für die Natur der Menschengattung, nämlich "die Erreichung einer allgemein das Recht verwaltenden bürgerlichen Gesellschaft". Hierfür sei ein Zwang in Form von Gesetzen notwendig, da Menschen in absoluter Freiheit nicht lange untereinander existieren könnten. Der Mensch sei also zur Ausprägung einer Rechtsgesellschaft gezwungen. Kant sagt weiterhin, dass alle Kunst und alle Kultur Früchte der Ungeselligkeit seien, die er im vorhergehenden Satz erläuterte.
  6. Im sechsten Satz erklärt der Philosoph, dass es sich bei dem zuvor erwähnten Problem um das größte und langwierigste handelt. Die Regulierung zwischen Freiheit und ihrer Grenzen müsse ein "oberster Herr" im Staat übernehmen. Dieser sei nötig, um den Menschen in die richtige Richtung zu lenken, ihn der Vervollkommnung und der wahren Moral näher zu bringen. Denn der Mensch hat neben seinen vernünftigen Anlagen auch tierische Instinkte, die gebändigt und mit der Freiheit eines jeden in Einklang gebracht werden müssen. Das Problem dabei ist, dass auch dieser Herrscher ein Mensch ist und daher selbst tierische Instinkte hat, die nötig machen, dass auch er einen Herrn über sich hat. So drückt Kant seine Überzeugung aus, dass die Menschen auf Grund ihrer natürlichen Schlechtigkeit nie eine Staatsform finden würden, die für alle gerecht ist. Nur die Annäherung an die Idee des vollkommenen Staates sei nach Kant möglich und Ziel der Natur.
  7. Im siebenten Satz stellt er die These auf, dass sich dieses Prinzip auch auf mehrere Staaten übertragen lasse. Bei einer durchdringenden Rechtsgesellschaft ständen auch Staaten untereinander in einem rechtlichen Verhältnis (Völkerbund). Die Menschheit werde jedoch erst dann zum ewigen Frieden finden, wenn sie ihre Moral ausgeprägt habe.
  8. Im achten Satz zeigt Kant auf, dass der Zweck der Geschichte die Herausbildung der inneren und äußeren Staatsverfassung sei. Durch die fortlaufende Aufklärung der Bürger und Herrscher trete er automatisch ein. Die Beschneidung bürgerlicher Freiheiten würde diesen Prozess jedoch hemmen.
  9. Im neunten Satz bezieht sich der Philosoph auf seine Eingangs gestellte Frage, welchen Nutzen die Geschichtswissenschaft für den Lauf der Geschichte hat. Er kommt zu der Schlussfolgerung: Die Idee einer Geschichtswissenschaft in weltbürgerlicher Absicht sei, angenommen, es gäbe eine Naturabsicht, nützlich.

Literatur

  • Höffe, Otfried (Hg.): Immanuel Kant: Schriften zur Geschichtsphilosophie. Ein kooperativer Kommentar, De Gruyter Akademie Forschung, Berlin 2011, ISBN 978-3050046839.
  • Hoesch, Matthias: Vernunft und Vorsehung. Säkularisierte Eschatologie in Kants Religions- und Geschichtsphilosophie, Walter de Gruyter, Berlin/Boston 2014, ISBN 978-3110351255.
  • Kant, Immanuel: Idee zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht. Vollständige Neuausgabe, LIWI Literatur- und Wissenschaftsverlag, Göttingen 2019, ISBN 978-3965420960.
  • Rorty, Amélie O./Schmidt, James: Kant's Idea for a Universal History with a Cosmopolitan Aim, Cambridge University Press, Cambridge 2009, ISBN 978-0521874632.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Werner Flach: Zu Kants geschichtsphilosophischem „Chiliasmus“. In: Karl-Heinz Lembeck, Karl Mertens, Ernst Wolfgang Orth (Hrsg.): Phänomenologische Forschungen, Jahrgang 2005, Hamburg 2005, S. 167–174.