Magnesiummangel

Klassifikation nach ICD-10
E61Mangel an sonstigen Spurenelementen
E61.2Magnesiummangel
E83Störungen des Mineralstoffwechsels
E83.4Störungen des Magnesiumstoffwechsels
Hypermagnesiämie
Hypomagnesiämie
ICD-10 online (WHO-Version 2019)

Als Magnesiummangel bezeichnet man einen Mangel an Magnesium im Körper mit Abnahme der Magnesiumkonzentration im Blut, in der Fachsprache auch Hypomagnesiämie genannt. Ein Magnesiummangel kann aus verschiedenen Gründen auftreten. Magnesium ist für den Menschen lebenswichtig. Es ist an vielen Stoffwechselvorgängen beteiligt.

Ursachen für Magnesiummangel

Magnesiummangel entsteht durch zu geringe Aufnahme mit der Nahrung, durch verminderte Absorption im Darm oder durch zu intensive Ausscheidung über Nieren und Haut.

Zu den möglichen Ursachen eines Magnesiummangels gehören auch

  • einseitige Kostformen (Diäten),
  • zu geringe Nahrungszufuhr (insbesondere im Alter) oder
  • erhöhter Bedarf infolge von Belastungen, Stress, Sport und Schwangerschaft.

Zu den möglichen Ursachen eines Magnesiummangels gehören aber auch genetische Ursachen, die den Aufnahmemechanismus (Magnesiumresorption) im Darm oder die Magnesium-Wiederaufnahme (Rückresorption) in der Niere beeinträchtigen (Familiäre Primäre Hypomagnesiämie) wie das Meier-Blumberg-Imahorn-Syndrom.

Zu den sekundären Ursachen gehören verschiedene Erkrankungen, die zu einer Verschlechterung der Magnesiumbilanz im Körper beitragen:

Auch verschiedene Medikamente führen zu Magnesiumverlusten (z. B. wassertreibende Mittel (Diuretika), Antibiotika, Chemotherapeutika, Digitalis und Protonenpumpenhemmer[2][3]).

Magnesium ist zu 99 % intrazellulär lokalisiert. Das bedeutet, dass der gemessene Blutspiegel den Magnesium-Pool des Körpers nur unzureichend widerspiegelt, und erklärt, warum eine isolierte Blutspiegel-Messung einen Magnesiummangel oft weder beweisen noch widerlegen kann (es sei denn, es liegt ein klinisch sofort behandlungsbedürftiger Fall vor, bei dem die Körperspeicher aufgebraucht sind, etwa durch langandauernde extreme Fehlernährung oder Alkoholismus).

Auswirkungen von Magnesiummangel

Magnesiummangel verursacht aufgrund der zahlreichen Körperfunktionen des Magnesiums meist mehrere Symptome gleichzeitig, so dass man von einem Magnesiummangelsyndrom (auch als Hypomagnesiämiesyndrom bezeichnet) spricht. Zu den vielschichtigen Symptomen zählen:

Magnesiummangel bzw. das tetanische Syndrom (die Magnesiummangeltetanie) ist eine sehr ernstzunehmende Erkrankung. Die Erscheinungsformen des tetanischen Syndroms ändern sich mit dem Alter:

Säuglings- und Kleinkindalter

Im Säuglings- und Kleinkindalter finden sich Geburtskomplikationen, leichte Gedeihstörungen, Infektanfälligkeit, erhöhte Krampfbereitschaft (Zahn- und Fieberkrämpfe) sowie eine verspätete Zahnung.

Schulkindalter

Im Schulkindalter sind Konzentrations- und Schlafstörungen, Nervosität, Bauch- und Kopfschmerzen, Kollapszustände, circa ab dem 10. Lebensjahr Muskelkrämpfe, circa ab dem 15. Lebensjahr Beklemmungsgefühle und Luftnot Erscheinungen des Magnesiummangels. Mädchen haben oft eine verspätet einsetzende Regelblutung und Regelschmerzen (Menstruationsbeschwerden); mitunter ist auch die Zyklusdauer verändert.

Erwachsenenalter

Im Erwachsenenalter treten rasche Erschöpfbarkeit, erhöhtes Schlafbedürfnis, Ängste, Depressionen, Muskelkrämpfe (in der Wadenmuskulatur, in den Gefäß- und Eingeweidemuskeln), Kopfschmerzen, Migräne (diffuse und/oder migräneartige Kopfschmerzen sind die Regel), unklare Oberbauchbeschwerden und Koliken auf. Ab circa dem 30. Lebensjahr kommen typische tetanische Verkrampfungen (Pfötchenstellung) und ab circa dem 40. Lebensjahr auch neurologische Ausfälle, sogenannte transitorische ischämische Attacken (TIAs), die zur zeitweiligen Sauerstoffunterversorgung des Gehirns führen, hinzu.

Die Muskelschwäche ist für die Patienten häufig viel belastender als die Muskelkrämpfe. Der klassische tetanische Anfall, d. h. die anhaltende Verkrampfung des Körpers einschließlich der Lippenmuskulatur („Karpfenmaul“), kommt höchstens bei 20 % der Patienten vor.

Frauen neigen zu Schwangerschaftskomplikationen wie Erbrechen, Ödemen, Harneiweiß, Bluthochdruck (Präeklampsie und Eklampsie) und Fehlgeburten.

ADS / ADHS und Magnesiummangel

ADS (siehe auch: Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung) und Magnesiummangel haben teilweise eine überlappende Symptomatik.[4] Bei der Diagnose ADS und einem nachgewiesenen Magnesiummangel kann eine Therapie mit Magnesium die Symptome des ADS verbessern.[5][6]

Schlaganfall und Magnesiummangel

In einer Metaanalyse, in die sieben prospektive Studien mit insgesamt 241.378 Teilnehmern einbezogen wurden, zeigte sich ein knapp statistisch signifikanter Zusammenhang zwischen Magnesium-Aufnahme und ischämischem Schlaganfall. Das relative Risiko sank bei täglicher Aufnahme von 100 mg Magnesium um 8 Prozent. Bei Hirnblutungen (intrazerebrale Blutung und Subarachnoidalblutung) bestand dieser Zusammenhang nicht.[7]

Häufigkeit von Magnesiummangel

Ernährungsstudien zufolge ist bei 10 bis 20 % der Bevölkerung von latentem Magnesiummangel[8][9][10][11][12] auszugehen. Stehen dem gesunden Körper seine Regulationsmechanismen voll zur Verfügung, kann der Darm sehr effektiv Magnesium absorbieren und die Niere extrem effektiv Magnesium resorbieren, sodass die Magnesiumbilanz gerade noch ausbalanciert wird.

Im Unterschied hierzu haben ca. 20 % der Patienten auf Intensivstationen einen zu geringen Magnesiumwert im Blutspiegel (eine sogenannte Hypomagnesiämie). Auch bei Jugendlichen findet sich in 11 % der Fälle eine Hypomagnesiämie.[13][14] Bezogen auf die Besucher einer Allgemeinarztpraxis liegt die Quote bei ca. 7 %.

Ein genetisch bedingter Magnesiummangel kommt schätzungsweise bei 0,1 bis 1 % der Bevölkerung vor. In diesen Fällen sind die körpereigenen Regulationsmechanismen nicht mehr oder nur unzureichend in der Lage, ausgleichend zu wirken. Daher muss die Magnesiumzufuhr erheblich gesteigert werden, wozu magnesiumhaltige Nahrungsergänzungsmittel oder magnesiumhaltige Arzneimittel (600 bis 1200 mg pro Tag) Anwendung finden können.

Prophylaxe und Behandlung

In der Regel wird das Magnesiummangelsyndrom, das tetanische Syndrom beziehungsweise der Magnesiummangel durch einen Arzt festgestellt. Magnesiummangel kann durch eine ausgewogene Ernährung vorgebeugt werden. Da jedoch zum Beispiel Leistungssportler Magnesium verstärkt ausscheiden, kann eine zusätzliche Zufuhr „über die regulär empfohlenen 350 mg pro Tag hinaus“ sinnvoll sein. Muskelkrämpfe sind jedoch nicht zwangsläufig auf Elektrolytmangel zurückzuführen; sie können auch die Folge einer Fehlbelastung sein.[15]

Veterinärmedizin

Beim Rind führt fütterungsbedingter Magnesiummangel zum Krankheitsbild der Weidetetanie.

Botanik

Bei Pflanzen kommt es durch einen Magnesiummangel zur Chlorose.

Literatur

  • D.-H. Liebscher, D. E. Liebscher: Zur Genetik der Magnesiummangeltetanie des Erwachsenen als spät erkannte Form angeborener Magnesiumverlusterkrankungen. In: M. Anke, G. Flachowsky, K. Kisters u. a. (Hrsg.): Mengen- und Spurenelemente. 22. Arbeitstagung Jena 2004. Schubert-Verlag, Leipzig 2004, S. 718–724.
  • R. Swaminathan: Magnesium metabolism and its disorders. In: Clin Biochem Rev., 24(2), Mai 2003, S. 47–66, PMID 18568054
  • D.-H. Liebscher: Selbstmedikation mit hochdosiertem Magnesium. In: Y. Schmitt (Hrsg.): Ernährung und Selbstmedikation mit Spurenelementen (= Schriftenreihe der Ges. Mineralstoffe Spurenelemente e. V.). WVG, Stuttgart 2003, S. 75–86.
  • R. Fehlinger: Therapy with magnesium salts in neurological diseases. In: Magnes. Bulletin, 12, 1990, S. 35–42.
  • D.-H. Liebscher, DE Liebscher: Zum individuellen Bedarf an essentiellen Stoffen – am Beispiel des Magnesiums. In: M. Anke, R. Müller, U. Schäfer, M. Stoeppler (Hrsg.): Mengen- und Spurenelemente. 21. Arbeitstagung Jena 2002. Schubert-Verlag, Leipzig 2002, S. 1309–1316.
  • H. Llewelyn, H. A. Ang, K. Lewis, A. Al-Abdulla: Oxford Handbook of Clinical Diagnosis. Oxford University Press, 2006.
  • K. Dörner: Magnesium. In: L. Thomas (Hrsg.): Labor und Diagnose, 5/2000, S. 348–350.
  • H. F. Schimatschek, H. G. Classen, K. Baerlocher, H. Thöni: Kinderarzt, 28, 1997, S. 196–203.
  • D.-H. Liebscher, D. Fauk: Fallbericht: Späte hochdosierte orale Magnesiumtherapie bei einer 83-jährigen Frau mit Magnesiummangeltetanie. In: Magnes. Bulletin, 22, 2000, S. 100–102.
  • M. S. Seelig, A. Rosanoff: The magnesium factor: How one simple nutrient can prevent, treat, and reverse high blood pressure, heart disease, diabetes and other chronic disease. Avery Penguin Group, New York 2003.
  • D.-H. Liebscher, D. E. Liebscher: About the difficulties in diagnosis of magnesium-deficiency tetany by practitioners from the view of patients. In: Magnes. Res., 14, 2001, S. 147–148.
  • D.-H. Liebscher: Hereditary magnesium-deficiency tetany – a magnesium losing disorder. In: Trace Elem. Elec., 22, 2005, S. 164.
  • H.-G. Classen, W. Achilles, M. G. Bachem u. a.: Magnesium: Indikationen zur Diagnostik und Therapie in der Humanmedizin. In: Magnes. Bulletin, 8, 1986, S. 127–135.
  • R. Fehlinger: Zur Familiarität des tetanischen Syndroms – Ein kasuistischer Beitrag. In: Magnes. Bulletin, 13, 1991, S. 53–57.
  • L. Spätling, H. G. Classen, R. Külpmann u. a.: Diagnostik des Magnesiummangels – Aktuelle Empfehlungen der Gesellschaft für Magnesium-Forschung e. V. In: Fortschr. Med., 118, 2000, S. 49–53; magnesium-ges.de (PDF; 585 kB)
  • D.-H. Liebscher, D. E. Liebscher: About the misdiagnosis of magnesium deficiency. In: J Am Coll Nutr., 23, 2004, S. 730S-731S.
  • K. P. Schlingmann, M. Konrad, H. W. Seyberth: Genetics of hereditary disorders of magnesium homeostasis. In: Pediatr Nephrol., 19, 2004, S. 13–25.
  • S. Weber, M. Konrad: Angeborene Magnesiumverlusterkrankungen. In: Dtsch. Ärztebl., 99, 2002, S. 1023–1028.
  • R. Fehlinger: Magnesium und tetanisches Syndrom. In: Magnes. Bulletin, 2, 1980, S. 40–47.
  • U. Schwabe: Umstrittene Arzneimittel. In: U. Schwabe, D. Paffrath (Hrsg.): Arzneimittelverordnungs-Report 2005. S. 24–30.
  • B. Von Ehrlich: Magnesiummangelsyndrom in der internistischen Praxis. In: Magnes. Bulletin., 19, 1997, S. 29–30.
  • J. Durlach: Magnesium in der klinischen Praxis. Fischer-Verlag, Jena / Stuttgart 1992.
  • Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen: Koordination und Qualität im Gesundheitswesen. Punkt 597 – Demenz. Internetdokument 2005, S. 448.
  • M. Härter: Partizipative Entscheidungsfindung (Shared Decision Making) – ein von Patienten, Ärzten und der Gesundheitspolitik geforderter Ansatz setzt sich durch. In: Z. ärztl. Fortbild. Qual. Gesundh.wes., 98, 2004, S. 89–92.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. https://www.semanticscholar.org/paper/Bemerkungen-zur-Kinetik-und-zu-extrazelluären-von-Vierling/174f5353ee412f20966fb2ec75a4d282c971a4e8/figure/0
  2. FDA Drug Safety Communication: Low magnesium levels can be associated with long-term use of Proton Pump Inhibitor drugs (PPIs). FDA.gov, abgerufen am 8. November 2017.
  3. https://www.semanticscholar.org/paper/Bemerkungen-zur-Kinetik-und-zu-extrazellulären-von-Vierling/174f5353ee412f20966fb2ec75a4d282c971a4e8/figure/0
  4. D.-H. Liebscher, U. C. Liebscher; Magnesiummangeltetanie - eine angeborene Magnesiumverlusterkrankung;Nieren- und Hochdruckkrankheiten;2010 Mai; 209-219.
  5. Frank Häßler, Alexander Dück, Olaf Reis, Johannes Buchmann: "Alternative" pharmakologische Therapien bei ADHS. In: Psychopharmakotherapie. 14, 2007, S. 229–236.
  6. D.-H. Liebscher, K. Baerlocher, H.-G. Classen, U. C. Liebscher, G.-W. Ratzmann, W. Vierling, A. Weigert, K. Kisters: Magnesiummangel und -therapie bei ADHS. In: Nieren- und Hochdruckkrankheiten. 40, 3, Mai 2011, S. 123–128.
  7. S. C. Larsson, N. Orsini, A. Wolk: Dietary magnesium intake and risk of stroke: a meta-analysis of prospective studies. In: The American journal of clinical nutrition. Band 95, Nummer 2, Februar 2012, S. 362–366, ISSN 1938-3207. doi:10.3945/ajcn.111.022376. PMID 22205313.
  8. J. Durlach: Recommended dietary amounts of magnesium: Mg RDA. In: Magnes Res. 2, 1989, S. 195–203.
  9. Waldemar Bobkowski, Agnieszka Nowak, Jean Durlach: The importance of magnesium status in the pathophysiology of mitral valve prolapse. In: Magnesium Research. Volume 18, Number 1, March 2005, S. 35–52.
  10. D.-H. Liebscher, U. C. Liebscher: Magnesiummangeltetanie - eine angeborene Magnesiumverlusterkrankung. In: Nieren- und Hochdruckkrankheiten. 39, 5, Mai 2010, S. 214/215.
  11. S. B. Eaton, S. B. Eaton III: Paleolithic vs. modern diets - selected pathophysiological implications. In: Eur J Nutr. 39, 2000, S. 67–70.
  12. D.-H. Liebscher, D. E. Liebscher: Unter- und Fehlversorgung von Patienten mit Magnesiummangel. In: M. Anke u. a.: Mengen- und Spurenelemente. 23. Arbeitstagung Jena 2006. Schubert Verlag, 2006, S. 661–667.
  13. H. F. Schimatschek, H. G. Classen: Ernährungsstudie der Universität Hohenheim. In: Magnesium-Bulletin. 15, 1993, S. 85–104.
  14. H. F. Schimatschek, H. G. Classen, K. Baerlocher, H. P. Thöni: Der Kinderarzt. 28, 1997, S. 196–203.
  15. Christoph Raschka, Stephanie Rufs: Sportlerernährung. In: Aktuelle Ernährungsmedizin. Band 38, Nr. 5, 2013, S. 362–378, (hier: S. 370), doi:10.1055/s-0033-1349460, (Volltext) (PDF)